Gegensätze ziehen sich an, heißt es. Wenn das stimmt, dann sind sicherlich einige Paare zusammengekommen, da sie aus unterschiedlichen Kulturkreisen stammen. Aber nur, weil sich Gegensätze anziehen, bedeutet das nicht, dass sie sich nicht auch gleichzeitig abstoßen können. Dann kommt es zum Culture Clash.
Was heißt Culture Clash?
Der Begriff "culture clash" bedeutet "Zusammenprall von Kulturen" – gemeint ist ein Konflikt zwischen Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung. Ursprünglich kommt dieser Begriff aus der Filmbranche, wir kennen das ja ganz gut aus so manchen Komödien. Sie kommt zum Beispiel aus Japan und er aus Irland. Kann das gut gehen? Nach einigen turbulenten Auseinandersetzung mit der bzw. dem anderen, enden diese Filme meist mit einem Happy End. Die Botschaft ist klar: Nur, weil wir anders sind und uns folglich mehr aneinander reiben, bedeutet das nicht, dass wir nicht zusammenpassen. Aber was in 90 Minuten auf der Leinwand vermittelt wird, gestaltet sich in Wirklichkeit deutlich komplexer. Und doch gibt es immer mehr Paare aus unterschiedlichen Kulturkreisen. Auch wenn die Nachrichten einem nicht immer dieses Bild vermitteln, die Welt wächst mehr zusammen.
Das habe ich selbst so erlebt. Nie hätte ich gedacht, dass ich mich einmal so intensiv mit Indien befassen würde. Aber meine Frau ist dort geboren und aufgewachsen – ich dagegen bin auf dem bayerischen Land großgeworden. Dank unserer Verbindung ist Indien zu einer zweiten Heimat für mich geworden. Schon zu Beginn der Beziehung waren kulturelle Unterschiede ein Thema. Wir hatten hier und da konträre Meinungen.
Wie machen sich kulturelle Unterschiede in der Erziehung bemerkbar?
Seitdem wir allerdings Eltern sind, hat dieser Culture Clash an Gewicht gewonnen. Wir bemerken regelmäßig, dass unsere Wertvorstellungen sich nicht decken. Etwa legt meine Frau viel Wert darauf, dass unsere Töchter eine enge Beziehung zum Essen und Kochen haben. Ich esse gern, sehr gern sogar, aber ich würde mir nie so viel Mühe machen, die Kleinen beim Zubereiten von Speisen einzubinden. Andererseits fällt es mir wesentlich leichter, es zu akzeptieren, wenn die Mädchen eine Speise ablehnen. Kulturelle Unterschiede in der Erziehung machen sich oft erst bemerkbar, wenn das Kind bereits da ist. Auf einmal stellt man fest, wie stark man doch von seinem Umfeld geprägt wurde. Und nun ist da ein Partner, der so manches hinterfragt, da entschieden werden muss, welche Werte man dem gemeinsamen Kind weitergibt.
Welche Vorteile hat eine bikulturelle Erziehung?
Das hat eindeutige Vorteile. Die Kinder lernen schon früh mehr als bloß eine weitere Sprache, sie erfahren, dass es nicht nur eine Perspektive auf unterschiedlichste Aspekte gibt. Ein bikulturelle Beziehung öffnet den Blick, sie vermittelt ein mannigfaltigeres Bild und lehrt, wie kompliziert das Leben sein kann. Und nicht nur das. Kinder, die mit Eltern aus verschiedenen Teilen der Welt aufwachsen, können sich auch aneignen, wie man mit kulturellen Dilemmas umgeht, wie man sie löst oder wie man, wenn sie nicht lösbar sind, mit dem Unterschied zu leben lernt. Sie üben sich darin, das Andere als Bereicherung und nicht als Bedrohung zu sehen. Meinen Töchtern gefällt es jedenfalls sehr gut, dass bei uns an indischen und deutschen Feiertagen etwas los ist.
Welche Konflikte ergeben sich bei kulturellen Unterschieden in der Erziehung?
