Care-Arbeit: Warum Männer mehr Windeln wechseln sollten

Faire Care-Arbeit
Was Väter gewinnen, wenn sie mehr Sorgearbeit für ihre Kinder übernehmen

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Zuletzt aktualisiert am 26.02.2025
Ein Vater sitzt auf dem Sofa, hält sein Baby in die Höhe und riecht an der Windel
Foto: Shutterstock.com / StoryTime Studio

Das Kümmern um andere Menschen wird oft in den Schmutz gezogen: "Care-Arbeit hat einen schlechten Ruf und findet zu wenig Beachtung", sagt der Bonner Journalist Sascha Verlan. Aus diesem Grund hat er gemeinsam mit seiner Partnerin Almut Schnerring im Jahr 2016 den Equal Care Day ins Leben gerufen, einen Aktionstag für mehr Wertschätzung und Sichtbarkeit der Sorgearbeit. Seitdem findet dieser Aktionstag jährlich statt. Was es mit dem Equal Care Day auf sich hat, hat der Vater von drei Kindern im Interview Men's Health Dad erklärt.

Was ist der Equal Care Day?

Der Equal Care Day ist ein Aktionstag für mehr Wertschätzung, Sichtbarkeit und eine faire Verteilung der Sorgearbeit. Wir haben ihn auf den Schalttag, den 29. Februar, gelegt, um so symbolisch auf die Unsichtbarkeit der Care-Arbeit aufmerksam zu machen. Sie wird nämlich meistens übergangen und nicht gesehen, so wie dieser Tag auch. In den Zwischenjahren holen wir ihn dann am 1. März nach, weil sich auch im vergangenen Jahr, trotz Pandemie, so wenig zum Guten gewendet hat im Care-Bereich.

Was alles beinhaltet Care-Arbeit?

Der Care-Begriff umfasst den ganzen Bereich der unbezahlten und bezahlten Sorge- und Versorgungsarbeit und die damit verbundene Mental Load. Also das Sich-Kümmern entlang des Lebensverlaufs: Es beginnt mit der Begleitung und Versorgung Neugeborener und Gebärender, reicht über die Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern im Vor- und Grundschulalter, die familiäre und professionelle Pflege und Unterstützung bei Krankheit oder Behinderung, Sozialarbeit, über die Hilfe zur Selbsthilfe, unter Freund:innen, Nachbar:innen, im Bekanntenkreis, bis zur Altenpflege, Sterbebegleitung und Grabpflege. Care meint sowohl die körpernahe Care-Arbeit (füttern, wickeln, Fieber messen) als auch die unterstützende Care-Arbeit (Kochen, Putzen, Reparaturen und alle Arbeiten im Haushalt).

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Wie hängen Care-Arbeit und Mental Load, das vor allem Mütter betrifft, zusammen?

Care-Arbeit hat ja mehrere Dimensionen. Da ist einmal der zeitliche Aspekt: Sorgearbeit muss einfach geleistet werden, weil unterlassene Sorgearbeit oft (schwere) Folgen hat für die Betroffenen. Ein kleines Kind, das weint, kann ich nicht erst in zwei Stunden trösten. Wer sich verletzt hat, braucht sofort Hilfe. Und solange ich mich um einen anderen Menschen kümmere, kann ich eben nichts anderes tun. Dazu kommt das Wissen, was ich da eigentlich mache, also bei einem kleinen Kind mit Husten etwa die Frage: Welches Medikament gebe ich in welcher Dosierung? Und dann all das Vorausplanen, Organisieren, Drandenken, die Verantwortung für den ganzen Prozess, der sogenannte Mental Load. Und der betrifft nur deshalb vor allem Mütter, weil die Partner oft nur mithelfen, also einzelne Teilaufgaben übernehmen, den Müll heruntertragen, eine Einkaufsliste abarbeiten etc., aber nur selten die ganze Verantwortung übernehmen. Im beruflichen Kontext gibt es dafür übrigens eine andere Bezeichnung, sie heißt Projektmanagement.

Was versteht man unter dem Begriff Gender Care Gap?

