Wer durch einen Spielzeugladen geht, bemerkt rasch anhand der Farben, ob er sich in der Abteilung für Jungen (meist Blau) oder Mädchen (meist Pink) befindet. Schaut man jedoch genauer hin, wird deutlich, dass manche Spielsachen, wie Bälle, Bauklötze oder Bücher, in beiden Bereichen zu finden sind. Der einzige Unterschied: die Farbgestaltung und die verwendeten Motive.
Um die Hintergründe dieser Marketingstrategie zu beleuchten, hat Men's Health Dad mit der Bonner Journalistin und Bloggerin Almut Schnerring gesprochen. Gemeinsam mit ihrem Mann Sascha Verlan hat sie das Buch "Die Rosa-Hellblau-Falle. Für eine Kindheit ohne Rollenklischees" veröffentlicht. Darin setzt sich das Duo kritisch mit dem Wiederaufleben einschränkender Rollenbilder auseinander – sowohl in Kinderzimmern als auch in der Arbeitswelt.
Außerdem hat das Ehepaar im Jahr 2017 den "Goldenen Zaunpfahl" ins Leben gerufen - einen Award für absurdes Gendermarketing. Der Negativpreis wird dieses Jahr bereits zum achten Mal im Rahmen einer großen Abendveranstaltung verliehen – und zwar am 11. November 2024 in Berlin. Vorher hat uns Almut Schnerring im Interview noch ein paar Fragen beantwortet.
Warum sind so viele Spielsachen überhaupt geschlechtergetrennt?
"Grundsätzlich gibt es zwei Perspektiven bei diesem Phänomen. Da gibt es diejenigen, die es herstellen und verkaufen. Für sie rechnet es sich leider, denn die Zielgruppe Kinder in Mädchen und Jungen aufzuspalten, erhöht den Umsatz. Aber auf unserem Blog thematisieren wir nicht nur das Problem enger Rollenbilder. Es geht auch um Konsumkritik: Wir können es uns heute leisten, zwei Kinderzimmer komplett unterschiedlich einzurichten und zu füllen. Das machen sich Unternehmen zunutze und behaupten gerne, sie reagierten damit nur auf Kundenwünsche."
Weshalb kaufen die meisten Eltern eigentlich geschlechtergetrenntes Spielzeug?
"Für sie erscheint es auf den ersten Blick praktisch. Wenn man weiter darüber nachdenkt, merkt man aber, dass man damit einer Verallgemeinerung aufsitzt. Denn es wäre ja sinnvoller, erst einmal über die individuellen Vorlieben des Kindes nachzudenken, für das man einkauft, als über sein Geschlecht. Schließlich interessieren sich zu Beginn alle Kinder dafür, wie die Welt funktioniert, und wollen Käfer beobachten oder Kuscheltiere versorgen. Aber die Mehrzahl der Erwachsenen legt Wert darauf, Kindern unterschiedliche Rollen zuzuweisen, deshalb schenken sie Jungs lieber keine Puppe, sondern eher Dinge, die scheinbar mit Technik zu tun haben. Und gleichzeitig glauben viele, dass sich alle Mädchen über pinkfarbene Kochutensilien freuen und mit Konstruktionssets nichts anzufangen wüssten."

Wieso ist Gendermarketing für meine Kinder problematisch?
"Selbst wenn Eltern diese Trennung – Puppen hier, Konstruktionssets dort – für ihr Kind ablehnen und kritisieren, reichen wir ihm als Gesellschaft diese Botschaft trotzdem schon in den ersten 10 Jahren seines Lebens weiter. Seien es Werbebotschaften, getrennte Spielzeugregale oder Kindergeburtstage, es wird der Eindruck vermittelt, dass unterschiedliche Interessen aufgrund des Geschlechts 'natürlich' seien. Da ist es für Erwachsene leicht, später zu sagen: 'So sind sie eben!' Für Kinder aber bedeutet es, dass sie in dieselben Strukturen hineinwachsen, mit denen Erwachsene im Berufsleben zu kämpfen haben. Wenn Männer belächelt werden für Interessen oder Berufswünsche, die die Umwelt als 'Frauensache' deklariert oder Frauen beim Autokauf ignoriert werden, dann hat das mit engen Rollenbildern zu tun, die wir Kindern bis heute weiterreichen."
