Deutsche lieben Hühnchen! Fakt ist: Während der Fleischkonsum hier zu Lande generell stagniert, steigt der von Geflügelfleisch an. Jeder Deutsche verputzte im Jahr 2013 durchschnittlich 19,4 Kilo Geflügel. Laut „Fleischatlas 2014“, herausgegeben unter anderem vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), ist die Geflügel- Massenproduktion das am schnellsten wachsende Segment in der Viehwirtschaft. Warum aber greifen die Leute lieber zu Geflügel als zu Rind oder Schwein? Zum einen lässt sich Huhn vielfältig und unkompliziert zubereiten, und das fettarme Fleisch liefert gut verwertbares Eiweiß. Zum anderen gibt’s bei Geflügelfleisch keine religiösen oder kulturellen Schranken, im Gegensatz etwa zu Schwein. Zudem lockt der Preis: Hühnerfleisch ist günstig, vor allem, wenn es aus der in vielerlei Hinsicht problematischen Massentierhaltung stammt. Nach eigenen Angaben lohnt sich das Geschäft für Hersteller nur, wenn sie auf Masse produzieren. Die Frage ist: Lohnt sich das auch für Sie?

Einzelne Tiere können in der Mast nicht behandelt werden, daher bekommen meist alle das Medikament – zum Beispiel übers Wasser – © Avatar / Shutterstock.com
Wer früher Hühner züchtete, der tat dies entweder aus Liebhaberei oder nutzte Fleisch und Eier für den Eigenbedarf. Bis vor 100 Jahren gab es nur das „Zweinutzungshuhn“: Die Hennen legten Eier, Hähne brachten das Fleisch. Um 1920 begannen Züchter in den USA, Rassen zu kreuzen. Rund 40 Jahre später kam das erste Hybridhuhn auf den Markt: größer, schwerer und leistungsfähiger als alle seine Vorfahren. Mehr als 95 Prozent aller Hühner – ob Mast- oder Legehuhn – sind heutzutage Hybriden. Die Masthühnchen sind bereits nach ungefähr einem Monat schlachtreif und wiegen dann im Schnitt 1,52 Kilogramm, fast doppelt so viel wie die herkömmlichen Vertreter. Ein getuntes Legehuhn legt zirka 320 Eier pro Jahr, eine gewöhnlich Henne nur rund ein Drittel davon. „Die Leistungsfähigkeit hat jedoch ihren Preis. Legehennen machen häufig schon nach 12 bis 15 Monaten schlapp“, sagt der Ökotrophologe Professor Fritz Titgemeyer, Lehrbeauftragter für Lebensmittellehre und -mikrobiologie an der Fachhochschule Münster. Ein Masthuhn soll vor allem an Brust und Schenkeln Fleisch ansetzen. Sein Körperbau ist aber nicht auf so hohes Gewicht ausgelegt – Kreislauf- und Gelenk-Erkrankungen sowie Entzündungen sind die Folge.
In Ländern wie den USA werden Hühnern geringe Dosen Antibiotika ins Futter gemischt – angeblich nur, um so Krankheiten vorzubeugen. Doch die Maßnahme zielt noch auf etwas anderes ab: In den 1940ern hatte man entdeckt, dass Antibiotika das Wachstum von Hühnern fördert. Wie es zu dem Effekt kommt, ist bis heute nicht völlig geklärt. In Deutschland dürfen Antibiotika seit 2006 weder zur Prophylaxe noch als Wachstumsbeschleuniger gegeben werden. Kranke Tiere werden jedoch weiter mit großen Mengen davon behandelt: In der deutschen Massentierhaltung werden mit rund 1500 Tonnen pro Jahr etwa doppelt so viele Antibiotika eingesetzt wie in der Humanmedizin. Das führt zu einem noch größeren Problem: antibiotikaresistenten Keimen. Sie können sich entwickeln, wenn eine Infektion immer wieder mit dem gleichen Antibiotikum behandelt wird. Die sehr widerstandsfähigen Bakterien passen sich nämlich immer weiter an und sind schlussendlich mit ebendiesem Antibiotikum nicht mehr abzutöten. Auf diese Weise entstehen regelrechte Killerbakterien.
MRSA & Co.: Krankenhauskeime in Hähnchenfleisch
Wohl bekanntester Vertreter der antibiotikaresistenten Keime ist das Bakterium MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus), umgangssprachlich: Krankenhauskeim. MRSA sind in den Kliniken ein echtes Problem. Für gesunde Menschen stellen sie im Prinzip kein Risiko dar; für Kinder, alte und immungeschwächte Menschen können solche Keime dagegen lebensgefährlich sein. Dann drohen schwer behandelbare Infektionen, bei denen das üblicherweise passende Antibiotikum im schlimmsten Fall völlig wirkungslos ist.
