Pin-ups auf vier Rädern
Die coolsten Konzeptfahrzeuge

Sie sind emotional, dramatisch und manchmal sogar funktional. Concept Cars sind die Spielwiese des Autodesign-Departments
Coole Konzeptfahrzeuge: der Buick Y-Job von General Motors
Foto: PR

Sie sind das Herz und die Seele des Autodesign-Departments: Konzeptfahrzeuge dürfen unbeeindruckt von den Begrenzenungen ihrer plattgeistigen Serienmodell-Kollegen strahlen. Ihre Aufgabe: zukünftige Stilelemente und Entwürfe in Szene setzen und vermarkten.

Unbeeindruckt von den Begrenzungen ihrer plattgeistigen Serienmodell-Kollegen dürfen Showcars die Visionen ihrer Schöpfer bildhaft erstrahlen lassen. Dahinter steht eine einzige Aufgabe, Stilelemente zukünftiger Modell-Generationen auf öffentliche Reaktionen abzuklopfen und bahnbrechende Technologie medienwirksam zu vermarkten. Alles nur für die eine Sache: die längste Belichtungszeit für soviel Aufmerksamkeit wie möglich.

Der Erste
Harley Earl gilt als Erfinder der Auto-Studie. Der Leiter der Designabteilung beim US-Autohersteller General Motors entwarf 1939 den Buick Y-Job, bei dem als erstes Auto Klappscheinwerfer und elektrische Fensterheber verbaut wurden. Und noch ein Meilenstein fand den Weg in Earls üppigen Traum: der so genannte „Wasserfall“-Kühlergrill, von Schriftsteller Stephen King einmal treffend als „Maul eines Chromkrokodils“ beschrieben, hat sich bis heute als ein typisches Designelement der Buick-Modelle gehalten. Statt Go West hieß es damals Go Crazy.

Aber jede Chuzpe, aus der etwas werden soll, braucht einen klaren Ansatz. Schon der Kinderbuchautor Dr. Seuss wusste, dass verrückt sein manchmal eben nicht genug ist. Wie also läuft so was ab, wie wird aus einer verrückten Idee auf der Design-Spielwiese ein ausgewachsenes Concept Car aus Stahl?

Der „Blitz-Sketch“
Als erstes werden vom Interieur- und Exterieur-Department Skizzen erstellt, so genannte Blitz-Sketches. Das sind schnell auf Papier gebrachte Ideen, um den Prozess einzuleiten und Themenschwerpunkte festzulegen. Was repräsentiert das Unternehmen und welche Design das Modell? Sind die Ideen radikal genug und transportieren sie eine Vision?

Etwa 2009, da rief GM zu einem Global Sketch Blitz in seinen Departments auf, um Ideen für eine neue Corvette zu generieren. Ihr Interieur, fand die Chefetage, war nach der großartigen 1963er Sting Ray langsam in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Alle machten mit und drei Ideen kamen in die engere Auswahl. Am Ende wurde keine der drei genommen. Sie waren gut, entschied Design-Vizepräsident Ed Welburn, aber eben nicht großartig: „Start Over“.

Woher nehmen die Designer ihre Inspiration? Sie können aber müssen sie nicht zwingend aus einer lebensverändernden Erfahrung ziehen (siehe Lincoln). Oftmals sind es Impulse von der Architektur, Möbeln, der Natur oder, wie bei Cadillac, der Luftfahrt: das senkrechte Leitwerkfläche am Heck eines Flugzeugs führte zum Geistesblitz der Heckflosse, die nicht nur bei bei Cadillac die 50er und 60er Jahre prägen sollte.

Das maßstabgetreue Konzept-Modell
Steht das Design, wird ein maßstabgetreues Tonmodell angefertig. Das kommt auf einem Drehtisch und wird begutachtet, in die Sonne geschoben, um zu sehen wie es unter Naturlicht wirkt. Für ein möglichst wirklichkeitsnahes visuelles Abtasten studieren manche Unternehmen das Modell gar durch einen Rückspiegel. Danach wird das Modell eingescannt und eine computergesteuerte Maschine fräst eine Vollversion. Dann geht es ans Bauen, Feilen, Teile anpassen, Malen, Polieren– alles ohne sich zu sehr von der Original-Idee zu entfernen; zwischen Idee und fertiges Einzelstück liegen mitunter dutzende Zwischenschritte.

Nur wenige Prototypen erwachen zum Leben
Manche dieser Design-Ideen kommen nicht über den Zustand eines Miniaturmodells oder einer Computer-Grafik hinaus. Andere sind nicht funktionsfähige Skulpturen aus Stahl oder fahren langsamer als Ihre Oma gehen kann. Die Prototypen werden nach getaner Öffenlichkeitsarbeit zerstört oder ins Museum verschoben.

