Früher der Superheld des Sohnes oder der Tochter – heute super peinlich. In der Phase des Erwachsenwerdens nehmen Kinder ihre Eltern plötzlich ganz anders wahr, vor allem den Vater. Und dieser fragt sich dann insgeheim: Ist das normal, dass mich mein Kind als peinlich empfindet? Diese und weitere Fragen beantwortet im Interview mit Men's Health Dad Experte Matthias Jung. Der Mainzer ist nicht nur selbst Vater von zwei Kindern, sondern arbeitet auch als Familien- und Pubertätscoach. Zudem hat er schon mehrere Bücher zum Thema geschrieben, zum Beispiel "Dein Ernst, Mama?: So peinlich kommen wir nicht mehr zusammen." Darin greift Jung 40 typische Konflikte zwischen Eltern und ihren Teenagern auf und schlägt auf unterhaltsame Art und Weise Lösungen vor. Denn "Pubertät ist, wenn man trotzdem lacht", sagt Jung, der auch ein eigenes Live-Programm zu diesem Themenkomplex hat. Also Bühne frei!
Ist es normal, dass Kinder ihren Vater peinlich finden?
"Ja, das ist total normal. Wenn Kinder ihren Vater peinlich finden, ist das also überhaupt nicht schlimm. In der Pubertät nabelt sich ein Teenager ab und löst sich von seinen Eltern. Ein Abnabeln ergibt dabei aber nur Sinn, wenn das Kind etwas peinlich oder blöd findet, was der Vater macht. Wenn Väter für ihre Kinder die schlimmsten, nervigsten und peinlichsten Menschen der Welt sind, dann haben sie also alles richtig gemacht."
Ab welchem Alter werden Väter den Kindern peinlich?
"Die Qualität des peinlichen Seins ändert sich im Laufe der Zeit. Am Anfang, in der vorpubertären Phase, ist es zum Beispiel noch nicht peinlich, als Vater mit den Freunden des Kindes zu interagieren und nett zu sein. Späteren Alters ist es dann aber hoch peinlich, wenn man vor den Freuden einen unangebrachten Kommentar abgibt oder ungefragt ins Kinderzimmer reinkommt. Die Qualität, dass Kinder ihren Vater peinlich finden, nimmt also zu, je älter die Teenager werden."

Pubertäts-Coach Matthias Jung
Was ist Kindern besonders peinlich?
"Gerade im Umgang mit Freunden kommt es dazu, dass Eltern peinlich sind. Weshalb sie auch nach Wunsch des Kindes keine große Kommunikation mit den Freunden führen sollten. Alles, was in der Öffentlichkeit stattfindet, wo man gesehen werden könnte und mit Freunden zu tun hat, wird als peinlich und unangenehm empfunden. Es ist also immer in Bezug auf andere. Mit der Pubertät kommt es übrigens zur Selbstfindung. In dieser Zeit schaffen Kinder noch mehr ein Ich-Bewusstsein. Väter werden den Kindern auch aus dem Grund peinlich, da sie ihre eigenen Werte entwickeln, die zum Teil nicht zu dem Verhalten des Vaters passen."
Was können Väter tun, wenn ihr Kind sie peinlich findet?
"Jede Form von Dialog kann helfen. Wenn das Kind in Beziehung geht mit den Eltern, kann man das immer als Kompliment verstehen. Das Kind kommt immer noch gerne zu einem, trotz der Abnabelung. Mit der Erfahrung des Vaters wird aber auch klar, welche Grenzen nicht mehr überschritten werden sollten. Wenn zum Beispiel darum gebeten wird, erst nach dem Klopfen ins Kinderzimmer zu kommen oder vor den Freunden gewisse Kommentare nicht zu sagen, sollte das auch gemacht werden. Sprich: Der Vater nimmt seinen Teenager ernst und hört ihm zu. Es ist ebenfalls wichtig, im Gespräch auf Augenhöhe zu kommunizieren. Zeig Verständnis gegenüber deinem Kind, wir alle waren mal in der Pubertät."
Wie können Väter in der Pubertät ihre Kinder unterstützen?
"Väter, die Probleme beim Loslassen haben und weiterhin ihr Kind noch stark kontrollieren wollen, müssen lernen, ihrem Kind Freiheiten zuzugestehen. Wichtig: Ein Vater kann mit seinem Kind im Gespräch bleiben und ihm trotzdem Freiraum geben. Wenn der Nachwuchs etwas möchte, dann kommt er schon von ganz alleine. Als Vater eines pubertierenden Kindes sollte man außerdem dafür sorgen, dass es Erfahrungen sammeln kann. Übrigens gehören auch negative Erfahren dazu, um daraus zu lernen und zu wachsen. Meiner Meinung nach sollte der Vater für das Kind ein verlässlicher Ansprechpartner sein. Dadurch kann das Kind auf einem sicheren Boden pubertieren."
Podcast-Tipp: Experte Matthias Jung war auch schon mal Gast bei den "Echten Papas", hier geht's zum Gespräch:
Was können Väter tun, wenn ihre pubertierenden Kinder sich von ihnen zurückziehen?
"Von der Elternseite ist es wichtig, dass sie lernen, ihre Kinder während der Pubertät ein Stück weit loszulassen. Wie es der verstorbene Pädagoge Jesper Juul es schon so schön gesagt hat: Bis 12 Jahren ist Erziehung, ab dann gehen wir in eine Beziehung. Als Elternteil ist man immer noch präsent, jedoch wird es mehr und mehr zu einer Fernbeziehung. Obwohl man im selben Haus wohnt, ziehen sich die Kinder mehr zurück. Wenn sich die Kinder das erste Mal in ihrem Zimmer zurückziehen, ist das ein Merkmal von Abnabelung. Jetzt findet das Loslassen langsam statt. Somit muss sich eine Balance zwischen loslassen aber nicht fallen lassen finden. Übrigens: Je später Eltern beginnen loszulassen, desto peinlicher werden sie später für ihr Kind. Somit gilt es auch für Eltern aufzupassen, die Selbstständigkeit, die den Charakter formt, zu berücksichtigen und auch hier den Freiraum zu geben."
Was ändert sich für den Vater, wenn sein Kind sich abnabelt?
"Das Kind beginnt, eigene Erfahrungen zu sammeln und verbringt zunehmend Zeit ohne seine Eltern. Der Vater hat dadurch ebenfalls mehr Zeit für sich selbst und mit seiner Partnerin. Zu Beginn ist es erst einmal ungewohnt, da man sich jahrelang mit seinem Kind beschäftigt hat. Doch genießt die Zeit und hängt nicht zu sehr an eurem Kind. Mit 12 Jahren ist es von der Natur ausgelegt, dass das Kind in der Pubertätszeit selbstständig handelt und seine eigenen Erfahrungen machen muss. Ihr Zuhause mit den Eltern ist wie ein Wartezimmer des Lebens, wo sie noch zur Schule gehen, lernen müssen und auf der Suche danach sind, was sie mal werden möchten."
Fazit: Du bist peinlich? Gewöhn dich dran!
"Kinder müssen sich abnabeln, um dann später wieder zu ihren Eltern zurückzukommen", sagt Experte Matthias Jung. "Das Peinlichsein wird weniger, aber es hört als Elternteil nicht wirklich auf" - du kennst das wahrscheinlich von deinen eigenen Eltern.