Den Begriff Gender Care Gap hat das Bundesfamilienministerium geprägt, im zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. Er bezieht sich nur auf die private, unbezahlte Sorge- und Versorgungsarbeit und beachtet auch nur den rein zeitlichen Aspekt. Die Grundlage der Berechnungen bildet die Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamtes von 2012. Das hat zur Folge, dass der Care Gap vor allem bei jenen Paaren kleiner ist, die in der finanziellen Lage sind, Sorgearbeit auszulagern. Da diese Tätigkeiten in der Regel aber wieder von Frauen übernommen werden, bleibt so das grundsätzliche Problem der ungleichen Verteilung bestehen. Der alleinige Fokus auf die Zeit macht darüber hinaus die notwendige Expertise und Verantwortung unsichtbar. Wird dieser Anteil schon im Privaten geringgeschätzt, hat das auch Auswirkungen auf die berufliche Honorierung. Unsere Definition des Gender Care Gap schließt deshalb auch die ungleiche Verteilung des Mental Loads mit ein sowie die Lücke im praktischen und theoretischen Care-Wissen. Außerdem ist es dringend notwendig, private, ehrenamtliche und professionelle Care-Arbeit nicht getrennt zu betrachten – und gegeneinander auszuspielen. Der Gender Care Gap lässt sich nur schließen, wenn wir den Sorgebereich in seiner Gesamtheit und Komplexität in den Blick nehmen – und wenn Männer ganz selbstverständlich ihren Teil der Care-Arbeit übernehmen.

Podcast-Tipp: Experte Sascha Verlan war auch schon Gast in unserem Papa-Podcast, hier geht's zum Gespräch:

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Inwiefern leiden auch Väter unter dem Gender Care Gap?

Laut aktuellem Väterreport sagt die Mehrheit der Väter, dass sie sich gerne die Betreuung und Versorgung ihrer Kinder hälftig mit ihrer Partnerin bzw. ihrem Partner aufteilen möchten. Aber noch immer nimmt eine große Mehrheit der Väter überhaupt keine Elternzeit, und nicht einmal 10 Prozent setzen länger als die notwendigen 2 Monate aus, um das Elterngeld ausschöpfen zu können. Da ist offensichtlich eine große Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Dass das langfristige Folgen hat auf das eigene Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit, zeigt sich, wenn man Männer jenseits ihrer Berufstätigkeit fragt, was sie bereuen, was sie gerne anders gemacht hätten. Dann kommt sehr oft die bedauernde Antwort, sie hätten mehr Zeit mit ihrer Familie, mit ihren Kindern verbringen und ihre sozialen Kontakte pflegen sollen. Wichtig dabei ist zu erkennen, dass es nicht die Partnerin ist, die diesen Wunsch unmöglich macht oder gar der Feminismus. Es sind die, von Männern gemachten und nach wie vor durchgesetzten Rahmenbedingungen und Strukturen (Ehegattensplitting, Familienmitversicherung, Rollenbilder, Präsenz- und Vollzeitpflicht), von denen Männer in der Berufstätigkeit sehr stark profitieren (Erfolg, Ansehen, Vermögen), die es ihnen zugleich aber erschweren, in der Familie für die eigenen Kinder mehr Verantwortung zu übernehmen.

Wie ist der Equal Care Day entstanden?

Seit 2008 wird in Deutschland am Equal Pay Day darauf aufmerksam gemacht, dass die durchschnittlichen Stundenlöhne von Männern deutlich höher sind als die der Frauen. Und in den vergangenen Jahren hat sich der Fokus zurecht auf die Rentenlücke hin (Männer haben mehr als doppelt so hohe Rentenansprüche als Frauen) und insgesamt die Vermögensverteilung verschoben (Männer können in ihrem Leben doppelt so viel Vermögen erwirtschaften als Frauen). Die Hauptursache für diese grundlegende gesellschaftliche Ungerechtigkeit ist die ungleiche Verteilung der Sorgearbeit. Die beginnt bereits im Kinderzimmer: Mädchen werden sehr viel stärker und selbstverständlicher in die alltägliche Familienarbeit eingespannt als Jungen, in ihren Familien, aber auch später in der Kita, in den Schulen, das ganze Leben hindurch. Wir hatten einfach die Idee, auf diese oft übersehene Schieflage hinzuweisen und haben 2016 einfach mal behauptet, dass der 29. Februar der Equal Care Day sein möge. Und erst das mediale und politische Interesse, die vielfältigen Reaktionen von Betroffenen haben dazu geführt, dass es 2016, 2017 und auch dieses Jahr wieder den Equal Care Day tatsächlich gibt, einen Tag, an dem wir gemeinsam und aus unterschiedlichen Perspektiven heraus für mehr Wertschätzung, Sichtbarkeit und eine faire Verteilung der Sorgearbeit einstehen.