Andere bekommen ein zweites Leben geschenkt. So wurde das Lincoln Futura Concept Car (1955) des Lincoln-Mercury Chefdesigenrs Bill Schmidt, der von der Inspiration gebissen wurde, nachdem er während eines Tauchgangs einem Hai begegnet war, von einem Mann namens George Barris gekauft. Die Legende der Auto Customizer machte aus dem Lincoln Futura 1966 das erste Batmobil!

Wer ein Concept Car anschaut, heisst es, wagt ein Blick in die Zukunft, oder wie sie hätte werden können, in den Augen eines Auto-Designers...

Der Keil auf Rädern - Alfa Romeo Caimano

Für sein geplantes neues Serienmodell Alfasud, das mit technischen Neuerungen wie Frontantrieb und einem leistungsstarken Vierzylinder-Boxermotor aufgerüstet werden sollte, bestellte Alfa Romeo ein futuristisches Konzeptfahrzeug bei Autodesign-Legende Giorgio Giugiaro. Giugiaro war zuvor für die Designstudien des Fließheck-Geschosses Maserati Ghibli und des Sportwagens De Tomaso Mangusta verantwortlich, benannt nach einem kleinem Säugetier: dem Mungo, einem heldenhaften Kobra-Killer. Für Alfa Romeo griff Giugiaro erneut auf Analogien des Tierreiches zurück: Sein Concept Car bekam den reptiligen Zusatz Caimano.

Auf das um 20 Zentimeter verkürzte Chassis des Alfasud setzte er eine Sci-Fi Karosserie: Das zweisitzige Cockpit umschliesst eine raumschiffartigen Glaskuppel, die als Ganzes nach vorne aufgeklappt wurde und dem Caimano den Spitznamen Zeitmaschine einbrachte. Fahrer und Beifahrer liegen in Schalensitzen; für die tägliche Augenpflege gibt's integrierte Kopfstützen inklusive. Die A-Säule entfällt, B- und C-Säule formen hinter dem Cockpit einen Überrollbügel. Den hinteren Abschluss des Dachs bildet ein elektronischer Spoiler, der in vier Schritten bis zu einem Winkel von 32 Grad angestellt werden kann.

Der Knick in der Motorhaube des Caimano ist dem Boxermotor geschuldet: Der ist bereits extrem flach, aber Giugiaro hatte eine tiefe und damit noch flachere Front mit nur einem schlitzförmigen Kühlergrill im Sinn – der Motor ließ eine ebene Haube schlicht nicht zu. 1971 präsentierte Alfa den Caimano auf dem Turiner Automobilsalon.

Der lackierte Kampfstier - Lamborghini Miura SV

Wir wissen, was die Nerds unter Ihnen sofort schreien: Dieser Lamborghini ist KEIN Konzeptfahrzeug! Das erste echte Sportwagen Showcar vom italienischen Hersteller von Traktoren war der Lamborghini 350 GTV (1963). Sie haben Recht, der Miura liegt tatsächlich zwischen Konzeptfahrzeug und Serienmodell. Er wurde 1971 beim Genfer Autosalon als Vorserien-Fahrzeug vorgestellt. Aber: Es handelte sich immerhin um ein echtes Einzelstück, das Teile des Vorgängermodells Miura S übernahm und neue Elemente einführte, die die späteren SV Modelle auszeichneten. Zufrieden? Es wäre auch eine Schande, Ihnen diese Schönheit wegen der Wahrheit vorzuenthalten.

Die Autokarosserie stammt vom italienischen Edel-Design Unternehmen Bertone (das mittlerweile pleite ist). Pünktlich zum 50. Geburtstag des Miura 2016 präsentiert Polo Storico, die Abteilung für klassische Fahrzeuge bei Lamborghini, diesen Restaurierten Miura SV in original Verde Metallizzato (grün-metallic) lackiert. Mit dem Miura begann Firmengründer Ferruccio Lamborghini (Sternzeichen Stier) seine Fahrzeuge aus der Welt des Stierkampfes zu benennen. Hier erinnerte er sich an den Stierzüchter Antonio Miura. Der hatte im ausgehenden 19. Jahrhundert den Kampfstier Murciélago (Lamborghini Murciélago 2001-2006) gekauft.

Das zähe Muskelpaket war vom Publikum begnadigt worden nachdem es 24 Lanzenstichen vom Matador Rafael „Eidechse“ Molina Sánchez verpasst bekam und weiterhin stur auf allen vieren stand. Soviel Power musste weitervererbt werden. Miura ließ Murciélago (spanisch für Fledermaus) bei 70 Kühen antreten, ob hintereinander ist nicht überliefert. Aber die Zuchtlinie galoppiert noch heute in Spaniens Arenen (bis sie final abgemurkst werden).

