Patchworkfamilie: So nimmst du als Papa jede Hürde

Patchwork als Herausforderung
Wie eine Großfamilie zusammenwächst

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Veröffentlicht am 23.04.2025
Viele große und kleine Hände symbolisieren Zusammenhalt
Foto: Shutterstock.com / Anatoliy gleb

Neue Elternrollen wollen gefunden, alte Beziehungen gepflegt werden - eine Patchwork-Familie bringt viele neue Herausforderungen mit sich. Oliver Panzau kennt das aus eigener Erfahrung. Der systemische Familien- und Vätercoach und Host des Podcast "Patchwork Geschichten" lebt seit 2017 mit seiner Frau, 2 Kindern aus erster Ehe, einem gemeinsamen Kind und 2 Bonuskindern in Bargteheide bei Hamburg.

Durch seine Arbeit als Trennungscoach und Patchworkfamilien-Berater möchte er aus Vätersicht aufklären und Mut für neue Familienmodelle fern von alten Rollenmodellen machen. Im Interview mit Men's Health Dad schildert er Stolpersteine, zeigt Lösungswege auf und erklärt, wie man Verantwortung und Entspannung in Einklang bringt.

Vor welchen Herausforderungen und Unsicherheiten stehen Patchwork-Familien in der gemeinsamen Findungsphase?

Der Start in das Leben als Patchwork-Familie ist aus meiner Sicht gar nicht so kompliziert. Die großen Herausforderungen entstehen eher im Laufe der Zeit. Am Anfang steht eine neue Liebe, die viel Energie freisetzt. Beide Seiten konzentrieren sich stark auf das neue Familiengefüge und investieren viel Zeit und Kraft in dessen Gelingen. Im Prinzip kann man das mit der Zeit nach der Geburt eines leiblichen Kindes vergleichen. Die Probleme und Herausforderungen treten eher auf, wenn die neue Familienkonstellation zum Alltag wird. Ein Klassiker ist die Frage nach der eigenen Rolle gegenüber den Bonuskindern: Darf ich hier miterziehen, oder führt das zu Konflikten mit der neuen Partnerin? Will ich überhaupt eine Vaterrolle ausfüllen? Wie gehe ich damit um, dass ich ganz andere Werte in der Erziehung vermitteln möchte? Aus meiner Sicht ist es deshalb so wichtig, frühzeitig über die eigenen Vorstellungen zur Patchwork-Familie zu sprechen.

Gibt es einen Fehler, den du als neuer Bonus-Papa am Anfang gemacht hast?

Ich habe mir zu Beginn zu wenig Gedanken gemacht. Als Herzblut-Papa meiner eigenen Kinder habe ich mich sehr auf die neue Familienkonstellation gefreut und wollte für alle Kinder gleichermaßen da sein. Diese Energie war gut gemeint, aber nicht gut umgesetzt. Ein Schritt zurückzugehen und einen Blick auf die eigenen Grenzen und Bedürfnisse zu werfen, ist immens wichtig, um seine neue Rolle zu finden.

Oliver Panzau
Privat

Welche Grenzen und Bedürfnisse sollte man dabei im Blick behalten?

Als getrennt erziehender Vater bin ich in erster Linie für meine minderjährigen Kinder und mich verantwortlich. Erst danach kommen die Bonuskinder. Das klingt vielleicht hart, ist aber wichtig, denn sie haben bereits Eltern. Übrigens gehört zu meiner Verantwortung auch ein Stück weit meine Ex-Partnerin. Hat sie ein Problem mit meiner neuen Partnerin und überträgt diese Verletztheit auf meine Kinder, bin ich dafür verantwortlich und muss diese Probleme irgendwie lösen – auf Elternebene. Ich kann nichts für die Gefühle meiner Ex-Partnerin, aber ich kann dafür sorgen, dass die Kinder nicht zwischen die Fronten geraten oder es nicht zu Loyalitätskonflikten kommt. Dafür muss ich meine neue Rolle klar für mich abstecken. Dasselbe gilt natürlich auch für meine Vorstellungen an die Rolle meiner neuen Partnerin als Bonusmutter

Wie sieht es mit der Rolle der neuen Partnerin aus?

Ein Klassiker, den ich immer wieder bei Vätern erlebe, ist die starke Übernahme von familiärer Verantwortung durch die neue Partnerin. Der Vater war vielleicht schon in der letzten Beziehung nicht sehr involviert in der Care-Arbeit, und nun übernimmt seine neue Partnerin einen großen Teil der Familienaufgaben. Sie macht Hausaufgaben mit den Bonuskindern und verbringt viel Zeit mit ihnen. Genau das nimmt die leibliche Mutter oft als Konkurrenz um ihre Rolle wahr und wehrt sich dagegen. In dieser Konfliktsituation erlebe ich viele hilflose Väter, die zwischen den Stühlen stehen und nicht wissen, was sie tun sollen. Am Ende sind die Leidtragenden die Kinder. Deshalb ist es so wichtig, Verantwortung zu übernehmen, Klarheit zu schaffen und Grenzen zu setzen.

