Gemeinsame Kindererziehung nach Trennung: So funktioniert es

Lösungen für Trennungsväter
Wie man gemeinsam erzieht, wenn man sich als Paar getrennt hat

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Zuletzt aktualisiert am 27.09.2023
Wie man gemeinsam erzieht, wenn man sich als Paar getrennt hat
Foto: Shutterstock/antoniodiaz

Wie kann gemeinsame Kindererziehung nach einer Trennung funktionieren? Diese Frage stellen sich viele Eltern, die vor dem Ende ihrer Beziehung stehen. Die Soziologin Professor Nina Weimann-Sandig von der Evangelischen Hochschule Dresden ist dieser Frage in ihrem Buch "Weil Kinder beide Eltern brauchen: Neue Perspektiven nutzen – faire Betreuungsmodelle finden – Hilfe für Trennungsfamilien" nachgegangen. Im Interview mit Men's Health Dad erklärt sie, wieso alte Rollenmuster hinterfragt werden müssen und wie man mit hochstrittigen Fällen umgeht.

Wie kann gemeinsames Erziehen auch nach einer Trennung funktionieren?

"Entscheidend ist: Die Vielfalt von Familienformen darf nicht bei der Trennung enden. Ein mögliches Konzept, um weiterhin gemeinsam zu erziehen, ist das Wechselmodell. Bei diesem Modell wechselt das Kind in regelmäßigen Abständen zwischen den elterlichen Wohnungen, häufig im Wochentakt. Es stellt einen Gegenentwurf zum Residenzmodell dar, das immer noch in den meisten Fällen praktiziert wird. Hierbei wohnt das Kind beim betreuenden Elternteil – meistens der Mutter – und ist jedes zweite Wochenende sowie in den Ferien beim anderen Elternteil zu Besuch. Dieser ist unterhaltspflichtig."

Welches gemeinsame Ziel sollten getrenntlebende Eltern verfolgen?

"Das primäre Ziel sollte immer eine außergerichtliche Einigung sein. Das Familiengericht sollte stets die letzte Instanz sein, nicht die erste. Denn: Mit dem Gang vors Gericht geben Eltern viele Entscheidungen außer Hand. In der UN-Kinderrechtskonvention ist das Recht aller Kinder auf beide Eltern verankert. Dieses wird jedoch meiner Meinung nach nicht geachtet. In Deutschland hören Eltern sowie Jugendämter und Gerichte sehr wenig auf den Willen des Kindes und berücksichtigen diesen kaum."

Was muss sich ändern, damit Erziehung nicht mehr primär als Frauensache betrachtet wird?

"Geschlechtsspezifische Rollen müssen hinterfragt werden. Hier muss sich etwas ändern. Alleinerziehende sind zum Großteil immer noch Frauen. Sie arbeiten oft in prekären Arbeitsverhältnissen oder gar freiberuflich, um die Arbeit mit der Kinderbetreuung vereinbaren zu können. Gleich verteilte Arbeitsteilung befähigt Mütter, Karriere zu machen, der Teilzeitfalle zu entgehen und sich selbst zu verwirklichen, auch neben dem Beruf. Das ist die beste präventive Maßnahme, um Altersarmut vorzubeugen."

Wie können Väter nach einer Trennung weiterhin ihre Vaterrolle bestmöglich wahrnehmen?

"Grundsätzlich sollten sich Väter - genauso wie Mütter - überlegen, wie sie ihre Elternrolle gestalten wollen. Was wollen sie ihren Kindern mitgeben, welche Normen und Werte sind ihnen wichtig? Dabei ist zu beachten, wie alt das Kind ist und wie weit die Elternteile voneinander entfernt leben. Väter dürfen auch gerne aktiv sein und Vorschläge einbringen. Argumentiere auf Augenhöhe und vermeide Schuldzuweisungen. Versuche es mit einem Satz wie 'Ich habe mich beraten lassen und mit Blick auf das Alter unseres gemeinsamen Kindes würde ich Dir gerne folgendes vorschlagen …' Stelle auch die Vorteile dieser Lösung für die Kindsmutter dar, zum Beispiel mehr freie Zeit für sich, bessere Arbeitsmöglichkeiten oder weniger Fahrzeiten. Gerade in Trennungssituationen kann dies die Brücke sein, um wieder Vertrauen zu schaffen."

Wie wichtig ist eine stabile Vater-Kind-Beziehung für die Entwicklung des Kindes?

"Es gibt international zahlreiche Studien, die zeigen, wie wichtig Väter im Leben ihrer Kinder sind. Erwachsene, die von ihren Vätern verlassen wurden, haben häufig ihr Leben lang mit Bindungsängsten zu kämpfen und sind oftmals nicht in der Lage, stabile Beziehungen einzugehen. Auch die Neigung zu Angstzuständen und Depressionen ist erhöht. Insofern ist eine stabile Vater-Kind-Beziehung wichtig. Dafür ist es nie zu spät. Die Behauptung, dass Väter, die sich in den ersten Lebensjahren des Kindes wenig gekümmert hätten, ihren Anspruch auf eine bessere Vater-Kind-Beziehung verwirkt hätten, ist falsch. In meiner Forschung habe ich oft erleben dürfen, dass gerade die Trennung ein bedeutender Einschnitt für Väter ist, durch den sie ihre Vaterrolle stark reflektieren und eine Bestandsanalyse machen. Was haben sie bisher versäumt und warum? Mit der Trennung rückt, weil eben der Verlust des Kindes im Raum steht, die Vaterrolle in ein neues Licht. Ich halte das für eine gute Sache."

