- Wie viel Streit ist bei Erziehungsfragen normal?
- Was ist zwischen Paaren der häufigste Streitpunkt beim Thema Kindererziehung?
- Was kann man tun, wenn man sich in Erziehungsfragen nicht einig ist?
- Wie geht man beim Thema Erziehung Kompromisse ein?
- Bei welchen Erziehungsfragen ist es wichtig, dass beide Partner an einem Strang ziehen?
- Haben Patchworkfamilie in diesem Hinblick besondere Herausforderungen?
- Schadet Elternstreit auf Dauer den Kindern?
Ja oder nein? Schwarz oder weiß? Hü oder hott? "Aus meiner Sicht ist es völlig normal, dass Eltern unterschiedliche Meinungen haben, wenn es um Erziehungsfragen geht", sagt Eltern-Coach Birgit Gattringer aus Wien, Kinder- und Jugendmentaltrainerin, die ihr Wissen auf der Plattform www.starkekids.com weitergibt. Ihr Herzensthema ist es, ein harmonisches Familienumfeld für Kinder zu schaffen, in dem die Kinder selbstbewusst heranwachsen können. Im Interview mit Men's Health Dad erklärt sie, wie das funktionieren kann - auch wenn die Eltern nicht immer derselben Meinung sind.
Wie viel Streit ist bei Erziehungsfragen normal?
"Das kann man leider nicht in Zahlen fassen. Wichtig ist jedoch, dass Eltern in der Lage sind, diese Meinungsverschiedenheiten auf konstruktive und wertschätzender Weise zu lösen. Dabei sollten sie stets das Wohl des Kindes im Auge behalten. Wenn Streit häufig und ungelöst bleibt, kann dies negative Auswirkungen auf die Beziehung der Eltern und das Wohlbefinden des Kindes haben."
Was ist zwischen Paaren der häufigste Streitpunkt beim Thema Kindererziehung?
"Ich denke, da gibt es viele Streitpunkte. Einer der häufigsten Streitpunkte beim Thema Kindererziehung ist sicher die Gewaltfreiheit der Erziehung beziehungsweise Begleitung der Kinder. Paare können unterschiedliche Ansichten darüber haben, wie fest Regeln sein sollten, ob Kinder bestraft werden sollten oder dürften und ab wann Gewalt in der Erziehung anfängt. Auch die Art und Weise, wie Eltern mit ihren Kindern kommunizieren und Probleme lösen, kann zu Meinungsverschiedenheiten führen. Weitere häufige Themen sind die Erwartungen und Verantwortlichkeiten der Eltern hinsichtlich der Erziehung und Betreuung der Kinder. Es kann auch Unterschiede geben, wie sich die Eltern um die Bedürfnisse und Wünsche der Kinder kümmern und welche Aktivitäten und Erfahrungen für sie wichtig sind. Im Folgenden findest du die 5 häufigsten Sätze, mit denen Streitigkeiten beginnen und meine Empfehlung, mit welchem Satz man am besten darauf reagiert, um die Situation nicht hochkochen zu lassen:
- 1. "Du verwöhnst das Kind zu sehr!"
“Ich bin mir sicher, es gibt kein Zuviel an Liebe. Gleichzeitig sehe ich, dass du dir Sorgen wegen etwas machst. Magst du mir mehr davon erzählen?" - 2. "Wir haben doch schon so viel Spielzeug!"
"Du sagst, dass wir zu viele Sachen haben? Meinst du auch, dass der Platz dafür zu klein wird? Was hältst du davon, wenn wir gemeinsam ausmisten, um Platz für Neues zu schaffen? Wäre das okay für dich?" - 3. "Ich finde, das ist sauber genug!"
"Mir ist Sauberkeit wichtig, deshalb mache ich das noch fertig." - 4. "Hausaufgaben müssen doch alleine laufen!"
"Du wünschst dir, dass alle weniger Aufwand wegen den Hausaufgaben haben, stimmt’s? Du willst mehr Leichtigkeit in unserer Familie? Mir ist das auch wichtig. Gleichzeitig sehe ich, dass unser Kind Schwierigkeiten hat und Unterstützung braucht und ich für ihn da sein möchte. Bist du bereit mitzuhelfen?" - 5."Im Job ist gerade so viel zu tun!"
"Ja, ich sehe, du bist echt erschöpft."
Was kann man tun, wenn man sich in Erziehungsfragen nicht einig ist?
