- Mal provokant gefragt: Warum sollte ich als Vater Geld für ein Buch ausgeben, das sich explizit an Mütter richtet?
- Was meinst du damit, die gesellschaftlichen Strukturen seien nicht für Mütter gemacht?
- Viele Familien leben diese klassischen Rollen doch längst nicht mehr, zwei Drittel aller Frauen gehen inzwischen arbeiten. Wo ist das Problem?
- Zeigt ihr auch Lösungen, wie das heutzutage anders gehen kann?
- Wieso hilft die Gleichberechtigung von Müttern allen Menschen?
- Also sollen Mütter jetzt politisch werden?
- Fazit: Mama macht das schon
Von Haushaltsführung bis Kindererziehung: Mütter wuppen viel in unserer Gesellschaft, aber wird das auch entsprechend wertgeschätzt? "Nein", sagt die Journalistin Sarah Zöllner. Aus diesem Grund hat sie zusammen mit ihrer Kollegin Aura-Shirin Riedel das politische Sachbuch "Mütter. Macht. Politik" geschrieben, das gerade auf den Markt gekommen ist. Es ist ein Aufruf zur Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung von Müttern. Im Interview gibt Sarah Zöllner einen Einblick in den Alltag von Müttern, sagt, was sich gesellschaftlich ändern muss und erklärt, warum das Ganze auch für Väter so wichtig ist.
Mal provokant gefragt: Warum sollte ich als Vater Geld für ein Buch ausgeben, das sich explizit an Mütter richtet?
"Ein bisschen ist es wie der Blick durchs Schlüsselloch: Versetz dich doch einmal in die Haut deiner Frau oder Freundin – und dann mach dich auf den Weg. Zur Arbeit. Oder in die Kita. Was geht der Frau dabei wohl durch den Kopf? Ob der Chef wieder Sprüche klopfen wird, weil sie nur Teilzeit arbeitet und schon um 14 Uhr geht? Oder ob sie es rechtzeitig vor dem Abholen des Kindes schafft, die Hemden aus der Reinigung zu holen, das Geburtstagsgeschenk für die Schwiegermutter zu besorgen und den Termin beim Augenarzt am nächsten Tag abzusagen – weil es im Büro gerade brennt und man nicht schon wieder die Mutti sein will, die nie da ist? Solche Gedanken haben Mütter wirklich, während sie zwischen Beruf und Familie pendeln und versuchen, beides unter einen Hut zu bringen. Viele denken irgendwann, es sei ihre Schuld, dass sie das stresst oder sogar krank macht. Aber das ist es nicht: Als Mutter lebst du auch 2023 in Deutschland noch immer in gesellschaftlichen Strukturen, die einfach nicht für dich gemacht sind. Für engagierte Väter übrigens auch nicht."
Was meinst du damit, die gesellschaftlichen Strukturen seien nicht für Mütter gemacht?
"Mütter übernehmen – statistisch belegt – im Durchschnitt zwei Drittel der unbezahlten Fürsorgearbeit innerhalb der Familie, also die Kinderbetreuung, Hausarbeit und Haushaltsorganisation, während über 90 Prozent der Väter schon kurz nach der Geburt ihrer Kinder Vollzeit arbeiten und sich entsprechend weniger zu Hause engagieren (können). Das Problem: Die Arbeit innerhalb der Familie ist unbezahlt und wird zum Teil nicht mal als Arbeit anerkannt, während Erwerbstätigkeit, wie es der Name schon sagt, gegen Lohn geschieht und ein deutlich höheres gesellschaftliches Ansehen genießt. Mit der Verteilung 'Er verdient das Geld, sie sorgt zu Hause für die Familie' geht also ein großes finanzielles Ungleichgewicht und damit auch ein Ungleichgewicht an Macht und Einflussmöglichkeiten einher."

Viele Familien leben diese klassischen Rollen doch längst nicht mehr, zwei Drittel aller Frauen gehen inzwischen arbeiten. Wo ist das Problem?
"Ja, aber meist in Teilzeit oder in schlecht bezahlten Minijobs – weil die Kinderbetreuung nicht ausreicht, der Partner sowieso mehr verdient und unser Steuerrecht durch das Ehegattensplitting verheiratete Paare 'belohnt', wenn einer das Geld nach Hause bringt und der andere sich um alles andere kümmert. So rutschen Frauen oft mit der Geburt ihrer Kinder in genau diese alten Abhängigkeitsverhältnisse, die wir eigentlich schon längst überwunden zu haben glauben. Genau das zeigen wir in unserem Buch."
