Vorbild Marco Steffan im Interview
Jeden Tag eine gute Tat ist zu wenig

Men's Health-Vorbild 2016 ist Marco Steffan, Gründer der Initiative "Athletes for Charity". Im Interview verrät er, was ihn antreibt
Marco Steffan ist Gründer der Initiative 'Athletes for Charity'
Foto: PR

Die Men's Health-Redaktion hatte ihre Idole 2016 in den Kategorien Engagement, Stil und Sport gekürt. Unsere Leser konnten darauf online für ihren Favoriten stimmen. Vorzeige-Mann 2016 wurde der Extremsportler Marco Steffan. Nachdem sein Sportkamerad ihm am Telefon seine Krebsdiagnose gebeichtet hatte, änderte der Jurist und Extremsportler sein Leben, hob mit Freunden die Initiative Athletes for Charity (www.athletesforcharity.de) aus der Taufe, wo man durch sportliches Engagement Geld für soziale Projekte sammelt.

Im Interview spricht der hauptberufliche Jurist über seine persönlichen Vorbilder, den Willen, etwas zu bewegen und den traurigen Tod seines besten Freundes.

Sie sind von den Men’s Health Lesern als ‘neues Vorbild’ gekürt worden. Können Sie mit dem Begriff Vorbild etwas anfangen?

Auf jeden Fall. Jede Generation versteht diesen Begriff ja anders. Ich kann auch mit der Prämisse der Men’s Health – ‚Wir brauchen neue Vorbilder‘ – etwas anfangen. Grundsätzlich definiert sich ein Vorbild durch sein Verhalten und wie andere Leute es bewerten. Mir ist bewusst, dass ich jeden Tag das Leben einer anderen Person beeinflussen kann. Der Begriff Vorbild geht auch mit Verantwortung einher. Ich finde es schön, wenn jemand erkennt, dass er Vorbild sein kann und dann auch bewusst danach handelt.

Es geht auch um die Männerrolle. In Deutschland wird einem oft gesagt: Jetzt sei mal ein Mann! Bei Frauen ist das Frausein von Natur aus gegeben, Männer müssen sich das verdienen. Am Anfang konnte ich mich mit dem Begriff Vorbild gar nicht anfreunden, ich sehe mich eher als Inspiration oder Motivation.

Aber jetzt haben Sie sich in Ihre Rolle als Vorbild eingelebt?

Meiner Vorbildrolle bin ich mir erst so richtig seit Men's Health bewusst. Vorbild zu sein, ist nicht einfach. Schon im Teenageralter befasste ich mich damit. Mein damaliger Judotrainer warnte uns: „Fangt bloß nie an zu trinken und zu rauchen.“ Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie eine Zigarette geraucht oder ein Glas Alkohol getrunken.

Sie haben viel Willenskraft.

Die habe ich. Das kann ich auch völlig unprätentiös sagen. Ich habe einmal jetzt ein halbes alkoholfreies Bier getrunken. Das war ein Wunsch von meinem Freund Alex auf dem Sterbebett. Es hat bitter geschmeckt. Das hat mich sogar noch in meinem Vorsatz bestärkt, dem Alkohol fern zu bleiben.

Wer sind denn Ihre wichtigsten Vorbilder?

Mein Vater ist mein Vorbild Nummer 1. Papa zu sein, ist eine Rolle, die nicht einfach ist und ich bewundere jeden, der das gut meistert. Er hat’s meiner Meinung nach ganz gut gemacht. Er hat einfach ein unglaubliches Wissen. Er war Gymnasiallehrer und ist wahnsinnig belesen. Ansonsten war mein Großvater ein Vorbild – er war Rennfahrer und Schlosser. Er war unglaublich stark, hatte Unterarme wie Popeye. Er hat Motorräder aus dem Stand hochgehoben.

Meine Mutter ist ein Vorbild auf emotionaler Ebene. Sie hat mir beigebracht, dass auch Männer mal Tränen zeigen dürfen. Das hat sich bitterlich bewahrheitet, als mein Freund Alex gestorben ist. Mit Alex hat dieses Projekt seinen Anfang genommen.

Vorbild war auch Alex selbst und die Art, wie er mit seiner Krankheit umgegangen ist. Er wusste, er hat nicht mehr lange zu leben. Trotzdem hat er von Anfang an eine Ruhe und Gelassenheit ausgestrahlt. Kurios war, dass er so auch sein Umfeld beruhigen konnte. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass er diese Art von Vorbildfunktion nie im Leben haben wird.  

Haben Sie – abgesehen von Ihrem Großvater - auch sportliche Vorbilder?

Ja. Eine Rieseninspiration, die ich jetzt erst im Laufe des Projekts mal wahrgenommen habe, ist Terry Fox. Er ist schon mit 22 verstorben. Er hatte Krebs und ihm musste das Bein abgenommen werden. Schon in den 60er-Jahren wollte er Geld sammeln, um auf die Krebsforschung aufmerksam zu machen. Also fing er an, jeden Tag einen Marathon zu laufen. Mittlerweile gibt es besonders in Kanada Terry Fox-Läufe zugunsten der Krebshilfe. Dieser Mann hat es geschafft, so viele Menschen zu begeistern, mit seinem Willen, etwas zu bewegen.

