Kind krank? Warum Väter nicht immer der Mutter den Besuch beim Kinderarzt überlassen sollten

Vater-Kind-Bindung
Warum Väter nicht immer der Mutter den Besuch beim Kinderarzt überlassen sollten

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ArtikeldatumVeröffentlicht am 17.09.2025
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Ein Vater misst bei seiner kleinen Tochter Fieber mit Hilfe eines Thermometers
Foto: Shutterstock.com /George Rudy

"Da muss ich erst die Mama fragen!" Diesen Satz hören die zwei Kinderärzte Dr. Nibras Naami und Dr. Florian Babor vom Medizin-Podcast "Hand, Fuß, Mund" öfter, wenn sie den Vater eines kleinen Patienten fragen, wann die letzte U-Untersuchung war oder welche Impfungen gemacht wurden.

Die beiden Mediziner, die hauptberuflich in einer Düsseldorfer Kinderklinik auf der Onkologie arbeiten, behaupten, dass Männer im Hinblick auf Gesundheitsfragen noch ziemlich viel Luft nach oben haben. Im Interview mit Men's Health Dad erklären die zwei Väter, woran das liegt.

Wie verändert das Vatersein euren Blick auf die Medizin – und insbesondere auf die jungen Eltern in euren Praxen?

Florian: Vater zu werden, hat bei mir wirklich alles verändert. Plötzlich bist du nicht mehr nur Arzt, sondern du verstehst die Sorgen und Ängste der Eltern auf einer viel tieferen Ebene. Besonders in der Kinderonkologie, wo die Belastung enorm ist. Diese emotionale Nähe zu den Eltern entsteht, wenn man selbst erlebt hat, wie verletzlich das eigene Kind sein kann. Das hat mich demütiger gemacht – und auch empathischer.

Nibras: Bei mir war es ganz ähnlich. Ich habe durch meinen Sohn eine neue emotionale Tiefe entwickelt, besonders im Umgang mit Neugeborenen. Vorher war da auch eine gewisse Distanz – heute pack ich das Kind selbst an, beruhige es, trage es. Das hat mir eine ganz neue Nähe zu meinen kleinen Patient:innen gegeben – und eine neue Verantwortung.

Viele Gesundheitsthemen scheinen in Familien immer noch Muttersache zu sein. Seht ihr da Veränderungen?

Nibras: Es gibt beides. Ich sehe Väter, die nichts über ihr krankes Kind sagen können und sofort die Mutter anrufen müssen. Und ich sehe Väter, die allein mit zwei Kindern zur Untersuchung kommen und alles im Griff haben. Klar, da tut sich was – und das ist gut so. Aber ja, es gibt auch noch die klassischen Rollenverteilungen.

Florian: In meiner Anfangszeit waren Väter bei Arztterminen selten. Heute kommen sie viel öfter mit – manchmal sogar beide Elternteile. Es ist ein gesellschaftlicher Wandel, der sich auch in der Klinik zeigt. Trotzdem erleben wir auch heute noch Väter, die erst zur letzten Chemotherapie-Glocke erscheinen – und vorher nie da waren. Das ist erschreckend und traurig.

Dr. Nibras Naami und Dr. Florian Babor vom Kindermedizin-Podcast "Hand, Fuß, Mund"
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Was müsste sich ändern, damit sich mehr Väter aktiver in Gesundheitsfragen einbringen?

Florian: Es braucht Zeit, Vertrauen und einen bewussten Perspektivwechsel. Väter müssen lernen, dass sie genauso wichtig sind – auch wenn sie am Anfang biologisch etwas weniger "dran" sind. Stillen ist nicht alles. Nähe, Körperkontakt, Wickeln – das sind Schlüssel zur Beziehung. Wer früh anfängt, wird später auch gefragt, wenn's ernst wird.

Nibras: Väter müssen Verantwortung einfordern – und dürfen sich nicht immer aus der Affäre ziehen. Gleichzeitig wäre es wünschenswert, dass auch Geburtsvorbereitungskurse und Nachsorgeangebote mehr auf die Rolle des Vaters eingehen.

