Egoshooter: So gefährlich sind Fortnite und Co. für Kinder

Egoshooter im Check
Ab welchem Alter darf mein Kind Ballerspiele zocken?

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Zuletzt aktualisiert am 14.08.2024
Man sieht zwei Kinder auf dem Teppich liegend auf einer Konsole spielen. Im Hintergrund sitzt der Vater auf dem Sofa.
Foto: Shutterstock.com / 4-PM-production

Ein Computerspiel, bei dem es darum geht, alle anderen Menschen auf einer Insel abzuknallen und am Ende der einzig Überlebende zu sein: Bei dem Gedanken schrillen einem als Elternteil alle Alarmglocken. "Aber alle anderen spielen auch Fortnite", sagte mein zwölfjähriger Sohn zu mir. "Ich kann so auf dem Schulhof ja gar nicht mitreden. Selbst unser Klassenbester spielt es. Und überhaupt, das ist doch nur ein Spiel, ich greife doch deshalb nicht zur Pumpgun." Ich wurde nachdenklich, zumal meine Gaming-Erfahrungen sich auf Tetris, Monkey Island und Lemminge beschränken, woran Geübte erkennen, wie alt ich bin.

Fortnite gehört mit FIFA und Minecraft zu den beliebtesten Games für Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren laut JIM-Studie 2022, 76 Prozent der Jugendlichen spielen regelmäßig digitale Spiele. Mein Sohn ist also in guter Gesellschaft. Verdammter Gruppendruck, ich hatte gehofft, der Kelch Fortnite würde an uns vorübergehen. Jetzt steht das Kind also vor mir und macht mir den Fortnite-Tanz vor, den sogar Grundschüler auf Schulhöfen tanzen, der Triumphtanz aus dem Spiel, wenn man einen Gegner erledigt hat.

Sollte ich meinem Kind Egoshooter wie Fortnite erlauben?

Müssen sich Eltern Sorgen machen, wenn die Kinder ein Spiel wie Fortnite spielen, bei dem es darum geht, möglichst viele andere Mitspieler um die Ecke zu bringen, frage ich den Medienpädagogen Fabian Karg vom Landesmedienzentrum Baden-Württemberg, der regelmäßig Vorträge für Eltern und Lehrkräfte gibt. "Bei einem Spiel wie Fortnite geht es gar nicht primär darum, alle umzubringen", sagt der Experte. Bei Fortnite stehe das Kompetitive im Vordergrund, es gehe darum, der oder die Beste zu sein. Wie bei so vielen Spielen, die Kinder spielen also.

Bleiben die Waffen und das ganze martialische Auftreten, man bewirft sich in dem Spiel schließlich nicht mit faulen Tomaten. Wie begründet sich, dass die Altersfreigabe von der USK, der freiwilligen Selbstkontrolle der Branche, auf zwölf Jahre festgelegt wurde? "Die Gewalt in Fortnite ist comicartig dargestellt, es gibt keine Leichen oder Verletzungen, wer erschossen wird, löst sich auf, wird quasi teleportiert", erklärt der Fachmann.

Der Spieleratgeber NRW, der Games nach pädagogischen Kriterien bewertet und auch Lehrkräfte und Eltern berät, empfiehlt Fortnite hingegen erst ab 14 Jahren. "USK-Freigaben sind keine pädagogischen Empfehlungen. Wir merkten im Team, dass die Altersempfehlung irgendwo zwischen 12 und 16 Jahren liegen sollte", sagt Daniel Heinz vom Spieleratgeber NRW. Wenn ein Kind zu Hause gut begleitet werde, verantwortungsbewusst mit Medienregeln umgehen könne, eine gewisse Frustrationstoleranz mitbringe, dann könne es Fortnite auch schon mit 12 Jahren spielen. "Für ein komplett unbegleitetes Setting fühlen wir uns mit der Altersempfehlung 14 Jahre wohler", so der Medienpädagoge.

Eigentlich wollte ich, dass mir Experten die Entscheidung abnehmen, nun wird sie mir als Elternteil also wieder zurückgespielt. Einige Fragen, die sich Eltern für die Entscheidungsfindung stellen sollten, nennt mir Experte Heinz: Wie viel Medienerfahrung bringt das Kind mit? Wie ist es um die emotionale Reife des Kindes bestellt? Wie geht das Kind mit Stress und Frustration um? Zwei weitere Probleme bringt Fortnite mit sich, die auch bei anderen Games ein Problem für Kinder werden können: In-App-Käufe und eine Chatfunktion, über die auch Fremde die Kinder kontaktieren können.