Podcast-Tipp: Almut Schnerring, die zusammen mit unserem Interviewpartner Sascha Verlan den Equal Care Day gegründet hat, war auch schon Gast in unserem Papa-Podcast, hier geht's zum Gespräch:

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Was ist für den Equal Care Day 2025 geplant?

Das ECD-Festival 2025 findet dieses Jahr gleich an zwei Tagen statt: am Freitag, 28. Februar und Samstag, 1. März — hybrid und an vielen Orten zeitgleich. So wird auch für Menschen, die nicht reisen können, oder Personen mit Care-Verantwortung die Teilnahme möglich. Die Care-Landschaft, eine digitale Plattform, ermöglicht außerdem den Wechsel zwischen allen beteiligten Veranstaltungen, die regionale Vernetzung wird gefördert und der überregionale und ressortübergreifende Zusammenhalt gestärkt. Am ersten Tag bieten regionale Care-Bündnisse digital oder zusätzlich bei sich vor Ort in Präsenz ein (Tages-)Programm, das über uns in die Care-Landschaft gestreamt wird. Die Besucher:innen können zwischen den virtuellen Bühnen wechseln und aus mehreren, parallel stattfindenden Vorträgen und Panels wählen. Tag 2 richtet sich überwiegend an Betroffene. An diesem Tag sind weniger Bühnen geöffnet und interaktive Programmformate stehen im Fokus.

Wie haben deine Frau und du euch eigentlich hinsichtlich der Care-Arbeit organisiert?

Wir haben Aufgabenbereiche, die wir untereinander aufgeteilt haben. Ich bin fürs Einkaufen und Kochen, für den ganzen Ernährungsbereich zuständig, kümmere mich aber kaum um Wäsche und Kleidung. Die kindbezogenen Betreuungsaufgaben teilen wir uns, weil es bei all der Organisations- und Haushaltsarbeit ja vor allem um Beziehungen geht, um Kontakt und Nähe. Ansonsten halten wir uns gegenseitig den Rücken frei, wo immer es möglich ist. Wer gerade Zeit und Kraft hat, übernimmt, und manchmal in einer so schnellen Abfolge, dass es unsere Kinder früher bisweilen überfordert hat und wir zwischenzeitlich zu Pama und Mapa wurden.

Was gewinnen Väter, wenn sie sich die Care-Arbeit gerecht mit ihrer Partnerin teilen?

Ich kann da vor allem von mir sprechen. Es sind in erster Linie die Beziehungen zu meinen Kindern, zu meiner Partnerin, intensiver, auf Augenhöhe. Und ich habe ein beruhigendes Gefühl von Unabhängigkeit. Ich kann meine Familie versorgen, nicht nur finanziell, sondern auch in den kleinen, alltäglichen Handgriffen und Aufgaben, ganzheitlich. Und meine Partnerin kann das ebenso. Als ich mich zum Beispiel mit Corona infiziert habe, lag ich zwei Wochen komplett flach. Da war es wirklich beruhigend zu wissen und zu spüren, dass ich krank sein kann, dass ich nichts muss, weil meine Familie – das sollten wir nicht vergessen: die eigenen Kinder, insbesondere Söhne von Anfang an in die Familienarbeit einzubeziehen – das auf allen Ebenen des Zusammenlebens hinbekommt, finanziell und emotional. Das war und ist eine große Erleichterung und Freiheit, was ganz sicher auch zu einer schnelleren Genesung führt.

Fazit: An die Arbeit, Männer! An die Hausarbeit!

"Care-Arbeit ist die Grundlage des Lebens, die idealerweise von beiden Geschlechtern zu gleichen Teilen übernommen wird", sagt Sascha Verlan. Wer sich nicht nur praktisch, sondern auch theoretisch mit dem Thema auseinandersetzen möchte, dem können wir nicht nur eine Teilnahme am Equal Care Day empfehlen (Tickets gibt es hier), sondern auch das Buch von Sascha Verlan, das er zusammen mit Almut Schnerring geschrieben hat. Es heißt: "Equal Care. Über Fürsorge und Gesellschaft". Das Buch kann über Amazon und über Thalia (16 €, versandkostenfrei) bestellt werden.