Vorbilder für Väter: Können Mütter ein Vorbild für Väter sein?

Vorbilder für Väter
Können Mütter ein Vorbild für Väter sein?

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Zuletzt aktualisiert am 23.02.2024
Ein Vater schaut der Mutter dabei zu, wie sie ihr Baby wickelt
Foto: Shutterstock.com / Robert Kneschke

"Unser Alltag ist voller eingefahrener Muster, die das gleichberechtigte Leben von Frauen und Männern erschweren", schreibt die Berliner Diplom-Psychologin Patricia Cammarata in ihrem neuen Buch "Musterbruch: überraschende Lösungen für wirkliche Gleichberechtigung". Beispiel gefällig? Viele Männer bemängeln, dass es ihnen an Väter-Vorbilder fehlt, aber kaum einer kommt auf die Idee mal über den Tellerrand zu schauen - zu den Müttern. Im Interview mit Men's Health Dad erklärt die Bestsellerautorin, woran es scheitert.

Ist Vaterschaft etwas anderes als Mutterschaft?

"Ja und nein. Ja, weil Vaterschaft zunächst einen eher theoretischen Charakter hat. Ist man die biologische Mutter, ist Mutterschaft besonders zu Beginn eine körperliche Erfahrung (Schwangerschaft, Geburt, gegebenenfalls Stillen), anders beim Vater, denn ein Mann entscheidet sich bewusst, ob er die Rolle des Vaters annimmt und kann dann wählen, wie sehr er sich einbringt. Was das 'wie' angeht, da gehen die Ansichten auseinander. Die meisten Artikel, die man so lesen kann, behaupten zumindest, dass Väter aufgrund ihres Geschlechts Dinge anders machen. Es wird gesagt, dass Männer bzw. Väter sich für andere Sachen interessieren, dass sie wilder sind, mehr raufen und sie sich nicht andauernd Sorgen machen. Vaterschaft wird also ganz anders gezeichnet als Mutterschaft."

Welche Geschlechterunterschiede gibt es bezüglich Eigenschaften und Verhalten?

"Dass es Unterschiede gibt, ist klar. Der Fehler ist nur zu glauben, diese seien biologisch begründet und unveränderlich. Die aktuelle Forschung zu Geschlechterunterschieden fasst das wie folgt zusammen: Es gibt eigentlich keine Unterschiede in Eigenschaften oder Verhalten, die wirklich auf den Umstand zurückzuführen sind, dass man biologisch ein Mann oder eine Frau ist. Die Hormone sind nicht Ursache, dass Frauen, wenn sie Besuch bekommen, eher noch mal durchwischen als Männer. Es gibt keinen biologisch verankerten höheren Sauberkeitsstandard bei Frauen, sondern Frauen beugen sich im vorauseilenden Gehorsam der gesellschaftlichen Zuschreibung von Verantwortung für einen sauberen Haushalt.

Schaut man sich einzelne Studien zu Geschlechtsunterschieden an, zeigt sich: Biologie und Sozialisation lassen sich kaum voneinander trennen. Denn das Tun nimmt Einfluss auf die Hormone. So sinkt bei Personen, die sich intensiv kümmern, das Testosteronlevel und gleichzeitig wird vermehrt das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet. Das gilt für Männer wie für Frauen. Unterschiede gibt es nichtsdestotrotz, nur ist es so, dass es statistisch meist eine größere Varianz innerhalb eines Geschlechts als zwischen den Geschlechtern gibt. Was eben auch erklärt, dass Person X Dinge anders macht als Person Y."

Angeblich machen Väter ja viele Sachen anders als Mütter: Ist das tatsächlich so?

