Ältere Väter
So ist es, Vater zu sein mit über 40 Jahren

Wer mit 42 erstmals Vater wird und das auch noch ungeplant, sieht sich, sein Leben und die Welt plötzlich mit ganz anderen Augen. Unser Autor schildert dieses Abenteuer aus eigener Erfahrung
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Am besten machen wir schnell den etwas anderen Vaterschaftstest. Hier folgt gleich ein altmodisches Wort, und du sagst mir, wie es sich für dich anfühlt: FAMILIE. Schon mal darüber nachgedacht? Oder was hältst du von dem Satz: "Die Schwangerschaft ist eine Krankheit, bei der das Männchen das Weibchen mit seinem Samen infiziert." Mit anderen Worten: KINDER.

Wie sieht's damit aus? Hast du gelächelt, gezuckt oder dich sogar erschrocken? Konkret: Kannst du dir vorstellen, ein Baby – sprich so ein zahnloses, glatzköpfiges, sabberndes Ding – auf dem Arm zu tragen oder womöglich im Kängurusimulationsbeutelchen namens Baby-Björn? Oder findest du das total unmännlich?

Vater – und nun?

Notschlachtung im Kinderzimmer

Was ist mit Windeln wechseln!? Nachts. Mehrere Male. Weil das Balg sonst einen wunden Hintern kriegt. Und Fläschchen machen? Immer wieder. Verstehe, will man nicht. Schon gar nicht über Jahre hinweg. Man will lieber seine Ruhe. Und abends Fernsehen, was natürlich schwerfällt, wenn es im Kinderzimmer nach Notschlachtung tönt, weil entweder gerade gebläht oder gezahnt wird? Überhaupt diese totale Fremdbestimmtheit. Und der Verlust der Freiheit, beispielsweise spontan zu reisen. Zu zweit. Oder sonst was zu tun oder zu lassen, wonach einem gerade der Sinn steht. Selbstverwirklichung? Adieu.

Ich weiß, wovon ich rede. Ich bin sozusagen Babybetroffener. Mich hat diese Krankheit namens Kind gerade erst erwischt. Aber soll ich dir was sagen? Etwas Besseres konnte mir gar nicht passieren. Noch sehr gut erinnere ich mich an die sozusagen ersten Symptome. Mein Handy zeigt "7 Anrufe in Abwesenheit" an. Es zeigt auch, dass sie alle von meiner Freundin sind. Oha, denke ich, die glorreichen Sieben, die sieben Zwerge, die sieben apokalyptischen Reiter, der siebte Sinn. Kurzum, man hätte es eigentlich ahnen können. Ich rief (trotzdem) zurück. Es hatte kaum ein halbes Mal geklingelt, und am anderen Ende höre ich folgenden, schwergewichtigen Satz: "Ich bin schwanger."

Nahtoderfahrung

Kein "Setz dich mal hin" oder "Halt dich fest." Ansatzlos vorgetragen. Volle Breitseite. Mir wurde ganz, ganz komisch zumute. Angesichts der Babybedrohung zog mein ungebundenes, selbstbestimmtes und ach so freies Leben an mir vorüber wie bei einer Nahtoderfahrung.

Den Rest dieses Gesprächs musste ich mir hinterher erzählen (und zurecht vorwerfen) lassen. Angeblich soll ich mehrfach "Heidewitzka" und sogar "Ach, du Sch…" gesagt haben (das täte mir wirklich Leid und sollte hier nur als abschreckendes Beispiel gelesen werden). Ich will lediglich andeuten, wie weit weg für mich die Vorstellung war, Vater zu werden, besser gesagt: lebenslänglich Vater zu sein.

Der richtige Zeitpunkt für eine Vaterschaft: Wann Vater werden?

Die Penislänge hat nichts damit zu tun, wie fruchtbar ein Mann ist
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Junge Väter haben die belastbarsten Nerven für Schreiattacken

Wann Vater werden? Vor- und Nachteile für Nachwuchs und Eltern in verschiedenen Altersstufen

Vater unter 30 (25 Prozent der Erstväter) Pro: biologisch die beste Zeit: hohe Fruchtbarkeit und geringstes Risiko für Fehlbildungen. Gute Nerven für Trotzanfälle und kurze Nächte. Lebendige Beziehung zwischen Opa/Oma und Enkeln möglich. Kontra: finanziell wenig Spielraum; Einschränkungen in Freizeit- und Urlaubsverhalten tun weh.

Zwischen 30 und 40 (38,2 Prozent) Pro: finanziell gesichert, Karriere begründet, Partnerschaft bewährt, Persönlichkeit abgerundet, viele Freunde in ähnlicher Lebenssituation . Kontra: Lebensphase mit höchstem Stress (Konkurrenzkämpfe, Zeitnot, Ortswechsel). Dennoch meinen Experten: alles in allem die beste Zeit.

Über 40 (25 Prozent) Pro: höchste Intensität, Reife und Gelassenheit bei der Erziehung; dem Kind wird viel Zeit geschenkt. Für die Entwicklung des Kindes ideal. Kontra: große Distanz zu den Bedürfnissen des Heranwachsenden, begrenzte Belastbarkeit, oft perfektionistische Herangehensweise, selten Beziehung zu Großeltern möglich.