Kommen wir zu Ihrer ehrenamtlichen Arbeit. Haben Sie sich früher schon ehrenamtlich engagiert?

Ich war bei den Pfadfindern. Da gibt es das Motto: ‚Jeden Tag eine gute Tat‘. Früher hab ich aber schon gedacht: Das ist zu wenig. Andere Gelegenheiten lässt man da an sich vorübergehen.

Was war der einprägsamste Moment während dem Engagement für wohltätige Zwecke?

Das waren eigentlich drei. Der erste hat mit der Krebserkrankung meines Freundes Alex zu tun. Ihm wurde das Bein zweimal amputiert und er saß lange Zeit im Rollstuhl. Ursprünglich hatte ich uns beide beim "Wings for Life Run" angemeldet, einem wirklich schönen Laufereignis. Kurzerhand entschied ich mich, ihn im Rollstuhl zu ziehen. Viele Menschen jubelten uns zu. Das gab ihm Kraft für die nächste OP.

Der zweite Moment involviert Ava und Stella aus Cleveland, Ohio. Die Mädchen haben das Usher-Syndrom. Sie sind taub auf die Welt gekommen und erblinden zusehends. Ihr Vater ist tödlich verunglückt. Ihr Wunsch war es, einmal den Eiffelturm in Paris zu sehen, aber ihre Familie hat das Geld dafür nicht. Meine Supporter und ich konnten die Mädchen nach Paris bringen. Der Moment, als wir vor dem Eiffelturm standen, das war Gänsehaut-Feeling pur. Dafür mache ich das immer wieder, um es mitzuerleben wie dankbar die Menschen sind.

Der dritte Moment hat mit Brian aus Boston zu tun. Er hat ebenfalls das Usher-Syndrom und ist im Alter von 25 schon vollkommen blind. Früher war er Lehrer, musste aber alles aufgeben. Von ihm kam der Vorschlag, den Equinox-Marathon in Alaska zu laufen, den härtesten Marathon der Welt. Mein erster Gedanke: ‚Gute Idee‘. Dieser Lauf war eine verdammt harte Nummer. Auf dem Trail konnte man schließlich nur hintereinander laufen. Aber es war ein tolles Gefühl, mit ihm ins Ziel zu kommen. Sein Vater erzählte mir danach, wie sehr das Laufen Brian aufgerichtet hat. Das war es wert.

Können auch Normalsportler "Athletes for Charity" werden?

Absolut. Jeder sollte die Chance haben, auch mit kleinen Dingen etwas zu bewegen. Bei uns kann grundsätzlich jeder mitmachen, weil es gar nicht darum geht, die Ziellinie zu erreichen, sondern um die innere Einstellung. Man muss nur den Willen haben, einen Unterschied zu machen. Man gibt dem Sport noch ein besonderes Prädikat, indem man es nicht nur für sich alleine macht, sondern für andere. Das wollte ich mit dem Projekt von Anfang an vermitteln. Unsere Athleten haben mir schon oft erzählt: „Wir waren wirklich beflügelt. Wir haben Vollgas gegeben.“ Ich glaube, das kitzelt aus vielen besondere Leistungen heraus. Sie machen das eben für andere, nicht nur für sich.

Was war der interessanteste Ort, an dem Sie bisher gelaufen sind?

Das war der Equinox-Marathon in Alaska. Das würden wir auch gern nochmal machen.

Gibt es Bereiche, in denen Sie kein Vorbild sind?

Wenn es um Geduld geht, bin ich sicherlich kein Vorbild. Wenn mir jemand im November erzählt, dass er an Neujahr mit dem Rauchen aufhören will, kenne ich keine Geduld. Dann denk ich mir: "Schmeiß die Zigarettenpackung weg." Ich bin übrigens auch schlechter Schläfer, anscheinend habe ich ein geringes Schlafbedürfnis. 4 bis 5 Stunden reichen mir. Das ist Segen und Fluch zugleich und da will ich auch nicht unbedingt Vorbild sein. Ich habe wenig innere Ruhe.

Denken Sie, dass Sie Ihrem Freund Alex helfen konnten?

Helfen ja, retten nein. Alex ist im März gestorben. Dass ich ihm helfen konnte, hat er mir gesagt. Als ich ihn besucht habe und es klar war, dass es nur noch Minuten sind - da sagte er: ‚Wenn meine Krankheit ein Gutes hatte, dann war das, dass wir so vielen Kindern helfen konnten‘ Nächstes Jahr wird es auch eine Stiftung "Athletes 4 Charity" geben, für bedürftige Kinder.  

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10 / 2023

Erscheinungsdatum 20.09.2023