Gemeinsam spielen? Nicht unbedingt!
Warum du dein Kind öfter alleine spielen lassen solltest

"Papa, spielst du mit mir?" Ein Spielforscher erklärt, warum man diese Frage auch mal guten Gewissens verneinen kann - und weshalb das sogar gut für die Entwicklung des Kindes ist
Warum du dein Kind öfter alleine spielen lassen solltest
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In diesem Artikel:
  • Was ist Spielen überhaupt?
  • Was ist meine Aufgabe als Vater beim Spielen?
  • Soll ich mein Kind auch mal alleine spielen lassen?
  • Was ist eigentlich der Nutzen des Spielens für Kinder?
  • Warum sollten Väter auch spielen?
  • Fazit: Ein Nein ist völlig ok

Spielen macht Spaß. So viel Spaß, dass Kinder es von morgens bis abends voller Energie machen können. Am liebsten natürlich mit Papa. Aber der hat nicht immer genauso viel Energie wie sein Nachwuchs. Und zudem ist es auch wichtig, dass Kinder auch mal alleine mit sich spielen. Der Spielforscher Professor Jens Junge von der SRH Berlin University of Applied Sciences und Leiter des Instituts für Ludologie erklärt, warum es für die kindliche Entwicklung auch mal gut sein kann, dass sich Papa aus dem Spielgeschehen herauszieht.

Was ist Spielen überhaupt?

Die Frage ist tatsächlich gar nicht so trivial wie sie sich anhört. Spielforscher Junge definiert Spielen so: "Spielen ist eine Methode, die Welt zu begreifen und zu erkunden. Wir haben das Spielen, so wie alle höheren Lebenswesen, angeboren. Im Unterschied zu Tieren jedoch haben wir durch die Sprache die Möglichkeit Fiktionen zu erschaffen. So können Kinder die Erlebnisse des Alltages spielerisch verarbeiten und nachspielen. Gleichzeitig trainiert Spielen auch ihre Fähigkeit, die Welt um sie herum nach ihren Wünschen und Ideen zu gestalten." Spielen gleicht also einem inneren Programm, um zu lernen, ohne sich dafür in wirkliche Gefahr begeben zu müssen.

Was ist meine Aufgabe als Vater beim Spielen?

"Väter sollten ihren Kindern Spielimpulse setzen", sagt der Experte. "Spielen ist das Meistern künstlicher Herausforderungen. Als Vater kann man sein Kind anstoßen, sehen wo es noch Lernbedarf hat und dahingehend mit ihm Spielen. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich beim Spielen einen bestimmten Zweck verfolgen sollte. Wenn ich aus meinem Kind einen Profifußballer machen möchte und ihm so Druck auferlege, hört das Wichtigste beim Spielen auf: der Spaß."

Soll ich mein Kind auch mal alleine spielen lassen?

Unbedingt! "Denn wenn das Kind in den Spielprozess vertieft ist, dann erkundet und lernt es die Welt nach seiner eigenen Vorstellung und seinem eigenen Tempo kennen", so der Spielforscher. Als Vater solle man dann Abstand nehmen und vielleicht nur ein Beobachter voller Freude sein. Junge: "Jeder Mensch möchte die Welt nach seinem eigenen Programm erkunden. Nur so kann ein Kind auch Selbstwirksamkeit, also den Glauben an seine eigenen Fähigkeiten, aufbauen. Wenn ich als Vater meinem Kind ständig die eigene Welt aufdrücke, wird das Kind schnell eingezwängt." Zu vermeiden ist für dich also zum einen, immer dem Gefühl nachzugeben, deinem Kind etwas bieten zu müssen und zum anderem das durchgetaktete Tagesprogramm ambitionierter Super-Daddys nachzuahmen. Oder um es in den Worten Friedrich Schillers, dem Schülerschreck aus dem Deutschunterricht, auszudrücken: "Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt."

Was ist eigentlich der Nutzen des Spielens für Kinder?

