"Dürfen wir noch eine letzte Runde bitte, Papa?" Oskar Lohaus aus Erfurt kennt diesen Satz nur zu gut: Er hat selbst zwei kleine Söhne, die leidenschaftlich gerne daddeln. Aber auch beruflich beschäftigt er sich mit der Thematik, denn der freie Redakteur arbeitet seit 2010 bei KiKA, dem Kinderkanal von ARD und ZDF, und betreut dort vor allem die Gaming-Rubrik des Medienkompetenzformates "Team Timster".
Wie er auf den Satz oben reagiert und was es sonst noch zum Thema Videospiele zu beachten gibt, verrät der Gaming-Experte im Interview mit Men's Health Dad.
Viele Eltern unserer Generation sind selbst mit Games aufgewachsen, haben vielleicht unzählige Stunden auf LAN-Partys verbracht. Hast du das Gefühl, dass Eltern und Kinder auch heute noch beim Thema Gaming oft aneinander vorbeireden?
Ich glaube, da hat sich in den letzten Jahren einiges verändert. Die meisten Eltern haben heute selbst Gaming-Erfahrungen – viele haben in ihrer Jugend intensiv gespielt. Gleichzeitig hat sich Gaming stark verändert. Früher kaufte man ein Spiel, spielt es alleine am Rechner oder vielleicht im Wechsel mit einem Freund. Heute gibt es ganz andere Entwicklungen wie Free-to-Play-Spiele, die einen erst mal anfüttern und dann mit In-Game-Käufen locken. Diese Veränderungen sorgen oft für Unverständnis. Was aber, glaube ich, fast alle Eltern heute verstehen können, ist dieses: "Ich muss die Runde noch zu Ende spielen!" oder "Ich muss erst noch speichern!" – diesen Frust, den viele früher selbst erlebt haben, wenn man zum Essen gerufen wurde und das Spiel nicht pausieren konnte. Da ist heute definitiv mehr Verständnis da.
Das heißt, es wird weniger gefragt: "Darf mein Kind überhaupt spielen?", sondern mehr um die Frage: "Was spielt es? Wie oft? Mit wem? Und unter welchen Bedingungen?"
Oder es heißt "Du kannst dich nicht konzentrieren", "Triff dich doch mal mit Freunden", "Geh mal raus." Selbst Eltern, die früher selbst viel gezockt haben – oder es heute noch tun – wünschen sich oft, dass ihre Kinder nicht nur vor dem Bildschirm hängen. Auch die Sorge vor einer digitalen Sucht spielt dabei eine große Rolle. Wobei ich den Eindruck habe, dass diese Sorge oft gar nicht nur aufs Gaming bezogen ist. Auch TikTok oder YouTube-Shorts stehen dabei im Fokus. Viele Eltern empfinden diese Formate als noch problematischer als Spiele. Interessant finde ich, dass das alte Killerspiel-Narrativ – also die Idee, dass gewalthaltige Spiele automatisch aggressive Spieler:innen hervorbringen – heute fast komplett verschwunden ist. Das war zu unserer Jugend noch ein Riesenthema, heute hört man das kaum noch.
Welche positiven Effekte kann Gaming für Kinder und Jugendliche haben – auch wenn Eltern die oft gar nicht sehen?
Es gibt wirklich viele versteckte Benefits von Gaming: spielerisches Englischlernen, Vergrößerung des Allgemeinwissens durch historische Spiele oder strategisches Denken – und die Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen. Gerade das findet in vielen Spielen auf eine spielerische Art statt, wie es in der Schule oft nicht passiert. Ich glaube, das wird von Eltern – und noch mehr von Lehrer:innen – häufig unterschätzt. Es gibt Kinder, die über Games Gleichgesinnte finden und sich über Interessen austauschen können. Gleichzeitig ist das natürlich auch ein Risiko. Gerade in Spielen, die eine offene Kommunikation über Chats oder Sprachkanäle erlauben, weiß man nie genau, mit wem man es zu tun hat. Das ist eine Chance, aber eben auch eine Gefahr.
Gibt es eine Altersgrenze, ab der du Games auf dem Smartphone oder der Konsole empfehlen würdest – oder hängt das eher vom Spiel und vom Kind ab?
