Die Mode-Branche ist in Aufbruchstimmung, denn der Sustainability-Hype der letzten Jahre hat viel in Bewegung gesetzt. Herstellungstechniken und Materialien werden stetig verbessert und auch der Verbraucher zeigt, beispielsweise durch Initiativen wie "Fashion Revolution", ein neues Bewusstsein. Klar, gibt es darunter auch gut ausgearbeitete Greenwashing-Strategien, die mehr oder weniger bloß das eigene Gewissen (r)einkaufen. Aber entlang der gesamten Lieferkette etablieren sich immer mehr Neuerungen, die wahrhaft etwas verändern.
Eine neue Generation von Designern
"Ich bin der festen Überzeugung, dass in der Modebranche ein Paradigmenwechsel bevorsteht", sagt Professor Karin-Simone Fuhs. Sie ist Gründerin und Direktorin der Ecosign-Akademie für Gestaltung in Köln. Seit 1994 lehrt sie ihren Studierenden, dass Nachhaltigkeit ein komplexes System ist, bei dem alles zusammengehört: darunter die Wahl der Materialien und Verarbeitung, die Entwicklung von Modellen und zielgruppengerechten Produktlinien, die zum Beispiel durch Wertigkeit zu längeren Nutzungszyklen führen. "Das Thema ist immer stärker in den Mainstream vorgedrungen. Mein Eindruck ist, dass ein neues Denken angestoßen werden muss. Die alte Wegwerfmentalität muss überdacht werden, das kann zu einem kreativeren Umgang mit langlebigeren Produkten führen, die auf den Einsatz aggressiver Chemikalien verzichten und menschenwürdige Standards bei der Produktion etablieren." Ihrer Ansicht nach bleibt Mode weiterhin auch ein Erlebnis, allerdings mit einem Bewusstsein für alternative Materialien und individuellere Produkte.
Hanf, Ananas, Algen
Das Materialangebot wird immer kreativer: Auf der einen Seite gibt es einen Trend zu nachhaltigeren, pflanzlichen Fasern – beispielsweise aus Hanf, Bambus oder Holz – die allesamt mit weniger Wasser und Pestiziden angebaut werden können. Und auf der anderen Seite finden Materialien aus exotischen Zutaten wie Zitrusfasern, Ananasblättern, Algen, Soja oder Kaffee immer mehr Einsatz. Oftmals werden diese aus Nebenprodukten der Landwirtschaft oder Lebensmittelindustrie hergestellt. Ein Beispiel ist das erste Testkleidungsstück aus der sogenannten Nullarbor-Faser (lateinisch: "nullus arbor", was "kein Baum" bedeutet). "Das ist eine nachhaltige Alternative zu Rayon und Baumwolle", erklärt David Tyler, Professor für Modetechnologie am Institut für Mode der Manchester Metropolitan University. "Hierbei wird die Fermentation auf Mikrobenbasis genutzt, um Biomasseabfälle aus der Bier-, Wein- und Flüssiglebensmittelindustrie in mikrobielle Zellulose umzuwandeln." Na dann, Prost!
Alles hat ein Ende – oder etwa nicht?
Neben ganz pragmatischen Dingen wie der Optimierung von Textilmaschinen und dem Recycling von kontaminiertem Abwasser gibt es aktuell auch etliche Überlegungen zum Umgang mit so genannten Pre-Consumer Abfällen. "Das sind Abfallfasern, Abfallgarne und Abfallstoffe, die bei der Produktion anfallen. Die Rückführung dieser Abfälle in die Lieferkette ist häufig möglich, was zu Müllreduzierung und Kostensenkung führt", erklärt Professor Tyler. Aber auch alle fertigen Textilien erreichen irgendwann das Stadium, in dem sie unerwünscht sind und weggeworfen werden. Einige werden zur Erzeugung von Wärmeenergie verbrannt, der Rest wird deponiert. "Um das zu ändern, wird in eine Kreislaufwirtschaft von Textilien investiert. Die Vision ist es, Abfälle zu vermeiden und in Ressourcen für eine neue industrielle Runde umzuwandeln", so der Experte. Die Kreislaufwirtschaft ist eine viel diskutierte Alternative zur linearen Wirtschaft und wird zum Teil von der EU gefördert. "Allerdings werden Abfälle nicht durch Magie in nützliche Materialien umgewandelt. Es fallen Kosten an und die Finanzierung dieser Kosten ist die große Herausforderung für die Zukunft."