Wahlzwang: Kind oder Karriere?

Ein ganz neuer Aspekt trat in mein Leben: Verantwortung. Das Ich ist nicht mehr allein und hat eine Außenstelle bekommen. Wahrscheinlich gehörte ich zu den zwei Dritteln der Deutschen, die glauben, dass sich Karriere nur kinderlos machen lässt. Wahrscheinlich wusste ich es nicht besser. Ich wusste nur, manchmal in melancholischen Momenten, dass es inmitten meiner völligen Vogelfreiheit ein Defizit gab. Irgendein schwarzes Loch. Eine Leere. Nennen wir es ruhig das Vatervakuum. Mit zunehmendem Alter wurde es größer.

In mir kroch das Gefühl hoch, irgendetwas ganz Elementares und Einmaliges zu verpassen. Bei Frauen spricht man gern von der biologischen Uhr, die da tickt. Bei mir war es eher ein Flüstern der Gene. Oder der Vorfahren in mir. Eine kollektive Beschwerde, dass ausgerechnet mein Ast des Stammbaums, auf dem sie alle hockten, zu verdorren drohte.

Mit 17 stand ich bei seiner Beerdigung

Natürlich tröstet man sich (und die Vorfahren) mit dem Verweis darauf, ein Mann zu sein. Charlie Chaplin hat noch im biblischen Alter ein Kind gezeugt. Aber das ist Blödsinn. Man kann davon ausgehen, dass man sein Kind dann nie ohne Windel und Schnuller sieht. Mein Vater war 50, als ich auf die Welt kam. Er hätte mein Opa sein können. Mit 17 stand ich achselzuckend bei seiner Beerdigung. Wir sind uns nie von Mann zu Mann, geschweige denn intellektuell auf Augenhöhe begegnet. Das bedaure ich bis heute.

Der entscheidende Augenblick : die Geburt meines Kindes

Der entscheidende Augenblick: die Geburt des Kindes
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Der entscheidende Augenblick: die Geburt des Kindes

Was ich dagegen noch keine Sekunde bedauert habe, ist die Geburt meines Sohnes. Es war ein Sonntag, 19 Uhr 40

Normalerweise hätte man auf DSF die beiden Bundesligaspiele angeguckt. Stattdessen lag meine Freundin seit Stunden in den Wehen. Zugegeben, es gibt Schöneres. Sie hören Töne, die jeden röhrenden Elch toppen. Man muss das kurz erwähnen. Denn alle reden immer nur vom Akt der Zeugung und ihren Vorzügen. Das ist ein feuchter Witz gegen die Geburt des eigenen Kindes.

Im Grunde genommen gleicht eine Geburt einer Austreibung: Mit anzusehen und mit zu leiden, wie irgendwelche Urgewalten über Stunden die eigene Frau zerreißen, ist allemal ein emotionales Gipfelerlebnis. Ein persönlicher Mount Everest. Mit allen Strapazen.

Neun Monate im Wasser gedümpelt

Ich weiß nicht, wann ich zuletzt geheult habe. Während der Geburt meines Sohnes habe ich nonstop mit den Tränen gekämpft. Erst waren sie salzig vor Sorge (Schafft sie es, stirbt sie, ist das Kind gesund?), dann süß vor Freude, ich meine richtige, ungekannte, nie da gewesene – wie Geburtstag, Weihnachten und alle Feiertage zusammen. Und das doppelt. So ungefähr. Denn plötzlich ist er da, dieser Wurm. Er liegt auf dem Bauch der Frau und blinzelt in die Welt. Nicht unbedingt ein Beau, denkt man, aber wer ist das schon, nachdem er neun Monate im Wasser gedümpelt ist!?

Genau genommen sah mein Sohn gar nicht aus wie ein Sohn. Sondern wie eine Kreuzung aus Maulwurf, Backpflaume und Mike Tyson. Egal, denkt und hofft man. Wächst sich zurecht. Hauptsache alles dran. Kurz darauf durchtrennte ich die Nabelschnur. Und spätestens ab da gilt der Satz: "Nichts ist mehr so, wie es mal war."

Schluss mit der Berufsjugendlichkeit

Ein ganz neuer Aspekt trat in mein Leben: Verantwortung. Das Ich ist nicht mehr allein und hat eine Außenstelle bekommen. Einen Trabanten. Man hält plötzlich nicht nur den Sohn auf dem Arm. Sondern auch einen Schutzbefohlenen. Und nebenbei ist aus einem Paar eine Familie, also die nächsthöhere Einheit geworden. Sozusagen die Urzelle jeder Gesellschaft. Positiv formuliert: Es ist, als machte man ein Quantensprung. Schluss mit der ewigen Berufsjugendlichkeit. Man fühlt sich, endlich, erwachsen. Alle Suche nach einem Sinn, wer man ist, was man hier soll, wird schon bald mit dem Wort "Pap" beantwortet werden.