Die zweite große Gruppe sind die so genannten Extended-Spectrum Beta-Laktamasen, oder kurz: ESBL-Bildner. Dabei handelt es sich um Enzyme, die fähig sind, ganze Gruppen von Antibiotika (etwa Penicilline) unwirksam zu machen. ESBL-bildende Bakterien stören sich nicht an Antibiotika. Wie MRSA werden auch sie regelmäßig in bzw. auf Hähnchenfleisch nachgewiesen. So hat Stiftung Warentest in 12 von 20 Hähnchenkeulen antibiotikaresistente Keime gefunden, zum Teil sogar in Biogeflügel. Die gute Nachricht: Gegessen ist mit Keimen belastetes Fleisch kein Problem, die Prozedur im Magenüberlebt kein Erreger. Die schlechte: Durch falsche Handhabung in der Küche und über kleine Wunden an den Händen können die Keime in unseren Körper eindringen und dann erst mal unbemerkt verschleppt werden.
Forscher am Institut für Lebensmittelqualität und -sicherheit der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) haben 120 Blinddarm- und Karkassen-Proben von Masthühnern untersucht: 88,6 Prozent der Karkassen (Tierkörper nach Schlachtung) und 72,5 Prozent der Blinddärme enthielten ESBL-Bildner. Bei einer Probennahme durch die Tierschutz- organisation PETA im November 2014 fanden sich in 86 Prozent MRSA und/oder ESBL. „Je öfter Hühner mit Antibiotika behandelt werden, desto wahrscheinlicher wird es, dass sich multiresistente Bakterien wie MRSA bilden“, sagt Experte Titgemeyer. Eine großangelegte Studie des Landesamtes für Natur, Umwelt- und Verbraucherschutz Nordrhein- Westfalen konnte 2011 nachweisen, dass 92 Prozent der Hühner aus 184 Betrieben im Lauf ihres Lebens mit Antibiotika behandelt worden waren. Im Fleisch fanden sich zum Teil Antibiotika-Cocktails aus bis zu 8 verschiedenen Wirkstoffen.
Wie gefährlich sind die Killerkeime im Hähnchen wirklich?
In deutschen Krankenhäusern infizieren sich nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) jedes Jahr etwa 1 000 000 Patienten mit resistenten Keimen, rund 40 000 sterben sogar daran. Ob es genau diese Erreger aus Hühnern und anderen Masttieren sind, die Menschen krank und die Bakterien resistent gegen Antibiotika machen, darüber sind sich die Fachleute noch uneins. Ökotrophologe Titgemeyer ist sich sicher: „Die jährlich steigende Zahl an MRSA- und ESBL-Toten ist eine Konsequenz des massiven Einsatzes von Antibiotika in der Humanmedizin und in der Massentierhaltung.“ Die Experten von der TiHo wollen nicht so weit gehen. Sie erklären, dass es sich zurzeit noch nicht sicher sagen lässt, dass das Vorkommen beim Huhn und bei anderen Tierarten eine direkte Relevanz für die Besiedlung beim Menschen hat. Industrie und Tierärzte wehren sich vehement gegen den Vorwurf, die exzessive Gabe von Antibiotika in der Tiermast sei der Grund für die Häufung von Resistenzen beim Menschen.
Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft verweist in der Sache auf eine Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR): „Wissenschaftler fanden beim Vergleich von ESBL-Keimen von Tier und Mensch heraus, dass sich die Anteile der häufigsten ESBL-Gene bei E.-coli-Isolaten von Tieren und Menschen deutlich unterscheiden.“ Danach wären nicht allein Keime im Geflügelfleisch das Problem. Es müssten die Übertragungsmöglichkeiten inklusive der Übertragung von Mensch zu Mensch berücksichtigt werden. Doch auch das BfR urteilt: „Es ist davon auszugehen, dass der Einsatz von Antibiotika in der Tierproduktion zur Resistenzentwicklung und insbesondere zur Ausbreitung resistenter Keime beiträgt.“ Deshalb wurde von der Bundesregierung 2008 die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie (DART) ins Leben gerufen. Sie zielt darauf, den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren und bessere Vorbeuge- und Hygienemaßnahmen zur Verhinderung von Infektionskrankheiten in den Ställen zu schaffen. Außerdem müssen die Tierhalter seit Juli 2014 in eine Datenbank eintragen, wie häufig sie Antibiotika in ihren Mastanlagen einsetzen. Dank der Neuauflage des Arzneimittelgesetzes können Behörden die Häufigkeit der Antibiotika-Anwendungen nun beurteilen und bei zu häufiger Gabe einschreiten. Und Tierärzte, die täglich über die Gabe von Antibiotika zu entscheiden haben, müssen dafür jetzt besser geschult werden.

