Besser mit Kindern sprechen
Müssen Väter gendern?

Natürlich muss niemand irgendwas. Wer aber seinen Kindern wirklich alle Chancen eröffnen will, sollte bei geschlechtergerechter Sprache beginnen, findet unser Autor
Geschlechtergerechte Sprache: Müssen Väter:innen gendern?
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Neulich im Kino in einer Kleinstadt in Nord-Brandenburg. In einem im Selfiemodus aufgenommenen Werbeclip kündigt der Komiker Holger Müller, vielen besser bekannt als "Ausbilder Schmidt", einen Auftritt vor Ort an: "Ihr Luschen und Luschinnen" ruft er und sagt damit: Gendern! Haha, so ein Schwachsinn! Auf der Stelle wusste ich, dass der schon vor über 20 Jahren nur mäßig lustige Komiker seitdem nichts dazu gelernt hat. Über Fortschritt macht er sich fernab jedes Sachverstandes lustig, so wie Dieter Hallervorden ("Muss ich den Zapfhahn jetzt Zapfhuhn nennen?"), Dieter Nuhr und zu viele andere Männer, die dem Irrglauben erliegen, sie würden schon deshalb diskriminiert, weil ihnen allein von ihrem Privileg, sich gedanklich keinen Millimeter bewegen zu müssen, ein Stück genommen wird. Das Traurige: Auch diese Menschen haben Kinder, Enkelkinder, Freund:innen und Fans, denen sie ihren Starrsinn – wenn schon sonst nicht viel – mitgegeben haben könnten. Achtung, Klischee: Dort, wo ich den Clip von Ausbilder Schmidt sah, könnte sein "Humor" auf offene Ohren stoßen. Wir haben einen Kleingarten in der Nähe. Selbst die Nachbarin antwortete einst auf die Frage, was sie beruflich macht: "Ich bin Lehrer." Das wirft eine Menge Fragen auf, die ich im Folgenden beantworten möchte.

Wie erklärt man Kindern das Gendern?

Mitmenschen wie den oben Genannten erklärt man den Sinn des Genderns am besten so, wie man es Kindern erklären würde: Gendern bedeutet nichts anderes als die Inklusion der Geschlechter in unserer sich ohnehin stetig wandelnden Sprache. Wir alle – offenbar ausgerechnet außer jener Lehrerin – gendern, seit wir sprechen können. Wir reden selbstverständlich von einer Ärztin oder einem Kassierer, wenn sie vor uns stehen oder sitzen. Das ist nicht feministisch, sondern logisch. Wieso also verwenden wir bei Unkenntnis des tatsächlichen Geschlechts seit jeher das generische Maskulinum und beschreiben eine größere Ansammlung von Astronaut:innen als Astronauten? Stehen da wirklich nur Männer vor uns? Nein, die Frauen unter ihnen seien aber doch mitgemeint? Hier beginnt das Problem.

Warum ist es wichtig, dass ich als Elternteil gendere?

Worte und Denken formen unser Handeln. Wir sind uns zum Beispiel einig, dass Adjektive wie "behindert" und "schwul" nicht länger als Schimpfwort verwenden werden sollten. Und dass "mitgemeint" nicht inklusiv ist, beweist ein naheliegendes Experiment: Stell dir vor, wir sprächen neuerdings exklusiv im generischen Femininum, also etwa von Handwerkerinnen, auch wenn Männer darunter wären. Wie groß der Aufschrei wäre! Und damit willkommen in der Welt der Frauen, die nur, weil sie für einen Großteil von ihnen längst als gegeben hingenommen wird, bislang weiß Gott keine egalitäre ist. Ihr Name lautet Patriarchat.

Studie: Kinder trauen sich mehr zu, wenn Berufe gegendert werden

Eine Studie der Freien Universität Berlin belegte schon 2015 das Naheliegende: Kinder, denen geschlechtergerechte Berufsbezeichnungen – zum Beispiel "Ingenieurinnen und Ingenieure", Gendersternchen gab es damals in breiterer öffentlicher Wahrnehmung noch gar nicht – präsentiert worden waren, trauten sich viel eher zu, einen "typisch männlichen" Beruf zu ergreifen als Kinder, denen nur die männliche Pluralform genannt worden war. "Mit der systematischen Verwendung solcher Sprachformen – zum Beispiel durch Lehrkräfte und Ausbildende – kann also ein Beitrag dazu geleistet werden, mehr junge Leute für eine Karriere in diesen Berufen zu motivieren", befand Bettina Hannover, Psychologin und Professorin für Schul- und Unterrichtsforschung an der FU. Ein Problem ergab sich abseits der Umsetzung dennoch: Es zeigte sich, dass bei der Verwendung geschlechtergerechter Sprache viele Kinder glaubten, jene Berufe seien nicht so wichtig oder gut bezahlt wie nach Nennung der männlichen Beschreibung. Ich finde es schockierend, wie tief Rollenbilder schon von klein auf in uns verwurzelt sind. Die Notwendigkeit zu einer Veränderung wird hier noch offenkundiger.

Diese Möglichkeiten des Genderns gibt es

Wer gendern will, hat in der Schrift- und Sprechsprache verschiedene Möglichkeiten: Machbar ist die Aussprache zum Beispiel über die naheliegende Nennung beider binärer Geschlechter, also zum Beispiel "Schülerinnen und Schüler". Doch Achtung: Wieder nur mitgemeint sind hier diejenigen, die mangels genauerer Abbildungen unter dem Feld "divers" eingeordnet werden. Exakte Zahlen für Deutschland gibt es dazu nicht. 2016 aber antworteten bei der deutschen ZEIT-Vermächtnisstudie 3,3 Prozent der Befragten, "entweder ein anderes Geschlecht zu haben als bei ihrer Geburt zugewiesen oder sich schlicht nicht als weiblich oder männlich zu definieren." Auf einer Schule mit 1000 Schüler:innen träfe dies also auf 33 zu. Wollen wir die wirklich stärker ausschließen, als sie sich ohnehin ausgeschlossen fühlen?