Du hast selbst zwei Bonuskinder. Wie hat es bei dir mit dem Beziehungsaufbau geklappt?

Das war ein langer, individueller Prozess mit Höhen und Tiefen. Ich habe aber gemerkt, dass unser Verhältnis immer am besten war, wenn ich nicht versucht habe, meine eigenen Werte und Ansprüche in Sachen Erziehung auf die beiden zu übertragen. Wenn ich ihnen mit Offenheit und ohne mahnenden Finger begegnet bin, war ich ein echter Bonus für ihr Leben. Habe ich aber versucht, sie nach meinen Vorstellungen zu erziehen, wurde ich schnell zum "doofen Stiefpapa". Ich bin der Überzeugung, dass wir als Bonusväter nicht unbedingt eine neue Vaterfigur sein müssen oder sollten – selbst wenn der leibliche Vater nicht sehr präsent ist. Das heißt nicht, dass wir nicht mal Ansprechpartner für Gefühle sein oder Partei in Konflikten ergreifen können. Aber grundsätzlich halte ich Zurückhaltung in Erziehungsfragen für die bessere Tugend als Bonusvater.

Gibt es Altersstufen, bei denen das Zusammenwachsen als Patchwork-Familie leichter fällt?

Jein. Mit 3 oder 4 Jahren können wir schon mit den Bonuskindern spielen und Unternehmungen machen. Sind sie in der Pubertät, kann es schwieriger sein, weil sie sich ohnehin von den Eltern abnabeln. Noch entscheidender als das Alter ist die Haltung der leiblichen Eltern zur neuen Partnerschaft.

Inwiefern ist die Haltung der leiblichen Eltern zur neuen Partnerschaft wichtig?

In meiner Beratungspraxis erlebe ich immer wieder, dass Loyalitätskonflikte ein großes Thema in Patchwork-Familien sind. Die neue Bonusmutter geht voll in ihrer Rolle auf, ohne der leiblichen Mutter den Platz streitig machen zu wollen. Aber die leibliche Mutter empfindet die neue Partnerin trotzdem als Konkurrenz und lehnt sie komplett ab. Oft werden dabei auch die Kinder zum Spielball, sie werden manipuliert und instrumentalisiert. Und dann wird das Zusammenwachsen sehr schwierig. Die Kinder merken, dass ihre Mama traurig wird, wenn sie Zeit mit der neuen Partnerin verbringen, und das führt oft zu einer Ablehnung – meist ganz unbewusst. Das kann in jedem Alter passieren.

Wie reagiere ich als Vater darauf?

Wie ich schon sagte, die Gefühlslage der Ex-Partner wird man nicht ändern können. Wichtig ist aber, Klarheit über die eigene Rolle gegenüber den leiblichen Kindern und den Bonuskindern zu haben. Das hilft ihnen ungemein. Sie können sich an dir orientieren und erleben keine zusätzliche Unsicherheit. Aber es kann natürlich auch passieren, dass die Kinder dich in solchen Momenten stark ablehnen und dir zeigen, dass sie keinen Bock auf dich haben. Diese Gefühle sind nicht verboten, und die Kinder sind auch nicht die Stellschraube, an der bei Loyalitätskonflikten gearbeitet werden sollte. Viel wichtiger ist es, sich Zeit zu nehmen, Gespräche zu führen und Lösungen zu suchen, um solche Konflikte aus der Welt zu schaffen. Dieser Weg ist allerdings oft lang und steinig, aber er lohnt sich, schon allein für die Kinder.

Podcast-Tipp: Unser Experte war auch schon mal Gast in unserem Podcast, hier geht es zum Gespräch:

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Wir haben jetzt öfter über die Rolle der leiblichen Mutter gesprochen. Wie wichtig ist ein gutes Verhältnis zwischen Bonusvater und leiblichem Vater?

Aus der Beratungspraxis kann ich sagen, dass das Verhältnis zwischen leiblichen Vätern und Bonusvätern eher entspannter ist. Es gibt weniger Konkurrenz um die Kinderliebe. Trotzdem solltest du dir schon Klarheit darüber verschaffen, wie du zu dem Erzeuger deiner Bonuskinder stehst. Nur weil er der Papa ist, musst du ihn nicht mehr oder weniger mögen. Übrigens gilt das auch für die Kinder selbst.

Ist der Satz "Ich muss meine Stiefkinder nicht mögen" nicht etwas schräg?

Ja, ich weiß, das klingt hart. Du kannst dir große Mühe geben, sie zu respektieren und zu versuchen, etwas aufzubauen, wenn du nicht sofort eine Verbindung spürst. Aber es ergibt keinen Sinn, sich ständig einzureden, dass du sie bedingungslos liebst, wenn du es überhaupt nicht fühlst. Das ist niemandem gegenüber fair. Viel wichtiger ist es, zu beobachten, wie viel Beziehung dir guttut. Egal, ob nun zu den Bonuskindern oder zu ihrem leiblichen Vater. Alles andere kann sich ja entwickeln. Manche Bonusväter bleiben stets kaum mehr als "Spielpartner", andere entwickeln sich zu echten Vaterfiguren. Manche Väter sehen sich alle paar Monate mal, andere gehen zusammen Basketball spielen und werden zu Freunden.

