Neue Väter, alte Leier! Alle reden vom neuen Selbstverständnis der Väter! Schon seit Jahren. Aber gibt's diese Männer wirklich? Der Journalist Tobias Moorstedt, selbst Vater von zwei kleinen Kindern, hat ein Buch dazu verfasst, mit dem Titel "Wir schlechten guten Väter". Darin behauptet er: "Wir sogenannten modernen Väter drücken uns um die tägliche Familienarbeit." Parallel dazu ist es seiner Meinung wahnsinnig einfach, für seine Vatertugenden gelobt zu werden. Aber das positive Feedback von allen Seiten spiegelt auch die eklatant niedrige Erwartunghaltung an Väter wider. Im Interview mit Men's Health Dad erklärt Moorstedt die Hintergründe.
Seit wann gibt es eigentlich den Begriff der "neuen Väter"?
Ich habe ehrlich gesagt nicht in Archiven geforscht, wann zum ersten Mal die "neuen Väter" erwähnt wurden. Eigentlich eine spannende Frage. Vielleicht ja schon während der Aufklärung im 18. Jahrhundert? Ich würde vermuten, dass spätestens in den 1920er oder dann in den 1960er Jahren, als immer mehr Frauen die traditionelle Rollenverteilung anprangerten, der Begriff benutzt wurde. Denn schon in den 1980ern machte sich die Enttäuschung breit. Da schrieb der Soziologe Ulrich Beck von einer "verbalen Aufgeschlossenheit" der jungen Väter – "bei gleichzeitiger Verhaltensstarre".
Was versteht man generell unter dem Begriff "neue Väter"?
Das Schöne ist ja, dass jeder Mann, der mit seinem Partner oder seiner Partnerin ein Kind bekommt, ein "neuer Vater" ist. Mehr noch: ein neuer Mensch. Der Moment, in dem du zum ersten Mal dein Kind im Arm hältst, ist wahrscheinlich der wichtigste deines Lebens; es gibt eine neue Sonne, um die du kreist. Aber das meint die Frage wahrscheinlich nicht. Es gibt eine Vielzahl von Begriffen für den sogenannten neuen Vater: Wir sprechen vom modernen, präsenten, involvierten oder engagierten Vater. Aber eine klare Definition gibt es nicht. Ich würde sagen: Diese Männer zeichnet eine Bereitschaft aus, die Dinge anders zu machen, als sie immer gemacht wurden. Und sich weniger an gesellschaftlichen Erwartungen zu orientieren als an den eigenen Bedürfnissen – und an denen ihrer Partnerinnen und Kinder.

Was machen die neuen, modernen Väter anders als traditionelle?
Gegenfrage: Machen sie denn überhaupt was anders? Mehr als die Hälfte der Väter von jungen Kindern sagen, dass sie sich gleichberechtigt um die Kinder kümmern wollen. Aber über 90 Prozent arbeiten noch Vollzeit. Wie passt das zusammen? Wir reden mehr über eine neue Rollenverteilung, als dass wir diese leben. Natürlich gibt es viele Fortschritte. 1997 verbrachten Männer pro Woche im Schnitt 17 Stunden mit ihren Kindern, 2017 waren es laut dem Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung bereits 26 Stunden. Vor 2007 pausierten nur 3 Prozent der Väter beruflich für Kindererziehung, heute sind es 40 Prozent. Zeit für den goldenen Vaterschaftsorden? Ich bezweifele das.
Welche Vorteile hat das neue Rollenverständnis für die Vater-Kind-Beziehung?
Es liegt ja auf der Hand, dass Männer, die zwei oder mehr Monate Elternzeit nehmen und in dieser auch tatsächlich als Primärversorger des Kindes fungieren, ihre Kinder besser kennen, auf sie eingehen können, sie trösten und fördern können. Aber eigentlich wissen wir noch gar nicht, welche langfristigen Folgen es hat. Denn: Das Elterngeld wurde erst 2007 eingeführt. Die ersten Kinder, deren Väter lange pausiert haben, sind Teenager. Studien gibt es dazu leider noch nicht. Und: Die Zeit mit dem kleinen Kind verändert nicht nur die Bindung zu diesem, sondern die gesamte Statik der Beziehung: 65 Prozent der Väter, die drei oder mehr Monate Elterngeld erhalten hatten, berichteten in einer Umfrage, dass diese Entscheidung den Wiedereinstieg ihrer Partnerin in das Arbeitsleben erleichtert habe. 58 Prozent sagten, dass die Familien- und Hausarbeit seit dieser Zeit gerechter aufgeteilt würde. Eine aktuelle Studie aus Südkorea hat gezeigt, dass Väter, die Elternzeit genommen haben, eine höhere Lebenszufriedenheit aufweisen als Väter, die sich zu 100 Prozent der Karriere widmen
Und was bist du für eine Art Vater?
Ganz normaler Typ. Ich ertappe mich oft dabei, wie ich Dinge unbewusst – oder besser: ganz selbstverständlich – an meine Frau outsource. Dinge wie Fingernägelschneiden oder Klamottenmanagement oder Kita-Sozialkontakte. Einfach, weil es bequem ist und gesellschaftlich nicht sanktioniert wird. Aber ich will kein Mann sein, der Schweißausbrüche kriegt, wenn ein Zehennagel der Zweijährigen eingerissen ist. Der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann spricht von Männern als schuldbewusste schlechte Schüler der Frauen. Das ist doch eine unmännliche Rolle.