So ist das Spiel zwar kostenlos, finanziert sich aber durch Kaufappelle und -anreize. So gibt es In-App-Käufe, bei denen man sich sogenannte Skins, also das Aussehen der Spielfigur, kaufen kann oder aber besondere Waffen. Da kann schon mal ein Gruppendruck auf dem Schulhof entstehen, wenn man als einziger einen Standard-Gratis-Version-Look hat. Also ein wenig wie mit den Markenklamotten, über die sich Jugendliche auf dem Schulhof abgrenzen. Hier als Elternteil solche In-App-Käufe kategorisch zu verbieten, dazu rät Medienpädagogin Kristin Langer von der Initiative Schau hin! nicht: "Das sollte man über das Taschengeld regeln, dann lernen die Kinder ihr eigenes Geld dafür einzuteilen. Außerdem sollten Eltern mit den Kindern gemeinsam besprechen, welche Anreize in dem Spiel gesetzt werden, um Geld auszugeben, sodass die Kinder diese Anreize selbst entlarven können."

Welche weiteren Risiken und Gefahren lauern, wenn mein Kind Ballerspiele zockt?

Dann ist da noch mein Sorgenpunkt, dass Fremde die offene Chatfunktion des Spieles nutzen können, um in Kontakt mit Kindern zu treten. Dass das mehr als nur eine theoretische Gefahr ist, zeigte erst kürzlich der Fall Ayleen, wo ein Mädchen von einem Chatpartner, den es über Fortnite kennenlernte, umgebracht wurde. Eine Albtraumvorstellung für alle Eltern. Was wissen wir schon davon, was im Kinderzimmer vor sich geht? Wir können ja nicht die ganze Zeit neben dem Computer stehen, das wollen ja schon allein die meisten Jugendlichen nicht. "Auf allen Konsolen gibt es Sicherheitseinstellungen", so Experte Heinz, "mit denen man die Chats einschränken kann, sodass keine Fremden Kontakt aufnehmen können." Man sollte die Kinder auch genau über diese Gefahren aufklären, um bei ihnen ein Bewusstsein dafür zu schaffen.

Das, was eine Gefahr in Spielen mit Chatfunktion sein kann, ist aber auch der große Vorteil dieser Spiele: Denn Fortnite wird im Battle-Royale-Modus (das ist der, wo man alle abknallen muss, um als Sieger hervorzugehen) im Multiplayer-Modus gespielt. "Der eigentliche Reiz an Spielen im Multiplayer-Modus wie Fortnite oder Minecraft ist oft gar nicht unbedingt das Spiel selbst, sondern der soziale Aspekt, die sozial verbindende Dimension", bestätigt Mediencoach Langer, was ich bei meinem Sohn und seinen Freunden auch beobachtet habe. Sie verabreden sich gezielt zum Minecraft-Zocken, unterhalten sich während des Spielens auch über Alltagsdinge und planen schon in der Schule, welche Welten sie gemeinsam am Nachmittag bauen wollen. Gaming ist kein einsames im abgedunkelten Zimmer Sitzen für sie, sondern ein Gemeinschaftserlebnis, die Chatfunktionen der Spiele erfüllen die Funktion eines sozialen Netzwerks.

Besser als allein vor dem Fernseher zu hocken, ein Grund, weshalb ich mit dem täglichen Minecraft-Zocken meinen Frieden geschlossen habe. Es geht darum, dabei zu sein, dazuzugehören, etwas, das ich noch aus meiner Jugend kenne. "Der Wunsch, in einer Peergroup mitzumischen ist ganz normal für das Alter und auch wichtig für die Entwicklung", sagt Langer. Gaming im Multiplayer-Modus biete auch den Kindern eine Chance, Gemeinschaft zu erleben, die im reellen Leben Schwierigkeiten haben, Kontakte zu knüpfen.

Dennoch komme ich noch nicht so ganz damit klar, dass sich mein Sohn, den ich ohne Spielzeugwaffen und immer im besten pazifistischen Sinne erzogen habe, nun plötzlich ein Shootergame zocken möchte. Medienpädagogin Langer sagt, was mir auch schon Fabian Karg sagte: Es gehe nicht primär darum, virtuell andere umzubringen, sondern um den Spaß, herausgefordert zu werden. Aber man kann sich doch auch Herausforderungen in anderen Bereichen suchen, protestiert die besorgte Mutter in mir! "Kinder blenden beim Spielen die Realität aus, sie wollen so ein Spiel ja auch gar nicht auf die Realität übertragen. In der Realität müssen sie sich Regeln unterwerfen – beim Gaming können sie Macht und Kontrolle über den Spielverlauf haben", so Langer. Selbstwirksamkeit durchs Zocken also.

