Mental Load: Dieses Problem belastet wirklich jede Beziehung

Streit zwischen Mutter und Vater
Mental Load: Dieses Problem belastet wirklich jedes Elternpaar

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Zuletzt aktualisiert am 14.05.2025
Mutter und Vater stehen Rücken an Rücken
Foto: Shutterstock.com / NDAB Creativity

Wer plant das Abendessen? Wer geht dafür einkaufen? Wer kocht später? Wer trägt den Elternabend in den Familienkalender ein? Und wer geht dann auch hin? In den meisten Familien lautet die Antwort: die Frau. Die Partnerin. Die Mama. Für Außenstehende unsichtbar rattern deshalb unendliche To-do-Listen durchs weibliche Gehirn und sorgen so für Druck, Stress und miese Stimmung. Man sieht das Ganze nicht, aber neuerdings hat es wenigstens einen Namen: Mental Load.

Die Berliner Bloggerin und Autorin Patricia Cammarata hat vor einigen Jahren ein Buch zu diesem noch recht jungen Phänomen geschrieben: "Raus aus der Mental-Load-Falle: Wie gerechte Arbeitsteilung in der Familie gelingt". Letztes Jahr hat sie ein zweites Buch zu einem ähnlichen Thema nachgelegt, mit dem Titel "Musterbruch. Überraschende Lösungen für wirkliche Gleichberechtigung". Men’s Health Dad hat die Psychologin in einem Interview die wichtigsten Fragen zum Mental-Load-Phänomen beantwortet – sodass auch Männer die Problematik erkennen (und vor allem beseitigen) können.

Was ist überhaupt Mental Load?

Mental Load kann man frei übersetzen als die 'Last des Dran-Denkens'. In der freien Wirtschaft ist der Begriff bekannt unter dem Namen 'Projektmanagement'. Dort ist es ein anerkannter, gut bezahlter Job und niemand käme jemals auf die Idee der Projektmanagerin auch noch die Umsetzung des Projekts (oder zumindest große Anteile davon) aufzubürden. Im Privaten bezeichnet Mental Load die geistige und emotionale Last, die eine Person trägt, damit der Alltag für alle Familienmitglieder funktioniert. Mental Load ist im Grunde unabhängig vom Geschlecht, allerdings zeigt die Realität, dass Mental Load in den meisten Fällen von Frauen getragen wird, und zwar unabhängig von der eigenen Erwerbstätigkeit. Sie denken an alles und tragen Sorge, dass das Familienleben rund läuft. Mental Load umfasst dabei insbesondere die Beziehungspflege sowie das Auffangen persönlicher Bedürfnisse und Befindlichkeiten.

Warum reden plötzlich alle (Frauen) von Mental Load?

Es hilft, für dieses Phänomen einen Namen zu haben. Als ich den Begriff das erste Mal hörte, war es wie eine langersehnte Diagnose. Endlich wusste ich, warum ich ständig so dauererschöpft war. Bis dahin dachte ich nämlich, es sei mein individuelles Problem und ich wäre allein damit, zu schwach und womöglich zu schlecht organisiert. So geht es sehr vielen Frauen und es erleichtert ungemein zu erkennen, dass man nicht allein und vor allem, dass man nicht schuld ist.

Wer hat den Begriff eigentlich erfunden?

Den Begriff gab es in der Soziologie schon lange. Populär geworden ist er durch das Comic "The Mental Load: A Feminist Comic" der französischen Illustratorin Emma. Sie hat den Begriff aus der Wissenschaftsecke in den Alltag geholt und so gut visualisiert, dass es den Betroffenen wie Schuppen von den Augen gefallen ist.

Warum leiden vor allem Frauen darunter?

Zum großen Teil ist das ein Problem der gesellschaftlichen Ansichten und der Sozialisierung. Frauen lernen schon früh, dass sie fürs Kümmern zuständig sind. Ihnen wird mitgegeben: Egal, was du später an Erwerbsarbeit leistest: Du wirst für Familie und Haushalt zuständig sein – das ist dein Hoheitsgebiet. Es wird auch unterstellt, dass Frauen das irgendwie in den Genen oder im Blut liegt, dass wir das sogar gerne machen. Und weil wir das gerne machen, brauchen sie auch keine Anerkennung dafür. Es ist ja selbstverständlich. Die aktuelle Vermächtnisstudie sowie der WSI Report der Hans-Böckler-Stiftung bestätigen das: Mental Load tragen vor allem Frauen.

Patricia Cammarata
PR (Sophie Weise-Meißner)

Trifft Mental Load nur Frauen mit Kindern?

