In den ersten drei Lebensmonaten eines Kindes bekommen junge Eltern wenig Schlaf – darauf stellen sich alle ein. Schließlich muss sich der Tag-Nacht-Rhythmus eines Babys erst einpendeln. Doch was ist, wenn das Kind auch noch mit elf Monaten oder mit anderthalb Jahren nachts noch ständig aufwacht? Dann fangen viele Mütter und Väter an, zu experimentieren, denn die Möglichkeiten, das Kind zum Schlafen zu bringen, sind groß.
Welche Möglichkeiten gibt es, das Kind zum Schlafen zu bringen?
Anders als noch vor einigen Jahrzehnten lassen heute die wenigsten ihre Babys nachts alleine weinen. Stattdessen folgen viele Eltern heute den Empfehlungen der bindungs- und bedürfnisorientierten Erziehung. Eltern wird empfohlen, schnell auf die Bedürfnisse ihres Babys einzugehen, damit sie verinnerlichen, sich auf die Eltern verlassen zu können. Bindungsforschende betonen zwar, dass bedürfnisorientiert zu erziehen nicht Selbstaufgabe bedeuten soll. Doch nachts um halb drei erinnern sich Neueltern oftmals nur an diesen Leitsatz: Das Kind bloß nicht schreien lassen. Um das Baby (wieder) zum Schlafen zu bringen, versuchen Eltern deshalb vieles. Mütter schaukeln es im Kinderwagen und auf dem Gymnastikball. Väter tragen es stundenlang auf dem Arm. Einige Eltern spielen ihrem Kind Föhngeräusche auf dem Smartphone vor oder fahren es nachts im Auto spazieren. Oder sie kaufen sich einen Ratgeber.
Wie gut ist der Ratgeber "Jedes Kind kann schlafen lernen"?
Wer sich in seiner Verzweiflung eine Methode mit klaren Regeln herbeisehnt, landet schnell im anderen Lager: bei den Verfechtern von Schlaflernprogrammen. Und bei dem Ratgeber "Jedes Kind kann schlafen lernen" von Annette Kast-Zahn und Hartmut Morgenroth. Das Buch hat sich seit dem Erscheinen vor 20 Jahren mehr als eine Million Mal verkauft – und ist zugleich hochumstritten. Die Autoren, eine Psychologin und ein Kinderarzt, empfehlen ein Schlaftraining auf Basis der Ferber-Methode, benannt nach dem US-amerikanischen Arzt Richard Ferber. Babyschlaf, lautet das Versprechen, lasse sich durch Regeln und Konsequenzen trainieren. Wenn ihr Kind nachts aufwacht, sollen Eltern es einige Minuten lang alleine im Zimmer weinen lassen. Die Abstände, bis sie zu ihm gehen, können sie immer weiter vergrößern – bis zu zehn Minuten. Auf diese Weise soll das Kind schließlich lernen, ohne Hilfe der Eltern wieder einzuschlafen.
Kritiker wie der deutsche Kinderarzt Herbert Renz-Polster, der Hirnforscher Gerald Hüther und der mittlerweile verstorbene Schweizer Kinderarzt Remo Largo warnen hingegen seit Jahren eindringlich davor, schreiende Babys zu ignorieren. Säuglinge könnten bislang nicht einschätzen, dass ihre Eltern irgendwann wiederkämen. Sie würden nicht aufhören zu weinen, weil sie schlafen lernten, sondern aus Ohnmacht und Resignation. Auf Dauer könne das Ferbern die Eltern-Kind-Bindung gefährden.
Was bringt die Ferber-Methode?
Wissenschaftler:innen sind in Bezug auf den Nutzen und Schaden der Ferber-Methode unterschiedlicher Ansicht. In einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 2012 wurden Babys einem fünftägigen Schlaftraining unterzogen und der Gehalt des Stresshormons Cortisol in ihrem Speichel gemessen. In den ersten Tagen weinten die Babys viel, ihre Cortisolwerte waren erhöht. Am dritten Tag weinten sie zwar weniger – doch der Cortisolgehalt blieb hoch. Sie litten also still.
