Eine Professorin für alle Papas: Dr. Lieselotte Ahnert ist emeritierte Professorin für Entwicklungspsychologie des Instituts für Psychologie der Universität Wien. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört unter anderem die Vater-Kind-Bindung. Krönender Abschluss ihrer jahrzehntelangen Forschungsarbeit ist ein neues Buch, das sie gerade veröffentlicht hat und den Titel trägt "Auf die Väter kommt es an". Darin beschreibt die renommierte Expertin, wie Denken, Fühlen und Handeln der Väter ihre Kinder prägen - und zwar von Anfang an. Im Interview mit Men's Health Dad gewährt sie Einblicke in ihre Arbeit (und ins Buch).
Seit wann beschäftigt sich die Wissenschaft mit Vätern als Forschungsobjekt?
"Seit etwa 50 Jahren. Das ist für die Erforschung eines so komplexen Themas ein wirklich kurzer Zeitraum. Die Erkenntnisse sind von daher noch recht lückenhaft."
Warum wurde das Interesse der Forscher erst so spät geweckt?
"Man kann hier nur Vermutungen anstellen. Fakt ist, dass der Vater in der Vergangenheit eher mit seinem Engagement für die Familie gesehen wurde, wenn es etwa um die finanzielle Absicherung und den sozialen Status ging. Seine unmittelbaren Aktivitäten in der Familie wurden dagegen kaum beachtet. Die damalige Geschlechterordnung hatte es so vorgegeben: Der Vater wirkt für die Familie, die Mutter in der Familie. Sicherlich gibt es unzählige historische Biografien und Erfahrungsberichte, die zeigen, dass es in den Jahrhunderten davor auch Väter gegeben hat, die familienorientiert und kindbezogen waren. Aber es passte einfach nicht zum damaligen Zeitgeist, diese väterlichen Seiten zu untersuchen, und schon gar nicht, wenn die Kinder noch recht klein waren. Demgegenüber wurde die Mutterschaft umso ausführlicher behandelt."
Was ist das Ziel der Vaterforschung?
"Seitdem die traditionelle Geschlechterordnung aus den Fugen geraten ist, interessiert sich die Väterforschung vor allem dafür, auf welche konkrete Weise sich die Vaterrolle verändert – und zwar hin zu einem direkten Engagement in der Familie. Immerhin gelten die neuen Väter als eine der bislang wichtigsten gesellschaftlichen Veränderungen des 21. Jahrhunderts. Die Väterforschung will den Einfluss dieser Väter auf ihre Familien im Detail untersuchen und allen voran herausfinden, wie sie mit ihren Familien leben, diese Lebensweise beeinflussen und vor allem die Entwicklung ihrer Kinder prägen. Auch geht es darum zu erforschen, wie sich Männer verändern, wenn sie Väter werden und wie Männlichkeit und Vaterschaft zusammengehen."

Bei den vielfältigen Aspekten der Vaterschaft – wo liegen dabei ihre eigenen wissenschaftlichen Interessen?
"Die Vaterschaft folgt ihren eigenen Regeln. So kann man kaum Anleihen aus der Erforschung der Mutterschaft verwenden. Und das ist genau das, was mich auch persönlich umtreibt. Über eine lange Zeit habe ich Mütter und Mutterschaft erforscht - jetzt frage ich mich: Was machen Väter anders? Und selbst wenn sie das Gleiche wie Mütter tun, sind die Wirkungen in ihren Familien und auf ihre Kinder auch die Gleichen? Offensichtlich nicht. Diese Rätsel motivieren mich enorm, sie aufzuklären. Legt man die Erkenntnisse aus der Mutterschaftsforschung an, kann den Vätern davon vieles negativ ausgelegt werden: Sie spielen zu wild, sind schwierige Gesprächspartner und stellen herausfordernde Fragen. Sie sind Risiko, unterstützend, aber relativ zurückhaltend, wenn ihre Kinder einfache Hilfen erwarten. Dabei handelt es sich um Herangehensweisen, die besondere Entwicklungsimpulse setzen und die bereits bekannten Entwicklungsanregungen sinnvoll ergänzen."
Sie waren auch Sprecherin des Central European Network on Fatherhood, kurz CENOF – welches Ziel verfolgte dieser Zusammenschluss?