Nein, ich höre oft von Frauen ohne Kinder, dass sie auch Mental Load für ihren Partner und den gemeinsamen Haushalt tragen. Sie erinnern ihre Männer daran, dass deren Mütter Geburtstag haben, planen das gemeinsame Essen, halten Blumen am Leben und geben dem Mann das Gefühl, dass der Seifenspender nie aufgefüllt werden muss, sondern an einem unerschöpflichen Reservoir von Seife angeschlossen ist. Der Mann lebt ein unbeschwertes Leben und in seinem Kopf rattert abends keine ewige To-do-Liste.

Welche Auswirkungen hat Mental Load auf die Liebe?

Wenn man Mental Load nicht teilt, kommt es irgendwann zu einer Überlastung und die Frau rutscht langsam Richtung Burnout. Ein konstruktiver Austausch ist dann nur noch schwer möglich. Oskar Holzberg, ein bekannter Paartherapeut, hat mal gesagt: 'Aus Überforderung wird Forderung.' Das fand ich sehr passend. Denn am Ende streiten die Paare dann nicht mehr um Verantwortlichkeiten und To-dos, sondern um Verletzungen und darum, dass sie sich alleingelassen fühlen. Das macht es dann sehr schwierig über Mental Load zu sprechen, denn es werden plötzlich Sach- und Beziehungsebene vermischt.

Hat die Corona-Krise das Problem verschärft?

Ja, absolut, vor allem bei den Paaren, die es sich leisten konnten, vieles auszulagern. Da, wo Gleichberechtigung eben nicht bedeutet hat, dass beide Partner sich kümmern und den Umfang ihrer Erwerbsarbeit anpassen, sondern eine andere Person bezahlt wurde, To-dos zu übernehmen – also eine Putzfrau, ein Au-pair, eine Wäscherei, ein Babysitter. Die Frau war da von der Umsetzung entlastet, hatte aber noch die Organisation in den Händen, was aber mit der Erwerbstätigkeit vereinbar war. Zu Corona kommen dann plötzlich die Kinder, die mit Essen versorgt werden wollen und Unterstützung im schulischen Bereich benötigen. All die externe Unterstützung ist ja weggebrochen. Wenn dann der Mann ein höheres Gehalt als die Frau hat, ist schnell klar: Haushalt und Kinder, das ist jetzt der Vollzeitjob der Frau. Ob sie das mit ihrer Erwerbsarbeit hinbekommt, muss sie dann schauen und wenn nicht, dann muss sie Stunden reduzieren oder Worst Case kündigen.

Wenn man moderne Paare befragt, ob sie sich Sorgearbeit gerecht aufteilen, antworten die meisten aber mit Ja? Wie kommt das?

Das Phänomen nennt sich 'gefühlte Gleichberechtigung'. Die Schieflage zeigt sich nämlich erst, wenn man konkrete Details der Aufgabenverteilung abfragt: Wer sieht, dass es mal wieder Zeit ist, dem Kind die Fingernägel zu schneiden und macht das auch? Wer hat im Kopf, wann das nächste Kita-Fest ansteht und macht sich Gedanken, was man beisteuert? Wer weiß, wann Elternabend ist und trägt den Termin in den Kalender ein und stellt eine Teilnahme sicher? Dass es sich anders anfühlt liegt daran, dass Paare in der Regel gemeinsam Entscheidungen fällen. Das Entscheiden ist laut einer Untersuchung der US-Soziologin Allison Daminger aber nur ein Aspekt von Mental Load. Mental Load umfasst vielmehr, nämlich:

1. Antizipieren (zukünftige Entwicklungen vorhersehen)

2. Möglichkeiten identifizieren (darauf zu reagieren)

3. Entscheiden (siehe oben)

4. Fortschritt (der Entscheidung) überwachen

Die anderen drei Dimensionen sind meistens fest in Frauenhand. Sie scannen den Alltag permanent und entwickeln unter Berücksichtigung aller anderen Faktoren ständig mögliche Lösungswege, die sie dem Partner vorstellen. Das Paar entscheidet dann gemeinsam (oder der Partner 'nickt den Vorschlag der Frau ab') und dann macht sich die Frau an die Umsetzung (oder aber sie bittet den Mann darum, achtet dann aber darauf, dass alles rechtzeitig und auf die Art umgesetzt wird, die zu dem gewünschten Ergebnis führt).

Woran erkenne ich, dass meine Partnerin unter Mental Load leidet?