Ich würde sagen: Ab vier – sehr begrenzt und klar zeitlich geregelt – ist okay. Und ab dem Grundschulalter hängt es stark vom Kind ab. Da muss man individuell schauen: Was traut man dem eigenen Kind zu? Wie sensibel reagiert es auf bestimmte Inhalte – etwa düstere Musik oder Spannungsmomente? Manche Spiele sind ab sechs freigegeben, aber trotzdem zu gruselig für ein achtjähriges Kind. Die Altersfreigaben der USK sind da eine gute Orientierung – aber eben auch nur das. Das heißt: Eltern kommen da nicht drumherum: Sie müssen sich ein bisschen mit dem Spiel auseinandersetzen – sonst können sie auch nicht gut entscheiden. Es gibt dafür richtig gute Anlaufstellen, zum Beispiel Spiele-Ratgeber NRW. Dort findet man zu vielen Spielen ausführliche Infos: Welche Inhalte gibt es? Gibt es Chatfunktionen mit Fremden? Lässt sich das einschränken? Welche Aspekte könnten problematisch sein – etwa in Bezug auf Alter, Sensibilität oder Spielmechaniken?
Also müssen wir Eltern selbst ran an den Controller?
Wenn man affin ist, auf jeden Fall. Ich würde aber trotzdem immer empfehlen, auch medienpädagogische Quellen zu lesen oder anzuschauen. Denn wenn man selbst tief in einem Spiel drinsteckt, fällt es schwerer, das objektiv zu bewerten. Gerade wenn es dir Spaß macht, suchst du vielleicht unbewusst nach Argumenten, um es dir selbst – oder auch deiner Partnerin – schönzureden. Dann verlierst du leicht aus dem Blick, ob das Spiel wirklich altersgerecht für dein Kind ist. Am besten ist also die Kombination: Selbst ausprobieren und zusätzlich unabhängige Infos einholen. Wenn du eine gewisse Affinität hast, lohnt sich das ohnehin – allein schon, um mit deinem Kind im Gespräch zu bleiben und zu verstehen, was es an dem Spiel so begeistert.
Hast du denn sonst noch Tipps, wie man mit seinen Kindern im Gespräch über Games bleiben kann?
Ich glaube, ein ganz zentraler Punkt ist: Anerkennung und Wertschätzung zeigen – für das, was Kinder in Games leisten und lernen. Auch wenn es einem manchmal schwerfällt, sollte man die Kompetenz, die Kinder sich im Spiel aufbauen, ernst nehmen und spiegeln. Das beginnt damit, sich überhaupt erst mal zu informieren: Welche Begriffe nutzt mein Kind da eigentlich? Was bedeutet das, was es mir erzählt? Und dann heißt es: zuhören und im Idealfall auch verstehen. Wenn eine Zeit lang gar nichts mehr über das Spiel erzählt wird – obwohl es vorher regelmäßig Thema war – lohnt es sich nachzufragen: Wie läuft's gerade im Spiel? Hast du was Neues entdeckt? Oder auch: Warum spielst du es gerade weniger? Das erinnert ein bisschen an gute Suchtprävention: zuhören, nicht vorschnell urteilen, sondern Raum für Gespräche schaffen. Und zwar nicht nur dann, wenn es Konflikte oder Sorgen gibt – sondern auch Erfolge anerkennen, kleine Fortschritte wertschätzen. So bleibt Gaming ein Thema, über das man offen sprechen kann – und nicht nur ein Reizthema, bei dem man immer nur über Bildschirmzeit diskutiert.
Wie wichtig ist es, dass Eltern sich auch mit In-Game-Käufen, Onlinechats und Co. beschäftigen und mit ihren Kindern darüber sprechen?
Ich finde es sehr wichtig, dass wir mit unseren Kindern über die Spielmechaniken sprechen, die überhaupt erst das Bedürfnis wecken, Geld auszugeben. Also: Warum willst du das gerade haben? Was macht das Spiel mit dir, dass du denkst, du brauchst das jetzt unbedingt? Gleichzeitig dürfen wir hier auch klare Grenzen ziehen. Ich persönlich habe meinen Kindern technische Grenzen gesetzt. Sie können auf ihren Geräten nichts kaufen – das haben wir ganz bewusst so eingestellt. Das war für uns auch von Anfang an nicht verhandelbar, und das haben wir sehr früh klargemacht. Natürlich kommen trotzdem Diskussionen auf. Unser Großer spielt inzwischen auch Minecraft auf dem PC. Dann kommt mal der Wunsch auf, eine bestimmte Version zu kaufen, um Mods nutzen zu können – das kostet dann vielleicht zehn Euro. Und dann sprechen wir mit ihm darüber: Was bringt dir das konkret im Spiel? Was willst du damit machen? Ist dir das den Betrag wirklich wert? Es geht dabei nicht um Verbote oder Geschenke, sondern um eine Entscheidung. Du hast dein Taschengeld – willst du das dafür ausgeben? Wenn nicht, musst du sparen. Und wenn doch, dann ist das deine Priorität. Es geht darum, mit den Kindern in einen Dialog zu kommen, damit sie selbst einschätzen lernen, was sinnvoll ist – und was vielleicht nur ein Impuls aus dem Spiel heraus war.
