Co-Parenting: Wie du auch ohne Partnerin Vater wirst

Kind ohne Beziehung
Co-Parenting: Wie du auch ohne Partnerin Vater wirst

Inhalt von
Zuletzt aktualisiert am 19.06.2024
Mutter und Vater spielen mit ihrem kleinen Kind "Engelchen flieg"
Foto: Shutterstock.com / Liderina

Mutter, Vater, Kind? Ja! Paarbeziehung? Nein! Co-Parenting nimmt Abstand von gesellschaftlichen Normen und bietet eine Alternative zu heteronormativen Familienmodellen. Frauen und Männern, die einen Kinderwunsch haben, aber keine:n passende:n Partner:in, können davon profitieren – denn ein Kind braucht eigentlich nur ausreichend Liebe. Wie man sich das in der Praxis vorstellen muss, hat Dr. Lydia Ottlewski im Interview mit Men's Health Dad verraten. Sie promovierte an der Universität St. Gallen und ist aktuell Assistant-Professor an der University of Southern Denmark . Dr. Lydia Ottlewski ist Expertin auf dem Gebiet der alternativen Familienformen und teilt ihre Forschungsergenbisse mit uns in diesem Interview. Doch bevor wir zum Thema Co-Parenting kommen, widmen wir uns erst einmal einer grundlegenden Frage.

Was bedeutet Familie?

"Familie kann ganz Unterschiedliches bedeuten. Wenn wir einen Blick in die Geschichte werfen, ist die traditionelle Kleinfamilie (bestehend aus Mutter, Vater, Kind), wie sie heute oft in heteronormativen Familienkonstellationen gelebt wird, noch eine recht neue Erscheinung. Im Laufe der Zeit hat sich das Bild der Familie immer wieder verändert: von Sippen, über Mehrgenerationenhaushalte bis hin zur traditionellen Kleinfamilie. An Bedeutung hat das Thema Familie jedoch nicht verloren. In den letzten 50 Jahren ist eine Diversifizierung von Familienmodellen zu beobachten. Alleinerziehende, Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien, Partnerschaften ohne Kinder – und Co-Parenting. Die Familienlandschaft ist bunt."

Was versteht man unter Co-Parenting?

"Co-Parenting bedeutet frei übersetzt 'gemeinsame Elternschaft'. Hierbei entscheiden sich mindestens zwei Menschen ein Kind zu zeugen und gemeinsam großzuziehen. Aktuell wird unter dem Begriff Co-Parenting eine gemeinsame Elternschaft verstanden, die keine romantische oder sexuelle Partnerschaftsbeziehung zwischen den Eltern voraussetzt. Die Grundlage von Co-Parenting ist meist ein Elternverhältnis, das auf freundschaftlich-pragmatischer Basis beruht. Des Weiteren wird das Familienmodell im Co-Parenting als 'child-centric' bezeichnet, da bereits vor Familiengründung alles auf das Wohlergehen des Kindes ausgerichtet wird und das Kind der maßgebliche Grund ist, warum die Co-Parents zueinandergefunden haben."

Lydia Ottlewski
PR

Seit wann gibt es Co-Parenting?

"Dafür kann man keinen genauen Zeitpunkt festmachen. Wie bereits erwähnt, ist die traditionelle Kleinfamilie in der Geschichte eine recht neue Erscheinung. Früher wurden Kinder oft in größeren Gemeinschaften aufgezogen. In diesem Zusammenhang ist auch die Redewendung 'it takes a village to raise a child' entstanden. Durch die Diversifizierung und Liberalisierung von Familienmodellen, insbesondere auch im Zusammenhang mit der wachsenden LGBTQIA+-Community und dem Entstehen von Regenbogenfamilien ist Co-Parenting immer präsenter geworden. Inzwischen auch bei Menschen, die heterosexuell sind, aber bewusst das Elternsein von einer romantischen Partnerschaft entkoppeln möchten. Seit etwa 2011 gibt es im deutschsprachigen Raum auch digitale Angebote zur Gründung von alternativen Familienformen."

Wie funktioniert Co-Parenting?

"Ich forsche seit einigen Jahren an vielfältigen Familienmodellen. Die Ergebnisse zeigen dabei folgende Gemeinsamkeiten: Beim Co-Parenting finden sich zwei oder mehr Menschen zusammen, die ein Wertekonstrukt für die Erziehung eines Kindes teilen. Meist wird bewusst eine romantische, sexuelle Beziehung zwischen den Eltern ausgeschlossen. Vor der Familiengründung lernen sich die potenziellen Co-Parents in der Regel gut kennen und treffen meist sehr genaue Absprachen zu allen familienrelevanten Themen. Diese Absprachen und gemeinsamen Werte für die Kindeserziehung werden oft vor Zeugung des Kindes in sogenannten Elternvereinbarungen festgehalten. Die Zeugung des Kindes findet dann überwiegend über die Bechermethode oder durch künstliche Befruchtung, auch als Insemination oder In-vitro-Fertilisation bezeichnet, statt. Bei der Erziehung des Kindes zeichnen sich Co-Parenting Familien häufig durch eine flexibel gestaltete Rollenverteilung zwischen den beteiligten Eltern aus".

Wo finde ich die richtige Partnerin fürs Co-Parenting?

"Richtig kann je nach Lebensform und gewünschter Familienkonstellation verschiedenes bedeuten und ist natürlich sehr individuell. Einige Menschen finden Co-Parenting-Partner:innen in ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis. Andere werden auf digitalen Plattformen wie beispielsweise Familyship.org fündig. Diese Plattformen bieten potenziellen Co-Parents weiterführende Informationen, Aufklärung, rechtliche Beratung sowie Hilfestellung bei der Familiengründung."

