Wie zeigt sich Liebe? Jedenfalls nicht durch Blumensträuße und Pralinenschachteln, findet die Politökonomin Feline Tecklenburg. Ihrer Meinung nach ist der Muttertag komplett durchkommerzialisiert, weshalb sie für ein Umdenken plädiert. Im Interview mit Men's Health Dad erklärt die Mitgründerin der Denk- und Handlungswerkstatt "Wirtschaft ist Care", was sie ändern würde und warum sie allein schon mit dem Begriff "Muttertag" so ihre Probleme hat.
Warum stehen immer mehr Menschen dem Muttertag als Feiertag kritisch gegenüber?
Grundsätzlich habe ich gar nichts gegen die Anerkennung von Care-Arbeit am Muttertag und die Dankesbeweise dafür. Aber natürlich ist der Muttertag an sich komplett durchkommerzialisiert: Pralinen kaufen, essen gehen – hier geht es vor allem um Konsum. Der Tag ist ja 1914 in den USA entstanden und ist in Deutschland bezeichnenderweise wenig später vom Verband deutscher Blumengeschäftsinhaber aufgegriffen worden.
Wie könnte ein Festtag wie der Muttertag umgestaltet werden?
Zuerst einmal finde ich es nicht richtig, diesen Tag Muttertag zu nennen. Allein die Zuschreibung auf die Identität der Mutter finde ich schwierig. Natürlich ist es so, dass Care-Arbeit vor allem von Frauen geleistet wird. Von täglich weltweit 16 Milliarden Stunden unbezahlter Care-Arbeit übernehmen Frauen rund 12 Milliarden Stunden. Mit allen bekannten Folgen wie geringerer Bezahlung, Karriereknick und Altersarmut. Dennoch würde ich sagen, dass es Frauen nicht hilft, wenn es einmal im Jahr einen Tag gibt, der das anerkennt und damit sozusagen ein Haken an das Thema gesetzt wird. Meiner Meinung nach geht es viel mehr um die Anerkennung von Care-Arbeit an sich und nicht darum, wer sie leistet. Im kapitalistischen System ist es letztlich egal, ob Männer oder Frauen für andere sorgen, solange diese Fürsorge kostenlos bleibt. Dazu kommt natürlich das patriarchale System, das überwiegend Frauen in die Rolle derjenigen drängt, die Care-Arbeit leisten. An den grundsätzlichen Strukturen würde sich aber nicht allein dadurch etwas ändern, dass Väter mehr Care-Arbeit übernehmen.

Feline Tecklenburg
Sie vertreten auch die Initiative Wirtschaft ist Care. Was ist das Hauptanliegen?
Unser übergeordnetes Ziel ist die Transformation der Wirtschaft in eine Ökonomie, die sich an der Sorgearbeit ausrichtet und die Sorge füreinander und für die Umwelt ins Zentrum stellt. Wir alle werden geboren, brauchen Menschen, die sich um uns kümmern, uns ernähren, uns ausbilden, uns pflegen, wenn wir krank sind. Die durch Freundschaften und Beziehungen unsere sozialen Bedürfnisse stillen. Das alles wird durch Care-Arbeit sichergestellt. Alle Menschen sind also abhängig von Care-Arbeit.
Betrachtet man die Aufgabe der Wirtschaft, geht es eigentlich um die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und die Verteilung der Ressourcen, die es für diese Befriedigung braucht. Das heißt, die eigentliche Aufgabe von Wirtschaft ist Care. Das, was wir heute klassischerweise als Wirtschaft verstehen, würde nicht funktionieren, wenn es nicht natürliche Ressourcen gäbe, Luft, Wasser, landwirtschaftliche Produkte und dazu die Care-Arbeit, die von Menschen geleistet wird. Genau das wird aber immer wieder unterschlagen, wenn wir über Wirtschaft sprechen.
Im allgemeinen Verständnis ist Wirtschaft ausschließlich das, was Güter produziert und Geld einbringt. Unser Ansatz ist hingegen zu sagen: Nein, ohne Care-Arbeit gäbe es das, was wir heute unter Wirtschaft verstehen, gar nicht. Würde man den Wert unbezahlter Care-Arbeit im Deutschland mit weniger als dem Mindestlohn berechnen, würden dabei in einem Jahr 826 Milliarden Euro Umsatz herauskommen. Das wären 39 Prozent der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und damit wäre Care-Arbeit der größte Wirtschaftssektor. Im Vergleich: Die deutsche Automobilindustrie hat einen Jahresumsatz von 74 Milliarden. Perfide daran ist, dass der Preis für Care-Arbeit ja gezahlt wird – nämlich genau von denjenigen, die sie täglich leisten.