Darf ich meinen Kindern ein Spiel verbieten?
Wenn man sich mit dem Spiel ein bisschen auseinandersetzt, kann man ja auch konkrete Argumente für seine Ablehnung liefern. Zum Beispiel bei Fortnite: Ja, es sieht aus wie ein Comic, aber es geht eben trotzdem darum, anderen Menschen Gewalt zuzufügen. Und das ist vielleicht nicht das, was wir für dich gerade passend finden. Das ist dann zwar ein bisschen die Moralkeule, aber ich glaube, so kann man das mit vielen Kindern ganz gut besprechen. Man kann ja den Kindern auch Gaming-Alternativen anbieten oder in Aussicht stellen, dass das Spiel vielleicht noch nicht 8 Jahren, aber dann mit 10 oder 12 Jahren spielbar wäre. Gleichzeitig sollte man sich seelisch darauf vorbereiten, dass die Kinder mit diesen Inhalten ohnehin früher oder später in Berührung kommen – allein schon, wenn sie bei Freundinnen oder Freunden sind, die einen ganz anderen Umgang mit Medien haben.
Was hältst du von Bildschirmzeit-Regeln – und wie kann man sie sinnvoll und fair gestalten?
Ich finde Bildschirmzeit-Regeln auf jeden Fall sinnvoll. Das erleichtert es Kindern und Eltern, einen Schlusspunkt zu setzen und Orientierung beim Zocken zu geben. Es gibt oft die Empfehlung, dass Kinder unter zwölf Jahren nur eine halbe Stunde am Tag zocken sollten. Da ist grundsätzlich ein guter Richtwert. Ich kenne aber auch Eltern, die sagen, unter der Woche wird gar nicht gespielt, dafür sind am Wochenende zwei Stunden kein Problem. Man muss also ein Modell finden, das in das eigene Familienleben passt. Ich finde es auch wichtig, dass Kinder erklären können, warum sie länger spielen wollen. Zum Beispiel, wenn sie sich mit Freunden in Minecraft verabredet haben und gemeinsam etwas Bestimmtes machen möchten. Das kann man dann besprechen und vielleicht eine Ausnahme machen.
Was sind Warnsignale, bei denen Eltern aufmerksam werden sollten?
Kritisch ist es immer dann, wenn Dinge im echten Leben anfangen unter dem Gaming oder Online-Konsum zu leiden – zum Beispiel, wenn die Schule darunter leidet, Freundschaften vernachlässigt werden oder Hobbys komplett wegfallen, die dem Kind früher eigentlich Spaß gemacht haben. Also wenn Sport, Musik oder Zeit mit Freundinnen und Freunden gar keine Rolle mehr spielen, weil nur noch der Bildschirm wichtig ist – dann ist definitiv der Punkt erreicht, wo man eingreifen sollte und vielleicht auch strengere Regeln nötig sind. Und wenn sich das dann auch mit klaren Absprachen und Regeln nicht bessert, würde ich wirklich empfehlen, sich mal umzuschauen, ob es therapeutische Angebote in der Umgebung gibt.
Fazit: Game over? Game on!
"Ich wünsche mir, dass Eltern und besonders auch Lehrerinnen und Lehrer sich einfach mehr mit dem Thema Gaming auseinandersetzen", sagt unser Gaming-Experte Oskar Lohaus. Man muss gar nicht selbst zocken, um ein Gefühl für diese Welt zu bekommen und sich darauf einzulassen. Lohaus: "Ich würde alle ermutigen, sich zumindest theoretisch darüber zu informieren – zum Beispiel durch Podcasts von Medienpädagoginnen oder Leuten, die sich damit gut auskennen und begeistert sind – vielleicht sogar die Kinder selbst. Wenn man sich auf die Sprache und Inhalte einlässt, kann man die Leistungen der Kinder anerkennen und bleibt dadurch ein Ansprechpartner, zu dem das Kind Vertrauen hat – auch in kritischen Momenten. Außerdem wissen viele Eltern und Lehrkräfte gar nicht, welche Möglichkeiten sie haben, wie sie technisch regulieren können, was die Kinder am Handy oder bei Konsolen machen – zum Beispiel wie man auch Spielzeiten oder In-App-Käufe einschränken kann. Auch das gehört für mich zu einem aktiven Jugendschutz in Sachen Gaming." Und zum Schluss noch ein Buchtipp für alle, die selbst mal wieder zum Controller greifen wollen: "Die große Bucket List des Gaming: 100 Videospiele, die du gespielt haben musst!".