Maternal Gatekeeping
Gibt es das Phänomen Maternal Gatekeeping wirklich?

"Lass mal Schatz, ich mach das schon!" Das Phänomen Maternal Gatekeeping ist heiß diskutiert. Klar ist aber, es darf keine Ausrede für Väter sein, sich nicht um ihre Kinder zu kümmern. Unser Autor wagt eine Begriffsklärung
Gibt es das Phänomen Maternal Gatekeeping wirklich?
© Shutterstock.com /Standret

Es war für mich eine der beeindruckendsten Szenen der gesamten "Game Of Thrones"-Serie: Sie zeigte, wie der wortkarge und scheinbar einfältige Hodor, Diener des Hauses Stark, zu seinem Namen kam. Er hielt die Tür gegen die Wiedergänger, er war stark, er hielt und hielt, er drückte dagegen, "Hold the Door!", "Halte die Tür!", riefen sie ihm zu, immer lauter, immer aufgeregter, immer verzweifelter, bis davon nur noch ein "Hodor!" nachhallte – und er am Ende war, nachgab und starb.

Maternal Gatekeeping: Was ist das?

Ich übertreibe nur geringfügig: So oder so ähnlich muss man sich Mütter vorstellen, wenn man den Verfechter:innen des Phänomens des sogenannten Maternal Gatekeeping glaubt. Übersetzt bedeutet dieser Begriff so viel wie mütterliches Türstehen und soll Mütter mit einem gesteigerten Kontrollbedürfnis beschreiben. Solche, welche die Väter ihrer Kinder nicht an eben jene heranlassen. Der angebliche Grund: Sie wissen besser, wie das mit Baby und Bindung so geht, und Papa macht ja eh alles falsch.

Ist Maternal Gatekeeping wissenschaftlich belegt?

Es herrscht weithin der Glaube vor, Maternal Gatekeeping wäre ein Buzzword, ein gefühltes Problem, aber kein wissenschaftlich belegtes. Tatsächlich haben sich den Begriff des Maternal Gatekeeping keine Männer ausgedacht, die ihren Ex-Frauen die alleinige Schuld dafür in die Schuhe schieben wollen, dass sie ihre Kinder nicht mehr sehen dürfen. Väterexperte Hans-Georg Nelles von der Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit in Nordrhein-Westfalen erklärt: "Der Begriff wurde erstmals 1989 in der Dissertation 'Toward a reconceptualization of paternal involvement in infancy: The role of maternal gatekeeping' von Ashley Howard Beitel beschrieben, inzwischen gibt es mehr als 3.000 wissenschaftliche Arbeiten." 1999 etwa wollte die Brigham Young University – eine kirchliche Universität in Utah – herausgefunden haben, dass rund 21 Prozent aller verheirateten Frauen in ihrem Denken und Handeln in die Kategorie des Maternal Gatekeepings fielen. Der deutsch-griechische Pädagoge, Psychologe und Anthropologe Wassilios Fthenakis bestätigte dieses Ergebnis durch eine Langzeitstudie, nach der etwa jede fünfte Frau den väterlichen Einsatz im Familienleben blockiere. Indes: Fthenakis ist auch Sachverständiger zu Themen wie Sorgerechtsfragen nach Trennung und Scheidung, und sein Ergebnis besagt eben auch, dass rund 80 Prozent der Mütter die Väter ihrer Kinder nicht ausbremsen, wie der Radiosender Bayern 2 schon 2015 in einem Beitrag zum Thema feststellte.

Was sind die Hintergründe von Maternal Gatekeeping?

In dem oben erwähnten Radiobeitrag kommt auch die Münchner Paar- und Familientherapeutin Gabriele Leipold zu Wort. Sie sagt: "Beim Maternal Gatekeeping handelt es sich um ein psychisches Problem, um eine Bindungsstörung." Betroffene Mütter seien demnach unfähiger als andere, mit mehr als einer Person eine Beziehung einzugehen und entscheiden sich selbst meist, wenngleich oft unbewusst, gegen den Vater und für das Kind. Als deren Ursache nennt sie unter anderem frühkindliche eigene Bindungsstörungen, Zweifel an eigener Identität, Unzufriedenheit mit gültigen Geschlechterrollen und als Folge Aufbau einer Ideologie des Mutterseins. Betroffen davon seien dann nicht nur die Eltern: Auch für die Kinder soll es wichtig zu sehen sein, dass ihre Mütter auch mit anderen Personen Beziehungen führen, damit es keine narzisstischen Größenfantasien entwickele und sich als Mittelpunkt des Universums begreife. Waren Trumps und Putins Mütter etwa Türsteherinnen? Und ihre Väter Vermittler von toxischer Männlichkeit? Das Festhalten an traditionellen Rollenbildern – Mama kümmert sich um Kind und Haushalt, Papa um die Erwerbsarbeit – fördert aber auch, abgesehen davon, keine gesunde Partnerschaft auf Augenhöhe.