Wie bringe ich meinem Kind den richtigen Umgang mit Killer-Spielen bei?

Man kann also nicht pauschal sagen, ein Kind ist mit 12 oder 14 bereit, Fortnite zu spielen, sondern muss es mit Blick aufs eigene Kind entscheiden. Das kennen wir Eltern ja schließlich am besten! Um herauszufinden, ob das eigene Kind bereit ist, Fortnite zu spielen, raten alle drei Experten dasselbe, was für die meisten Games gilt: sich informieren über das Spiel, mit dem Kind Youtube-Videos über das Spiel anschauen und sich gemeinsam dem Spiel nähern, also auch ruhig mal eine Runde mitspielen, um so auch ein Gefühl dafür zu bekommen, was die Kinder eigentlich nachmittags im Kinderzimmer treiben und vielleicht zu verstehen, was an den Games so Spaß bringt und welche Herausforderungen damit verbunden sind. "Wichtig ist es, dabei unvoreingenommen heranzugehen und nicht von vorneherein das Spiel schlechtzumachen", mahnt Karg. Dem Kind also nicht die eigene Meinung überstülpen, auch wenn es schwerfällt.

Bleibt noch die mich beunruhigende Zahl einer DAK-Studie zum Thema Computerspielsucht, dass rund 15 Prozent der Jugendlichen, die regelmäßig zocken, als Risiko-Gamer gelten. Dass Kinder und Jugendliche dann erst einmal exzessiv an einem Hobby festhalten, sei kein Grund zur Beunruhigung, sondern völlig normal, gibt Experte Heinze Entwarnung. Problematisch werde es dann, wenn das Kind andere Hobbys für das Zocken aufgeben möchte, sagt Karg: "Das Zocken darf nicht der Lebensmittelpunkt werden." "Die digitale Welt ist ein Teil der realen Welt, aber sie darf nicht vereinnahmen", sagt Medienpädagogin Langer und erinnert daran, dass jedes digitale Spiel vom Hersteller so angelegt werde, dass die Spielergemeinschaft sich so oft und so intensiv wie möglich dem Spiel zuwende. Das sollten sich Eltern klarmachen und auch den Kindern erklären. "Erfolgserlebnisse dürfen sich nicht nur auf den virtuellen Raum beschränken, Kinder müssen sie auch woanders erleben", sagt auch Karg.

Podcast-Tipp: Die Medienpädagogin Professor Dr. Friederike Siller war auch schon mal Gast bei den "Echten Papas", hier geht's zum Gespräch:

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Die Medienexperten raten Eltern dazu, das Verhalten der Kinder zu beobachten, um zu sehen, welche Auswirkungen bestimmte Computerspiele auf sie haben. Eine bereits gestellte Erlaubnis, ein Spiel zu spielen, kann natürlich auch zurückgenommen werden. Eine Ausprobierphase vereinbaren, rät Langer und dem Kind deutlich machen, dass man auch beobachten möchte, ob das Spiel etwas am Familienleben ändert.

"Jüngere Kinder können das permanente Spannungsverhältnis und die emotionale Anspannung in Spielen wie Fortnite nicht im Griff haben und suchen sich dann Ventile, um die Spannung abzubauen", so Langer. Da können dann Szenen aus dem Spiel auf dem Schulhof nachgestellt werden, aber auch Probleme beim Einschlafen können auftreten. Unkontrollierte Aggressivität sei auch ein Alarmzeichen.

Für digitale Spiele brauchen Kinder die Fähigkeit zur Selbstregulierung – und das ist etwas, was Kinder erst im Laufe der Zeit lernen. Wahrscheinlich die meisten Eltern kennen es, wenn das Kind einfach nicht aufhören will zu zocken, die vereinbarte Medienzeit immer wieder herauszögert und um jede Bonusminute gefeilscht wird. Am liebsten hätte man da ja eine Orientierung an der Hand, empfohlene Medienzeiten für jedes Alter, etwas mit Autorität, die die Kinder akzeptieren ohne Diskussion.

Aber da jedes Kind unterschiedlich ist, greifen auch hier pauschale Empfehlungen nur wenig. "Jede Familie muss die Mediennutzungszeiten so ausgestalten, wie es zu ihr passt", lautet der Rat von Experte Karg. Viele Eltern fahren gut damit, ihren Kindern wöchentliche Zeitkontingente zuzugestehen, die sie sich ähnlich wie das Taschengeld selbst einteilen können. Wenn dann schon am Wochenende die gesamten 180 Zock-Minuten für die Woche weg sind, ist das auch eine Erfahrung, an der das Kind lernen kann. Für Kinder ab zehn Jahren empfiehlt die Initiative Schau hin! etwa ein Wochenkontingent von etwa neun Stunden.

