Die Folgen assistierter Reproduktion
Künstliche Befruchtung: So gehen die Familien nach der Geburt mit der Situation um

In Deutschland stammen 1,5 Prozent aller Kinder aus assistierter Reproduktion . Aber läuft bei ihren Eltern nach der Geburt alles reibungslos? Eine Studie möchte jetzt herausfinden, wie sich solche Familien von anderen unterscheiden. Plus: Warum Männer zu diesem Thema oftmals schweigen
Vater und Mutter diskutieren angeregt, während das Kind weint.
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In diesem Artikel:
  • Was versteht man unter künstlicher bzw. assistierter Reproduktion?
  • Wie groß sind die Chancen, auf diese Weise Nachwuchs zu bekommen?
  • Wie beschwerlich ist der Weg bis zur Befruchtung bzw. zur Geburt?
  • Vor welchen Herausforderungen stehen Paare, die sich für eine assistierte Reproduktion entscheiden?
  • Ist nach der Geburt alles wie bei anderen Familien?
  • Wie präsent ist das Thema bei den durch assistierte Reproduktion entstandenen Familien nach der Geburt des Kindes?
  • Gibt es einen Unterschied im mentalen Zustand von Müttern und Vätern nach der Geburt?
  • Gibt es Auffälligkeiten in der Entwicklung der Eltern nach der Geburt des Kindes?
  • Wirkt sich der Stress durch die künstliche Befruchtung vor und nach der Geburt auf die Kinder aus?
  • Sind Eltern mit künstlich gezeugtem Nachwuchs eventuell vorsichtiger in der Erziehung als Eltern von herkömmlich gezeugten Kindern?
  • Fazit: Ende gut, alles gut?

Wenn es mit dem Kinderwunsch nicht klappt, setzen viele Paare auf künstliche Befruchtung, auch assistierte Reproduktion genannt. Der Weg zum Wunschkind ist oftmals lang, aber wenn der Nachwuchs endlich das Licht der Welt erblickt hat, ist alles gut. Oder? Julia Jeannine Schmid, Psychologin an der Universität in Zürich, ist sich da nicht so sicher. In ihrer aktuellen Forschungsstudie untersucht sie die nachgeburtliche Entwicklung von Familien, die durch assistierte Reproduktion entstanden sind. Im Interview mit Men's Health Dad erzählt sie, mit welchen Herausforderungen Paare konfrontiert sind – vorher und nachher.

Was versteht man unter künstlicher bzw. assistierter Reproduktion?

"Damit ist ein medizinisches Verfahren gemeint, bei dem weibliche Eizellen, außerhalb des Körpers befruchtet werden, um eine Schwangerschaft herbeizuführen."

Wie groß sind die Chancen, auf diese Weise Nachwuchs zu bekommen?

"Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Insgesamt kann man aber sagen, dass die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit durch künstliche Befruchtung schwanger zu werden, bei 30 Prozent pro Behandlungsversuch liegt. Doch es gibt verschiedenen Behandlungsformen, die bei erstmaligem Misserfolg zusätzlich ausprobiert werden können. Insgesamt erhöht sich die kumulierte Wahrscheinlichkeit also pro Versuch."

Wie beschwerlich ist der Weg bis zur Befruchtung bzw. zur Geburt?

"Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Denn natürlich ist die Enttäuschung groß, wenn die Befruchtung nicht klappt. Und bei jedem neuen Versuch, den die Paare unternehmen, entsteht neue große Hoffnung. Deswegen ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Paare während der Behandlungsphase große Selbstzweifel haben, das wurde auch im Rahmen einer Forschungsstudie nachgewiesen. Auch kann es vorkommen, dass viele Paare Zweifel an der allgemeinen Vorgehensweise der künstlichen Befruchtung hegen, beispielsweise aufgrund von religiösen Vorstellungen oder der allgemeinen Weltanschauung. Besonders für die Frauen ist der Weg sehr schwer. Die vielen verschiedenen Untersuchungen, die sie immer wieder durchlaufen müssen und auch die Behandlung an sich sind sowohl physisch als auch mental enorm anstrengend."

Vor welchen Herausforderungen stehen Paare, die sich für eine assistierte Reproduktion entscheiden?

"Auf dem Weg, eine Familie durch künstliche Reproduktion zu gründen, können Konflikte, die vielleicht schon vorher bestehen, noch weiter verstärkt werden. Ein häufiges Streitszenario ist beispielsweise, dass sich der Mann nach einigen erfolglosen Versuchen eher damit zufriedengibt, keine Kinder zu bekommen. Frauen hingegen halten oft noch länger daran fest. Ein unterschiedlich stark ausgeprägter Kinderwunsch ist im Zuge einer künstlichen Befruchtung keine Seltenheit."

Ist nach der Geburt alles wie bei anderen Familien?