Der Retro-Kombi - Dodge Super8 Hemi

Ein Blick zurück, für einen Schritt vorwärts. So in etwa lässt sich das Konzept dieses Retro-Familienkombis beschreiben. Der Dodge Super8 Hemi, so ließ die DaimlerChrysler Corporation 2001 auf der North American International Auto Show in Detroit verlauten, verkörpere die Kultur und das Wesen der Amerikanischen Zuversicht. Alles, sogar der Name sind hier eine Huldigung an die amerikanische Epoche der 1950er und 60er Jahre.

Von außen erinnert der Super8 Hemi an die typischen auf Chrom hochpolierten Aluminium-Diner, im inneren finden sich die charakteristisch runden Formen der 50er Jahre. Die Bezeichnung Hemi geht auf die legendären Chrysler HEMI-Motor mit hemisphärischen Brennräumen zurück. Wegen seiner hohen Leistung bei geringer Verdichtung wird der Hemi bis heute in Musclecars verbaut. Und das Super8? Es steht natürlich für das weiterhin noch lebendige Schmalfilm-Format, mit dessen Hilfe in den 60er Jahren so viele grobkörnige Home-Videos aufgenommen wurden (die berühmtesten 26.6 Filmsekunden der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das John F. Kennedy Attentat 1963 in Dallas, wurde dagegen noch in Normal-8 aufgenommen).

Der Dodge Super8 Hemi sollte das Konzept des klassischen Familienwagens als Sportkombi neu definieren - eine große Vision, wie es sich gehört für ein Concept Car. Dazu gehörte offenbar auf das weitläufige Fadenkreuz im Kühlergrill des Dodge, das früher um einiges dezenter gestaltet war. 2001 sorgte der Super8 Hemi immerhin für einige Verwunderung: “Dieses Dodge Konzept schafft es gleichzeitig retro, futuristisch und einfach nur sonderbar zu sein“, befand das US-Magazin Car and Driver. Einige Kernelemente, wie die des V8-Heckantriebs, lebten weiter als Basis für den späteren Dodge Charger. Zudem findet sich das kantig Exterieur des Super8 Hemi im Chrysler 300 Touring und Sedan wieder – beides wurden Verkaufsschlager.

Der strenge Prinz - Mercedes-Benz C 111

Er sollte der Nachfolger einer Legende werden: des Mercedes 300 SL mit seinen Flügeltüren. Und ging auch wegen der Ölkrise nie in Serienproduktion. Tatsächlich hatten die Entwickler den C 111 primär als reines Experimental-Fahrzeug zur Erprobung neuer Technologien erdacht. Es sollte ein neues Motorenkonzept getestet werden sowie der Einsatz von Karosserien aus glasverstärkten Kunststoff.

Die Bezeichnung als „rollendes Versuchslabor“ ist eigentlich viel zu nüchtern für diesen Entwurf, mit dem Mercedes-Benz im Herbst 1969 auf der Frankfurter IAA erscheint. Es ist ein Manifest der Zukunft: Die flache Silhouette lässt die Herzen der Sportwagen-Liebhaber schneller schlagen, auch wenn sie von vielen im Vergleich zur eleganten Anmut des königlichen 300SL als zu streng gerügt wurde. Das Herz des C 111 ist eine ganz besondere Maschine – ein Rotationskolbenmotor nach dem Prinzip von Felix Wankel. Zunächst wird das Experimentalfahrzeug mit 3-Scheiben-Wankelmotor vorgestellt, in der späteren Version C 111/II kommt ein 4-Scheiben-Motor zum Einsatz. Dazu verfügt der Flügeltürer mit exzellenter Aerodynamik, ABS und seiner Leichtbaukarosserie über alle Anlagen eines führenden Supersportwagens seiner Zeit.

Doch der Wankelmotor hat seine Nachteile, er ist nicht nur anfällig, sondern vor allem auch ein Schluckspecht. Die Ölkrise 1973 macht deutlich, dass verbrauchsgünstigen Motoren eine immer größere Bedeutung zukommen würde. Dabei war gerade die zweite Auflage C 111/II vom Genfer Auto-Salon 1970 mit 350 PS deutlich leistungsstärker ausgefallen. Schließlich begann Anfang der siebziger Jahre die passive Sicherheit eine immer größere Rolle in der Fahrzeugentwicklung zu spielen. Die Kunststoffkarosserie des C 111 hatte prinzipbedingt Nachteile gegenüber einer klassischen Stahlblechkarosserie. Die Entscheidung war gefallen: Das Design von Bruno Sacco, der auch am W 123 mitarbeiten sollte, würde niemals in Serie gehen.

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04 / 2023

Erscheinungsdatum 15.03.2023