Fifty-fifty – geht das auch mit Baby? Viele Eltern wünschen sich eine wirklich gleichberechtigte Partnerschaft. Doch oft scheint dieser Wunsch schon mit der Geburt des Kindes zu scheitern – vor allem, weil die Mutter das Baby stillt.
Stillberaterin Ramona Noll widerspricht: Im Interview mit Men's Health Dad erklärt sie, warum Väter in der Stillzeit unverzichtbar sind – und weshalb auch Männer ihren neuen Ratgeber "Obenrum frei" lesen sollten.
Ihr Buch trägt den Titel "Obenrum frei". Was steckt für Sie persönlich in diesem Titel?
Niemand muss stillen. Ich möchte nur, dass die, die stillen wollen, auch können und dürfen. Das drückt für mich "Obenrum frei" aus: Ich bin informiert über meine Körperfunktionen, über medizinische Vorteile für beide Seiten, weiß um den Struggle, der entstehen kann. Wenn ich aufgeklärt bin, kann ich im doppelten Sinne obenrum frei entscheiden.
Und da geht es für mich politisch schon los. Es gibt zu wenig Aufklärung über unsere Körper im Allgemeinen und über die Brust im Speziellen. Stillen hat keine Lobby, weil man damit weniger Geld verdienen kann. 2024 wurden in Deutschland zirka 1,21 Milliarden Euro Umsatz mit Babynahrung gemacht. Wenn jetzt eher 70 bis 80 Prozent ihr Baby bis zum 6. Monat voll stillen würden, anstatt wie bisher nur 40 Prozent, wäre das mit Sicherheit ein Ding in der Branche. In der Öffentlichkeit werden Stillende immer noch des Platzes verwiesen oder gebeten, sich zu bedecken. Arbeitsrechtlich gibt es nur Regelungen bis zum ersten Geburtstag des Kindes, danach leider nicht mehr.
Wenn man einen Blick auf das Inhaltsverzeichnis ihres Buches wirft, könnte man meinen, dass Stillen wirklich schwierig ist und es viel Vorbereitung, Arbeit und Mühe kostet. Ist das so?
Jein. Einerseits kann man für die Brust nicht viel vorbereiten, außer sich gut um seinen Körper kümmern. Andererseits empfehle ich jeder schwangeren Person, sich mit dem Stillen zu beschäftigen. Je mehr ich weiß, desto weniger bin ich anfällig für Halbwahrheiten und Mythen. Ich weiß, wo ich Hilfe bekomme, was es für Hilfsmittel gibt, usw. Stillen an sich kann wunderschön sein, ist aber wie ein Sport: Am Anfang bedarf es viel Übung und Training. Und natürlich ist es auch körperlich anstrengend und kann zehren. Die Empfindung ist aber sehr individuell.
Was erleben Sie während Ihrer Arbeit als Stillberaterin? Sind Paare heute gut informiert oder fehlt da etwas beim Wissen der werdenden und jungen Eltern? Was wünschen Sie sich, dass alle Menschen über das Stillen wissen sollten?
Wir leben nur noch selten in der Großfamilie, haben wenig Still-Vorbilder, um am Modell zu lernen. Gleichzeitig gehen unsere Intuition und unser Körpergefühl flöten, wir wollen alles planen und tracken. Viele junge Eltern sind über die Schwangerschaft und Geburt aufgeklärt, aber dann hört es auf. Mir ist wichtig, dass alle wissen: Stillen ist zwar natürlich, aber wird sozial erlernt. Es läuft nicht instinktiv problemfrei wie bei den Tieren. Und dann gibt es einfach so viele Wege zum Stillen, wie es Babys und Brüste gibt.
Sie erleben, dass Frauen erst ihren Mann fragen müssen, ob sie sie als Stillberaterin – eine Leistung, die die Kassen oft nicht übernehmen und privat gezahlt werden muss – leisten können, obwohl die Frau mit blutigen Brustwarzen dasitzt und Hilfe braucht. Was erleben Sie in Ihrer Arbeit in Bezug auf die Rollenbilder in Familien?