Bei allem Gewinn ergeben sich jedoch mit Sicherheit Konflikte bei einer bikulturellen Erziehung. In einem solchen Fall ging es bei uns einmal um Gesichtsschmuck. In Indien ist der schon bei Kleinkindern üblich. Ich bin aber damit aufgewachsen, dass man wenigstens ein paar Jahre warten sollte, ehe die Kleinen ein Loch gestochen bekommen. Meine Frau zeigt dafür Verständnis und solange wir in Deutschland sind, ist das auch kein großes Thema. Sobald wir allerdings nach Indien reisen, wo unsere ältere Tochter auch schon einen Kindergarten besucht hat, wird das Gewöhnliche zum Ungewöhnlichen. Zuletzt fragte sie uns, warum sie nicht auch einen Ohrring wie die anderen Mädchen haben kann. Dies ist sicherlich nur ein harmloses Beispiel. Aber Konflikte treten in allen Lebensbereichen auf. Wie man sich gegenüber Respektspersonen verhält, welche Bedeutung Familie hat, um wie viel Uhr die Kinder schlafen sollten, ob warmes Essen stets besseres Essen ist usw. Das kann schon eine große Belastung sein, wenn der Partner in der Beziehung einen ständig bei Dingen hinterfragt, von denen man angenommen hat, sie seien selbstverständlich.
Wie beeinflusst eine bikulturelle Erziehung die Identitätsbildung des Kindes?
Meine Frau und ich bemühen uns meist, uns nicht zu sehr von unseren Kulturkreisen und den vererbten Wertvorstellungen beeinflussen zu lassen. Wir versuchen, für die Kinder ein drittes kulturelles Umfeld zu schaffen, das sich weder an Indien noch an Deutschland orientiert: unser Zuhause. Nur können wir das selbstverständlich nicht immer kontrollieren. Wir beide sind programmiert von unseren Heimat und das merken wir manchmal erst richtig durch den Dialog miteinander.
Wie viele andere Eltern fragen wir uns, auf welche Weise wir die Identitätsbildung des Kindes beeinflussen. Wir wollen ja das Gleiche wie die meisten Mamas und Papas da draußen: Unsere Kinder möglichst erfolgreich großziehen. Und was bedeutet Erfolg in diesem Kontext? Wir möchten sie vor jedwedem Übel beschützen, ihnen gleichzeitig jedoch die Freiheit zum Wachsen geben. Das ist ein schmaler Grat. Und er wird noch schmaler, wenn man den bikulturellen Faktor hinzurechnet. In vielen Bereichen gibt es einfach keine klare Entscheidung, welche Kultur nun vorzuziehen sei. Hierin liegt ja gerade das fantastische und komplizierte, wenn es um Kultur geht: Da gibt es oft kein besser, nur ein anders.
Gleichwohl möchten wir alle, dass unsere Kinder sich verwurzelt fühlen. In den meisten Fällen überwiegt die Kultur eines Elternteiles, insbesondere dann, wenn die Kinder in jenem Land aufwachsen. Das sollte man aber nicht bloß als Ungleichgewicht betrachten. Für die Kinder ist es wichtig zu wissen, wo sie zuhause sind. Eine Identität kann nur dort blühen, wo es auch Sicherheit gibt. Das mag besonders schmerzhaft für den Elternteil sein, in dessen Heimat das Aufwachsen nicht stattfindet. Aber vielleicht gibt es dafür ja eine Lösung, die nicht ganz so einseitig ist.
Fazit: Heimat gibt es auch im Plural
Meine Frau und ich etwa haben beschlossen, dass wir die ersten Jahre mit den Kindern in Deutschland leben werden. Sobald sie etwas älter sind, möchten wir für einige Zeit nach Indien gehen, damit die Mädchen es nicht nur als den Ort erleben, an dem sie die Ferien verbringen, sondern als Teil ihrer Heimat. Denn wenn mich die bikulturelle Erziehung etwas gelehrt hat, dann vor allem das: Heimat gibt es auch im Plural.