Männlicher Kinderwunsch: Wann entscheidet sich ein Mann für Familie?

Männlicher Kinderwunsch
Wann sich Männer Familie wünschen (und wann nicht)

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ArtikeldatumVeröffentlicht am 12.11.2025
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Frau und Mann umarmen sich freudig, sie hält ein Ultraschallbild eines ungeborenen Kindes in der Hand
Foto: Shutterstock.com / Miljan Zivkovic

"Männer, Männlichkeit und (eigene) Kinder" ist der Titel einer empirischen Untersuchung, die die Sozialwissenschaftlerin Prof. Dr. Claudia Rahnfeld für die Duale Hochschule Gera-Eisenach durchgeführt hat. Was die Expertin, die ursprünglich zur gewollten Kinderlosigkeit von Frauen geforscht hat, dabei herausgefunden hat, erzählt sie im Interview mit Men's Health Dad.

Wie sind Sie dann auf das Thema Männer und Kinderwunsch gekommen?

Unsere erste Studie beschäftigte sich mit Frauen, die bewusst kinderlos bleiben wollten. Das Thema schlug medial ein wie eine Bombe – und wir bekamen enorme Resonanz. Viele Reaktionen waren sehr kritisch, teilweise empört, allein schon die Tatsache, dass wir eine solche Frage erforschten. Zugleich wurde uns immer wieder vorgehalten: Warum nur Frauen? Warum nicht auch Männer? Da wurde mir klar, dass die Perspektive von Männern in der Kinderwunschforschung kaum vorkommt. So entstand die Idee, genauer hinzuschauen: Wie entwickelt sich eigentlich der Kinderwunsch bei Männern, wie verknüpft er sich mit Vorstellungen von Männlichkeit, und welche gesellschaftlichen Muster stehen dahinter?

Wann konkretisieren Männer in der Regel ihren Kinderwunsch?

Im Vergleich zu Frauen relativ spät. Viele Frauen wissen bereits als Jugendliche, ob sie Mutter werden wollen oder nicht – einige sogar schon vor dem 18. Lebensjahr. Bei Männern setzt dieser Prozess später ein. Zwischen dem 18. und 30. Lebensjahr, häufig parallel zu den ersten festen Beziehungen, wird die Frage akut: Will ich Vater werden? Anders als bei Frauen ist der Kinderwunsch bei Männern weniger stark Teil einer frühen Identitätsbildung, sondern entsteht im sozialen Kontext von Partnerschaft und Lebensplanung.

Prof. Dr. Claudia Rahnfeld

Welche Rolle spielt die Partnerin dabei?

Eine sehr große. Die Erfahrungen in der ersten Partnerschaft können prägend sein, und Frauen wirken oft als eine Art Türöffner für Vaterschaft. In der Forschung nennen wir das maternal gatekeeping. Das bedeutet: Frauen können Väter aktiv einbinden, ermutigen und ihnen zutrauen, Verantwortung zu übernehmen. Oder sie können – bewusst oder unbewusst – die Tür verschließen, indem sie misstrauisch sind, viel kontrollieren oder eigene Vorstellungen durchsetzen. Das beeinflusst direkt, wie stark Männer die Rolle als Vater annehmen können. Wichtig ist: Elternsein muss man lernen. Der Mythos, dass Mütter automatisch besser mit Kindern umgehen, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Auch Väter müssen die Chance bekommen, Kompetenzen aufzubauen.

Welche Gründe sprechen für Männer dafür, Kinder zu bekommen?

Die Motive sind vor allem emotional. Viele Männer beschreiben Kinder als Sinnstifter, als Quelle von Freude und Glück. Sie empfinden die Vaterschaft als Möglichkeit, die Welt noch einmal neu zu sehen – durch die Augen des Kindes. Für Väter ist das eng mit Identität verknüpft: Vater zu sein bedeutet für sie auch, ein vollständiger Mann zu sein. Das ist ein wichtiger Unterschied: Für Männer mit Kinderwunsch gehört Vaterschaft selbstverständlich zum Mannsein dazu.

Und welche Argumente führen Männer gegen Kinder an?

