Teilzeit statt Vollzeitjob
Warum wir dringend über neue Arbeitszeitmodelle nachdenken müssen

40 Wochenstunden? 5 Arbeitstage? Immer mehr Väter wünschen sich flexiblere Arbeitszeiten, um Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bekommen. Wir stellen die Alternativen zum Vollzeitjob vor
Warum wir dringend über neue Arbeitszeitmodelle nachdenken müssen
© Shutterstock.com / Maksym Poriechkin

Der Berliner Blogger und Journalist Fabian Soethof hatte irgendwann die Schnauze gestrichen voll. "Meine in Teilzeit arbeitende Frau jonglierte zuhause mit Abholzeiten, Betreuung und Bespaßung unserer beiden Kinder, während ich in Vollzeit arbeitete, aber gedanklich oft bei der Familie war – das tat niemandem von uns gut", erzählt er. "Wir vier steckten in einer Lose-Lose-Lose-Lose-Situation." Aus diesem Grund entschieden er und seine Frau im Oktober 2017 seine Arbeitszeit auf 30 Stunden die Woche zu reduzieren. "Im Kern arbeite ich jetzt täglich von 9 bis 15 Uhr. Natürlich fällt auch mal danach oder abends Arbeit an, aber wegen Hort- und Kita-Schließzeit bin ich in der Regel nur bis zirka 16:30 Uhr erreichbar." Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf beschäftigt Soethof so sehr, dass er jetzt auch ein Buch zu dem Thema veröffentlicht hat. In "Väter können das auch" schildert er nicht nur seine private Situation, sondern beschreibt auch, was sich ändern muss, um Familie endlich gleichberechtigt zu leben. Ein Schwerpunkt seines Buches: neue Arbeitszeitmodelle. Im Interview erklärt er, wie ihm der Wechsel in einen Teilzeitjob gelungen ist – und wie das auch andere Väter schaffen.

War es schwierig, Teilzeit in deiner Firma umzusetzen?

Nur bedingt: Innerhalb der Elternzeit unseres zweiten Sohnes arbeitete ich schon einmal in Teilzeit. Das funktionierte gut, Arbeitnehmer und Arbeitgeber hatten also schon Erfahrungswerte. Dort und bei der später genommenen dauerhaften Teilzeit musste ich zwar erklären und mitdenken, wie der Laden in meiner Abwesenheit laufen soll. Das habe ich aber erstens gerne gemacht, weil es ja auch in meinem Interesse ist – und zweitens habe ich gelernt, dass im Nachhinein viele Dinge besser funktionieren, als manche es vorher befürchteten. Klingt fatalistischer, als ich es meine: Jeder ist ersetzbar. Zumindest auf der Arbeit.

Welche Vorteile hat der Teilzeitjob für dich – und für deine Familie?

Meine Frau und ich leben gleichberechtigter – auch gegenüber unseren Kindern. Der Financial Load liegt verteilt auf unseren beiden Schultern, wenngleich er bei uns noch nie nur auf meinen oder ihren Schultern lag. Ich kann die Jungs täglich zu Schule und Kinderladen bringen und abholen, meine Frau und ich können dazwischen unserer Arbeit nachgehen. Wenn sie mal länger arbeiten muss, ist das kein Problem, ich bin ja da. Umgekehrt genau so. Ich verbringe nicht nur Quality Time abends oder am Wochenende mit meinen Kindern, sondern bin als Bezugs- und Sorgeperson selbstverständlicher fester Teil ihres Alltags – und sie meines. Das finde ich persönlich aktuell wichtiger als ein paar Euro mehr auf dem Konto. Wobei mir bewusst ist, wie privilegiert diese Situation ist. Viele Menschen sind auf jeden Euro mehr angewiesen und können nicht oder nicht so leicht so entscheiden.

Siehst du in deinem Teilzeitjob auch Nachteile?