Welchen konkreten Ansatz sehen Sie für die Anerkennung von Care-Arbeit, über den Muttertag hinaus?
Aus der Arbeiterinnenbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA stammt die Forderung nach Brot - und Rosen. Es braucht also beides: die Existenzsicherung, also das Brot, und die Anerkennung, die Rosen. Leider sind am Muttertag nur noch die Rosen übrig geblieben. Dabei braucht es einfach eine Grundabsicherung menschlicher Existenz. Die Diskussion ist ja immer groß, ob man Care-Arbeit bezahlen sollte oder nicht. Ich sehe in der Bezahlung von Care-Arbeit keine Lösung, da sie das Problem wiederum individualisiert. Es muss vielmehr sichergestellt werden, dass eine gesellschaftliche Verantwortung für diejenigen übernommen wird, die täglich Care-Arbeit leisten. Also genügend Kita-Plätze, eine Gesundheitsversorgung, Supermärkte und Spielplätze, die gut erreichbar sind, sodass zum Beispiel auch alleinerziehende Elternteile erwerbstätig sein und dabei Care-Arbeit leisten können. Überlegt man, unter welchen Umständen eine alleinerziehende, mehrfach diskriminierte Frau in der Lage ist, Erwerbs- und Care-Arbeit zu leisten, ohne dabei kurz vor dem Burnout zu stehen – dann haben wir in etwa die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die wir brauchen.
Podcast-Tipp: In unserem Podcast geht es oft um die Themen Care-Arbeit und Rollenbilder in der Familie. Hör dir doch zum Beispiel mal diese Episode an:
Während die Blumenindustrie den Muttertag als Einkommensquelle entdeckt hat, waren beim Vatertag die Brauereien. Bis heute ist Vatertag ein Anlass für Männer, trinkend mit ihren Kumpels um die Häuser zu ziehen. Ist das noch zeitgemäß?
Viele Väter möchten sich ja innerhalb der Familie mehr engagieren, stoßen aber auf Strukturen, die jungen Familien die faire Aufteilung von Care-Arbeit stark erschweren. Da verdient er zum Beispiel mehr und bleibt aus diesem Grund am Ende erwerbstätig, während die Mutter sich um das Baby kümmert. Ich persönlich bin überzeugt, dass Männer, ebenso wie Frauen, unter dem patriarchalen System leiden. Der Vatertag, wie wir ihn feiern, transportiert ja das Bild des autonomen Mannes, der rausgeht und sich dem Rausch hingibt, also ein ganz eindimensionales Männlichkeitsbild. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass Väter beginnen, dieses Bild und auch ihre Privilegien zu hinterfragen. Momentan gibt es ja auch eine große Diskussion über Mental Load. Hier besteht bei männlich sozialisierten Erziehungspersonen oft noch großer Nachholbedarf, weil sie häufig nicht gelernt haben, mitzudenken und den Alltag zu organisieren. Aber das kann man nachholen. Jeder Vater kann sagen: Ich stelle mich der Verantwortung, informiere mich und schaue, wie ich dazu beitragen kann, eine gleichberechtigte Partnerschaft zu führen.
Wie können Väter konkret aktiv werden?
Es gibt ja diesen Slogan: "Jeder Tag ist Frauentag." Ich würde den spontan umwidmen in: "Jeder Tag ist Care-Tag." Wenn ich es als Vater mit einer gleichberechtigten Verteilung von Care-Arbeit ernst meine, muss ich mit meiner Partnerin reden: Wer hat welche Bedürfnisse und wie können wir dafür sorgen, dass diese erfüllt werden? Diese Fragen sollten Männer von sich aus stellen. Das Problem ist ja, dass es oft schwierig ist, die eigenen Privilegien zu erkennen und kritisch zu hinterfragen.
Fazit: Wir brauchen einen neuen Ehrentag für alle!
"Von den Vereinten Nationen ist letztes Jahr zum ersten Mal der 'International Day of Care and Support' ausgerufen worden, am 29. Oktober", sagt unsere Expertin Feline Tecklenburg. "Ich fände es toll, diesen zu feiern und eben nicht Mutter- oder Vatertag. Denn Anerkennung darf sich nicht auf einen Tag beschränken. Und Care-Arbeit sollte – und wird – nicht allein von Müttern geleistet werden."