Wenn selbst Lothar Matthäus als Jugendtrainer das Handtuch wirft, liegt offenbar etwas im Argen. Der Fußball-Weltmeister 1990 und FIFA-Weltfußballer des Jahres 1991 war als Kapitän des FC Bayern München selbst nicht ausnahmslos für überragende Teamfähigkeit, Respekt, Moral und gesunde Selbsteinschätzung bekannt (unterhaltsam nachzusehen in der ZDF-Doku "FC Hollywood: Der FC Bayern und die verrückten 90er") Gegenüber der Presse lästerte er zeitweise medienwirksam über seine Mitspieler. Aber das übergriffige Verhalten anderer Eltern zwang ihn als Coach der D-Jugend des TSV Grünwald, bei dem auch sein Sohn spielte, im August 2024 nach knapp zwei Jahren in die Knie.
"Wenn die Verantwortlichen beleidigt werden, du nachts um 23 Uhr Anrufe annehmen oder morgens um 7 Uhr WhatsApp-Nachrichten beantworten musst, geht das nicht", sagte Matthäus in einem Interview mit der Mediengruppe "Münchner Merkur/tz". Er könne nachvollziehen, dass jeder zuerst an sein eigenes Kind denke. "Aber wenn du im Mannschaftssport bist, musst du an die Mannschaft denken", so Deutschlands Fußballer des Jahres 1990 und 1999. Schon Rufe vom Spielfeldrand wie "Lauf schneller! Mach dies! Mach das!" habe er nicht gebraucht. Als die Eltern auch untereinander mit Beleidigungen auf sich losgegangen seien, wurde es dem TV-Fußball-Experten endgültig zu viel. Er ist das wohl bekannteste aber bei weitem nicht einzige Beispiel für eine unschöne Entwicklung im Jugendfußball.
Der Jugendfußball: leider oft eine Eltern-Spielwiese
Szenen wie die von Matthäus geschilderten sind leider auch abseits von Teenager-Eltern mit Profi-Ambitionen, in unteren Ligen und Altersklassen und unter Anfänger:innen keine Seltenheit. Die Schlagzeilen reichen von Bedrohungen über tätliche Angriffe gegenüber (selbst noch minderjährigen) Schiedsrichtern bis hin zu Massenschlägereien. Extremfälle, einerseits. Andererseits gehen auch Vorfälle als grob unsportlich durch, in denen etwa – wie im Bekanntenkreis des Autors dieses Textes geschehen – ein Vater eines Kindes bei dessen Trainer anruft, um den mit Nachdruck zu bitten, ein anderes Kind nicht länger aufzustellen, weil es zu schlecht spiele.
Das ursächliche Problem ist ein derart grundlegendes, dass der Deutsche Fußball-Bund (DFB) die Aktion "Fair bleiben, liebe Eltern" ins Leben rief und Ralf Klohr, Jugendleiter beim SuS Herzogenrath, bereits 2009 mit dem Sonderpreis "Fair Play" für sein Pilotprojekt ehrte, Sperrzonen für Eltern und Spiele ohne Schiedsrichter zu etablieren, damit die Kinder Fouls oder Meinungsverschiedenheiten unter sich regeln.
Ein Fußball-Jugendtrainer redet Klartext
Auch Christoph Kühn kann davon Lieder singen. Seit 6 Jahren arbeitet der 31-jährige Erzieher und zweifache Vater in seiner Freizeit ehrenamtlich als Jugendtrainer in Berlin. Erst bei SV Tasmania, danach bei Tennis Borussia und seit 2023 in der D-Jugend des Kreuzberger Vereins Eintracht Südring. Er bestätigt: Übereifrige Eltern – fast ausnahmslos Väter – zeigten ihr wahres Gesicht nicht erst im Teenageralter ihres Sprößlings, wenn eine Profikarriere lauern könnte, sondern bereits bei den Bambinis, also den 5- bis 6-Jährigen und damit jüngstmöglichen U-7-Vereinsspielern. Er erinnert sich an einen Vater, der seinen 9-jährigen Sohn neben 3 Vereinstrainingseinheiten 4-mal pro Woche zu einem Privattraining sowie 2-mal in ein Schnelligkeitszentrum schickte. An Spieltagen war das Kind entsprechend platt, konnte nie 100 Prozent seiner Leistung hervorrufen, ging unter – und der Vater, der vom Spielfeldrand so oft "Spiel ab!", "Schieß!" oder "Schneller!" brüllte, dass er einmal vom Schiedsrichter des Sportplatzes verwiesen wurde, beschwerte sich bei Kühn, wenn sein Junge vorzeitig ausgewechselt wurde.
Viele Väter sind getrieben von falschem Ehrgeiz
Kühns Beobachtung: Mehr oder weniger geworden seien solche Vorfälle nicht, vielmehr stets da gewesen. Elternteile versuchten immer schon, Dinge zu drehen, ihrem Kind rücksichtslos Vorteile zu verschaffen. Viele ließen nichts aus. In kleinen Dorfvereinen existiere diese Problematik kaum, glaubt er, in Berlin hingegen, das höre er auch immer wieder von anderen Trainern, sei diese Denkweise unter anderem wegen vieler potenzieller Talente und nur zwei Anlaufstellen im Profifußball leider allgegenwärtig.
"So ein Anspruch hat auf unserer Ebene nichts verloren, aber viele Väter drehen einfach durch. Vielleicht, weil sie im Fußball das große Geld wittern." Oder, und das hat nicht Kühn laut gedacht: Vielleicht, weil sie es selbst nicht geschafft haben. Oder weil ihr eigener Vater sie auch derart pushte und sie es nicht anders kennen.