Die Nachteile sind finanzieller Natur. Meine aktuellen Prioritäten habe ich ja schon gerade genannt. Aber zum Sparen fürs Alter, für Eigentum oder für die Ausbildung der Kinder reicht mein bzw. unser Teilzeiteinkommen, gerade bei den nicht allzu üppigen Gehältern in meiner Branche, nicht. Und es stimmt: Selbst bei den fortschrittlichsten Arbeitgeber:innen kann ich mir vorstellen, dass du auf der sogenannten Karriereleiter nicht als erster im Team weiter nach oben geschickt wirst. Ich finde das für mich persönlich nicht so schlimm, alles eine Frage der Prioritäten.

Wenn Männer in Teilzeit arbeiten, dann gerne in sogenannter "vollzeitnaher Teilzeit"– sind weniger Stunden bei Vätern wirklich nicht drin?

Sie wären drin, besonders bei überdurchschnittlich Verdienenden, aber unser aktuelles Arbeitszeitmodell im Kapitalismus ist auf dieses Hamsterrad ausgelegt: Wenn du weniger arbeitest, verdienst du weniger, kannst also deinen bisherigen Lebensstandard nicht mehr halten. Miete, Eigentumspreise, Anschaffungen, Urlaube: Die Kosten für all das sind grob unseren durchschnittlichen Einkommen angepasst. Die wenigsten verdienen für weniger Arbeit viel oder zumindest ausreichend viel Geld – damit sie nicht noch auf dumme Gedanken kommen und kreativ oder zufriedener werden.

Gleitzeit, Arbeitszeitkonto, Vertrauensarbeitszeit: Reicht das nicht schon aus, um Familie und Beruf unter einen Hut zu kriegen?

Unter einen sehr großen Hut vielleicht. Ich spreche dabei gerne von der sogenannten Verkeinbarkeit, also der Unmöglichkeit absoluter Vereinbarkeit. Egal, wie man sich Arbeit, Kinder und Haushalt aufteilt (sofern man jemanden zum Teilen hat), es bleibt ein Kompromiss: Natürlich möchte ich am liebsten in allen Bereichen hundert Prozent geben. Immer für meine Familie da sein und viel Geld verdienen, idealerweise mich dabei sogar selbst verwirklichen, und Zeit für mich selbst und Hobbys haben. Alles zusammen geht aber nur mit Abstrichen, es bleibt ein Kompromiss.

Welches Arbeitszeitmodell hältst du am familienfreundlichsten für Väter?

Das kommt viel auf das jeweilige Alter der Kinder an. Wenn sie in Schule und Hort gehen, ist tagsüber mehr Zeit und Ruhe für Arbeit als im Babyalter. Grundsätzlich aber halte ich maximal 30 Stunden Wochenarbeitszeit für beide Elternteile, wenn wir von klassischen Erziehungsmodellen reden, für familienfreundlich. Ich glaube: Die dadurch eventuell steigende Lebenszufriedenheit bzw. Life-Work-Balance würde sich positiv auf alle Bereiche auswirken.

Was wäre eigentlich, wenn wir alle nur noch 20 Stunden arbeiten würden?

Der Philosoph Bertrand Russell argumentierte im Jahr 1935, dass eine 20-Stunden-Woche sogar den Weltfrieden voranbringen würde. Er schrieb: "Die Lust am Kriegsführen wird aussterben (...), weil Krieg für alle lang dauernde, harte Arbeit bedeuten würde." Hach, wie schön das wäre, auch und gerade für die Zukunft unserer Kinder. Und wie unrealistisch das leider ist! Im Kern steckt darin aber die nachvollziehbare Annahme, dass weniger Arbeitszeit auch das vorherrschende Patriarchat kleiner kriegen würde: Weniger Zeit im Job bedeutet zwangsläufig mehr Zeit für Freizeit und Familie. Schon statistisch gesehen müssten dadurch mehr Männer als bisher merken, dass ihre Erfüllung nicht allein im Beruflichen liegt. Ganz praktisch würde das bei Lohnausgleich oder sich anpassenden Lebensunterhaltungskosten in vielen Berufen funktionieren. In kreativen etwa zählt das Ergebnis, nicht die investierte Zeit. In der Pflege zum Beispiel aber geht das nicht, die Arbeit, in dem Falle hilfsbedürftige Menschen, blieben buchstäblich liegen.