Spielen ist essenziell für die Entwicklung deines Kindes, denn beim Spielen lernen die Kinder wirklich eine Menge:

Körperlicher Nutzen

"Beim Spielen trainiert das Kind seinen eigenen Körper so, wie es die Natur braucht", sagt Spielforscher Junge. Denn Spielen ist reine Bewegungslust. Das bedeutet, dass es nicht darum geht, einen Waschbrettbauch für den Strand zu trainieren, sondern sich aus Spaß an der Bewegung zu bewegen. Zwar wird hier kein Zweck verfolgt, für den Spielforscher hat es dennoch Sinn. Denn während der Bewegung trainiert dein Kind seine motorischen Fähigkeiten. Es greift, es läuft, es springt und klettert; all diese Dinge lassen dein Kind spielerisch den eigenen Bewegungshorizont erkunden und erweitern.

Mentaler Nutzen

Spielen macht dein Kind selbstbewusst und selbstwirksam, da es sich beim Spielen Herausforderungen stellt. Sei es das Klettern auf einen Baum, das Besiegen eines Bösewichts oder aber das Bauen einer Kissenfestung; dein Kind nimmt sich etwas vor und lernt, sein Ziel zu verfolgen. "Wenn Kinder die Welt spielerisch erkunden, lernen sie, die Welt nach ihren eigenen Maßstäben kennen. Und manchmal sind diese Entdeckungen nicht das, was Erwachsene erwarten." Denn in gewisser Weise lernt das Kind auch, sich selbst Gedanken über die Welt zu machen und seine eigenen Regeln auszuhandeln.

Sozialer Nutzen

Die wahre Magie entfaltete sich jedoch erst im Spielen mit anderen Kindern. Hier lernt und trainiert dein Kind seine emotionale Intelligenz. Kooperation, Konfliktlösungen, aber auch den Umgang mit den eigenen Gefühlen und denen anderer stehen hier auf dem Programm. "Durch das Spielen machen Kinder auch eine erste Erfahrung mit Demokratie. Ist ein Wettlauf nicht eigentlich unfair? Sollte das eine Kind nicht weiter vorne starten, da es gestern nicht so gut geschlafen hat? Der andere weiter hinten, weil seine Beine länger sind? Kinder lernen im Spiel Fairness. Sie lernen gemeinsam in einer Gruppe Entschlüsse zu fassen, die für alle Kinder passen. Deshalb ist Spielen für eine demokratische Gesellschaft wichtig."

Der US-amerikanische Spieleforscher Stuart Brown von National Institute for Play hat außerdem in einer Vielzahl an Interviews mit Mördern feststellen können, dass viele von ihnen nicht oder nur wenig als Kind gespielt haben. Dadurch, so spekuliert er, haben die Mörder nicht gelernt, mit ihren aggressiven Impulsen umzugehen und wurden so straffällig.

Warum sollten Väter auch spielen?

Für den Leiter des Instituts für Ludologie ist die Motivation fürs Spielen bei Erwachsenen etwas anders als bei Kindern. Es geht bei Männern mehr darum, Gemeinschaft zu pflegen und durch künstliche Herausforderungen das Selbstbewusstsein zu stärken. "Außerdem ist Spielen kathartisch. Das bedeutet, dass Spielen zum einen ein Ventil ist, um Alltagsstress zu verarbeiten. Zum anderen aber hilft es auch, die Probleme des Alltags spielerisch zu bearbeiten, sich Handlungsalternativen vorstellen zu können, das eigene Verhalten variabler zu gestalten, nicht in Alternativlosigkeit zu versinken. Außerdem kann das Spiel selbst Identität stiften", erklärt der Spielforscher.

Fazit: Ein Nein ist völlig ok

"Nö, heute nicht", ist als Antwort mal total okay, wenn das Kind fragt, ob man mit ihm spielt. Aber ein "ja" sorgt natürlich für mehr Begeisterung auf Seiten des Kindes. Und ehrlich gesagt, macht es ja meistens auch ziemlich viel Spaß - und zwar groß und klein.