Wie kann die Vater-Kind-Beziehung gestärkt werden, wenn sie bereits vor der Trennung nicht intakt war?

"Wenn der Vater bislang im Leben des Kindes eine geringe Rolle gespielt hat, dann muss er dem Kind nun auch Zeit geben zu erkennen, dass er es anders machen möchte. Man kann ein Kind nicht zwingen, sofort anzuerkennen, dass sich was geändert hat. Wir Menschen sind Gewohnheitswesen, wir stellen uns nur langsam um. Wenn wir genug Zeit zur Umstellung haben, dann gelingt das sehr viel stressfreier als durch Druck. Schwierig wird es dann, wenn die Väter trotz aller Wünsche, zu schnell zu fordernd sind. Da geht es für mich auch gar nicht um die Mütter. Es geht um die Kinder."

Wie geht man am besten mit hochstrittigen Fällen um?

"Hochstrittige Fälle und Gewaltfälle sind besonders schwierig. Hierfür müssen die Angebote an Mediationen ausgebaut werden. Eine Mediation ist ein Verfahren zur konstruktiven Beilegung eines Konfliktes, die auf Freiwilligkeit beruht und durch einen unbeteiligten Dritten durchgeführt wird. Das Problem ist: Diese Maßnahmen werden staatlich nicht gefördert. Das heißt: Sie ist immer noch denen vorbehalten, die die finanziellen Mittel haben. Dabei ist die richtige Verständigung entscheidend. Der Weg zu gemeinschaftlicher Sorge wird geebnet durch gute Kommunikation, das sehe ich auch in meiner praktischen Arbeit."

Mit welchen Methoden kann das in der Praxis umgesetzt werden?

"Ich setze in meiner täglichen Arbeit auf digitale Hilfsmittel, wie dem 'mirror board'. Hier können Eltern Gefühle, Wünsche und Forderungen beschreiben, die vom anderen gelesen werden. Kommunikation braucht Sender und Empfänger. Man muss alles tun, um Eltern wieder dazu zubringen, miteinander zu kommunizieren, um eine Vorenthaltung des Kindes vorzubeugen. Dabei ist es wichtig, die Paarebene von der Elternebene klar zu trennen. Rachegedanken durch verletzte Gefühle sind menschlich, aber man darf nicht sich in den Vordergrund stellen, sondern das Kind. Ohne eine funktionierende Kommunikation kommt es sonst häufig zu einem völligen Kontaktabbruch. Das gilt es natürlich zu vermeiden."

Inwieweit tragen politische Weichenstellungen wie die Vaterschaftsfreistellung zu mehr Akzeptanz von engagierten Vätern bei?

"Die Vaterschaftsfreistellung ist ein wichtiges Signal, denn in Deutschland fehlt es bisher an einer Väterpolitik. Die Familienpolitik ist noch zu wenig darauf ausgerichtet, den Vätern den Umfang von Care-Arbeit zu ermöglichen, den wir immer von ihnen fordern. Der kollektive Aufschrei darüber, dass nach wie vor Frauen einen Großteil der Sorgearbeit leisten und diese Belastung beinahe unsichtbar ist, ist innerhalb der Gesellschaft sehr groß. Gleichzeitig macht die Forschung aber auch darauf aufmerksam, dass es unbedingt familienpolitische Instrumente braucht, die Vätern mehr Möglichkeiten einräumen, gleichberechtigte Sorgearbeit zu leisten."

Was machen andere Länder bei der gleichberechtigten Erziehung nach einer Trennung besser?

"Es fängt schon bei der Wortwahl an. Andere Länder haben mit dem Begriff 'Shared Parenting', also gemeinsame Elternschaft nach der Trennung, aus meiner Sicht eine ganz andere Weichenstellung vollzogen als Deutschland mit dem Begriff des 'Wechselmodells'. Der Begriff Wechselmodell wird assoziiert mit Kindern, die hin- und hergerissen sind zwischen zwei Haushalten. Gemeinsame Elternschaft hingegen wird assoziiert mit der Verantwortung, die wir Elternteile eingehen, wenn wir Kinder in die Welt setzen: nämlich für sie da zu sein und ihren Lebensweg zu begleiten. Aus meiner Sicht beeinflusst die Begriffswahl dann auch die familienpolitischen Instrumente: Unterstützung von Eltern, die gemeinsame Elternschaft nach der Trennung praktizieren, etwa durch kostenfreie oder kostengünstige, individuelle Beratung, Coaching und Supervision, wie zum Beispiel in Schweden oder Online-Beratungen und Kommunikationsboards wie in Großbritannien. Andere Länder nehmen also die Möglichkeit der gemeinsamen Elternschaft nach der Trennung sehr viel ernster, als wir in Deutschland das bisher tun. Hierzulande wird nach wie vor vieles nach dem Residenzmodell ausgerichtet: die Meldung des Kindes, das Kindergeld, Unterhaltsforderungen. Es wird immer noch davon ausgegangen, dass Kinder primär bei der Mutter wohnen. Den Vätern wird in Deutschland viel zu wenig zugetraut und die Mütter werden in traditionelle Rollenmuster gepresst. Eine zeitgemäße Nachtrennungspolitik sieht für mich anders aus."

Nach einer Trennung ist es wichtig, dass der Vater und die Mutter gemeinsam daran arbeiten, ihr Kind zu erziehen. Offene Kommunikation, klare Absprachen und gegenseitiger Respekt können dabei helfen, eine stabile Umgebung für das Kind zu schaffen. Die geplante Vaterschaftsfreistellung würde es auch dem Vater ermöglichen, sich neben seiner Arbeit stärker an der Erziehung seines Kindes zu beteiligen.