Als Patchworkpapa hat man also das Recht, seine Bonuskinder nicht auf Anhieb zu mögen. Gilt dieses Recht auch für die Kinder?

Natürlich. Diese Gefühle müssen wir ihnen zugestehen, auch wenn diese Ablehnung nicht immer leicht für uns Erwachsene ist. Wir sollten uns Räume für die Enttäuschung schaffen und das Gespräch mit der Partnerin suchen. Vielleicht finden wir gemeinsam eine Lösung und können schauen, wie es weitergeht.

Kann es auch zu einer Konkurrenzsituation zwischen den eigenen Kindern und den Bonuskindern kommen – zum Beispiel, wenn die Patchwork-Familie zusammenzieht?

Ja, das kommt durchaus vor. In solchen Situationen sind wir als Eltern gefragt. In unserem Patchwork-Podcast haben wir über einen Fall gesprochen, bei dem der eigene Sohn die Stiefschwester sehr stark ablehnte und alle schwierigen Emotionen aus der Trennungsphase auf sie projizierte. In diesem Fall hatte der Vater keinen echten Zugang zu seinem Kind und konnte kaum vermitteln. In einem anderen Fall hat eine zehnjährige Tochter ihren Vater vor die Wahl gestellt: entweder ich oder deine neue Partnerin und ihre Kinder. Dahinter steckt ein großer Hilferuf und eine große Zerrissenheit. Sie sieht ihren Vater vielleicht nur alle zwei Wochenenden und hat Angst, ihn an die Bonuskinder zu verlieren. Das sorgt für Eifersucht und Ablehnung. Umso wichtiger ist es, Gefühle anzunehmen und das Gespräch zu suchen – vielleicht auch mit der Ex-Partnerin und Stellen der Familienhilfe. Das gilt übrigens nicht nur, wenn Konflikte aufpoppen – ich halte es für immens wichtig, das eigene Kind regelmäßig zu fragen, wie es ihm geht und über seine Gefühle und Sorgen Bescheid zu wissen. Auch wenn sich die Kinder nicht immer öffnen werden, ist es sehr sinnvoll, am Ball zu bleiben. Immerhin vermittelt es ihnen das Gefühl, dass sich ihr Vater weiterhin für sie interessiert und bei Problemen ansprechbar ist.

Ist es sinnvoll, proaktiv die neue Rolle als Patchwork-Papa mit den Kindern durchzusprechen?

Ich bin davon ein großer Freund, aber mir fällt das Reden auch leicht. Das gilt nicht für alle Väter. Natürlich muss man immer schauen, wie viel man seinem Kind gerade erzählen möchte und womit es in seinem Alter umgehen kann. Und ich sollte nichts erzählen, was ich nicht halten kann. Natürlich kann ich meinem Kind versprechen, dass ich immer für es erreichbar und greifbar bin. Allerdings muss ich das auch halten können. Was ich damit sagen will: Ein Gespräch kann sinnvoll sein, aber wichtiger ist es, was du am Ende tust.

Eine funktionierende Patchwork-Familie zu sein, erscheint als eine Daueraufgabe mit vielen Akteuren – es sind viele Kompromisse und Absprachen nötig. Wird es irgendwann einfacher?

Ja, aber selten von allein. Es lohnt sich immer, sich mit seinen eigenen Vorstellungen von Familienwerten und sich selbst auseinanderzusetzen und an unseren Beziehungen zu arbeiten, aber in einer Patchwork-Familie wird es quasi zum Pflichtprogramm. Vielleicht verbessert sich dadurch das Verhältnis zur Ex-Partnerin, Kinder werden größer, vielleicht kann ich auch selbst wachsen. Vielleicht finden wir neue Strategien, um miteinander zu leben und eine erfüllte Beziehung zu führen. All das kann mit der Zeit leichter werden – vielleicht, weil man entspannter mit Dingen umgeht und Loslassen lernt. Aber es kommen neue Probleme oder besser gesagt Herausforderungen: Kinder verlassen das Haus oder wollen plötzlich beim anderen Elternteil leben. Vielleicht kommt noch eigener Nachwuchs dazu. Das wirft neue Fragen auf. Ist das System aber in sich und vor allem das neue Paar gestärkt und gibt es eine gute Kommunikation zwischen allen Beteiligten, kann man auch gemeinsam Antworten finden.

Fazit: Patchwork-Problem? Nein! Herausforderung? Ja!

"Wenn unsere Kinder lernen, dass ihre Eltern in der Lage sind, komplizierte, emotionale Situationen gemeinsam und vor allem friedlich zu bewältigen, bekommen sie ein hilfreiches Rollenmodell vorgelebt und können sich für neue Familienmodelle mit weniger Schuldgefühlen öffnen", sagt Experte Panzau. Wer mehr darüber wissen möchte, dem empfehlen wir das Buch "Aus Stiefeltern werden Bonuseltern: Chancen und Herausforderungen für Patchwork-Familien" von Jesper Juul.