Eine australische Studie aus dem Jahr 2016 kam hingegen zum Schluss, dass die Ferber-Methode keine Auswirkungen auf die Bindung zu den Eltern hat und zu besserem Schlaf führt. Bei den Kindern zwischen 6 und 16 Monaten, deren Eltern eine Variation der Ferber-Methode anwendeten, wurde auch kein erhöhter Gehalt des Stresshormons Cortisol im Speichel nachgewiesen. Bei diesen beiden Studien wurden allerdings nur wenige Kinder untersucht, die Schlaftraining nach dem Ferber-Vorbild erhielten: 25 in der amerikanischen Studie, 14 in der australischen.
Das Forschungsteam um den australischen Kinderarzt Michael Kahn rekrutierte 2022 mehr Teilnehmende: In seiner Studie wurden 2.090 Eltern von Kindern zwischen 3 und 18 Monaten befragt. Fast zwei Drittel von ihnen wendeten Schlaflernprogramme an, die meisten von ihnen eine Variante der Ferber-Methode. Diese stellten sich als effektiv heraus, und das Bindungsverhalten der Ferber-Kinder unterschied sich zum Untersuchungszeitpunkt nicht von den anderen Gruppen.
Untersuchungen zu langfristigen Folgen von Schlaftraining gibt es bisher jedoch nicht. Das Forschungsteam um Kahn betont zudem, dass viele Eltern Schlaftraining zu früh anwenden würden. Kinderärzt:innen empfehlen es frühestens ab einem halben Jahr. Ferber selbst empfahl das Schlaftraining ursprünglich nur als Notfallprogramm für Schreibabys. Nach dem Motto: Besser (kurz) schreien lassen als schütteln. Auch Kast-Zahn und Morgenroth schreiben in ihrem Buch: Wenn Eltern das Gefühl hätten, das Programm würde ihren Kindern schaden, dann sollten sie es lieber abbrechen. Für viele Eltern ist es ohnehin schwer zu ertragen, ihr Baby minutenlang alleine im Zimmer weinen zu lassen.
So verbesserst du den Schlaf eures Babys
Margret Ziegler, Leiterin der Schreibaby-Ambulanz im Kinderzentrum München, sagt: "Wir brauchen das Ferbern heute nicht mehr." Zu ihr kommen Eltern, die nach Monaten ohne Schlaf nicht mehr weiterwissen, die meisten aus der Mittelschicht, für viele ist es das erste Kind. Inzwischen wisse man genug über den Babyschlaf, um es auch mit sanfteren Methoden zu schaffen. Bedürfnisorientiert, aber ohne Selbstausbeutung. Der erste Schritt auf dem Weg aus der nächtlichen Verzweiflung ist eine realistische Einschätzung des Babyschlafs. "Ab dem sechsten Lebensmonat erwarten die meisten Eltern, dass ihr Kind nachts durchschläft", sagt die Expertin und meint damit: "Zumindest sechs Stunden Schlaf am Stück." Wacht ein Baby trotzdem noch alle zwei Stunden auf, dann seien viele Eltern verunsichert, sagt Ziegler. In diesem Alter brauchen viele Kinder zwar nachts keine Milch mehr. Trotzdem sei das nächtliche Aufwachen des Kindes nicht unnormal. Auch mit einem halben Jahr noch, selbst mit zwei Jahren noch. Soweit die schlechte Nachricht.
Zu wissen, dass man als Eltern nicht versagt hat, wenn das Kind auch noch mit zweieinhalb Jahren nachts nach Mama und Papa ruft, kann helfen, den Druck herauszunehmen. Oft können ausgezehrte Eltern sich aber einfach nicht leisten, abzuwarten, bis das Kind reif genug ist, um von alleine durchzuschlafen. Die gute Nachricht lautet: Man kann etwas tun. Zunächst kann es helfen, den Babyschlaf besser zu verstehen.