"Viele werden diese Frage mit 'Ja' beantworten. Das ist auch naheliegend, denn besonders angesehen sind weibliche Eigenschaften und Verhaltensweisen in unserer Gesellschaft nicht. Schauen wir mal auf die Worte, die in unserer Gesellschaft zum Teil noch verwendet werden, um zu beleidigen: "Du Mädchen!" oder "Wie so ne Mutti." Deswegen ist es für einige Männer eben nicht leicht, sich an Frauen – an weiblichen Eigenschaften – zu orientieren. Wahrscheinlich ist es eben nicht erstrebenswert, der weiche, kümmernde, empathische Papi zu sein. Denn wo bleibt dann die Männlichkeit? Weil also all diese weiblich konnotierten Mütterideale hart mit gängigen Männlichkeitsbildern kollidieren, kann Vaterschaft nicht wie Mutterschaft aussehen – muss Vaterschaft für viele was anderes sein als Mutterschaft!"

Fürsorgliche Männer, die sich stark in die Sorgearbeit einbringen, die tatsächlich als Hausmann leben oder ausgedehnt Elternzeit nehmen, widersprechen den gängigen Vorstellungen von Männlichkeit (dominante Macher und Leistungsträger, die Kohle ranschaffen und so für ihre Familie sorgen). Aus eigener Erfahrung werden die bestätigen können, dass sie nicht selten dagegen ankämpfen, als Schwächling, Weichei oder Pantoffelheld betitelt zu werden. Dass viele Männer da ein starkes Abgrenzungsbedürfnis in Sachen Vaterschaft haben und sie Vaterschaft als etwas anderes definieren wollen als Mutterschaft, ist in dem Kontext fast schon nachvollziehbar."

Patricia Cammarata
PR (Sophie Weise-Meißner)

Ist es für die Entwicklung des Kindes überhaupt wichtig, dass Mütter und Väter Erziehung anders angehen?

"Rechtskonservative Strömungen in unserer Gesellschaft ruhen sich gerne auf biologistischen Ansätzen auf und Vertreter machen zunehmend Druck, indem sie postulieren, dass angeblich die Natur vorsieht, dass Frauen sich kümmern sollten, da die Kinder sonst in ihrer Entwicklung Nachteile erfahren. Der Stand der Forschung zu Natürlichkeit und Kindesentwicklung ist ein anderer. In Kurzform: Kinder brauchen feste und liebevolle Bezugspersonen. Das gibt die Natur vor. Die Natur gibt nicht vor, dass das die biologische Mutter sein muss.

Je mehr Bezugspersonen Kinder haben, desto resilienter sind sie. Wenn man dann eine Tante hat, die einem zeigt, wie man Fahrräder repariert, eine Mutter, die einem Backen beibringt, einen Vater, der einem zeigt, wie man Lampen anbringt und einen Onkel, der toll basteln kann, dann ist das sehr gut für die kindliche Entwicklung. Wichtig ist also, dass es viele unterschiedliche Vorbilder gibt und nicht, ob die männlich oder weiblich sind."

Müttern wird gerne ein weiblicher Perfektionsdrang unterstellt – was ist da dran?

"Weiblicher Perfektionismus wird oft als Argument gebracht, warum sich Väter gar nicht erst in die Sorgearbeit einbringen können. Das geflügelte Wort dazu lautet: 'Ich mache ohnehin nichts richtig, also lasse ich es lieber gleich!' Man muss dann aber genauer schauen, was mit Perfektionismus überhaupt gemeint ist. Perfektionismus ist, wenn man in einen ziemlich guten Endzustand nochmal unverhältnismäßig viel Energie steckt, um Kleinigkeiten zu ändern. Also zum Beispiel die Wohnung zwei Stunden aufräumen, weil Besuch kommt und dann nochmal die schon aufgeschüttelten Sofakissen anders platzieren, damit es wie in einem Katalog aussieht.