"CENOF ist ein Forschungsverbund von sechs Forschergruppen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Headquarter war von 2013 bis 2019 an der Universität Wien angesiedelt – am Institut für Psychologie; es ging damit um die unterschiedlichsten psychologischen Perspektiven der Vaterschaft. Oder anders gesagt: CENOF hat die Psyche von Männern umfassend ergründet, die Väter geworden waren und nun mit ihren Familien und Kindern ein neues Leben gestalten: Wie denken sie über ihre Vaterrolle? Wie setzen sie sie um? Wie fühlen sie sich damit? Und was bewirkt dies alles? Wir interessieren uns auch noch heute dafür, wie Väter wirklich sind - und nicht wie sie sein sollen. Unser Ziel war es von Anfang an, mit unserer wissenschaftlichen Arbeit die Debatte um die neuen Väter zu versachlichen, an die jetzt sehr viele Erwartungen herangetragen werden."
Was sind die zentralen Erkenntnisse der CENOF-Forschung zum derzeitigen Stand?
"CENOF hat mehr als 3000 Väter nach ihren Lebensbedingungen befragt, aber auch viele von ihnen direkt aufgesucht, interviewt, mithilfe von Handy-Apps ihre Alltagsaktivitäten registriert, sie mit ihren Kindern beobachtet und ihre Testosteronwerte erfasst. Unsere Erkenntnisse sind breit diskutiert worden und wurden weltweit veröffentlicht. Sie spiegeln den Stand der internationalen Väterforschung wider. Allen voran aber zeigen sie, dass die Vaterschaft sehr abhängig von den Lebensbedingungen eines Mannes ist: So sind eine harmonische Partnerschaft und ein gutes Familienklima echte Garanten für eine aktive Vaterschaft und eine gute Beziehung eines Vaters zu seinen Kindern. Wir haben mit unseren Beobachtungen auch eine bislang unwidersprochene Behauptung widerlegen können. Danach ist es keineswegs so, dass Väter zumeist den unterhaltenden Teil der Kinderbetreuung übernehmen, während die unangenehmen Dinge des Alltags und die Routine an den Müttern hängen bleiben. Unserer Studien zeigen, welche vielfältigen Betreuungsaufgaben die heutigen Väter übernehmen. Sie bekommen dadurch eine große Sicherheit darin, ihr Vaterbild individuell zu entwickeln. Und das zahlt sich für die Väter auch aus: Sie werden mit einer guten Beziehung zu ihren Kindern belohnt und sind mit ihren Leben zufriedener. Diese Väter erleben sich selbstwirksam – und das nicht nur in ihrem Beruf, sondern eben auch in ihren Familien."
Wie können Väter heutzutage von den wissenschaftlichen Erkenntnissen profitieren?
"Väter stehen vor der Herausforderung, dass ihre Rolle kaum festgelegt ist – und die Ansprüche keine Grenzen kennen. Diese Unbestimmtheit macht es ihnen schwer. Unter der Anleitung der Partnerin lässt sich jedenfalls kaum eine eigenständige Vaterrolle entwickeln. Väter können jedoch ihren ganz eigenen Beitrag in der Pflege, Betreuung und Erziehung ihrer Kinder leisten, ohne dass sie das mütterliche Verhalten kopieren müssen. Ich bin davon überzeugt, dass die aktuellen Erkenntnisse aus der Väterforschung sehr hilfreich sind, um den eigenen Beitrag für Familie und Kind richtig erkennen und individuell entwickeln zu können."
Fazit: Die Väterforschung muss sich weiterentwickeln
"Es gibt noch viele blinde Flecken in der Väterforschung", sagt Expertin Dr. Lieselotte Ahnert. "Wenn wir doch wissen, dass die Vaterschaft empfindlich auf die Lebensumstände reagiert, ist es wichtig, diese Zusammenhänge weiter zu erforschen." Dazu gehört es aus ihrer Sicht auch, aus den Partnerschaften und Familien herauszutreten und die allgemeinen gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen der Vaterschaft zu erforschen. Ahnert: "Und dazu braucht es die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Psychologie mit der Soziologie, Pädagogik, Sozialer Arbeit, Männermedizin und weiteren Disziplinen, die sich mit Männern und Vätern befassen." Die Väter-Forschung steckt also sozusagen noch in den Kinderschuhen.