Podcast-Tipp: Unser Autor war auch schon mal Gast in unserem Podcast, hier geht es zum Gespräch:
Wann Kühn bei Zwischenrufen das erste Mal etwas sagt? Wenn Väter häufiger laut und lauter werden als der Trainer selbst. "Signale des Elternteils schwappen über zum Kind. Das beeinflusst sein Spiel", erklärt Kühn, dann greife er sofort durch, um dies zu unterbinden: "Kinder können ihr Potenzial am besten entfalten, wenn kein Einfluss von außen kommt." Solchen Vätern entgegne er dann Sätze wie "Du kannst es besser? Mach' eine Lizenz, herrscht eh Trainermangel!" oder "Ihr glaubt, in eurem Kind steckt ein kommender Profi-Fußballer? Klopft bei Hertha oder Union an und schaut, wie weit ihr kommt!" Sein eigentlicher Rat lautet indes: "Fahrt runter. Wir machen hier eine gute Ausbildung. Du bleibst ein Störfaktor? Da ist die Tür. Alles Gute, vor allem deinem Sohn. Denn der ist der Leidtragende."
Was eine Pädagogin Fußball-Vätern am Spielfeldrand rät
Dass Angst keine gesunde Motivation ist, weiß auch Inke Hummel. Die Pädagogin, Familienberaterin und Autorin zahlreicher Ratgeber ("Vom Müssen zum Wollen") empfiehlt motivationswilligen Eltern, viel früher anzusetzen und sich zu fragen: Mag mein Kind eigentlich Fußball? Spielt es mit Leidenschaft? Oder war das nur eine Anfangsneugier und jetzt ist sein Hobby nur noch meines? Zur Bestärkung und Motivationsentwicklung gehöre stets Zutrauen, sagt sie. Dies könnten Elternteile dadurch zeigen, dass sie ihrem Kind etwas Positives sagen. Dass sie sehen, was es schon kann und daran glauben, dass es noch mehr schaffen kann. Wenn sie seine Stärken benennen, aber auch seine Schwächen gemeinsam angehen, vermittelten sie glaubwürdig: "Ich denke, du schaffst das."
Von Vergleichen mit anderen Kindern rät Hummel ab. Bei all denen, die nicht unmittelbar davorstehen, der nächste Manuel Neuer zu werden, sollte Konkurrenz vermieden werden. Es soll schließlich um Spielfreude und Leidenschaftsentwicklung gehen und darum, den inneren Schweinehund zu überwinden – auch wenn das jüngste Training oder Spiel nicht so dolle lief. Vielmehr zähle der Vergleich des Kindes mit sich selbst, etwa durch Sätze wie: "Guck mal, in dem Bereich bist du jetzt schon viel cooler drauf als vor einem Jahr oder vor 3 Wochen oder beim letzten Spiel."

Pädagogin, Familienberaterin und Buchautorin Inke Hummel
Ein weiteres No-Go laut Inke Hummel: Eltern sollten ihr Kind niemals vor anderen bloßstellen oder beschämen. Wer etwas Kritisches sagen möchte, tue dies bitte mit dem Kind unter vier Augen und ohne Beschämung. Nachfragen, beschreiben, um zusammen etwas zu entwickeln. Und dem Kind Raum geben für seine eigene Meinung, eigene Fragen, den eigenen Blickwinkel. Was hingegen unbedingt vor anderen Leuten passieren darf und soll, ist die Stärkung des Rückens des eigenen Kindes: "Wenn andere Väter dein Kind beschimpfen, selbst wenn es etwas irgendwie echt Blödes gemacht hat: Steh' dafür ein und lasse das nicht so stehen."
Das richtige Motto beim Sport und in der Schule: Spaß statt Druck
Und wenn ein Spiel trotzdem richtig mies lief und das Team schon wieder 0:10 verloren hat? "Geht danach ein Eis essen und macht das nicht als Trost oder 'trotzdem', streicht es erst recht nicht als Strafe", rät Hummel. "Macht gemeinsam etwas Schönes, weil vor allem dein Kind eine Anstrengung angegangen ist. Als Ausgleich dafür, dass es überhaupt früh aufstand, um Sonntag um 8:30 Uhr auf dem Platz zu stehen."
Jugendtrainer Lothar Matthäus kommentierte die Aufgabe seiner Aufgabe mit den folgenden Worten: "Mir tun die Kids leid. (...) Mir hat es wehgetan, den Schlussstrich zu ziehen. Aber für mein Leben ist es eine Erleichterung." Jugendtrainer Christoph Kühn will es in Zukunft gar nicht so weit kommen lassen: "Ich bin Pädagoge, diese Arbeit ergänzt sich gut mit dem Fußball", sagt er. "Ich wünsche mir aber vermehrt Schulungen für andere ehrenamtliche Trainer wie mich. Damit wir alle dieselbe Philosophie verfolgen und damit auch die Kollegen besser geschützt werden."
Fazit: 1 zu 0 für Papa!
Der Fairness und Parteilosigkeit halber sei zum Abschluss gesagt: Natürlich gibt es auch schreiende Trainer. Von Giovanni Trapattonis Erben bis hin zur F-Jugend. Die verschrecken – das weiß der Autor dieses Textes aus eigener Erfahrung als Kind und Vater – ähnlich nachhaltig. Das Motto sollte neben Fair Play lauten: Empowerment statt Angst. Es ist wie in der Schule und bei anderweitigem Lernen: Wenn der Spaß im Vordergrund steht und die Motivation intrinsisch ist, folgt der Rest meist von allein.