Ist eine 4-Tage-Woche vielleicht die Zukunft?

Jein. Die Grundidee "weniger Arbeit" unterstütze ich unbedingt. Den Rest der Zeit könnte man sich neben Familie, Haushalt und Hobby anderen schönen und/oder wichtigen Dingen im Leben widmen: anderen Menschen helfen, kreativ werden, Neues lernen, zum Beispiel. Oder, wer will, auch mehr Geld verdienen. Als "Kann", nicht als "Muss". Wichtiger als eine 4-Tage-Woche fände ich aber, dass Arbeit freier einteilbar wird. Wer wie ich aktuell 30 Stunden pro Woche arbeitet, wäre bei vier Tagen trotzdem an jedem dieser Tage von morgens bis abends im Büro und kann dafür einen Tag mehr den Wochenenddaddy spielen. Aber klar: Das wäre immer noch viel besser als 40-, 50- oder gar 60 Wochenstunden, wie sie viel zu viele von uns noch immer abreißen.

Könnte das bedingungslose Grundeinkommen die Lösung sein?

Es gibt Studien und Fallbeispiele zum Beispiel aus Kalifornien und Finnland, in denen einer größeren Gruppe von Menschen über Monate hinweg ein bedingungsloses Grundeinkommen gezahlt wurde. Die Ergebnisse waren durchweg positiv: Die Forschungsteilnehmer:innen wurden glücklicher, gesünder, nahmen vermehrt am Sozialleben teil (weil sie sich zum Beispiel wieder einen Restaurantbesuch mit Freund:innen leisten konnten) – und sie arbeiteten sogar mehr anstatt weniger, weil sie ihren Job nicht allein anhand von Leistungsdruck und finanzieller Abhängigkeit wählen mussten. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Grundsicherung unserer Gesellschaft als Ganzes, besonders aber geringverdienenden Menschen gut tun würde. Weil sie nicht mehr jeden Mist machen müssen, damit der Kühlschrank nächsten Monat auch noch voll genug ist und sie nicht aus ihrer Wohnung fliegen. Damit ihr Alltag nicht länger von Druck und Angst dominiert ist. Übrigens würde auch Care-Arbeit damit zumindest indirekt endlich bezahlt werden.

Von welchen Ländern kann sich Deutschland etwas abschauen hinsichtlich der Arbeitszeiten und der Familienfreundlichkeit in Unternehmen?

Keine Überraschung: Schweden geht in der Hinsicht seit Jahrzehnten mit gutem Beispiel voran. Die wirtschaftlichen Anreize zu mehr Elternzeit und Teilzeit sind dort so hoch, dass selbst der größte Workaholic nicht nur die in Deutschland üblichen zwei Monate zuhause bleibt. Auch in Spanien geht es in puncto erzieherischer Gleichberechtigung voran: Am 1. Januar 2021 trat dort ein Gesetz in Kraft, das es Vätern wie Müttern gleichermaßen erlaubt, vier Monate Elternzeit zu nehmen – bei voller Bezahlung und nicht auf den oder die Partner:in übertragbar. In Deutschland mag vieles bereits vergleichsweise gut geregelt sein. Das heißt aber nicht, dass dies bereits gut genug sei.

"Deutschland ist leider noch immer ein Land der Fest-Angestellten", resümiert Fabian Soethof. Aber so langsam kommt Bewegung in die starren Arbeitszeiten. Und auch wenn es momentan für Väter noch nicht immer ganz so leicht ist, neue Arbeitszeitmodelle zu etablieren, ist der Buchautor zuversichtlich: "Ich hoffe, dass unsere Kinder, Töchter wie Söhne, möglichst selbstbestimmt entscheiden können, was sie lernen und wem sie wieviel Prozent ihrer Arbeitskraft geben möchten – und dabei nie Angst um ihre Existenz haben müssen. Niemand sollte stets nur funktionieren müssen."