Du schreibst, dass sich viele Väter auf ihren Lorbeeren ausruhen – wie meinst du das?
Es ist leicht, in Deutschland als moderner Vater zu glänzen: Da geht man mit seinen beiden Kindern auf den Wochenmarkt und will nur ein paar Erdbeeren kaufen und wird plötzlich vom Verkäufer gepriesen wie eine überreife Südfrucht kurz vor Ladenschluss: zwei Schalen, vier Euro! Ganz alleine mit den Kindern unterwegs? Wo gibt es das denn? Drei Schalen, sechs Euro! Auch von meiner Mutter und Schwiegermutter werde ich regelmäßig gelobt, "dass ich so viel mache". Und eine Freundin würdigte einmal explizit vor ihrem Mann, dass ich bei einem Play-Date die Rutschsocken meiner damals einjährigen Tochter nicht vergessen hatte. Andererseits machen halt Frauen weiterhin mehr als doppelt so viel Care-Arbeit als Väter. Auch ich hatte deshalb lange Zeit ein komisches Gefühl, wenn ich für mein Engagement in der Familienarbeit gelobt wurde: "Jaja, passt schon, man tut, was man kann, können wir bitte das Thema wechseln?" Da war ganz klar die Angst, als Hochstapler enttarnt zu werden. Oder anders: Sind wir wirklich anders, besser, präsenter –oder sind die Erwartungen nur so gering?
Podcast-Tipp: Experte Tobias Moorstedt war auch schon mal Gast bei den "Echten Papas", hier geht's zum Gespräch:
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Sind die Erwartungen an Väter wirklich so gering?
Die Mehrheit der jungen Eltern geben an, dass sie sich die Arbeit in der Familie gleichberechtigt teilen wollen, aber nur 17 Prozent setzt dies auch um. Dafür gibt es viele Gründe – natürlich geht es um alte Rollenbilder und gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Aber mit Ausreden wie "Sie kann das einfach besser als ich" oder "Ich habe das nie gelernt" verschanzen wir Männer uns auch hinter einer diffusen strategischen Inkompetenz. Diese Verharrungs- und Vermeidungsstrategien wollte ich in meinem Buch untersuchen. Denn dieses Verhalten ist nicht nur ungerecht gegenüber den Frauen, sondern macht uns Männer auch selbst seltsam klein – und geht entgegen unserer eigenen Bedürfnisse.
Was könnte besser laufen zwischen Vätern und Müttern?
Wir müssen mit unseren Partner:innen ehrlich und offen sprechen: Was willst du? Wie stellst du dir das vor? Die Zeit vor und nach der Geburt ist sehr reizintensiv, es ist kein Wunder, dass viele Paare keine Zeit finden, einen Bachelor in Elterngeldregulation zu machen oder mögliche Teilzeit-Modelle durchzurechnen. Viele glauben vielleicht auch: Unsere Liebe ist so groß, wir werden nicht wie die anderen. Aber wenn man sich nicht gemeinsam ein Ziel setzt, dann läuft man Gefahr, dass man den Weg des geringsten Widerstandes hinabrutscht. Und der führt in Deutschland eben immer noch zur traditionellen Rollenverteilung. Ich will natürlich überhaupt nicht das 50:50-Modell gesetzlich festschreiben. Wir brauchen eine offene, flexible Struktur, in der eine Familie die Lösung finden kann, die ihren Bedürfnissen und Wünschen entspricht.
Inwieweit stehen Politik und Gesellschaft einem neuen Rollenbild und der Gleichberechtigung im Wege?
In den Pandemie-Jahren wurde deutlich, dass Familienpolitik eben nicht Gedöns ist, wie Gerhard Schröder mal gesagt hat, sondern die Basis der Sozial- und Wirtschaftsordnung. Ein so stabiles und starres Konstrukt wie das Patriarchat kann nur gestürzt werden, wenn man es von verschiedenen Ebenen unter Beschuss nimmt. Wir müssen also sowohl gesetzliche Regelungen verändern, wie zum Beispiel das Ehegattensplitting, das in den 1950ern explizit eingeführt wurde, um Frauen wieder ins Heim "zurückzuführen", wie das Finanzministerium damals schrieb. In Island ist ein Gender-Pay-Gap gesetzlich verboten und Männer und Frauen haben ein gleich großes Elterngeld-Kontingent. Wir brauchen mehr Führungskräfte, die wie selbstverständlich Elternzeit nehmen und flexible bzw. atmende Arbeitszeitmodelle – für Menschen in allen Branchen und Einkommensstufen.
Fazit: Wer gleichberechtigt mit und in seiner Familie leben will, muss dafür kämpfen
Ist der Papa-Hype eher eine Vater-Morgana? Nicht unbedingt! Aber: "Wer wirklich gleichberechtigt mit und in seiner Familie leben will, muss für seine Überzeugungen kämpfen, entsprechend wählen und sich entsprechend verhalten", sagt Buchautor Tobias Moorstedt. Eine durchaus lohnenswerte Anstrengung! Moorstedt: "Es fühlt sich gut an, dass zu den Profiteuren dieser Pionierleistung nicht nur wir selbst gehören werden, sondern auch unsere Kinder."