Zeigt ihr auch Lösungen, wie das heutzutage anders gehen kann?
"Ja, das tun wir. Und zwar nicht nur wir als Autorinnen. In zehn exklusiven, tiefgehenden Interviews sprechen Expertinnen und Experten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft aus ihrer jahrelangen Erfahrung heraus mit uns darüber, was getan werden muss, damit Mütter endlich gleichberechtigt werden. Ein Ziel, von dem letztlich alle Menschen in unserer Gesellschaft profitieren."
Wieso hilft die Gleichberechtigung von Müttern allen Menschen?
"Ohne die Fürsorgearbeit, die Mütter täglich leisten, sähen wir als Gesellschaft ganz schön alt aus. Wer würde die Kinder betreuen, die als zukünftige Arbeitnehmer:innen unser Bruttosozialprodukt voranbringen sollen? Wer macht heute überhaupt Vollzeitarbeit als Standard möglich? Mütter sind in Familien die Menschen, die in den meisten Fällen den (Haupt-) Erwerbstätigen den Rücken freihalten. Ganz abgesehen davon, dass wir arm dran wären ohne all die Frauen und Mütter, die zusätzlich zu ihrer Arbeit zu Hause, in Krankenhäusern, in der Pflege, in Kitas und Schulen für andere sorgen. Auch da oft unterbezahlt und unter miserablen Bedingungen. Sehr lange wird das nicht mehr gut gehen. Die aktuelle Care-Krise im Gesundheits- und Bildungsbereich zeigt das mehr als deutlich. Und wir alle werden einmal alt. Wollen wir dann unter Zeitdruck und nach Minimalversorgung gepflegt werden? Oder wollen wir diese Form der Fürsorgearbeit – in der Familie und außerhalb – endlich als das sehen und entsprechend anerkennen, was sie ist: nämlich ein essenzieller Bestandteil unserer Ökonomie und damit unserer Gesellschaft?"
Also sollen Mütter jetzt politisch werden?
"Ja, politisch, indem wir als Mütter erkennen: Was ich täglich leiste, ist keine Privatsache. Es ist von großem gesellschaftlichem Wert. Und dass es manchmal schwierig ist, diese Arbeit zu machen, liegt keineswegs daran, dass ich als Frau und Mutter unfähig oder nicht ausreichend belastbar bin, sondern schlicht daran, dass unsere Gesellschaft für Menschen gemacht ist, die nicht für andere sorgen. Damit bist du automatisch im Nachteil, wenn du Fürsorge für andere übernimmst! Mit unserem Buch – und der zeitgleich zu seiner Veröffentlichung startenden Jahresaktion #MütterMachtPolitik – wollen wir dazu beitragen, dass sich das ändert. Unser Buch hat das Ziel, die Forderungen der Verbände und Initiativen, die wir in ihm zitieren, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und damit letztlich politischen Druck zu erzeugen. Mütterpolitik ist eben nicht nur was für Mütter, sondern sie geht uns alle an – Mütter, Väter und auch Kinderlose. Weil es dabei um die grundlegende Frage geht: Wie wollen wir als Gesellschaft leben und welche Prioritäten setzen wir?"
Fazit: Mama macht das schon
Was für eine Gesellschaft wünschen sich die beiden Autorinnen des Buches? "Natürlich eine, in der Mütter, auch mit kleinen Kindern, überall ganz selbstverständlich vertreten sind", sagt Sarah Zöllner. Auch in Führungspositionen in Unternehmen, in Universitäten und in der Politik. Zöllner: "In der Mädchen nicht die Aussicht haben, im Alter arm zu sein, wenn sie sich für eigene Kinder entscheiden. In der unsere Kinder – Jungen wie Mädchen – ganz selbstverständlich in der Schule lernen, wie man für andere sorgt und nicht nur, wie man sich für den ersten Job im Lebenslauf am besten darstellt. In der Mütter unter der Geburt keine Gewalt erfahren und genau gleich viel verdienen wie Väter und kinderlose Frauen. In der schließlich Kinder zu haben und für sie zu sorgen als grundlegend wichtiger gesellschaftlicher Beitrag anerkannt wird – und das nicht nur mit lobenden Worten betont wird, sondern sich ganz handfest im Steuer-, Arbeits- und Sozialrecht niederschlägt."
Wie genau das aussehen kann, zeigen die beiden Autorinnen in ihrem Buch "Mütter.Macht.Politik". Lesen lohnt sich – auch für Väter!