Auch Biogeflügelfleisch ist nicht hundertprozentig frei von Keimen – © spiro / Shutterstock.com
EU-Bioverordnung und noch strengere Richtlinien von Verbänden wie Demeter, Naturland oder Bioland grenzen die Häufigkeit der Behandlungen ein. So bekommen Biohühnchen bei Krankheit vorrangig pflanzliche Arzneimittel. Und bei Naturland etwa dürfen Masthühner maximal einmal in ihrem Leben mit Antibiotika behandelt werden. Ein gutes Beispiel ist die von Naturland zertifizierte Biogeflügelschlachterei Stauss aus Ertingen. Dort sind Antibiotika überhaupt kein Thema: „Alle unsere landwirtschaftlichen Partnerbetriebe sind von Naturland oder Bioland zertifiziert. Dies garantiert ein Höchstmaß an Produktsicherheit“, sagt Inhaberin Roswitha Stauss. Trotz allem: Auch Biogeflügelfleisch ist nicht hundertprozentig frei von Keimen. Lohnt sich also der Griff zur ökologisch korrekten Alternative überhaupt? Ökotrophologe Fritz Titgemeyer von der FH Münster sagt: „Ich würde Hähnchenfleisch bevorzugt als Bioware vom regionalen Erzeuger vor Ort kaufen, weil Biohühnchen tierartengerechter gehalten werden.“ Neben dem ökologischen Aspekt findet der Experte jedoch noch einen anderen, ganz pragmatischen Grund dafür, auf Biogeflügel zu setzen: „Auch geschmacklich schneidet Billigware deutlich schlechter ab.“

Vorsicht ist neim Umgang mit rohem Hähnchen geboten – © Marina Shanti / Shutterstock.com
- Kaufen Sie niemals Fleisch, dessen Haltbarkeitsdatum in 1 bis 2 Tagen überschritten sein wird. Transportieren Sie das Geflügelfleisch am besten in der Kühltasche rasch nach Hause.
- Geflügelfleisch möglichst bald nach dem Kauf zubereiten. Je näher das Verfallsdatum rückt, desto mehr Keime finden sich darauf. Bereiten Sie rohes Geflügelfleisch nicht mehr zu, wenn das Haltbarkeitsdatum bereits überschritten ist.
- Vor, während und nach der Verarbeitung von frischem Geflügelfleisch sollten Sie sich jedes Mal die Hände waschen.
- Spülen Sie rohes Geflügelfleisch nie unterm Wasserhahn ab. Dadurch werden die Keime zwar vom Fleisch runtergespült, zugleich jedoch im Spülbecken verteilt. Das Bundesinstitut für Risikobewertung empfiehlt: Nehmen Sie das Fleisch mit der Gabel aus der Verpackung und legen Sie es direkt in die Pfanne.
- Zum Verarbeiten verwenden Sie ein gesondertes Schneidebrett (nur keines aus Holz!) und ein separates Fleischmesser.
- Messer und Brett direkt nach Gebrauch heiß abspülen oder in die (eh fast volle) Spülmaschine geben, die Sie gleich anschalten.
- Hähnchenfleisch immer gut durchgaren. Die Kerntemperatur des Fleisches sollte mindestens 2 Minuten lang 70 Grad Celsius betragen, denn Hitze tötet (auch antibiotikaresistente) Keime. Legen Sie sich darum am besten ein Fleischthermometer zu.
- In der Mikrowelle sollten Sie Geflügelfleisch nicht zubereiten. Auf Grund der unregelmäßigen Wärmeverteilung in solchen Geräten ist nicht sichergestellt, dass Keime abgetötet werden.
- Putzen und waschen Sie Ihr Gemüse grundsätzlich, denn auch im Boden, in dem Karotte, Kohl & Konsorten gewachsen sind, können sich antibiotika-resistente Keime verstecken. Zuverlässig abgetötet werden diese aber erst durchs Kochen.
- Vorsicht auch außerhalb der Küche: Lassen Sie sich nicht wegen jedes Zipperleins gleich ein Antibiotikum aufschwatzen! Die regelmäßige und oft auch überflüssige Einnahme dieser Wirkstoffe trägt in erheblichem Maß dazu bei, dass sich Antibiotika-Resistenzen ausbreiten.