Sharing is caring
Einen anderen, aber nicht minder wichtigen Ansatz für eine bessere Modewelt sieht Tim Brown, Mitbegründer und Co-CEO von Allbirds in einer Zusammenarbeit der gesamten Branche. "Wir müssen Open-Source-Technologien einsetzen und unsere Ideen miteinander teilen." Allbirds hat 2018 für seine Sneaker ein nachhaltigeres EVA-Material aus Zuckerrohr auf den Markt gebracht und es für alle zur Verfügung gestellt. Das Ergebnis: In diesem Jahr werden mehr als 20 Unternehmen diesen alternativen SweetFoamTM in ihren Produkte verwenden und dadurch auf Plastik verzichten. Der Vorteil von Zuckerrohr ist, dass es eine vollständig erneuerbare Ressource ist, die schnell wächst und dabei Kohlenstoff bindet. "Wir haben vor kurzem beschlossen, all unsere Produkte mit einem CO2-Fußabdruck zu kennzeichnen, so dass jeder sehen kann, wie viel unsere Turnschuhe, Socken und Unterwäsche emittieren. Wir hoffen, dass die Kohlenstoff-Kennzeichnung für Verbraucher so selbstverständlich wird wie die Kalorien-Angabe auf Lebensmittelverpackungen."
Wann wird Nachhaltigkeit das neue Normal?
Trotz der Euphorie ist klar, dass wir uns erst am Anfang der Reise befinden. "In Sachen Nachhaltigkeit ist viel im Gespräch. Lieferketten können allerdings nur kleine, stufenweise Neuerungen einführen. Und am Ende steht immer noch der Gewinn, das hemmt eine Veränderung." Professor Tyler klingt aber nicht hoffnungslos. Für eine effektive Trendwende hält er jedoch legislative Forderungen durchaus für sinnvoll. "Wir haben noch einen langen Weg vor uns, bis Nachhaltigkeit die neue Norm ist. Wahrscheinlich wird bis dahin eine regulative EPR notwendig sein." Und mit dieser "Extended Producer Responsibility", meint er eine Strategie, die den Hersteller eines Produkts für dessen gesamtes Leben verantwortlich macht, besonders für seine Rücknahme, Recycling und endgültige Entsorgung. Auf mehr Herstellerverantwortung hofft auch August Bard Bringéus, Co-Gründer von Asket: "Ein signifikanter Wandel kann nur durch Gesetzes-Reformen erreicht werden. Ich befürworte definitiv eine Offenlegung und Meldung der eigenen negativen Ökobilanz. Zur Zeit bezahlen wir nichts für den Schaden, den wir unserer Umwelt zufügen, aber wenn wir die Industrie zur Rechenschaft ziehen, würde das eine so dringend notwendige Veränderung hervorrufen."
"Buy less, choose well, make it last"
So wandelt sich die Mode von morgen zu einem holistischen Statement. Das berühmte Zitat von Vivienne Westwood ist aktueller denn je und zeigt, dass wir als Verbraucher ebenso zur Verantwortung gezogen werden dürfen. Letztendlich geben wir mit jedem Kauf eine Stimme ab. "Bevor ich früher einen Krimi aufgeschlagen habe, griff ich lieber zum Telefon und rief bei einem großen Modelabel an, um nachzuforschen, woher das gewählte Produkt eigentlich genau kam", verrät Professor Karin-Simone Fuhs. "Ich bin der Meinung, dass nichts unversucht bleiben sollte, um für fairere Verhältnisse zu sorgen und jeder noch so kleine Schritt etwas bewirken kann. Wann es also tatsächlich soweit sein wird, liegt wohl an jedem von uns."