Besser geht's nicht: vom letztendlichen Glück des Vatersdaseins

Das letzte große Abenteuer im Leben eines Mannes hat begonnen. Mehr geht nicht. Wilhelm Busch sagt: Vater werden ist nicht schwer – Vater sein dagegen sehr. Eine erste Ahnung, was er meint, bekam ich auf der Heimfahrt aus der Klinik: Die Frau sitzt auf der Rückbank mit diesem Rohdiamanten neben sich. Die pure Unschuld. Das verpflichtet. Ich sitze am Steuer, als sei es das erste Mal. Die Führerscheinprüfung ist nichts dagegen.

Man ist wahnsinnig nervös. Wie die Stadt um einen herum. Gerade Berlin kommt einem vor wie Kriegsgebiet. Oder Kalkutta. Überall Autos, Gehupe, Hektik, Abgase, Lärm, fluchende Taxifahrer. In der Summe fühlt sich das an wie die totale Lebensfeindlichkeit. Noch bevor man (unfallfrei) zu Hause angekommen ist, liegen die Nerven blank. Man will nur noch weg. Weit weg. Aufs Land ziehen. Irgend-wohin. In eine heilere Welt.

Verstecktes Glück
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Entgegen aller Single-Erwartung: Kinder sind reines Glück

Die Welt wird bedrohlicher

Abends macht man den Fernseher an. Nächster Fehler. In den Nachrichten der ganz normale Wahnsinn. Nur – mit einem Baby im Haus wirkt die Welt noch bedrohlicher. Vielleicht sollte man etwas tun? Sich einbringen? Vielleicht sollte man endlich mal laut werden, wenn es sein muss. Jedenfalls will ich nicht Schuld sein, dass es der Junior mal schlechter hat als wir. Denn im Gegensatz zu meinen Eltern kann ich später schlecht behaupten, man hätte nichts gewusst.

Und dennoch – die Freude überwiegt. Neben der Verantwortung ist noch ein Aspekt in mein Leben getreten: Stolz. Ein kleines Wort, ein großes Gefühl. Das hat mich am meisten überrascht. Noch vor Kurzem fand ich es immer ein bisschen erbärmlich, Männer mit Kinderwagen zu sehen. Mittlerweile stolziert man selbst mit seinem Sohnemännchen herum und freut sich über jeden Kommentar. Jedenfalls kann ich dich beruhigen, falls das deine Bedenken sein sollten: Frauen finden Männer mit Babys auf dem Arm nicht erbärmlich, sondern eher attraktiv.

Auf liebgewordene Gewohnheiten muss ich verzichten

Mittlerweile ist unser Sohnemännchen zehn Monate alt und das, was man einen Wonneproppen nennt. Natürlich ist alles anders und vieles anstrengend. Gerade das erste Jahr hat es in sich. Natürlich muss man auf liebgewordene Gewohnheiten verzichten (und sein Coupé oder Cabrio gegen Kombi plus Kinderkarre tauschen). Dafür kommen andere Qualitäten hinzu. Ich wusste gar nicht, wie herzzerreißend beispielsweise ein zahnloses Lächeln sein kann. Oder ein schlafender Säugling auf dem Arm. Die ersten Gluckser etc.

Die Robert Bosch Stiftung hat 2005 einen Bericht der "Kommission Familie und demografischer Wandel" vorgelegt. Darin steht: "Eine Entscheidung für eine Familie ist eine grundsätzliche Lebensentscheidung, die eher selten intellektuell oder ökonomisch, sondern eher emotional oder werteorientiert ist." Diese Emotionen kann man offenbar nur für sich selbst entdecken. Denn weiter heißt es in dem Bericht: "Kinder sind ein großer Reichtum, ein großes Glück, das sich nur schwer ohne Pathos beschreiben lässt." Deshalb will ich es auch gar nicht weiter versuchen. Vielleicht nur so viel: Ich kann mir momentan nichts Schöneres vorstellen, als meinem Sohnemännchen die möglichst schönen Dinge dieser Welt vorzustellen.

Fazit: Ich habe meinen Beitrag geleistet

Die Deutschen schrumpfen. Die Zahl der Geburten ist im vorigen Jahr so stark gesunken wie seit 15 Jahren nicht mehr. Mit aller Bescheidenheit: Ich habe meinen Beitrag geleistet. Erst in Gestalt eines Buben und jetzt diesen hier: Lass dir von einem ehemaligen Antipapi und Vativerweigerer sagen: Kinder können glücklich machen. Sie sind sozusagen der wahre und vor allem lebende Luxus.

Ich freue mich jetzt schon auf unsere erste Reise, den ersten Segeltörn, sein erstes Fußballspiel, die erste Freundin, das erste Männergespräch und darauf, dass ich ihn niemals zum Blockflötenunterricht schicken werde. Es sei denn, er will es so. Was ich wiederum nicht hoffen will. Mit anderen Worten, es bleibt spannend. Das letzte große Abenteuer im Leben eines Mannes hat begonnen. Mehr geht nicht.