Worauf sollte ich beim Kauf von Spielzeug achten?
"Viel wäre schon gewonnen, wenn Erwachsene reflektieren, dass die Geschlechtertrennung im Alltag von Kindern überall und ständig präsent ist. Wenn Kinder sich Spielzeuge wünschen, die dem Stereotyp entsprechen, ist das kein Beweis für biologische Theorien, sondern vor allem dafür, dass Kinder sich nicht zu Außenseiter:innen machen wollen. Sie wollen dazugehören zu der Gruppe, mit der sie sich identifizieren. Es gibt Studien, die zeigen, dass viele Jungs Rollenspiele lieben, sich mit Puppen und anderem weiblich Konnotierten beschäftigen, allerdings eher allein und zu Hause, wenn keine Freunde dabei sind und sie sicher sind vor herabsetzenden Kommentaren. Das Umfeld hat also einen großen Einfluss.
Und wie oft werden Wünsche von Kindern ignoriert! Mädchen, die sich explizit ein Technikset gewünscht hatten, werden doch wieder mit einem Glitzerpony und Schminkutensilien versorgt, weil die befreundeten Eltern auf Nummer Sicher gehen wollten. Um also zurück zur Frage zu kommen: Kindern öfter mal die Wahl überlassen, anstatt direkt nach Geschlecht vorzusortieren. Genau hinschauen, hinhören und das Geschlecht und die eigenen stereotypen Erwartungen außen vor lassen. Labels und Verpackungen entfernen, alles anbieten und sich einordnende Kommentare verkneifen. Wenn Sara den Bagger möchte und Max das Kochset, ist das nicht untypisch, sondern Ausdruck ihrer individuellen Vorlieben. Und wenn Max den Bagger wählt und Sara die Spielküche, dann ist auch das nicht Beleg ihrer Geschlechtsidentität, sondern einfach nur das Interesse von Max beziehungsweise Sara und genauso völlig in Ordnung."
Podcast-Tipp: Expertin Almut Schnerring war auch schon mal Gast bei den "Echten Papas", hier geht's zum Gespräch:
Wo kann ich genderneutrales Spielzeug kaufen?
"In der Vergangenheit. Bedingt. Und vielleicht demnächst auch wieder in der Zukunft. Für das Hier und Heute braucht es Zeit für die Suche, oft auch einen dickeren Geldbeutel und einen Blick in die kleineren Geschäfte anstatt zu den großen Ketten. Natürlich wurden auch schon viel früher Blechautos an Jungs verschenkt und die Schwester bekam die Strickliesel. Aber Gendermarketing ist eine relativ junge Werbestrategie aus den 2000ern. Bis in die 1990er waren Gummistiefel gelb, blau oder matschfarben, die Schuhgröße wichtiger als die Frage nach dem Geschlecht. Legobausteine waren bunt und 'für Kinder', 'Haribo macht(e) Kinder froh', 'Viele bunte Smarties' gab's, sie waren nicht in rosa-blau-farbsortiert, Jungs durften die lila Hose der Schwester tragen, auf Kita- und Klassenfotos ging es bunt zu, Kleidung oder Haarlänge war kein Genderlabel. Also lässt sich, was so jung ist, vielleicht auch bald wieder abschaffen, wir würden es uns für uns alle wünschen!"
Fazit: Alles rosarot? Von wegen!
"Leider gibt es nur wenige Online-Shops, die damit werben, Spielzeug 'für Kinder' anzubieten, denn die wenigsten verzichten auf die Junge-/Mädchen-Kategorie", sagt Almut Scherring, die sich im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Projekte über Unterstützung durch Spenden oder eine Fördermitgliedschaft freut. "In den USA oder auch in skandinavischen Ländern gibt es schon mehr genderneutrale Shops, aber es sind immer noch zu wenige." Deshalb hat die Aktivistin zusammen mit ihrem Mann auch das Freispiel-Zeichen ins Leben gerufen, das Unternehmen auszeichnet, die eine klare Position gegen Gendermarketing einnehmen.