Welche Regeln sollte ich aufstellen, wenn mein Kind Fortnite oder etwas Ähnliches spielen will?

Wer es gern offizieller mag und auch noch weitere Rahmenbedingungen für die Mediennutzung aufstellen möchte, kann die Vereinbarung auch in einem sogenannten Mediennutzungsvertrag festhalten, für den es online Formulare gibt. Und natürlich könne es auch immer Ausnahmen geben, da sind sich alle drei Medienpädagogen einig. Genauso wie es eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dass vor Klassenarbeiten gelernt statt gezockt wird, dürfe man auch an verregneten langen Wochenendtagen mal eine Ausnahme machen und eine längere Bildschirmzeit erlauben.

"Man sollte als Elternteil die Kinder auch mal mitbestimmen lassen", sagt Heinz. Also keine ständige Kontrolle von oben, sondern Vertrauen schenken: Ich glaube an dich, ich glaube daran, dass du gut damit umgehen kannst. "Dadurch entwickeln Kinder Selbstbewusstsein." Heinz vergleicht es mit dem Straßenverkehr, in dem Kinder auch lernen müssen, allein klarzukommen. Was aber im Umkehrschluss nicht heißt, dass Eltern alles erlauben sollten. Denn natürlich gibt es Grenzen und das sind die Altersfreigaben bei Games, die USK-Angabe. "Wenn da drauf steht, erst ab 16, dann hat das seinen Grund und ist auch ein Argument, das die Jugendlichen akzeptieren sollten", sagt Medienpädagoge Heinz.

Eines der Spiele, wo bei Eltern die Alarmglocken klingeln sollten, wenn Kinder unter 16 danach fragen, ist GTA: Auch hier geht es wie bei Fortnite um das Abschießen von anderen Menschen. Wo ist da also der Unterschied, frage ich mich. Zum einen der Grad der Gewaltdarstellung, klärt mich Medienpädagoge Karg auf. Statt einer Comicgrafik wie bei Fortnite, ist die Gewaltdarstellung in GTA sehr realistisch. Bei Fortnite gehe es eher um eine Art sportlichen Wettbewerb in einem völlig fiktiven Setting (alle Spielteilnehmer werden mit Fallschirmen über einer Insel abgeworfen und müssen sich hier durchschlagen). Bei GTA hingegen muss man als Gangster gegen die Staatsgewalt kämpfen, Polizisten umlegen, Raubüberfälle begehen, all so etwas. "Natürlich wird nicht jeder zum Gangster, der GTA spielt, aber das Spiel setze schlechte Vorbilder", sagt Karg. Auch Spiele wie Call of Duty oder Warzone seien wegen ihrer Gewaltdarstellungen wirklich nichts für Kinder unter 16 Jahren.

GTA also nicht, aber bei Fortnite schwindet meine anfängliche Ablehnung. Ich gebe es zu, ich hatte ein wenig darauf gehofft, mir von Experten Argumente an die Hand geliefert zu bekommen, mit denen ich meinem Sohn das Fortnite-Spielen verbieten kann, herausgekommen ist das Gegenteil. Statt ihn bis zu seinem 14. Geburtstag zu vertrösten, werde ich also – einige erfolgreiche Klassenarbeiten noch vorausgesetzt – mich mit ihm zusammen vor den Laptop setzen und mich selbst darin versuchen, auf einer Insel mit lauter Gegnern durchzuschlagen.

Fazit: nicht immer eine Frage des Alters

Meine Recherche hat mich nachsichtig gemacht im Hinblick auf Gaming, zur Freude meiner Kinder. Den sozialen Aspekt heutiger Spiele, dass sich in Spielewelten mit anderen Freunden treffen, die verbindende Komponente: Diesen Faktor hatte ich unterschätzt. Abgesehen davon, wer sagt, dass alles pädagogisch wertvoll sein muss, was die lieben Kleinen treiben? "Man darf Spiele auch einfach genießen, das ist eine Freizeitbeschäftigung wie ins Kino gehen", entlastet mich auch Expertin Langer von meinem schlechten Gewissen. Das überzeugt mich. Gaming als ein Hobby unter vielen, damit kann ich leben. Wir Erwachsenen schauen ja auch nicht ausschließlich Arte-Reportagen oder lesen philosophische Sachbücher.