Es ist der Klassiker: Statt fröhlich um den Adventskranz herum oder unterm Weihnachtsbaum zu sitzen, gibt es Streit unter den Eltern! Die Gründe? Erwartungen, die nicht zusammenpassen. Oder die Tatsache, dass eine Person (meistens leider immer noch die Mutter) die komplette Verantwortung für die Feiertagsplanung trägt. Ein Phänomen, das sogar einen Namen hat - Mental Load. Julia Strobel kennt die Problematik nur zu gut: Sie berät als Coach Väter und Eltern zu dem Themenkomplex Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aber das Problem begegnet der Mutter von zwei kleinen Kindern natürlich auch abseits ihrer beruflichen Praxis - in ihrer eigenen Familie. Zusammen mit ihrem Mann Dirk hat sie Men's Health Dad in einem Interview ihre besten Tipps für eine stille Nacht verraten.
Wann und wo kracht es typischerweise zwischen Paaren rund um Weihnachten am häufigsten?
Julia: "Streit gibt es oft wegen Kleinigkeiten. Aber Ursache sind meistens unsere unterschiedlichen Vorstellungen von Weihnachten. Menschen haben ganz verschiedene Kindheitserinnerungen in Bezug auf die Feiertage. Entsprechend unterscheiden sich die Erwartungen. Dazu kommt, dass tatsächlich oft die Frau alle Planung im Kopf hat, es aber einfach keinen richtigen Austausch darüber gibt. Und das fängt nicht erst bei den Festtagen an. Der gesamte Dezember ist meist dicht gefüllt mit Weihnachtsfeiern und sonstigen Terminen. Das führt schnell zu Überlastung und Frust."
Dirk: "Außerdem sind oft mindestens zwei Familien mit allen Angehörigen unter einen Hut zu bringen. Da stellt sich die Frage: Wann wird wo gefeiert? Man will es allen recht machen und fährt dafür am Ende durch halb Deutschland. Aber auch wenn ihr die Gastgeber seid, ist es wichtig, dass ihr euch als Paar während der Feiertage nicht verliert. Einmal am Tag eine halbe Stunde ein Spaziergang zu zweit kann eine gute Möglichkeit sein, den Kopf freizubekommen und sich eine Auszeit füreinander zu schaffen."
Die Frau kocht 5 Stunden, der Mann schneidet den Weihnachtsbraten an. In vielen Familien herrscht an Weihnachten noch immer die klassische Rollenverteilung. Wie können Paare das anders machen?
Julia: "Erst einmal solltet ihr euch bewusst sein, dass Menschen dazu tendieren, unter Stress schnell in alte Muster zu verfallen. Hilfreich ist sicher, sich zu fragen: Wie haben meine Eltern Weihnachten gefeiert, was verbinde ich mit dem Fest – und wie will ich es selbst haben? Ähnlich oder ganz anders? Außerdem hilft es natürlich, wenn Paare bereits unter dem Jahr lernen, die Verantwortung im Alltag zu teilen. Dafür gibt es Tools wie den klassischen Familienkalender oder auch einen festen Termin pro Woche für Absprachen. Läuft das im Alltag, gibt es auch an Weihnachten weniger Stress."
Dirk: "Gut ist auch, das Ganze zu entzerren. Also Geschenke nicht erst im Dezember zu planen und zu besorgen. Oder sich zu fragen: Reicht es, wenn die Kinder ein sauberes T-Shirt anhaben, oder müssen sie Festtagskleider tragen? Dann stellt sich nämlich die Frage: Wer besorgt die und zieht sie ihnen an?"

Wie macht ihr das selbst an Weihnachten? Was läuft gut, wo seht ihr noch Potenzial zur Veränderung?
Julia: "Dirk backt zum Beispiel nicht gern Plätzchen. Dann findet das eben nicht statt. Oder nur, wenn ich mir am Wochenende die Zeit dafür nehme. Das ist auch in Ordnung für mich. Letztlich geht es darum, sich darüber klar zu werden: Was ist für mich ein absolutes Must-have – und wo bin ich bereit, loszulassen? Oft ist das Problem, wenn Väter in der Familie Verantwortung übernehmen, dass sie es wie die Mutter machen sollen. Das aber funktioniert nicht. Zu akzeptieren, dass zwei Menschen Dinge unterschiedlich angehen, ist ein wichtiger erster Schritt. Auch für Kinder kann das übrigens ein tolles Vorbild sein."
