Nestmodell: Wie kann das nach einer Trennung funktionieren?

Betreuungsmodell nach der Trennung
Nestmodell: Wie kann das nach einer Trennung funktionieren?

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ArtikeldatumVeröffentlicht am 03.09.2025
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Ein Vater verabschiedet sich vor der Haustür von seiner Tochter
Foto: Shutterstock.com / PeopleImages.com - Yuri A

"Wir trennen uns!" Dieser Satz klingt erst einmal nach Kistenpacken, Anwaltsgesprächen, emotionalem Ausnahmezustand und jeder Menge organisatorischem Chaos. Besonders dann, wenn Kinder im Spiel sind. Gerade in Großstädten, wo Wohnraum knapp und die Lebenshaltungskosten hoch sind, kommt zusätzlich schnell die Frage auf: Wie lässt sich das Familienleben nach einer Trennung so gestalten, dass die Kinder möglichst wenig Schaden nehmen - und beide Eltern weiterhin eine tragende Rolle spielen?

Ein Modell, das in den letzten Jahren zunehmend Aufmerksamkeit bekommen hat, ist das sogenannte Nestmodell. Es klingt im ersten Moment fast zu schön, um wahr zu sein: Die Kinder bleiben in ihrer gewohnten Umgebung, der elterlichen Wohnung, dem "Nest", während sich die Eltern mit dem Zusammenleben mit ihnen abwechseln. "Während also der eine Elternteil Zeit mit den Kindern im Nest verbringt, lebt der andere in einer Zweitwohnung oder pendelt zwischenzeitlich in eine andere Unterkunft und umgekehrt", erklärt Michael Strelow, pädagogischer Leiter des Hamburger Väterzentrums. Es gehört zum Verein Väter e.V., der sich seit fast 25 Jahren für die Belange von Vätern, in Trennungssituationen, bei Erziehungsfragen und im Alltag engagiert. Neben Beratungen bietet Väter e.V. auch Seminare, offene Angebote, Fortbildungen und Rechtsberatung speziell für Männer an, die ihre Rolle als Vater aktiv gestalten möchten.

Experte Strelow: "Besonders für engagierte Väter kann dieses Modell eine interessante Alternative zum klassischen Residenz- oder Wechselmodell sein. Denn es erlaubt ihnen, aktiv am Alltag ihrer Kinder teilzuhaben, ohne dass die Kleinen alle paar Tage mit Rucksack und Kuscheltier zwischen zwei Haushalten pendeln müssen."

Ein Modell mit Vorteilen – nicht nur für die Kinder

Für Kinder bedeutet das Nestmodell vor allem eines: Stabilität. Der Wohnort bleibt gleich, Schule, Freunde, das eigene Zimmer, alles bleibt erhalten. Diese Kontinuität kann in der Trennungszeit ein entscheidender Faktor für seelische Ausgeglichenheit und Sicherheit sein. Die Kinder müssen sich nicht ständig neu orientieren, ihre Habseligkeiten zusammensuchen oder sich an wechselnde Alltagsstrukturen anpassen.

Für Väter eröffnet sich gleichzeitig die Chance, weiterhin eine gleichwertige Bezugsperson zu bleiben. Nicht nur am Wochenende oder in den Ferien, sondern im echten Alltag: Hausaufgaben begleiten, Abendessen kochen, trösten, wenn das Knie aufgeschürft ist oder der Liebeskummer zuschlägt, all das, was Vaterschaft wirklich ausmacht.

"Viele Männer, die sich aktiv in die Kindererziehung einbringen wollen, fühlen sich nach der Trennung in traditionelle Besuchsmodelle gedrängt", erzählt Strelow aus seiner Berufspraxis. "Das Nestmodell durchbricht diese Konvention, vorausgesetzt, es gibt genug gegenseitiges Vertrauen und den Willen zur Zusammenarbeit mit der Ex-Partnerin."

Die Kehrseite: Ein Modell mit hohen Ansprüchen

"So schön die Idee klingt, das Nestmodell ist keine einfache Lösung, sondern ein Modell mit Herausforderungen", erklärt der Experte. Zunächst einmal ist da die Wohnsituation: im städtischen Bezug, in der bezahlbarer Wohnraum ohnehin ein knappes Gut ist, erfordert das Nestmodell entweder eine zusätzliche Wohnung oder kreative Lösungen - etwa Wohnungstausch mit anderen getrennten Eltern oder das Anmieten eines möblierten Zimmers für den Elternteil, der gerade nicht betreut.

Auch auf emotionaler Ebene verlangt das Modell viel: eine funktionierende Kommunikation, gegenseitigen Respekt und die Fähigkeit, Konflikte möglichst sachlich zu lösen. Strelow: "Beim Nestmodell begegnet man sich zwangsläufig regelmäßig. Wer noch im Rosenkrieg steckt oder das Ende der Beziehung nicht verarbeitet hat, wird in dieser Konstellation schnell an seine Grenzen stoßen."

Hinzu kommt, dass das Modell auch für neue Beziehungen zur Belastungsprobe werden kann. "Wer will schon seinem neuen Partner erklären, dass man jede zweite Woche bei der Ex übernachtet – auch wenn es nur wegen der Kinder ist? Hier braucht es viel Offenheit, Verständnis und klare Absprachen", sagt der Fachmann.

Beratung und Unterstützung: Männer müssen da nicht allein durch

Strelow: "Gerade für Männer ist die Zeit nach einer Trennung oft von Unsicherheit und innerem Rückzug geprägt. Viele fühlen sich alleingelassen, kämpfen mit Schuldgefühlen oder wissen schlicht nicht, wie sie ihre Vaterrolle weiterleben sollen."

Umso wichtiger ist es, sich frühzeitig Unterstützung zu holen. "Wir in Hamburg bieten zum Beispiel gezielte Hilfe an. Von Einzelberatungen über Gruppenangebote bis hin zu Infoveranstaltungen", erklärt der Leiter des Väterzentrums. "Hier treffen Männer auf Fachleute und andere Väter, die Ähnliches durchgemacht haben. Die Gespräche finden auf Augenhöhe statt, ohne erhobenen Zeigefinger und alles mit einem klaren Ziel: Väter zu stärken und ihnen Wege aufzuzeigen, wie sie aktiv und verantwortlich in der Rolle bleiben können, die ihnen am Herzen liegt."

Fazit: Das Familiennest kann ein Ausweg aus einer verzwickten Lage sein

Das Nestmodell ist keine Patentlösung, da weder bequem noch konfliktfrei. "Aber es ist eine ernstzunehmende Option für Väter, die nach der Trennung mehr wollen als nur Besuchsrecht und Unterhaltspflicht. Es fordert Organisation, Reife und Kommunikationsfähigkeit bringt aber auch die Chance, das Band zu den eigenen Kindern stark und lebendig zu halten", sagt Strelow. "Und am Ende, wenn man ehrlich ist, wollen wir doch alle das Gleiche: Dass unsere Kinder sich sicher, geliebt und geborgen fühlen, auch wenn Mama und Papa nicht mehr unter einem Dach leben."