Im Alltag geht es um ganz andere Sachen: Wenn eine Mutter will, dass die Kinder Punkt acht im Bett sind, dann weil sie verbindliche Erholungszeiten braucht. Es ist also keine unbegründete Vorstellung eines Tagesablaufs, der eingehalten werden soll, weil die Mutter perfektionistisch ist. Wenn eine Mutter darauf besteht, dass der Fiebersaft an einer ganz bestimmten Stelle steht, kommt das daher, weil sie ihn auch im Halbschlaf griffbereit haben will, wenn das Kind mal fiebernd oder mit Schmerzen aufwacht – was darin begründet liegt, dass sie bereits weiß, wie hart der nächste Tag werden kann, wenn das Kind nicht schnell wieder zur Ruhe kommt. Diese Vorstellungen beruhen auf Erfahrungen, die die Personen, die im Alltag hauptverantwortlich für Sorgearbeit sind, über viele Monate und Jahre gesammelt haben.

Überträgt man das auf die Jobwelt, würde man ganz anders argumentieren. Ein neuer Mitarbeiter würde sich doch auch erstmal einarbeiten lassen und nicht sagen: 'Ich hab den Job noch nicht gemacht bis jetzt, aber ich brauche bitte keine Hinweise. Ich mache das jetzt auf meine Art!' und kein Chef würde sagen: 'Ach Jahresabschluss. Seien sie nicht so perfektionistisch. Das muss nur so lala stimmen.' Natürlich würden alle erstmal die Best-Practice-Beispiele anwenden. Der sogenannte Perfektionismus ist in Wahrheit das Ergebnis eines Prozesses, der über die Jahre so optimiert wurde, dass er in die Tagesabläufe passt und das Ergebnis bringt, was gefragt ist."

Ein weiteres Schlagwort, das in diesem Zusammenhang oft fällt, ist Maternal Gatekeeping – gibt’s das wirklich?

"Maternal Gatekeeping ist ein Kampfbegriff aus der Väterrechtlerszene. Frauen haben im Vergleich zu Männern oft mehr Definitionsmacht im Privaten – das ist richtig. Vor allem dann, wenn sie Hauptverantwortliche sind, wenn sie die Sorgearbeit die ersten Monate oder Jahre alleine übernehmen. Startet ein Paar gemeinsam in die Elternschaft und teilt sich Aufgaben und Verantwortung, gestaltet es die Prozesse und gewünschten Ergebnisse gemeinsam. Das läuft nicht ohne Reibungen, denn jeder Mensch macht Dinge anders, aber das Ergebnis sind ausgearbeitete Paar- und Erziehungsstandards. Massive Konflikte treten erst dann auf, wenn einer der beiden Jahre später einsteigt und ohne große Erfahrung auf Neudefinitionen pocht. Das Maternal Gatekeeping zu nennen, verschleiert die Verantwortungsgeschichte des jeweiligen Paares."

Angeblich mangelt es modernen Vätern heutzutage an Vorbildern – siehst du das ähnlich?

"Wenn man davon ausgeht, dass Väter männliche Vorbilder brauchen, dann ist das korrekt. Wenn man zum Beispiel an Väter denkt, die Elternzeit nehmen, dann tun das ja nur knapp 40 Prozent. Das heißt, die Mehrheit der Väter nimmt keine Elternzeit und ist dann kein geeignetes Vorbild in dieser Angelegenheit. Ich lese das auch in Studien, wenn Väter gefragt werden, warum es nicht klappt, dass ihr Wunschdenken sich im Verhalten zeigt, so zum Beispiel im 'Väterreport'."

Du schlägst in deinem Buch vor, dass sich Vätern einfach an Müttern orientieren sollen – warum?

"Wenn man sich fragt, was eine gute Mutter/einen guten Vater ausmacht, dann wird man feststellen: Das sind Menschen, die gut im Kümmern sind. Ein guter Elternteil zu sein, bedeutet ein guter Kümmerer zu sein. Kümmern hat sehr vereinfacht gesagt viel mit Bedürfnisbefriedigung zu tun. Je jünger die Kinder sind, desto mehr. Neugeborene sind vollkommen abhängige Lebewesen. Sie sind darauf angewiesen, dass jemand lernt, ihre Bedürfnisse zu erkennen und diese zu befriedigen. Im Laufe dieser Bedürfnisbefriedigung entsteht eine Bindung.