"Obwohl wir noch relativ am Anfang unserer Forschungsstudie stehen, lässt sich hier ein positives Zwischenfazit ziehen. Familien, deren Kinder durch künstliche Befruchtung gezeugt wurden, geht es nach der Geburt deutlich besser als während der Behandlung. Das liegt vermutlich daran, dass der Stress, der vor der Geburt noch sehr präsent ist, mit der Geburt des Kindes abnimmt."

Wie präsent ist das Thema bei den durch assistierte Reproduktion entstandenen Familien nach der Geburt des Kindes?

"Wie gerade schon erklärt, wird aktuell vermutet, dass der Stress vom Vorgang der künstlichen Befruchtung durch die Geburt des Kindes kompensiert wird. Hier überwiegen meist die Glücksgefühle der Eltern. Doch es kommt auch auf die individuelle Situation in den Familien an. Hier kann ein verständnisvolles und stabiles soziales Umfeld stark zur allgemeinen psychischen Verfassung der Eltern beitragen."

Gibt es einen Unterschied im mentalen Zustand von Müttern und Vätern nach der Geburt?

"Tatsächlich ist die Datenlage bei Männern hier viel geringer als bei Frauen. Väter melden sich nur sehr selten direkt bei uns. Zirka 95 Prozent der Anmeldung an unserer Studie kommen von Müttern. Wenn Männer teilnehmen, dann auf Anraten der Partnerin. Generell gibt es weniger Forschung zu Männern. Deswegen ist es sehr schwierig, hier eine klare Aussage zu treffen. Trotzdem scheint es so, dass Männer vom ganzen Vorgang der künstlichen Befruchtung insgesamt weniger belastet sind als Frauen. Das liegt unter anderem an der physischen Belastung, die Frauen durch die vielen Behandlungen erleben. Vielleicht ist gerade diese geringe Belastung der Grund für die seltene Studienteilnahme der Männer."

Gibt es Auffälligkeiten in der Entwicklung der Eltern nach der Geburt des Kindes?

"Bei Themen wie Trennung oder Karriereplanung konnten wir bisher keine nennenswerten Unterschiede zu Familien, die ihre Kinder auf natürliche Art und Weise gezeugt haben, festmachen. Unabhängig von der Zeugungsmethode nimmt nach der Geburt des ersten Kindes die Partnerschaftsqualität im Durchschnitt ab. Viele Paare, die sich für den Weg der künstlichen Reproduktion entscheiden, sind in einer gesunden Liebesbeziehung und vom gemeinsamen Weg überzeugt. Durch den gemeinsamen Weg der künstlichen Reproduktion, durch die vielen Arztbesuche und mentalen Aufs und Abs rücken die Paare oft sehr eng zusammen und stärken ihre Beziehung so nachhaltig - doch das trifft auch nicht auf alle Paare zu."

Wirkt sich der Stress durch die künstliche Befruchtung vor und nach der Geburt auf die Kinder aus?

"Bisher können wir sagen, dass Kinder, die durch künstliche Reproduktion gezeugt wurden, keine Nachteile in der sozialen und kognitiven Entwicklung gegenüber herkömmlich gezeugten Kindern haben. Ob sich der Stress durch die künstliche Befruchtung aber langfristig auf die Kinder auswirkt, können wir noch nicht sagen. In unserer aktuellen Studie untersuchen wir auch biologische Parameter, anhand derer wir Rückschlüsse auf das Stresssystem der Kinder ziehen können."

Sind Eltern mit künstlich gezeugtem Nachwuchs eventuell vorsichtiger in der Erziehung als Eltern von herkömmlich gezeugten Kindern?

"Ja, tatsächlich wurden hier schon die ersten Unterschiede festgestellt. Und diese sind sowohl positiver als auch negativer Natur. Beispielsweise besteht eine Tendenz zur Übervorsorge, gerade in der Mutter-Kind-Beziehung. Das kann die soziale Entwicklung der Kinder beeinflussen, muss es aber nicht. Generell kann man festhalten, dass Eltern eines künstlich gezeugten Kindes großen Wert auf eine gute Erziehung legen – das stimmt mich positiv."

Fazit: Ende gut, alles gut?

"Familien, die Dank künstlicher Befruchtung entstanden sind, scheinen die erlebten Herausforderungen gut zu meistern", sagt Expertin Julia Jeannine Schmid. "Nach der Geburt des Kindes nimmt der Stress ab und das Familienleben entwickelt sich vergleichbar mit anderen Familien." Allerdings gibt es bisher nur wenig Forschung dazu – gerade über das Erleben der Väter ist noch wenig bekannt. Die Psychologin: "Unsere Studie der Universität Zürich soll dabei helfen, dieses Stillschweigen der Männer zu durchbrechen."