Uneinigkeit herrscht noch darüber, ob das Sternchen der Wahrheit letzter Schluss ist. Angeblich können Textlesegeräte dies aktuell am besten als das deuten, was es sein soll, außerdem sollen mit ihm alle Geschlechter, nicht nur die binären, gemeint sein. Möglich und verbreitet sind auch Doppelpunkte statt Sternchen (wie in diesem Text) oder das weitgehend überholte sogenannte Binnen-I, also SchülerInnen.

Zugegeben: Schön liest und spricht sich das nicht. Aber wichtig und sinnvoll ist es allemal, eine "Vergewaltigung der Sprache" (Hallervorden) schon mal gar nicht. Vielleicht kommen findige Sprachnerds oder, noch besser, unser routinierter Umgang damit, mal mit was Besserem, "Runderem" um die Ecke. Aber so fremd, wie von Kritiker:innen behauptet wird, kann das alles gar nicht sein: Erstens stören sich Leute an angeblich so komplizierten Wörtern wie Bürger:innen in einem Land, in dem auch Wörter mit Längen wie "Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung", "Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung" und "Bundesausbildungsförderungsgesetz" hingenommen werden. Zweitens ist selbst die Trennung nicht neu. In ihrem Podcast "Feel The News" sprechen die beiden Journalist:innen Jule und Sascha Lobo in einer Folge ausführlich über den angeblichen "Gender-Gaga und Woke-Wahnsinn" und zitieren darin auch den Sprachforscher Anatol Stefanowitsch. Das Sternchen, also die Sprachpause, sei phonetisch nichts anderes als ein sogenannter Glotisschlag, ein "stimmloser glottaler Plosiv", den wir zum besseren Verständnis auch bei anderen Wörtern nutzen – zum Beispiel bei Spiegelei, damit eindeutig von einem Spiegel-Ei die Rede ist und nicht von irgendeiner Spiegelei, also einer Spiegelung. Merkt nur niemand, weil es ein natürlicher Teil unseres Sprachflusses geworden ist.

Nachteile: Was Gendern nicht kann

Jule Lobo findet: "Wenn wir es ernst meinen, stehen wir erst am Anfang eines großen Sprachumbruchs." Den Bürgersteig müsste sie eigentlich auch Bürger:innensteig nennen. Macht sie nicht. Zu umständlich. Stattdessen wählt sie ein anderes Wort wie etwa Gehweg. Ihr Mann wiederum spricht nicht von Zuschauerinnen und Zuschauern oder Zuschauer:innen, sondern von Publikum. Oft existieren längst Worte, mit denen das Gesagte problemlos umformuliert werden kann. Oft aber auch nicht. Hier könnte der wahre Shift beginnen – der ja wie alles, was Veränderung bedeutet, auch mit einem Generationswechsel einhergeht. Und dass der bevorsteht, steht außer Frage.

Schadet Gendern den Kindern?

Noch trauriger als die Hallervordens dieses Landes ist wohl nur dieser Vater, der mit einer Klage das Gendern an der Schule seines Kindes und allen anderen Berliner Schulen verbieten lassen wollte. Erstens verhält er sich damit ähnlich aktivistisch, wie er einigen Lehrer:innen auf der anderen Seite vorwirft. Zweitens soll er auf Nachfrage zugegeben haben, dass er selbst unter dem Gendern vermutlich stärker leide als sein Kind selbst. Danke für nichts, Papa!

Die Antwort auf die rhetorische Frage in der Headline dieses Textes lautet deshalb: Nein, Väter müssen nicht gendern. Niemand muss irgendwas, außer mit den Konsequenzen des eigenen Handelns und Denkens zu leben. Sie täten aber gut daran, es für ihre Kinder, egal welchen Geschlechts, zu tun. Damit sie frei von Rollenbildern groß werden und ihre Sexualität so ausleben können, wie sie wollen, ohne damit irgendwem zu schaden. Tut nämlich auch niemand, der gendert. Außer der eigenen Bequemlichkeit. Mein Plädoyer an die Kritiker:innen lautete entsprechend: Niemand schreibt euch vor, wie ihr zu sprechen oder zu schreiben habt. Nehmt deshalb doch bitte wenigstens davon Abstand, denjenigen, die gendern, vorzuwerfen, sie würden euch etwas nehmen wollen. Wollen sie nicht. So wie ihr ihnen das deshalb auch nicht nehmen solltet, anders, ja inklusiver zu sprechen, als ihr es tut. Und macht euch darüber nicht lustig, sondern nehmt es wenigstens ernst. Müsst euch ja nicht daranhalten.

Fazit: die Auswirkungen von Gendern auf Kinder

Ich persönlich bin übrigens ein bisschen stolz: Unsere beiden Söhne gendern selbstverständlich. Nicht in der klassischen Form, sondern der sprachlich naheliegenderen, wenngleich nicht hundertprozentig inklusiven Form: Sie reden von "er oder sie", fast nie im generischen Maskulinum, denken an die- oder denjenigen. Ein kleiner Schritt auf dem Weg dahin, dass sich auch ihre Mitmenschen in Zukunft nicht mehr nur mitgemeint fühlen. Und dass sie freier von Rollenbildern die Jobs und Hobbys ergreifen können, auf die sie wirklich Lust haben.