Ich glaube, die meisten werden es daran merken, dass die Frau dauererschöpft wirkt und man das Gefühl hat, sie ist im Kopf immer ganz woanders. Persönlich ist mir jede Leichtigkeit und vor allem der Humor abhandengekommen. Ich war ganz verkniffen und alles musste immer genau nach meinem Plan ablaufen. Da hätte es wahrscheinlich sehr geholfen, wenn der Mann einfach gefragt hätte: Was kann ich tun, damit wir mal wieder einen entspannten Abend haben? Was kann ich dir abnehmen? Worüber wollen wir mal sprechen? Ich will dich nicht allein mit allem lassen, weiß aber nicht genau, wie ich mich einbringen kann. Ich weiß, das ist jetzt Zusatzaufwand für dich, aber ich wünsche mir, dass wir in Zukunft die Last gemeinsam tragen.

Podcast-Tipp: Unsere Expertin war auch schon mal Gast in unserem Podcast, hier geht es zum Gespräch:

Wie können Mann und Frau gemeinsam das Problem lösen?

Das größte Problem am Mental Load ist, dass er unsichtbar ist. Deswegen finde ich, sollte man das ganze Problem wirklich wie klassisches Projektmanagement angehen:

1. Bestandsaufnahme: Das heißt möglichst kleinteilig zusammentragen, wer was wann wie oft macht und auch markieren: Wer denkt dran und initiiert den Prozess.

2. Besprechungsroutine: Am besten im Wochenrhythmus, bei der Aufgaben und Verantwortlichkeiten verteilt werden und man alles bespricht: Wer macht wann was?

3. Retrospektive: Die ist alle paar Monate nötig: Wie lief es? Was lief gut, was schlecht? Warum? Was muss umverteilt werden? Welche Aufgaben kann man dauerhaft abgeben? Welche Aufgaben sollte man rotieren, um Wissen und Kompetenz aufzubauen? Also im Wesentlichen reden, reden, reden.

Und nicht vergessen: Wenn man Ausfallsicherheit und Hochverfügbarkeit in der IT gewährleisten will, muss man auf Redundanz setzen. Das heißt, es geht in erster Linie gar nicht um Effizienz, sondern darum, dass beide Partner kritisches Wissen und entsprechende Kompetenzen vorhalten und das gilt dann sowohl für Care- als auch Erwerbsarbeit. Daran zu arbeiten, dass die Frau auch einen guten Job hat, mit dem sie wesentlich zum Familieneinkommen beiträgt, ist dann ebenso wichtig. Aber das ist noch einmal ein zusätzliches Thema.

Können auch Männer von dem Mental-Load-Problem betroffen sein?

Klar. Allerdings sehr viel seltener. Es gibt sogar Studien, die zeigen, dass in Familien, in denen die Frau mehr erwerbsarbeitet und deutlich mehr als der Mann verdient, mehr Care-Arbeit übernimmt, denn sie hat a) ein schlechtes Gewissen ihrem Mann gegenüber (weil sie so viel mehr verdient, das ist schließlich eine Männerdomäne), und b) verlangen die Lebensumstände es, dass dem Mann die 'degradierende Hausarbeit zugemutet' wird.

Was unterscheidet dein neues Buch 'Musterbruch' von deinem vorherigen Buch 'Raus aus der Mental Load Falle'?

Das Vorgängerbuch befasst sich mit einem bestimmten Phänomen: mit der Mental Load als unsichtbaren Teil der Sorgearbeit. Musterbruch ist unabhängig davon und kein zweiter Teil. Musterbruch befasst sich mit Mustern in unserer Gesellschaft, welche die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern zementieren. Es beantwortet viele naheliegende Fragen: Warum ist das eigentlich so, dass Frauen sich für Familie und Kinder zuständig fühlen? Wieso sehen Väter ihre Verantwortung in den Familien auch heute noch hauptsächlich im Geldverdienen? Wie werden Ungerechtigkeiten im Patriarchat am Leben gehalten? Welche Muster haben wir gelernt und vor allem wie durchbrechen wir sie endlich? Und: Wie sinnvoll ist es für unsere Gesellschaft eigentlich, dass Gleichberechtigung aktuell so verhandelt wird, dass Frauen alles tun sollen, was Männer tun und wir das Füreinander-Sorgen immer mehr als lästige Pflicht wegschieben?

Fazit: Geteiltes Leid, ist halbes Leid

Mental Load ist auf den ersten Blick ein Problem der Frauen. Wer aber genauer hinschaut, der erkennt sehr schnell: Der Mann ist der eigentliche Schlüssel zur Beseitigung dieses Problems. Dabei hilft im ersten Schritt die Anerkennung des Sachverhaltes und ein offenes Gespräch mit der Partnerin. Wer das scheut, kann natürlich auch erst einmal mit einem Coach über seine Partnerschaft sprechen. Danach ist aber ein Gespräch mit der Partnerin unbedingt vonnöten. Und ein altes Sprichwort, dass immer noch seine Gültigkeit hat: Geteiltes Leid, ist halbes Leid.