Ist Maternal Gatekeeping Mütterbashing?

Wenn wir nun festgestellt haben, dass dieses Syndrom kein ausgedachtes ist, so müssen wir ebenso festhalten, dass dessen Existenz nicht zum sogenannten Mütterbashing beitragen soll – und dass Väter dadurch keinen Freifahrtschein erhalten, sich aus der elterlichen Mitverantwortung zu stehlen. Denn: Nur weil es solche Gatekeeperinnen hier und da wirklich geben mag, also Frauen, die ihren Männern den Nachwuchs nicht anvertrauen und sie, wenn doch, streng kontrollieren und mitunter behandeln wie ein weiteres Kind, hält dies nicht zur pauschalisierten Erklärung dafür her, dass Väter sich statistisch gesehen wirklich noch immer viel weniger um ihre Kinder kümmern als deren Mütter. Die Gründe dafür, dass rund 60 Prozent aller Väter in Deutschland noch immer gar keine Elternzeit nehmen und 90 Prozent aller arbeitnehmenden Väter zwar sagen, sie würden sich gerne mehr um ihre Kinder kümmern, aber angeblich leider nicht können, sind vielfältiger: Da geht es um Rollenbilder, das Patriarchat, den Gender-Pay-Gap, die Verteilung des Financial Load, Angst vor Karriere- und Einkommenseinbußen, sture Chefs, Elterndiskriminierung am Arbeitsplatz, Anstrengungsvermeidung, Unvereinbarkeit verschiedener Ansprüche und Erwartungen und so weiter. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" entblödete sich trotzdem nicht, anderes zu suggerieren: Auf einem viel diskutierten Titel zeigte das Wochenmagazin im August 2021 die Illustration eines Vaters, der ein Baby in der Bauchtrage trägt – während er selbst wiederum von seiner Frau in einer größeren Trage getragen wird. Die Aussage: Wieder einmal sollten die Mütter daran schuld sein, dass Väter sich zu wenig kümmern. Sie würden doch, wenn man sie nur ließe!

Was kann ich als Vater bei Maternal Gatekeeping tun?

Väter sind genauso wenig ausnahmslos defizitäre Mangelwesen, wie Frauen ausnahmslos überlastete Opfer sind. Aber die haben auch keinen naturgegebenen Wissensvorsprung in puncto Erziehung – auch wenn das die wenigen, bei denen der Begriff des Maternal Gatekeeping zutrifft, glauben mögen. Frauen werden ebenso wenig wie Männer mit einer vorinstallierten Bedienungsanleitung zum Kinderhaben geboren. "Erziehung, Pflege, Babytalk, Bindungsaufbau – da macht die Natur keinen Unterschied. Sie hat es allen Geschlechtern ermöglicht", sagt der Psychologe und Väterforscher Professor Andreas Eickhorst von der Hochschule Hannover, Autor des Buches "Das Väter-Handbuch: Theorie, Forschung, Praxis". Den Unterschied macht also zuerst unsere Sozialisation, die eigene Erziehung, Rollenbilder. Frauen haben sich zu kümmern, also kümmern die meisten sich, ob sie wollen oder nicht. Ich finde: Die Behauptung, dass Mama einfach besser wisse, wie all das gehe mit so einem Kind, die stimmt erst dann, wenn Papa sich wirklich zu lange raushält (oder, ja, rausgehalten wird). Wenn er sechs Monate lang keine Windel angerührt und keinen Einschlafspaziergang unternommen hat, klar, dann hat Mama wirklich einen- Wissens- bzw. Erfahrungsvorsprung.

Fazit: Papa macht nicht alles falsch

So weit wie gerade beschrieben muss es aber nicht kommen: Männern können fast alles so wie Mütter machen und erlernen. Wegen ihrer und unserer Sozialisation glauben sie nur oft, dies nicht zu können. Folglich: Ja, mag sein, dass manche Mütter Papa auch mal machen lassen müssen. Papa muss aber auch machen wollen und wissen, dass er kann. Um das "Game of Thrones"-Bild vom Anfang zum Ende hin geradezurücken: Selbst, wenn manche Mütter sich wirklich wie Hodor verhalten mögen, so läge es doch an den Vätern, wie die Wiedergänger (nur ohne Gewalt und Totschlag) dagegenzuhalten. Weil auch sie ihr Recht auf Bindungsaufbau und Teilhabe einfordern sollen – um damit nicht nur der eigenen Frau, dem Nachwuchs und sich selbst, sondern auch der Gesellschaft da draußen zu zeigen, dass es geht. Und dass Papa kein weiteres Kind von Mama ist.