Mental Load – das ständige Organisieren und Vorausdenken im Familienalltag – ist inzwischen auch vielen Männern ein Begriff. Doch das ist leider noch nicht das Ende der Fahnenstange.
In ihrem neuen Buch "Emotional Load" bringt die Diplom-Pädagogin und Bestsellerautorin Susanne Mierau ein weiteres - oft unsichtbares - Thema aufs Tapet, das bis jetzt vor allem Mütter betrifft . Im Interview mit Men's Health Dad spricht die Autorin darüber, warum diese Art von Care-Arbeit so kräftezehrend ist, wie Väter mehr Verantwortung übernehmen können und was das Ganze mit vorgetäuschten Orgasmen zu tun hat.
In Ihrem Buch "Emotional Load" sprechen Sie von einer spezifischen emotionalen Last, die vor allem Mütter tragen. Was genau meint dieser Emotional Load?
Zum Glück haben Patricia Cammarata und Laura Fröhlich den Begriff Mental Load bekannt gemacht. Er beschreibt die vielen unsichtbaren Aufgaben im Familienalltag. Aber es ist wichtig, noch tiefer zu gehen, denn neben diesen To-dos gibt es auch die emotionalen Aufgaben – und die brauchen enorm viel Energie, gerade als Eltern. Es geht darum, Gefühle zu begleiten, mit eigenen Ängsten umzugehen, gerade in unsicheren Zeiten. Das ist stark mit Weiblichkeit verknüpft und wurde Frauen über Jahrhunderte auferlegt. Deshalb wurde Emotional Load bisher kaum beachtet und bekommt viel zu wenig Wertschätzung.
Vielen Eltern ist wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass sie eine emotionale Last tragen. Haben Sie ein Beispiel dafür?
Mental Load bedeutet, an all die Dinge zu denken, die mit einer Aufgabe verbunden sind. Zum Beispiel: Mein Kind fährt auf Klassenfahrt – was muss ich alles besorgen? Hat es alles im Koffer? Braucht es Medikamente? Wer bringt es hin, wer holt es ab? All diese kleinen Aufgaben summieren sich. Und dann kommt noch der Emotional Load dazu: Mein Kind hat vielleicht Angst vor der Klassenfahrt oder will gar nicht hin. Ich begleite es emotional, während vielleicht jemand anderes sagt: "Stell dich nicht so an." Ich überlege, was meinem Kind helfen könnte, telefoniere mit der Lehrkraft, mache mir Sorgen: Was, wenn es sich ausgegrenzt fühlt oder traurig ist? Was, wenn es weint? Das sind unzählige emotionale Begleitungen, die zusätzlich zur mentalen Last dazukommen.
Inwieweit betrifft der Emotional Load Mütter anders als Väter, und warum ist das so?
Väter machen heute mehr in der Familie. Es gibt ja auch den Väterreport der Bundesregierung mit verschiedenen Vatertypen, und einige wollen sich stärker einbringen. Aber das emotionale Thema ist trotzdem nicht gleichwertig verteilt. Das führt oft zu Überlastungssituationen, weil sich Mütter viel intensiver mit Erziehung beschäftigen. Wenn ich auf Instagram schaue, folgen mir fast nur Frauen – genauso ist es bei Lesungen oder Fachfortbildungen. Die neue, bedürfnisorientierte Erziehung liegt oft bei den Müttern. Die Kinder merken das natürlich, wenden sich eher an sie, und so übernehmen sie noch mehr emotionale Aufgaben. Gleichzeitig führt das in Partnerschaften zu Konflikten, weil unterschiedliche Erziehungsstile aufeinandertreffen. Viele Mütter versuchen dann, die Väter mit ins Boot zu holen – sie schicken Insta-Posts, legen Bücher mit kleinen Klebis aufgeschlagen hin. Wenn das nichts bringt, moderieren sie zwischen Kind und Vater, weil sie wissen: Eine gute Bindung ist wichtig. Aber genau das ist das Problem – diese emotionale Zwischenarbeit bleibt an ihnen hängen.

Diplom-Pädagogin und Bestsellerautorin Susanne Mierau
Was würden Sie denn speziell Vätern, die dieses Interview lesen, mitgeben wollen?
Sich mit dem Emotionsthema auseinanderzusetzen, ist eine Herausforderung, weil es auch darum geht: Was habe ich selbst erfahren? Das ist sehr persönlich. Aber es ist enorm wichtig, denn Mütter können diese Last nicht allein tragen. Irgendwann sind sie erschöpft – bis hin zum Caregiver-Burnout, der nicht nur mit den vielen Aufgaben, sondern auch mit der emotionalen Überlastung zu tun hat. Es ist entscheidend, dass Väter Verantwortung für die emotionalen Aufgaben übernehmen und ihre Kinder aktiv begleiten. Das stärkt nicht nur die Beziehung zum Kind, sondern ist auch für sie selbst ein Gewinn. Eine gute Bindung zu den eigenen Kindern zu erleben, ist etwas Schönes. Und es geht auch um Selbstwirksamkeit: Wer sich aus emotionaler Verantwortung heraushält, macht sich abhängig davon, dass jemand anderes diese Aufgabe übernimmt. Gleichzeitig geht es auch um eine persönliche Entscheidung. Es geht darum, sich als Vater zu fragen: Kann ich das? Und wenn nicht – bin ich bereit, daran zu arbeiten? Oder lehne ich es ab, weil ich es nicht will? Diese Hürde zu überwinden, ist wichtig – nicht nur fürs Kind, sondern auch für das eigene Wohl. Denn wir wissen, wie toxische Maskulinität das Leben von Männern negativ beeinflussen kann.
