Regretting Motherhood vs. Regretting Fatherhood
Bereuen auch Väter ihre Elternschaft?

Vor einiger Zeit wurde das Thema "Regretting Motherhood" viel diskutiert: Frauen gestanden, dass sie ihre Mutterschaft bereuen. Da liegt die Frage nahe: Gibt es ein vergleichbares Phänomen auch bei Männern?
Bereuen auch Väter ihre Elternschaft?
© Shutterstock.com /altanaka

Im Jahr 2015 veröffentlichte die israelische Soziologin Orna Donath eine Studie, die für Schlagzeilen sorgte: Für die Untersuchung mit dem Titel "Regretting Motherhood“ befragte Donath Frauen, die es anhaltend bereuen, Mutter geworden zu sein, und die Rolle als Mutter negativ erleben. Ungeachtet ihrer Gefühle und Begründungen schlug diesen Frauen eine Welle der übergriffigen Empörung entgegen: Muttersein sei ein Geschenk und der erfüllendste Job der Welt, wie könnten sie bloß so etwas über ihre Kinder sagen! Und überhaupt, heutzutage sei doch kaum noch wer gezwungen, Nachwuchs in die Welt zu setzen, wenn sie oder er nicht wolle! Was bei diesen Diskussionen oft unter den Tisch fiel: Fast keine dieser Frauen sagte aus, ihr Kind nicht zu lieben. Sondern dass sie an der Gesellschaft verzweifelten, in der sie sie erziehen müssen. Die besagte Studie von Orna Donath gibt es jetzt übrigens auch als Buch: "Regretting Motherhood: Wenn Mütter bereuen". Das Buch kannst du hier über Amazon oder hier bei Thalia (18 €, versandkostenfrei) bestellen.

Was bedeutet "Regretting Motherhood"?

Der deutschsprachige Instagram-Account @regretting.motherhood will in dieser Hinsicht Aufklärungsarbeit leisten und Betroffenen einen Safe Space zum Austausch bieten. Auch dort heißt es: "Es handelt sich bei Regretting Motherhood nicht um die Ablehnung der Kinder an sich, sondern lediglich um die Ablehnung der Mutterschaft (und auch der Mutterrolle)." Die Kritik zielt dabei vor allem auf Erwartungshaltungen ab: "Die herrschenden patriarchalen Ideologien der Mutterschaft definiert die Mutterliebe: Eine gute Mutter empfindet immer und in jeder Sekunde ihres Daseins nichts als reine Liebe und unverfälschte Freude für ihre Kinder. Dieser verbreitete Muttermythos besagt außerdem, dass eine Mutterschaft der Lebenszweck aller Frauen sei." Gemeint ist unter anderem der unerfüllbare und widersprüchliche Erwartungsdruck, gleichzeitig eine perfekte Mutter, eine perfekte Arbeitnehmerin, eine perfekte Ehefrau und eine perfekte Hausfrau zu sein – in einer Gesellschaft, die all das nicht zulässt und Frauen an den Pranger stellt, die versuchen, nur eines davon zu sein. Oder mehreres. Oder keines.

Was bedeutet "Regretting Fatherhood"?

Mal abgesehen von den Typen, die nach einem One-Night-Stand Alimente zahlen müssen, drängt sich die Frage auf: Gibt es auch "Regretting Fatherhood"? Männer, die ihre Vaterschaft bereuen? Die Wissenschaft antwortet mit einem klaren Jein. Für eine Studie unter dem Namen "Regretting Parenthood" befragte die Forschungsplattform YouGov.de Anfang 2022 mehr als 1000 Eltern zu Themen wie Kindererziehung während Corona und Kinder und Karriere. Wenig überraschend: Je jünger die Elternteile waren, desto häufiger gaben sie zu, keine Kinder mehr bekommen zu wollen, wenn sie sich nochmal entscheiden könnten. Im Durchschnitt stimmten – wie schon fünf Jahre zuvor – 20 Prozent dieser Hypothese zu. 56 Prozent der befragten Männer (und 51 Prozent der Frauen) konnten zudem nachvollziehen, dass es Mütter gibt, die ihre Mutterschaft bereuen. Über Väter wurde diese Frage nicht gestellt.

Kritik an "Regretting Fatherhood“

Die Journalistin und Autorin Heide Oestreich stellte schon 2016 einen großen Unterschied fest. In einem Zwischenruf für die Heinrich-Böll-Stiftung argumentierte sie, dass Väter, die die Familiengründung bereuen, schon deshalb kaum auffielen, weil ihre Vaterliebe nach wie vor als Glücksfall gelte. Ein distanzierter Vater sei zwar nicht erwünscht, gelte oft aber noch immer als "unvermeidliches Schicksal“. Oestreich erklärte: "Väter, die ihre Vaterschaft bereuen, könnten zum Beispiel mit der Ausrede "Papa muss arbeiten" viel leichter als Mütter den Kontakt zu ihrer Familie reduzieren – oder gleich ganz abhauen und Mama als Alleinerziehende zurückzulassen." Oestreichs Fazit: "Männer können vor Rollenanforderungen fliehen, Frauen nicht. Männer brauchen ihre Vaterschaft gar nicht zu bereuen, sie können sie nämlich auf ein Minimum begrenzen."

