- Was versteht man genau unter dem Begriff Vereinbarkeit?
- Früher haben sich Kinder und Karriere gegenseitig ausgeschlossen, was hat sich verändert?
- Gibt es bei der Vereinbarkeit einen Unterschied zwischen Müttern und Vätern?
- Welche Herausforderungen haben Väter beim Thema Vereinbarkeit?
- Wie vermeidet man eine Überforderung bei den vielen Anforderungen?
- Kann Teilzeit hier eine Lösung sein?
- Was gewinnen Väter, wenn ihnen Vereinbarkeit gelingt?
- Ist Elternzeit für Väter eine Voraussetzung für Vereinbarkeit?
- Was, wenn die Frau darauf besteht, möglichst lange zu Hause beim Kind zu bleiben?
- Ist eine 50-50-Aufteilung das langfristige Ziel?
Wer Vater ist, der weiß: Kinder stellen das eigene Leben gehörig auf den Kopf. Genauso verhält es sich mit Corona. Aber es ist schlimmer: Die Pandemie hat unser Leben nicht nur auf den Kopf gestellt, es schlägt jetzt ständig Purzelbäume. Nonstop! Bis einem übel wird. Vor allem viele Familien mit kleinen oder schulpflichtigen Kindern hat COVID-19 hart getroffen: Beruf und Familienleben sind im Lockdown total aus den Fugen geraten. Kein Wunder, dass in den letzten Monaten ein Schlagwort immer häufiger auftaucht: "Vereinbarkeit". Gemeint ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Oder auf Neudeutsch: Work-Life-Balance. In dieser Krise kommt ein neues Buch gerade wie gerufen: "Eltern als Team: Ideen eines Vaters für gelebte Vereinbarkeit". Bücher zu diesem Thema gibt es schon einige, zum ersten Mal hat es aber ein Mann geschrieben – der Bildungsjournalist Birk Grüling. Im Interview erklärt der Hamburger, warum der Blickwinkel eines Vaters auf dieses Thema immer wichtiger wird. Und wie wir alle zufriedener leben können.
Was versteht man genau unter dem Begriff Vereinbarkeit?
Ich ganz persönlich verstehe darunter, ein gesundes Verhältnis zwischen unseren Bedürfnissen und den einzelnen Lebensbereichen. Also ich möchte aktiver Vater sein, mich beruflich verwirklichen, gleichzeitig auch Zeit für mich und die Partnerschaft haben. In vollem Umfang geht das natürlich nicht immer. Wir müssen uns also für eigene Abstriche entscheiden und selbst ein Verhältnis finden, mit dem wir als Familie leben können. Natürlich kann das auch bedeuten, einer geht viel arbeiten und einer bleibt ganz zuhause. Auch das ist ein Modell von Vereinbarkeit.
Früher haben sich Kinder und Karriere gegenseitig ausgeschlossen, was hat sich verändert?
Grundsätzlich gibt es mehr Möglichkeit: Elternzeit, Führen in Teilzeit oder andere neue Arbeitsmodelle. Leider werden sie noch viel zu wenig genutzt. Das liegt auch an einer Arbeitskultur, die sich nur langsam verändert. Als Voraussetzungen für Karriere sind immer noch viel Präsenz und lange Arbeitstage nötig. Das liegt auch daran, dass viele Führungspositionen noch von Menschen besetzt sind, für die sich Kind und Karriere eben noch ausschlossen und denen eine Partnerin oder ein Kindermädchen auf dem Weg nach oben den Rücken freihielt. Doch natürlich verändert sich auch etwas – mehr Väter sehnen sich nach mehr Zeit mit den Kindern und wollen dafür auch berufliche Abstriche machen.
Gibt es bei der Vereinbarkeit einen Unterschied zwischen Müttern und Vätern?
Der größte Unterschied besteht eigentlich darin, dass jahrelang fast nur die Frauen ein Vereinbarkeitsproblem hatten. Sie übernehmen die meiste Sorge-Arbeit, bleiben länger in Elternzeit und arbeiten danach auch häufiger in Teilzeit oder nehmen die Kinderkrankheitstage. Und erleben dann auch berufliche Nachteile. Nun kommen die sogenannten neuen Väter mit ähnlichen Ansprüchen und plötzlich stoßen sie an gleiche Widerstände wie die Mütter vor ihnen. Das Positive: Wenn beide Geschlechter mit Vereinbarkeit zu kämpfen haben, ist der Druck zu Veränderungen größer.
Welche Herausforderungen haben Väter beim Thema Vereinbarkeit?
Vielleicht sind es eher innerliche Herausforderungen. Wir müssen mit dem Rollenbild des Ernährers brechen, mit dem wir als Männer selbst sozialisiert wurden. Wir müssen den Mut haben, neue Wege zu gehen. Aber es gibt natürlich auch äußere Faktoren. Zum Beispiel verdienen immer noch viele Männer mehr Geld als ihrer Partnerinnen und das erschwert eine gleichberechtigte Aufteilung. Leider haben viele Männer noch nicht begriffen, dass die Gender-Pay-Gap auch sie selbst ziemlich diskriminiert und leugnen sie einfach.