1. Fester Schlafplatz
"Ab dem sechsten Lebensmonat entwickeln die meisten Babys feste Schlafphasen", sagt Ziegler. Ihre Nacht beginne mit einer Tiefschlafphase, die 3 bis 4 Stunden andauern könne. Danach glitten sie über in die Leichtschlafphase – und wachten ab da regelmäßig auf. Das Problem: Um diese Zeit gehen die meisten Eltern gerade ins Bett. Wenn sie in der Tiefschlafphase sind, ist das Baby schon in der unruhigen, zweiten Phase angekommen. Und weckt sie immer wieder auf.
"Auch Erwachsene werden nachts kurz wach, wenn sie von einer Schlafphase in die nächste wechseln", sagt Ziegler. Doch wir drehen uns in der Regel um und schlafen sofort wieder ein. "Babys müssen erst lernen, sich selbst zu beruhigen und wieder einzuschlafen", so die Expertin. Vielen Kindern gelinge das durch Saugen. Ist Stillen keine Option, dann könnten Eltern mit ihrem Kind üben, sich selbst einen Schnuller in den Mund zu stecken und sich in der Nacht damit zu beruhigen.
Evolutionär bedingt checken Babys beim Aufwachen ihre Umgebung ab: Ist noch alles so, wie es beim Einschlafen war? "Wenn Eltern ihr schlafendes Kind noch einmal umplatziert haben – zum Beispiel vom Eltern- ins Kinderbett – spüren Babys die Veränderung", sagt Ziegler. Und reagieren darauf mit Schreien. Zu Urzeiten war das hilfreich, heute leider nicht mehr. Eltern sollten ihr Kind deshalb möglichst in dem Bett einschlafen lassen, in dem es die Nacht verbringen soll.
2. Großes Familienbett
Doch wie gelingt oben erwähnter Tipp, wenn ein Baby nur auf dem Arm einschläft? "Es kommt darauf an, Kompromisse zu finden zwischen den Bedürfnissen des Kindes und der Eltern", sagt die Psychologin und Schlafberaterin Katharina Meier-Batrakow aus Bremen. Wird das Baby zum Tragen zu schwer, dann sei für manche Eltern das Familienbett eine Alternative, bei dem sie sich zur Einschlafbegleitung neben das Kind legen können. Hält nächtliches Dauernuckeln an der Brust die Mutter wach, dann könne sie – je nach Alter des Kindes – nachts abstillen oder eine Milchflasche anbieten.
Auch wenn das Kind im eigenen Gitterbett schläft, gibt es immer wieder Phasen, in denen es die Nähe der Eltern sucht. Wenn es krank ist oder zahnt. "Dann könnten Eltern ihr Kind zumindest vorübergehend wieder mit ins Bett nehmen", sagt Meier-Batrakow. Babys würden von der körperlichen Nähe und Zuwendung der Eltern profitieren und dadurch auch seltener schreien.
3. Regelmäßiges Schlaftagebuch
Eltern, die eine Schlafberatung aufsuchen, haben ganz unterschiedliche Probleme. Manche Babys schlafen erst spät ein, andere wachen morgens früh auf und wieder andere sind nachts zwei Stunden wach – und wollen spielen. "Bereits bei Säuglingen gibt es Wenigschläfer und Vielschläfer", sagt die Schlafberaterin Meier-Batrakow. Es ist leider purer Zufall, sagt sie, ob ein Baby zu den Vielschläfern gehört.
Zu Beginn ihrer Beratung erstellt die Expertin mit den Eltern ein Schlaftagebuch. Darin hält sie fest, wie viele Stunden das Kind am Tag und in der Nacht schläft und ermittelt daraus sein individuelles Schlafbedürfnis. Manchmal komme heraus: "Das Kind braucht elf Stunden Schlaf, doch vier Stunden davon schläft es bereits am Tag." Dann könne es helfen, den Mittagsschlaf zu streichen oder zu verkürzen, um die Nacht ein Stück zu verlängern.