Die Biologie gibt nicht vor, wer sich um Kinder kümmern kann. 'Wie wir dieses Kümmern organisieren, wer die Verantwortung übernimmt, ist der Gesellschaft überlassen. Auch wenn Biologie und körperliche Beschaffenheiten in allem, was wir tun, eine Rolle spielen, gehen die meisten Biolog:innen davon aus, dass sich unsere Art zu leben aus einer Wechselbeziehung zwischen Biologie und Kultur, zwischen Gewohnheiten und Ideologien ergibt', sagt die Soziologin Franziska Schutzbach in ihrem Buch "Die Erschöpfung der Frauen".

Sich gut zu kümmern, ist demnach nicht geschlechtsspezifisch festgelegt. Wenn es also eine große Gruppe von erfahrenen Kümmerern gibt, die zufällig Frauen sind, spricht in meinen Augen nichts dagegen, sich an deren erworbenen Fähigkeiten und Erfahrungen zu orientieren."

Viele Männer würden sich gegen deinen Vorschlag oben wehren: Wieso ist der Drang so groß, für Dinge, die bereits gelöst sind, eigene Lösungen finden zu wollen?

"Das Bild des fürsorglichen Menschen ist nur schwer mit bestehenden Männlichkeitsbildern vereinbar, denn diese konzentrieren sich auf Berufstätigkeit, Status und Einkommen. Damit widersprechen sie der zeitintensiven und durch Empathie geprägten Familienwelt. Männer, die sich auf diese Art in ihren Familien einbringen wollen, laufen Gefahr ihre Männlichkeit einzubüßen. Sie geraten in Konflikt mit dem sozial akzeptierten Bild von Männlichkeit. Das ist für viele nicht besonders attraktiv. Also suchen sie Abgrenzungsmöglichkeiten. Sie wollen eben auf keinen Fall mit 'Muttis' verwechselt werden.

Podcast-Tipp: Expertin Patricia Cammarata war auch schon Gast bei den "Echten Papas", hier geht's zum Gespräch:

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Gilt dein Vorschlag, dass sich Väter mehr von Müttern abschauen sollen, auch für die Arbeitswelt?

"Jein. Studien zeigen: Je diverser Abteilungen und Firmen aufgestellt sind, desto erfolgreicher sind Unternehmen. Auch in Sachen Wirtschaftlichkeit. Es würde uns in der Arbeitswelt also nicht nur eine bessere Geschlechterdurchmischung guttun, sondern wenn wir weniger Verhaltensstereotypen hätten. Deswegen brauchen wir da Väter, die sich deutlich als Väter mit Engagement in den Familien outen. Väter, die in Elternzeit gehen, Väter, die Teilzeit arbeiten, Väter, die an bestimmten Tagen keine Termine nach 16 Uhr annehmen können, weil sie ihre Kinder vom Kindergarten abholen und das auch so sagen. Das gilt besonders für männliche Führungskräfte: Gehen diese zum Beispiel in Elternzeit, trauen sich Mitarbeiter viel eher, das auch zu tun.

Fazit: eine vorbildliche Gesprächspartnerin

Eine letzte Anmerkung der Autorin: "So wie in allen Diskussionen gilt, wenn man von statistischen Häufungen spricht: Es gilt immer #notallmen" - nur wie viele oder die meisten etwas machen, heißt das nicht, dass es alle machen. "Das gilt für Frauen übrigens auch", sagt Patricia Cammarata. "Es gibt natürlich auch Frauen, die perfektionistisch sind oder die Maternal Gatekeeping betreiben, aber die sind statistisch unterrepräsentiert." Und an denen muss man sich dann auch kein Vorbild nehmen.