Wie vermeidet man eine Überforderung bei den vielen Anforderungen?
Durch Abstriche und Planung. Wir müssen uns fragen, wo unsere Prioritäten liegen und eben bereit sein, andere Dinge schleifen zu lassen. Wenn ich mit meiner Familie ein Haus baue, bleibt in dieser Zeit vielleicht weniger Zeit für die Familie und Partnerschaft. Wenn mein Kind sehr klein ist, möchte ich lieber Zeit mit ihm verbringen und kann vielleicht nicht jede Woche zum Fußballgucken mit den Jungs. Vielleicht investiert meine Frau mehr Zeit in ihre Karriere und ich bleibe dafür öfter bei den Kindern. Wichtig ist dabei, keinen dauerhaften Verzicht entstehen zu lassen und immer auch im Dialog mit der Partnerin zu bleiben. So muss auch trotz allem immer Zeit für sich selbst und füreinander bleiben – es ist nur ganz individuell, wie viel man davon braucht.
Kann Teilzeit hier eine Lösung sein?
Klar, die 30-Stunden-Woche wäre ein Segen für alle. Leider übersehen wir in dieser Debatte häufig, dass es genug Menschen gibt, deren Gehalt in Teilzeit eben nicht zum Leben reicht. Wenn ich dagegen ITler bin, kann ich mir locker eine Reduzierung der Stundenzahl leisten, ohne leiden zu müssen. Teilzeit ist deshalb nur eine Option. Manchmal sind auch einfach familienfreundliche Firmen und flexible Arbeitszeiten die Lösung, die Platz für die Familie lassen.
Was gewinnen Väter, wenn ihnen Vereinbarkeit gelingt?
Ich glaube, gelungene Vereinbarkeit bedeutet Lebensqualität. Wie das Modell am Ende aussieht, entscheiden wir alle selbst. Wenn ich mehr Zeit mit meinem Kind verbringen und aktiver Vater sein will, trete ich beruflich kürzer oder finde einen familienfreundlichen Arbeitgeber und bin damit zufrieden. Vereinbarkeit kann aber auch bedeuten, meine Frau bleibt zuhause und ich gehe 70 Stunden arbeiten – jedenfalls, wenn wir uns gemeinsam dafür entschieden haben und es nicht so machen, weil es die Eltern auch so gemacht haben.
Ist Elternzeit für Väter eine Voraussetzung für Vereinbarkeit?
Ich glaube, Elternzeit ist eine gute Voraussetzung für vieles. Die Zeit schafft eine starke Bindung zum Kind und hilft dabei, seine Rolle als Vater zu finden. Außerdem schafft Elternzeit Know-how. Man lernt das wichtige Elternwissen rundum Kleidergrößen, Kinderärzte & Co. und kann eben nicht nur auf Befehl seiner Partnerin Dinge erledigen, sondern auch selbstständig den Alltag mit Kind bestreiten. Das Stichwort ist hier Mental Load. Dafür ist die Erfahrung aus der Elternzeit immens wichtig – übrigens auch für manche Frauen, die nochmal sehen, dass sie ihr Kind auch dem Partner anvertrauen können. Studien zeigen übrigens auch, dass Väter, die in Elternzeit waren, auch danach aktiver in der Care-Arbeit sind und mehr Zeit mit den Kindern verbringen. Das ist auch ein schöner Nebeneffekt.
Was, wenn die Frau darauf besteht, möglichst lange zu Hause beim Kind zu bleiben?
Ich würde das nicht akzeptieren – jedenfalls, wenn ich selbst den Wunsch nach einer langen Elternzeit habe. Ich denke, es wäre in einem solchen Fall wichtig, ins Gespräch zu kommen und einen guten Kompromiss zu finden. Wenn sich die Familie eine längere Elternzeit des Hauptverdieners nicht leisten kann, ist das etwas anderes.
Ist eine 50-50-Aufteilung das langfristige Ziel?
Meine persönliche Antwort wäre ja. Mit zwei gleichberechtigten Partnern fällt die Bewältigung der vielen Aufgaben des Alltags einfach leichter. Auch die mentale Last des Kümmerns und an alles denken, verteilt sich dann besser. Auch sonst gibt es noch einige Gründe dafür: Rentenansprüche oder die Absicherung beim Verlust des Partners. Und natürlich profitieren die Kinder immens davon, wenn sie viel Zeit mit beiden Eltern verbringen. Die Liste ließe sich unendlich weiterführen, aufzwingen kann man natürlich 50:50 niemanden.
Grülings Fazit: "Gleichberechtigung ist anstrengend und braucht viel mehr Absprachen als das klassische Modell." Aber der Praxis-Test des Journalisten hat auch gezeigt: Es lohnt sich.