In Ihrem Buch geben Sie praktische Tipps zur Reduktion von Emotional Load. Können Sie ein Beispiel für eine einfache Maßnahme nennen, die Familien sofort umsetzen können?
Der erste Schritt ist, sich bewusst zu machen, welche emotionalen Herausforderungen der Alltag mit Kindern mit sich bringt. Schon morgens beginnt es: Kinder wecken, obwohl sie noch müde sind – die erste emotionale Aufgabe. Dann schmeckt das Frühstück nicht, es gibt Streit in der Schule, Hausaufgabenfrust – und ständig muss jemand diese Gefühle begleiten. Wenn man sich das wie ein großes Trinkgefäß vorstellt: Jeder Wutanfall, jede Motivation für die Hausaufgaben, jedes Trostspenden kostet einen Schluck Energie. Irgendwann ist das Gefäß leer. Deshalb ist die Frage: Wo wird diese Energie wieder aufgefüllt? Das ist essenziell – selbst in einer traditionellen Aufteilung von Care-Arbeit. Wenn diese gerade nicht veränderbar ist, braucht es zumindest eine Aufladestation für die Person, die den Großteil der Emotionsarbeit leistet. Denn diese Arbeit ist kräftezehrend – und sie muss ausgeglichen werden.
Stellen Sie sich vor, Sie könnten einen Tag lang den Emotional Load mit einem Mann Ihrer Wahl tauschen – wer wäre das, und was würden Sie ihm zeigen wollen?
Wir können einmal quer durch alle politischen Ebenen und Parteien schauen – und sehen: An der Spitze stehen kaum Frauen, die selbst Care-Arbeit leisten oder geleistet haben. Stattdessen sind es oft Männer, die wenig bis gar keine Erfahrung mit diesen Themen haben. Und genau da liegt ein großes Problem. Denn es braucht auch ein Verständnis dafür, welche emotionalen Belastungen Familien tragen – welche Zukunftssorgen sie haben, was die Kitakrise psychisch mit Eltern macht, wie stressig die unsicheren Schul- und Betreuungsbedingungen sind. Das betrifft natürlich die Kinder, aber es trifft in erster Linie wieder die Mütter, weil sie den Großteil dieser emotionalen Last schultern. Ein Problem ist auch, dass viele Politiker so wenig Verständnis für diese Realität haben. Denn wer sein Leben lang enorme finanzielle Privilegien hatte und nie emotionale Care-Arbeit übernehmen musste, kann sich kaum in die Lage derjenigen versetzen, die diese Last täglich tragen.
An einer Stelle Ihres Buches schreiben Sie, dass ein vorgetäuschter Orgasmus auch eine Form von Emotional Load ist. Wie meinen Sie das?
Es gibt den Orgasm Gap zwischen Männern und Frauen, und ein vorgetäuschter Orgasmus bedeutet oft: Ich verzichte darauf, damit du dich gut fühlst – damit du das Gefühl hast, mich befriedigt zu haben, ein Held zu sein. Das ist ein Problem in vielen Partnerschaften, denn diese Dynamik betrifft vor allem Frauen. Hier lohnt es sich, ehrlich zu reflektieren: Warum mache ich das? Warum habe ich das Gefühl, dass mein Partner das braucht, um sich bestätigt zu fühlen? Ob in einer einmaligen Situation oder in einer langfristigen Beziehung – diese Muster sagen viel über die Verteilung von emotionaler Verantwortung aus.
Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft und der Politik, um das Thema Emotional Load sichtbarer zu machen und Familien besser zu unterstützen?
Letztlich sind wir wieder beim Thema Care-Arbeit – und der Tatsache, dass sie noch immer nicht ausreichend anerkannt und wertgeschätzt wird. Wir haben zwar Fortschritte gemacht, es gibt inzwischen ein Wort dafür: Care-Arbeit. Care-Arbeit ist Arbeit. Aber wir bewegen uns noch immer vor allem auf der Handlungsebene – bei den To-dos. Was dabei oft übersehen wird: Emotionsarbeit ist der Kern von Care-Arbeit – und sie muss endlich als das anerkannt werden, was sie ist: schön, aber eben teilweise auch sehr belastend bis überlastend.
Fazit: Sei ein ganzer Kerl, schultere deinen Teil des Emotional Load!
Von Wut bis Trauer: Kinder zeigen viele Gefühle und brauchen dann oftmals einen Erwachsenen an ihrer Seite. Ob Mutter oder Vater, ist in der Regel egal.