Für wen eignet sich Co-Parenting?

"Eine wesentliche Voraussetzung ist, dass potenzielle Co-Parents bereit sind, gesellschaftliche Normen zu hinterfragen und zu überwinden und zudem offen gegenüber der Idee sind, auf freundschaftlich-pragmatischer Basis gemeinsam ein Kind großzuziehen. Co-Parenting-Konstellationen findet man insbesondere bei Menschen in folgenden Lebenssituationen:

  • Menschen, die Eltern werden möchten, aber die beispielsweise aufgrund ihrer sexuellen Orientierung auf alternative Formen der Familiengründung angewiesen sind (etwa homosexuelle oder transgender Menschen).
  • Menschen, die Eltern werden möchten, aber die aus biologischen oder medizinischen Gründen (etwa Infertilität) ihren Kinderwunsch nicht erfüllen können.
  • Menschen, die Eltern werden möchten, aber nicht das heteronormative Familienmodell leben möchten (wie romantische:r Partner:in ohne Kinderwunsch; Misstrauen in romantische Partnerschaften als Basis für Elternschaft)."

Welche Vorteile hat Co-Parenting?

"Co-Parents beschreiben das Familienmodell als befreiend, da sie sich nicht mehr in gesellschaftlichen Konventionen gefangen fühlen. Durch die bewusste und bedachte Umsetzung des Kinderwunsches wird zudem sichergestellt, dass mögliche Konfliktthemen der Kindererziehung wie Wertekonstrukt, finanzielle Aspekte und Aufteilung der Care-Arbeit, vorab gründlich diskutiert und somit im Familienalltag weitestgehend umgangen werden. Co-Parenting bringt zudem mehr Gleichberechtigung in der Care-Arbeit, da diese meist klar aufgeteilt wird und die Co-Parents in ihrem gelebten Familienalltag nicht in traditionelle gesellschaftliche Rollenmodelle zurückfallen. Ein weiterer Vorteil sind die flexiblen Gestaltungsmöglichkeiten der Elternrollen, die unabhängig vom Beziehungsstatus, der sexuellen Orientierung und der Anzahl der beteiligten Co-Parents festgelegt und gelebt werden können."

Welche Schwierigkeiten bringt Co-Parenting?

"Wie in traditionellen Familienkonstellationen ist es auch in Co-Parenting-Familien möglich, dass Absprachen, die vor Geburt des Kindes getroffen wurden, anders interpretiert oder gelebt werden als ursprünglich vereinbart. Je nachdem wie schnell eine Familiengründung umgesetzt wird, ist es möglich, dass die Vertrauensbasis zwischen den Co-Parents noch nicht so intensiv aufgebaut werden konnte, wie es oft bei Eltern in langjährigen romantischen Partnerschaften der Fall ist. Dies kann zu Konflikten in Co-Parenting-Konstellationen führen. Ein weiter Aspekt sind die rechtlichen Rahmenbedingungen, die alternative Familienformen aktuell vor Herausforderungen stellen."


Welche Folgen hat es, wenn ein Co-Parent sich neu verliebt und eine neue Familie gründen will?

"Ob und inwiefern eine Familenneugründung Auswirkungen auf das bestehende Co-Parenting-Verhältnis hat, hängt in erster Linie von den Absprachen der Co-Parents ab. Grundsätzlich hat dies also keine negativen Auswirkungen auf die Co-Parenting-Beziehung, solange sich die Co-Parents an ihre getroffenen Absprachen und Verpflichtungen gegenüber ihrem gemeinsamen Kind halten."

Welche Auswirkungen hat Co-Parenting auf Kinder?

"Psychologische Studien zeigen, dass die Form der Familienkonstellation keinen Einfluss auf das Wohlergehen von Kindern hat. Für das Wohlergehen der Kinder zählt, dass sie von ihren Bezugspersonen Liebe erfahren und dieses Verhältnis von langfristiger Stabilität geprägt ist. Solange diese beiden Voraussetzungen erfüllt sind, spielt die Form der Familie also keine Rolle."

Worauf sollte man in rechtlichen Sinnen achten?

"Die gesetzlichen Rahmenbedingungen in Deutschland stellen alternative Familienmodelle vor Herausforderungen, da sie noch nicht an die vielfältig gelebte Realität von Familie angepasst wurden. Dies betrifft beispielsweise Kinderwunschbehandlungen, die rechtliche Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren und vor allem das Sorgerecht. Nach deutschem Recht können maximal zwei Erwachsene das Sorgerecht für ein Kind tragen. Mehrelternschaft ist somit ausgeschlossen."

Ist Co-Parenting tatsächlich ein Trend?

"Auf jeden Fall wird dieses Familienmodell immer beliebter. Eine wachsende Gruppe sind aktuell Männer, die sich eine noch aktivere Vaterrolle wünschen, als ihnen das klassische Ernährer-Modell ermöglicht. Diese Männer wünschen sich eine Rolle als aktiver Familienvater und Hausmann. Das Co-Parenting-Modell wird dann oft in Kombination mit einer erfolgreichen Karrierefrau umgesetzt."

Fazit: Familie ist bunt

Co-Parenting ist eine relativ neue Möglichkeit einen Mann zum Vater zu machen, auch ohne Ehe und Partnerin. Der Vorteil: Auf diesem Weg kannst du eine Vaterschaft nach deinen genauen Wünschen und Vorstellungen gestalten. Aber natürlich sollte das im Vorfeld sehr gut überdacht werden. Dabei kann dir dieser Artikel helfen, aber auch sicher dieses Buch: "Co-Parenting und die Zukunft der Liebe: Über post-romantische Elternschaft".