Anderes Szenario: Kinder, die abends sehr lange brauchen, um müde zu werden. Bei ihnen findet der letzte Tagesschlaf häufig zu spät statt, sagt Meier-Batrakow. Eltern könnten den Schlaf am Tag dann ein Stück vorverlegen, ganz langsam, jeden Tag ein paar Minuten früher. Es brauche 10 bis 14 Tage, bis ein Kind den neuen Rhythmus verinnerlicht habe.
4. Unnötige Einschlafhilfen
Vielen Eltern fällt es aufgrund ihrer Müdigkeit schwer, eine Methode wochenlang durchzuhalten, bis sie wirkt. Einige probieren in kurzer Zeit immer neue Einschlafhilfen aus, in der Hoffnung, dass endlich eine wirkt. "Doch die meisten künstlichen Einschlafhilfen sind auf Dauer einfach unpraktisch", sagt Meier-Batrakow: "Spätestens auf der nächsten Reise fehlt der Gymnastikball." Und sie führten zu immer neuen Reizen, was für das Beruhigen des Babys kontraproduktiv sei. Sie empfiehlt Eltern, sich neben das Kind ins Bett zu legen, es im Arm zu halten und sich auf die eigene Atmung zu konzentrieren. Mit der Zeit würden sich die meisten Babys dadurch beruhigen und einschlafen.
In ihrer Schlafberatung zeigt Meier-Batrakow Eltern auch, auf die Körpersprache des Kindes zu achten. Bereits mit wenigen Wochen würden Babys zeigen, wenn sie müde sind: „Indem sie sich die Augen reiben oder den Kopf abwenden.“ Spätestens dann sollten Eltern ihrem Kind Ruhe anbieten. Wenn ein Baby bereits so müde sei, dass es schreie, dauere es oft viel länger, bis es einschlafe.
5. Schlaftraining light: die Kingababy-Methode
Manchen Eltern, die im Familienbett einfach nicht zur Ruhe kommen, hilft am Ende doch ein sanftes Programm, mit dem sich das Kind an sein eigenes Bett gewöhnt. Die Schlafberaterin und Doula Adele Ahrens aus Hamburg berät Eltern nach der sogenannten Kingababy-Methode. Ziel ist es, dass Babys im eigenen Bett liegen und dort selbstständig in den Schlaf finden. Anders als beim Ferbern lassen Eltern die Babys nicht weinen, sondern gehen auf die Gefühle des Kindes ein.
Am besten beginne man tagsüber damit, das Baby an sein Bett zu gewöhnen, sagt Ahrens. "Dann sind alle entspannter als in der Nacht." Die Eltern legen ihr Kind, wenn es müde ist, ins Gitterbett. Dort beobachten sie es erst mal. Fängt es an zu schreien, nehmen sie ihr Kind auf den Arm und trösten es, legen es aber anschließend wieder ins Bett, sobald es sich beruhigt hat. Das wiederholen sie jeden Tag für ein paar Minuten, bis das Baby in seinem Bett einschläft. Später übertragen sie die Methode auch auf die Nacht. "Ein paar Wochen sollten Eltern einplanen, immer im Abgleich mit dem Befinden des Kindes", rät Ahrens. Ziel sei nicht, das Training um jeden Preis – und gegen das eigene Gefühl – durchzusetzen. Sondern langfristig auf sanfte Art zu erreichen, dass die gesamte Familie besser schläft.
Fazit: eine Schlaflösung für alle Kinder? Träum weiter!
Alle diese Ratschläge haben gemeinsam: Sie helfen nicht von heute auf morgen. Jedes Baby ist individuell, in seinen Bedürfnissen und in seinem Charakter. Die eine Lösung, die für alle Familien passt, gibt es nicht, sagen die drei Expertinnen. Wichtig sei, dass Eltern immer Nähe und Trost vermitteln. Und auf die Bedürfnisse des Kindes reagieren. Doch diese Feinfühligkeit zu entwickeln ist schwer, wenn Mütter sich Tag und Nacht alleine ums Kind kümmern. Studien zeigen, dass Empathie durch Schlafmangel abnimmt. Ein letzter wichtiger Ratschlag der Expertinnen lautet deshalb: Care-Arbeit fair aufteilen. Auch in der Nacht.