"Als ersten Schritt ist es wichtig, sich bewusst zu machen, was sich alles verändert. Diese Transformation von einem Paar zu Eltern wird oft unbewusst gemacht und es wird wenig darüber gesprochen. Eltern stolpern einfach so rein und gehen davon aus, dass es schon irgendwie funktionieren wird. Doch diese Wandlung ist groß und bedeutsam. Es ist ähnlich, wie wenn zwei Unternehmen fusionieren und ein neues entsteht. Im neuen Unternehmen gibt es plötzlich neue Prozesse, Verantwortlichkeiten, Wege und Jobs. Genauso verändert sich das Leben, wenn man Eltern wird. Als Paar geht sich meistens noch alles gut aus. Jeder hat die Möglichkeit, Hobbys nachzugehen, Freunde zu treffen und Auszeiten zu nehmen. Aber mit einem Kind kommen viele neue Herausforderungen hinzu und die Ressourcen-Belastungs-Balance verändert sich. Es kann auch sein, dass man den Partner oder die Partnerin auf eine neue Art und Weise kennenlernt und alte Muster aus der eigenen Kindheit hochkommen. Deshalb ist es wichtig, sich immer wieder über die eigene Ressourcen-Belastungs-Balance bewusst zu werden und diese regelmäßig zu überprüfen. Doch viele Paare reden zu wenig oder viel zu spät miteinander. Entweder aus Angst oder Unwissenheit oder in der Hoffnung, dass sich die Dinge von alleine erledigen und sich irgendwie ergeben."
Wie geht man beim Thema Erziehung Kompromisse ein?
"Jeder für sich braucht Klarheit. Wenn ich weiß, wie ich als Mama oder Papa sein möchte, kann ich auf einer anderen Ebene kommunizieren. Und da wirft mich nicht der nächste Zweifelansturm um. Wenn jedem klar ist, wie Familie gelebt werden soll, dann werden keine faulen Kompromisse eingegangen. Denn dann werden die eigenen Werte ans Licht gebracht. Und meistens ist es so, dass sich die Paare in den Werten wiederfinden und dort Einigkeit besteht. Dann ist es plötzlich egal, ob das Kind im Winter eine Strumpfhose unter der Hose anziehen sollte oder nicht. Da braucht es natürlich mehrere offene Gespräche, wo zugehört wird und jeder bereit ist, die Perspektive des anderen einzunehmen."
Bei welchen Erziehungsfragen ist es wichtig, dass beide Partner an einem Strang ziehen?
"Ich glaube nicht, dass dieses 'gemeinsam am Strang ziehen' so zwingend notwendig und so entscheidend ist. Viel bedeutsamer ist, die Beziehung zueinander wichtig zu nehmen und sich bewusst zu sein, dass die Paarbeziehung das Fundament der Familie ist. Jesper Juul sagte schon 'Das Beste, was Eltern für ihre Kinder tun können, ist, auf ihre Paarbeziehung aufzupassen'. Und ich bin überzeugt, dass so gut wie über alles gesprochen werden kann. Ich bin mir sicher, dass kein Elternteil Kinder haben wollte, um mit ihnen zu schimpfen oder schlecht umzugehen. Somit tut jeder das für sich Bestmögliche, was er in diesem Moment tun kann."
Haben Patchworkfamilie in diesem Hinblick besondere Herausforderungen?
"Ich glaube, dass Patchworkfamilien mehr Koordinations- und Abstimmungsbedarf haben. Es kann schwieriger sein, eine gemeinsame Routine und Familienzeit zu etablieren, da die Eltern und Kinder teilweise unter der Woche oder an Wochenenden getrennt sind. Da braucht es viel offenen Austausch, was die Verantwortlichkeiten, die Finanzierung und Betreuung betrifft."
Schadet Elternstreit auf Dauer den Kindern?
"Konflikte und Streit gehören zum Leben, auch zum Familienleben, dazu, und sind normal. Wenn jedoch Eltern fast täglich streiten, kann das für Kinder belastend sein. Mehrere Studien haben gezeigt, dass häufige Konflikte zwischen Eltern negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder, insbesondere auf ihr Selbstwertgefühl haben können. Kinder brauchen Sicherheit und Geborgenheit und das Gefühl, geliebt, beschützt und versorgt zu werden. Wenn Eltern ständig streiten, kann das ein Gefühl von Unsicherheit vermitteln. Kinder verstehen nicht, warum gestritten wird und wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Dies kann Ängste auslösen wie die Angst, dass sich die Eltern trennen, Schuld an den Streitereien zu haben, nicht mehr geliebt zu werden oder immer Angst vor einem neuen Konflikt zu haben."
"Wenn Eltern ständig streiten, befindet sich das Kind in so einer Art Alarmzustand", sagt Eltern-Coach Birgit Gattringer. "Dieser Alarmzustand verhindert eine gesunde Entwicklung in Bezug auf die Beziehungs- und Konfliktfähigkeit sowie auf das Selbstwertgefühl des Kindes." Lasst es nicht so weit kommen. Mit den Ratschlägen unserer Expertin oben kriegen du und deine Partnerin sicher die Kurve.