Wenn meine dreijährige Tochter sich über mich ärgert, sagt sie seit kurzem: "Du alte Dame!" Oder: "Du dummer Wicht!" Als Mutter und Vater schmunzelt man. Ihr siebenjähriger Bruder hat da schon andere Flüche und Beleidigungen auf Lager. Viele stammen aus der Fäkalsprache, rund um Pipi, Kacka und Pups.
Auch das Wort "Scheiße" kennen meine Kinder bereits. Mitunter vergehen ganze Nachmittage, an denen sich Bruder und Schwester gegenseitig Beleidigungen entgegenschleudern – und sich vor Lachen auf dem Boden kugeln. Furzteufel nochmal! Was fasziniert kleine Kinder so sehr an Schimpfwörtern? Und wie sollte man als Eltern darauf reagieren?
Warum wir fluchen
"Für die meisten Kinder sind Schimpfwörter wie Arschloch oder Wichser ganz normale Wörter, deren Bedeutung sie oftmals noch nicht verstehen", sagt die Sprachwissenschaftlerin Oksana Havryliv, Professorin an der Universität Wien. Sie beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit Schimpfen und Schimpfwörtern. In ihrem jüngsten Buch "Nur ein Depp würde dieses Buch nicht kaufen" fasst sie die Ergebnisse ihrer langjährigen Forschung populärwissenschaftlich zusammen.
"Erst durch unsere Reaktion verleihen wir diesen Wörtern eine Bedeutung", sagt Havryliv. Wenn Großeltern vor Schreck die Hand vor den Mund schlagen oder ältere Geschwister laut auflachen, merken Kinder: Das ist ein besonderes Wort. Und benutzen es gezielt, um weitere Lacher hervorzurufen oder um Erwachsene zu provozieren. Aber das sei noch nicht alles. In ihrer Forschung hat Havryliv über 20 verschiedene Funktionen identifiziert, die das Schimpfen und Fluchen erfüllen kann, bei Erwachsenen und bei Kindern. Wir alle schimpfen am häufigsten bei Ärger und Frust, um uns abzureagieren. Auch der Wunsch nach Aufmerksamkeit kann dahinterstecken, wenn Kinder vor ihren Eltern immer wieder Fäkalwörter sagen. Und manchmal beleidigen Kindergartenkinder andere Kinder präventiv, um sich vor verbalen Angriffen zu schützen.
Neue Wörter auszuprobieren, sei für Kinder ganz normal und gehöre zu einer gesunden Sprachentwicklung dazu, sagt Havryliv – auch mit Schimpfwörtern. Viele Kinder schnappen die Kraftausdrücke im Kindergarten auf oder hören sie von älteren Geschwistern. Gar nicht mal so selten hören Kinder die Wörter zuerst von den eigenen Eltern. Schließlich fluchen auch wir Erwachsenen. Im Schnitt zehnmal am Tag und besonders häufig beim Autofahren, wie Studien zeigen.
Wann kindliches Fluchen harmlos ist
Bis in die Achtzigerjahre hinein war es noch üblich, Kindern zur Strafe den Mund auszuwaschen, wenn sie ein Schimpfwort wie "Scheiße" ausriefen. Heute sind solche rabiaten Erziehungsmethoden zum Glück nicht mehr üblich. Dana Mundt ist Sozialpädagogin bei der bke-Onlineberatung, einem Angebot der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung. Eltern und Jugendliche finden dort anonym und kostenlos Hilfe von professionellen Fachkräften. Mundt sagt: "Solange Kinder niemanden gezielt beleidigen, dürfen Eltern das Fluchen mit Humor und Gelassenheit nehmen oder es einfach ignorieren." Wenn sie keine große Aufmerksamkeit erzeugten, verlören Kraftausdrücke bei Kindern schnell wieder ihren Reiz.
Das Spiel meiner Kinder, bei dem sie sich lachend Wörter wie "alte Kacka-Bombe" oder "blöder Doofkopf" zurufen, sei ein Beispiel, wie Kinder spielerisch mit Sprache experimentieren und nicht weiter schlimm – solange es von beiden Kindern als Spaß empfunden wird. Störe man sich als Eltern an der Fäkalsprache, gebe es aber Möglichkeiten, sie den Kindern wieder abzugewöhnen. "Bei manchen Kindern klappe es bereits, ein Beleidigungswort durch ein liebevolles Wort zu ersetzen", sagt Oksana Havryliv. Ihr eigener Sohn habe als Kleinkind eine Zeitlang "Ach du mein liebes Mamilein" geflucht und damit für allgemeine Heiterkeit gesorgt.
Was gegen das Fluchen hilft
"Als harmlose Alternative zu Schimpfwörtern wie Scheiße und Mist können Eltern ihren Kindern Fantasie-Flüche anbieten", sagt Expertin Havryliv. "Krawutzi Kaputzi" oder "Potzblitz" zum Beispiel. Auch Dana Mundt empfiehlt Eltern, fantasievoller mit Sprache umzugehen. Ruft der Dreijährige lachend "Kacka", könne man das zum Anlass nehmen, um gemeinsam lustige Wörter zu sammeln. "Purzelbaum", "Wackeldackel" oder "Papperlapapp". So lenkt man die Aufmerksamkeit des Kindes spielerisch weg von den Fäkalwörtern.