Ja, das stimmt. Die verzweifelte Frau mit Schmerzen aus der Hölle muss erst ihren Mann um Erlaubnis fragen. Das kommt nicht selten vor. Es gibt Familien, die sich gut aufteilen, organisieren, und wo der Mann erkannt hat, dass er, auch wenn er nicht stillt, sehr viele andere Aufgaben übernehmen und seine Partnerin entlasten kann. Gleichzeitig gibt es aber auch immer noch sehr viele klassische Modelle: Der Mann hat kurz Urlaub nach der Geburt, geht wieder arbeiten und die Frau wuppt alles alleine. Inklusive Stillen. Wenn wir von 8 bis 12 Stillsessions in 24 Stunden ausgehen, die auch locker mal 25 bis 45 Minuten dauern können, sehen wir schnell: Da bleibt nicht viel übrig vom Tag. Erwartet werden aber ein sauberes Heim und eine fröhliche Frau.
Kritiker behaupten manchmal, Stillen führe automatisch zu einer ungleichen Lastenverteilung, und das kann dadurch gelöst werden, dass das Kind die Flasche bekommt. So könne der Vater mit der Flasche automatisch mehr Verantwortung übernehmen. Sie widersprechen. Warum?
Die Ernährungsform eines Kindes kann nicht dafür verantwortlich sein, wie ich meine Partnerschaft und das Elternsein gestalte. Nach 4 Monaten stillen in Deutschland nur noch 40 Prozent der Frauen voll. 6 Monate voll zu stillen, sind empfohlen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass die ganzen Stay-at-home-Daddys ihre Kinder mit der Flasche füttern, während die Mutter Karriere macht. Der Blick ist immer noch schief: Wenn der Vater nach der Geburt wieder arbeiten geht, sagen die Leute: Na klar, er muss sich um seine Karriere kümmern. Geht die Mutter nach der Geburt wieder arbeiten, ist sie eine Rabenmutter. Nimmt er das Kind mit zur Arbeit, ist das süß, sie hingegen wirkt unprofessionell und unorganisiert, wenn sie das gleiche tut. Wir sollten über diese Themen sprechen, nicht dem Stillen die Schuld an Ungerechtigkeiten geben.
Wie kann denn eine gleichberechtigte Partnerschaft beim Stillen gelingen – Stichwort Equal Care und Mental Load?
Kommunikation. Wir müssen darüber sprechen, was wir leisten, was zu tun ist, was wir übernehmen können, was nicht, was wir gerne abgeben würden, was wir brauchen, um einen Ausgleich zu finden. Ein wichtiger Schritt ist, erst einmal zu sehen und anzuerkennen, was eine stillende Person leistet. Und wie viel Zeit sie neben dem Stillen zur Verfügung hat.
Stellen Sie sich vor, dass Stillen zu 100 Prozent gesellschaftlich anerkannt wäre: Wie sähe diese stillfreundliche Gesellschaft genau aus? Was müsste sich konkret ändern, wenn Sie an heute denken?
Spätestens in der Grundschule würde im Sachunterricht über das Stillen gesprochen werden. Nahezu alle Mütter stillen, wodurch die Menschen daran gewöhnt wären. Stillberatung würde von der Krankenkasse übernommen, wenn es überhaupt gebraucht wird, da die Begleitung der Mutter ab der Geburt selbstverständlich und auf höchstem Standard laufen würde. Es gäbe weniger Brustkrebs, Zivilisationskrankheiten gingen deutlich zurück, alle Menschen lebten gesünder. Dazu müsste sich politisch einiges ändern: bessere Bildungsarbeit, strengerer Kodex, was Ersatznahrung angeht, qualifizierteres Personal und bessere Versorgung und Begleitung Stillender.
Welche konkreten Rahmenbedingungen bräuchten Mütter in Deutschland, um Stillen und Arbeiten besser vereinbaren zu können – und was müssten Arbeitgeber und Kolleg:innen darüber wissen?
Bis zum ersten Geburtstag haben Stillende ein Anrecht auf bezahlte Pausen zum Stillen oder Pumpen. Das bringt viele in die Bredouille, da meistens der erste Geburtstag auch der erste Arbeitstag ist, das Abstillen aber nicht auf Knopfdruck geht oder auch noch gar nicht gewünscht ist. Diese Regelungen müssen also ausgeweitet und vor allem auch bekannt gemacht werden.
Was können Männer tun, um ihre Partnerin beim Stillen wirklich zu unterstützen – jenseits von Windeln wechseln und Spülmaschine ausräumen?
Sehen, anerkennen und wertschätzen, was sie leistet. "Mothering the mother" bedeutet, dass auch die gerade gewordene Mutter eine Umsorgung braucht. Gutes Essen, immer was zu trinken - denn Stillen macht durstig - eine Berührung, eine Umarmung oder eine Massage.