Dirk: "Ich habe bis vor zwei Jahren als Geschäftsführer eines Unternehmens gearbeitet. Wir haben auch da schon über Mental Load gesprochen und einander unterstützt, aber letztlich war unsere Aufgabenverteilung ziemlich klassisch. Ich kam um sieben Uhr nach Hause, wenn der Tag schon weitgehend gelaufen war. Seit zwei Jahren übernehme jetzt ich die Care-Arbeit, und Julia arbeitet Vollzeit. Das hat unser gesamtes Familienleben verändert. Vor allem haben wir beide ein ganz anderes Verständnis für die Verantwortung, die damit verbunden ist. Das zeigt sich auch bei der Planung der Weihnachtstage."
Was hilft an Weihnachten, den Mental Load fairer zu verteilen?
Julia: "Werdet euch klar: Wie wollen wir als Kernfamilie Weihnachten feiern? Nehmt euch die Zeit, das in Ruhe zu besprechen. Dann müssen alle Aufgaben auf den Tisch: Welche Geschenke müssen besorgt werden? Wer macht das Essen? Welche Weihnachtsfeiern in Schule und Kita stehen an und was muss dafür organisiert werden? Schritt für Schritt könnt ihr dann klären, wer was bis zu welchem Termin erledigt. Wichtig ist, dass ihr dabei zwischen der konkreten Aufgabe und der Verantwortung für den gesamten Prozess entscheidet. Mental Load zu teilen bedeutet, dass ihr die Verantwortung teilt. Die Dinge, die der eine übernimmt, hat der andere damit komplett aus dem Kopf."
Dirk: "Listen sind enorm hilfreich bei der Planung. Ebenso ein digitaler Kalender, in dem Termine für alle Familienmitglieder einsehbar sind oder auch der klassische Familienplaner in der Küche. Letztlich geht es darum, dass nicht eine:r das Wissensmonopol hat. Die Information muss verteilt sein. Das hilft übrigens auch enorm, wenn eine:r plötzlich, zum Beispiel wegen Krankheit, ausfällt. Der oder die andere weiß dann trotzdem, was zu tun ist."
Was haben Paare eigentlich davon, den Mental Load zu teilen?
Dirk: "Letztlich gibt es Sicherheit. Du weißt, alle sind auf demselben Stand und können sich im Notfall gegenseitig unterstützen. Außerdem kann ich wirklich sagen: Seitdem ich in unserer Familie die Care-Arbeit von A bis Z übernehme, kann ich Situationen mit unseren Kindern besser einschätzen. Ich bin einfach näher am Familienleben dran. Früher kam ich oft erst nach dem Abendessen nach Hause, merkte, die Stimmung ist irgendwie mies, aber hatte keine Ahnung, was los war. Ich konnte gar nicht adäquat reagieren. Heute ist das anders."
Julia: "Über Mental Load zu sprechen und die Verantwortung in der Familie zu teilen bringt auch für uns als Paar eine ganz neue Tiefe mit sich. Wir erzählen einander nicht nur davon, was am Tag passiert ist, sondern teilen ein ähnliches Erleben. Das verbindet uns sehr. Und nicht zuletzt ist es für unsere Kinder toll: Sie haben jetzt zwei Menschen an ihrer Seite, die wissen, was sie gerade beschäftigt und was sie brauchen. Insgesamt ein echter Gewinn für uns als Familie!"
Was ist euer Tipp für Paare, die jetzt sagen: Los geht's, wir wollen dieses Jahr die Care-Arbeit an Weihnachten fair teilen?
Julia: "Seht euch als Team. Ihr seid als Elternpaar wie die Doppelspitze eines Unternehmens. Klärt, was zu tun ist und verteilt die Aufgaben inklusive der Verantwortung dafür. Hilfreich ist sicher ein fester Termin pro Woche, den ihr euch dafür freihaltet. Eine halbe Stunde reicht – wichtig ist, dass ihr dranbleibt und beide wissen, was ansteht."
Dirk: "Gleichzeitig solltet ihr euch bewusst sein, dass ein Rollenwechsel nicht von einem Tag auf den anderen funktioniert. Als ich angefangen habe, die Care-Arbeit zu übernehmen, habe ich Fehler gemacht und erst nach und nach wirklich verstanden, was alles daran hing. Lasst euch bei diesem Prozess also auch gern begleiten. Erlaubt euch, Fehler zu machen und probiert Neues aus. Hinterher könnt ihr schauen: Was hat gut geklappt und was lassen wir lieber wieder?"
Fazit: Stille Nacht ohne lauten Streit
Eine kleine Anekdote von Julia zum Schluss: "Dirk hat letztes Jahr zum ersten Mal komplett die Verantwortung fürs Weihnachtsessen übernommen. Und er wollte etwas richtig Exotisches kochen. Da musste ich schon lernen, loszulassen. Am Ende war das Menü ganz anders als die Jahre davor, aber es hat allen super geschmeckt. Das war toll!" In diesem Sinne wünschen wir euch ein friedvolles Weihnachtsfest!