Der Unterschied zu "Regretting Motherhood"

Noch anschaulicher illustrierte diese Schieflage und die verschiedenen Arten von Reue eine Userin in einem Gastbeitrag auf der Instagram-Seite @regretting.motherhood. "Ich bereue meine Mutterschaft. Mein Mann bereut seine Vaterschaft. Den Unterschied macht der Mental Load“, schrieb sie und führte aus: Mein Mann geht morgens sehr früh aus dem Haus und kommt gegen 19 Uhr zurück. Lohnarbeiten. Ich hingegen, stehe auf, wecke die Kinder, mache das Kleine fertig, bereite Essen vor, schicke das große Kind zur Schule, düse mit dem Kleinen zur Kita. Düse zurück, studiere, mache das Nötigste im Haushalt, um nicht völlig im Chaos zu versinken, gehe einkaufen, hole das Kind wieder aus der Kita, koche, lese vor, spiele, male, mache das Kind bettfertig, Einschlafbegleitung. Ich weiß, welche Kleidergrößen die Kinder tragen, ob und wann wir neue Kleidung brauchen, wenn wir neue brauchen, besorge ich sie. Ich kümmere mich um Arzttermine, Kitatermine, Geburtstage, um große und kleine Sorgen, Plane Essen. Schlafe abends völlig fertig bei der Einschlafbegleitung mit ein. Wenn mein Mann und ich von Reue sprechen, reden wir von völlig unterschiedlichen Dimensionen, völlig anderen Realitäten.“

Es ist ja eigentlich logisch: So lange von Männern nicht erwartet wird, ein genau so vorbildlicher Vater wie Arbeitnehmer zu sein – so lange wir also in Politik und Wirtschaft noch keine echte und in Form von Financial Load, Gender Pay Gap und Gender Care Gap skalierbare Gleichberechtigung erreicht haben, kann "Regretting Fatherhood“ für Männer statistisch kein so immanentes Problem werden wie "Regretting Motherhood“ für Frauen. Da Männer seit Jahren zunehmend Angst vor Karriereeinbrüchen durch Kinder, Eltern- und Teilzeit haben wie Frauen seit Jahrzehnten schon, nimmt die Zahl derer, die unter zunehmend komplexer werdender Vereinbarkeit verzweifeln, zwangsläufig zu. Derart strukturell benachteiligt wie Frauen, die genau deshalb ihre Mutterschaft bereuen, sind sie deshalb nicht. Ernst nehmen sollte man auch ihre Sorgen trotzdem.

"Regretting Fatherhood": Ursachen, Symptome und Lösungswege

Heiner Fischer weiß, wie dies funktionieren könnte. Der Väterberater und Coach aus Krefeld sagt: "Väter brauchen Austausch". Erst der schaffe Sichtbarkeit, Verständnis, Zugehörigkeit und infolgedessen Gleichberechtigung und Gleichzeitigkeit. All das brauche es, um auch ein Thema wie "Regretting Fatherhood" in all seinen Facetten und Emotionen besprechen zu können. Fischer bietet Väterkreise an und weiß aus Erfahrung: "Auch Männer brauchen geschützte Räume und eine vertrauensvolle, nicht verurteilende und wertfreie Atmosphäre, in der alles gesagt werden kann.“ Als Beispiel erzählt er, dass er schon mit Vätern sprach, die ihre Kinder schlugen, "sich scheiße fühlen und das übelst bereuen. Sie leben mit diesem Stigma, trauen sich nicht darüber zu sprechen. Sie haben Angst vor Verurteilung, vielleicht gar vorm Jugendamt“. Reden als erster Schritt – doch wie können Betroffene im nächsten Schritt Lösungsstrategien entwickeln? Fischer sagt: "Väter, die etwa ihre Vaterschaft bereuen, müssen dafür sorgen, dass eine Sinnhaftigkeit zurück ins Leben kommt. Dass sie Perspektiven sehen und Selbstwirksamkeit erfahren. Dass sie nicht in eine depressive Verstimmung geraten, sondern dort herauskommen." Wie das gehen kann? Durch Begleitung in Form von Coaching und psychosozialer, professioneller Beratung. Fischer: "Ich plädiere in solchen Fällen dafür, dass die Beratenden männlich gelesene Personen sind, die eine ähnliche Lebenswelt haben und männlich sozialisiert wurden. Die verstehen, wie Männer groß geworden sind, die auch unter Gewalt gelitten oder gar selbst Gewalt ausgeübt haben und die wie die Hilfesuchenden im Patriarchat stehen. Weil denen das Problem weniger erklärt werden muss. Die kennen das."

Natürlich gibt es Väter, die sich wirklich auf Augenhöhe mit ihrer Partnerin um ihre Kinder und ihren Haushalt kümmern, und natürlich haben durch die Corona-Pandemie und damit einhergehende Büro-, Schul- und Kitaschließungen auch die eigentlich abwesendsten Väter gemerkt, wie anstrengend Care-Arbeit und Haushalt sind. Aber erst, wenn an Väter im Privat- und im Berufsleben derartige Ansprüche gestellt werden wie an Mütter, stehen die mit all dem nicht länger allein da. Erst dann haben Begriffe wie "Regretting Fatherhood" und "Regretting Parenthood" eine umfassendere Daseinsberechtigung – und privilegierte Eltern zumindest eine Teillösung des Problems an der Hand: Trotz notwendiger Hilfesuche und Austausch, wie von Heiner Fischer skizziert – gemeinsam erzieht, arbeitet und lebt es sich bekanntlich besser als allein. Hilfe zur Selbsthilfe, sozusagen. Müssen nur noch Gesellschaft und Berufswelt mitspielen.