Im Internet bietet ein Schimpfwort-Generator Anregungen für lustige Wortkombinationen. Heraus kommen Flüche wie "müffelnde Stampfrübe" oder "öliger Schrottbüffel." Auch KI bietet eine Spielwiese für diese Art von Wortwitzen. Das Ziel sollte immer sein, gemeinsam zu lachen und nie andere zu beleidigen.
Wann sollten Eltern einschreiten?
"Wenn Kinder Kraftausdrücke bewusst und gezielt einsetzen, um andere zu herabzuwürdigen, wird es problematisch", sagt Mundt. "Du blöder Papa", "Arschloch" oder "du bist dumm" können Beispiele dafür sein. Auch vermeintlich harmlose Beleidigungen wie "Baby" zum kleinen Bruder könnten das kleinere Kind kränken. Dann sollte man eingreifen. Auch wenn Kinder Begriffe wie "behindert" oder "schwul" als Schimpfwörter verwenden, sollten Eltern einschreiten.
Eltern können sich mit ihrem Kind in einer ruhigen Situation hinsetzen und ihnen erklären, dass und warum diese Wörter keine Beleidigung sind. Eltern sollten sich dann mit ihrem Kind hinsetzen und es freundlich fragen, warum es das Wort verwendet hat und ob es die Bedeutung verstehe. Anschließend sollten sie dem Kind mit wenigen Sätzen klarmachen, dass sie damit andere Menschen kränken können.
Wie sich Kinder sonst noch wehren können
"Wenn kleine Kinder andere beschimpfen, ist das oft auch ein Ausdruck sprachlicher Unreife", sagt Mundt. Viele Kinder wissen sich noch nicht anders zu helfen und fangen an zu schreien, wenn ihnen ein anderes Kind ein Spielzeug wegnimmt.
Wie es besser geht? "Eltern sollten ihren Kindern beibringen, ihre Gefühle zu benennen", sagt Mundt. Statt zu rufen: "Du bist kacke!", könnten Kinder lernen, zu sagen: "Ich habe gerade mit der Schaufel gespielt. Du hast sie mir weggenommen und das macht mich traurig. Bitte gib mir meine Schaufel zurück." So lösen Kinder Konflikte friedlich und stärken nebenbei ihr Empathievermögen. Wichtig ist es auch, als Eltern mit gutem Beispiel voranzugehen. "Auch als Erwachsener kann man das noch lernen und so vermeiden, andere Menschen zu beleidigen", sagt Oksana Havryliv.
Warum Eltern das Fluchen der Kinder peinlich ist
Zuhause reagieren viele Eltern gelassen, wenn ihr Nachwuchs fröhlich "Scheiße" trällert. In der Öffentlichkeit ist es vielen Eltern jedoch peinlich, wenn ihr Kind wie ein Kesselflicker flucht. Im Wartezimmer des Kinderarztes beobachtete Havryliv einmal ein Mädchen, welches das Hinterteil der Katze im Bilderbuch als "Arsch" bezeichnete. Dem Vater war die Wortwahl seiner Tochter sichtlich peinlich. Immer wieder korrigierte er sie: "Das heißt doch Popo."
"Manchmal verwenden Familien vulgäre Wörter im Scherz, innerhalb des eigenen Zuhauses", sagt Havryliv. Kleine Kinder könnten noch nicht beurteilen, was man in der Öffentlichkeit lieber nicht sagt. Dann komme es je nach Aufenthaltsort zu lustigen oder peinlichen Situationen. Je vulgärer die Sprache der Kinder, desto eher schließen wir auf einen geringen Bildungshintergrund der Familie. "Dabei muss das nicht so sein", sagt Havryliv. Schließlich würden alle Menschen fluchen und auch Hochschulabsolventen sich nicht immer nur gewählt ausdrücken.
In ihrer Forschung hat Havryliv untersucht, wie Männer und Frauen verschiedener Bildungsgruppen schimpfen. Dabei betrachtete sie drei Gruppen: Menschen ohne Abitur, mit Abitur und mit einem Hochschulabschluss. Sowohl Frauen als auch Männer tendierten dazu, hinter dem Rücken anderer zu schimpfen, anstatt die direkte Konfrontation zu suchen. "Nur Männer ohne Abitur neigten etwas mehr zu direkter verbaler Aggression", sagt Havryliv. Ansonsten stellte sie keine Unterschiede fest. Auch bei den Schimpfwörtern nicht. Zum Abschluss hier noch ein kleiner Buchtipp für alle Großen, die ihre Wut in Zukunft anders kanalisieren möchten: "Fuck: Das ultimative Schimpf- und Fluchmalbuch für Erwachsene".
Fazit: F**k! Nicht zu fluchen, ist gar nicht so leicht!
Um meinen Kindern das Fluchen wieder abzugewöhnen, habe ich es nun eine Zeit lang mit den "Olchis" versucht. "Schleimeschlamm und Käsefuß". Ein wenig hat es geholfen. Die Fäkalwörter werden seltener. Vielleicht sollte ich das zum Anlass nehmen, um im Alltag ebenfalls weniger zu fluchen. Schließlich, so fiel es mir beim Schreiben dieses Artikels auf, sage ich ziemlich häufig "Fuck". Ich werde es mal mit dem Schimpfwortgenerator probieren. In diesem Sinne: Potzblitz!