Was haltet ihr von Erste-Hilfe-Kursen für Eltern?

Nibras: Absolutes Muss! Ich sage immer: Du darfst kein Auto ohne Führerschein fahren – warum dann ein Kind ohne Erste-Hilfe-Wissen betreuen? Es gibt so viele Angebote, von Onlinekursen über reale Trainings bis zu Kursen mit Puppen. Ich finde: Ein Erste-Hilfe-Kurs ist das beste Geschenk zur Geburt.

Florian: Und es bringt echte Sicherheit. Gerade in Notfällen wie Verschlucken, Fieberkrämpfen oder Atemstillstand kann Wissen über Leben und Tod entscheiden. Außerdem stärkt es auch die Bindung, weil man sich als Elternteil besser vorbereitet fühlt.

Viele Mythen aus der Vergangenheit halten sich hartnäckig – was regt euch besonders auf?

Nibras: Die neuen Mythen! Dass Vitamin-K-Gabe giftig sei, Impfungen gefährlich – das ist brandgefährlich. Diese Falschinformationen verbreiten sich rasant auf Social Media, oft ohne jede Evidenz. Wir als Ärzte arbeiten evidenzbasiert – das ist ein massiver Unterschied zu dem, was manche Influencer:innen verbreiten.

Florian: Und das Schlaftraining aus den 90ern: Babys allein weinen lassen, bis sie einschlafen – das ist keine Erziehung, das ist emotionale Vernachlässigung. Wir brauchen Nähe, Sicherheit, Bindung. Kein Kind schläft gut, wenn es Angst hat.

Podcast-Tipp: Unsere beiden Experte waren auch schon mal zu Gast in unserem Podcast, hier geht's zum Gespräch:

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Wie können wir Kindern heute helfen, ein gesundes Verhältnis zu Gefühlen aufzubauen – gerade Jungs?

Nibras: "Ein Indianer kennt keinen Schmerz" – das ist einer der schlimmsten Sprüche überhaupt. Wenn Jungs lernen, ihre Gefühle zu unterdrücken, dann beginnt das emotionale Problem oft schon in der Kindheit. Wir sehen das später in Depressionen und Suiziden. Deshalb müssen wir von Anfang an zeigen: Gefühle sind okay. Auch ein Vater darf weinen, wenn sein Kind geimpft wird – das ist kein Makel, das ist Mitgefühl.

Florian: Genau das zeigen wir auch in unserem neuen Kinderbuch. Es geht um Empathie, um kindgerechte Medizin – und um Väter, die mitfühlen. Auch bildlich: Eine Szene zeigt Vater und Kind, beide mit Tränen – weil das gemeinsame Erleben zählt.

Was war euch bei eurem neuen Kinderbuch besonders wichtig?

Nibras: Wir wollten Kindern die Angst vor der Arztpraxis nehmen – aber auch Eltern sensibilisieren. Unser Buch zeigt vielfältige Familien, ehrliche Gefühle und reale Szenen aus der Praxis.

Florian: Uns war auch wichtig: Papa darf mal allein mit dem Kind zur Impfung. Das signalisiert Verantwortung. Und wir wollten zeigen, dass Aufklärung und Emotion zusammengehören – das ist das Herzstück unserer Arbeit.

Fazit: Gesunde Neugier zahlt sich aus

Du möchtest mehr erfahren über unsere zwei Experten und ihr Spezialgebiet, die Kinder- und Jugendmedizin? Dann hör dir doch mal den Podcast der beiden an: "Hand, Mund, Fuß" oder lies mal ihr Sachbuch "Kompass Kindermedizin". Und begleite dein Kind nicht nur öfter zum Kinderarzt, sondern bleibe auch Zuhause, wenn der Nachwuchs mal krank ist. Laut einer aktuellen Statistik der Krankenkasse Barmer haben im Jahr 2024 Mütter rund 296000 Anträge auf Kinderkrankengeld eingereicht, Väter hingegen aber nur 109000-mal. Das ist leider keine gesunde Verteilung.