Da sind die Motive deutlich rationaler. An erster Stelle steht der Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung. Männer befürchten, weniger Zeit für Hobbys, Reisen oder Karriere zu haben. Hinzu kommt oft die Sorge, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein – also nicht gut genug als Vater zu sein. Finanzielle Aspekte spielen ebenfalls eine große Rolle: Kann ich mir Kinder leisten? Und schließlich gibt es ökologische Überlegungen. Gerade in den letzten Jahren wird häufiger argumentiert, man wolle angesichts von Klimakrise und gesellschaftlicher Unsicherheit bewusst keine Kinder bekommen. Manche Männer wägen das sehr ernsthaft ab.

Wie stark wirkt der Faktor Geld beim Kinderwunsch?

Sehr stark. Unsere Daten zeigen: Die Wahrscheinlichkeit, dass Männer Kinder bekommen, steigt mit dem Gefühl ökonomischer Stabilität. Interessant ist, dass es weniger um objektive Fakten geht – also nicht nur um Gehalt oder Eigentum –, sondern um das subjektive Empfinden von Sicherheit. Wenn Männer das Gefühl haben, in stabilen Verhältnissen zu leben, steigt die Bereitschaft für Kinder. Besonders die Generation Z reflektiert stark über Zukunftschancen und Ungleichheiten. Diese jungen Männer fragen sich: Habe ich überhaupt die Rahmenbedingungen, um einer Familie Sicherheit zu bieten?

Inwiefern hängt der Kinderwunsch mit Männlichkeitsbildern zusammen?

Sehr eng. Für Männer, die Kinder wollen, ist Vaterschaft ein zentraler Bestandteil ihres Selbstverständnisses als Mann. Wer sich bewusst gegen Kinder entscheidet, erlebt dagegen kaum gesellschaftlichen Druck und definiert seine Männlichkeit anders. Spannend ist das Spannungsfeld: Viele Männer halten nach wie vor an traditionellen Idealen fest – Stärke, Kontrolle, Leistungsfähigkeit – und wollen gleichzeitig fürsorglich und emotional präsent sein. Beides zusammenzubringen, empfinden viele als Balanceakt. Das zeigt, dass sich unser Bild von Männlichkeit zwar verändert, aber sehr langsam und widersprüchlich.

Frauen berichten oft von starkem gesellschaftlichen Druck rund um Mutterschaft. Wie erleben Männer das?

Ganz anders. Für Männer ist Vaterschaft eine Option, keine Verpflichtung. Beide Entscheidungen – Kinder haben oder kinderlos bleiben – werden gesellschaftlich akzeptiert. Auffällig ist sogar, dass Männer häufig für Dinge gelobt werden, die bei Frauen selbstverständlich erwartet werden, etwa ein Kind von der Kita abzuholen oder Elternzeit zu nehmen. Frauen hingegen müssen sich viel stärker rechtfertigen, wenn sie von klassischen Rollenbildern abweichen.

Podcast-Tipp: Unsere Expertin war auch schon mal zu Gast in unserem Podcast, hier geht's zum Gespräch:

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Gibt es Unterschiede zwischen Ost und West?

Ja, und die sind bis heute spürbar. In Ostdeutschland ist die Kinderlosenquote niedriger. Das hängt mit der DDR-Vergangenheit zusammen, wo die Vereinbarkeit von Familie und Beruf viel selbstverständlicher war. Diese Haltung wirkt nach: Menschen, die im Osten sozialisiert wurden, führen eher Lebensmodelle, in denen beide Eltern arbeiten und Verantwortung teilen. In Westdeutschland hingegen ist das traditionelle Modell – Mann als Ernährer, Frau als Hauptverantwortliche für Kinder – stärker verankert.

Welche Rahmenbedingungen braucht es, um Männern den Kinderwunsch zu erleichtern?

Vor allem moderne, familienfreundliche Strukturen. Flexible Arbeitszeiten, faire Arbeitszeitmodelle, Unternehmen, die Väter unterstützen, wenn sie länger Elternzeit nehmen möchten. In Deutschland sehen sich noch rund zwei Drittel der Männer in der Rolle des Familienernährers. Viele würden gerne anders leben, stoßen aber auf institutionelle Barrieren und gesellschaftliche Erwartungen. Skandinavische Länder zeigen, dass es besser geht: Wenn Väter rechtlich und politisch gestärkt werden, schrumpfen Pay-Gap und Care-Gap deutlich.