Vielleicht ist es zu spät: Leider erst am 17. April erscheint das Buch "Wie wir mit unseren Kindern die Demokratie verteidigen" der Politikwissenschaftlerin und Aktivistin Natascha Sagorski. Davor liegt die Bundestagswahl - und wahrscheinlich zähe Koalitionsverhandlungen.
Aus diesem Grund hat die Autorin schon vor Veröffentlichung ihres Buches mit Men's Health Dad darüber gesprochen, wie politisches Empowerment von Familien gelingen kann. Hier kommt ein Interview, das unaufschiebbar ist.
Warum müssen wir unsere Demokratie verteidigen?
Leider sehen wir derzeit viele Entwicklungen, die unsere Demokratie gefährden. Eine der größten Gefahren ist die Politikverdrossenheit. Viele Menschen, gerade Familien, haben das Gefühl, dass ihre Anliegen in der Politik kaum Beachtung finden. Ich bekomme oft Nachrichten von Müttern, Vätern und Großeltern, die mir schreiben: Toll, dass du dich engagierst, aber es bringt ja eh nichts, weil Familienpolitik keine Priorität hat. Das ist gefährlich. Denn eine Demokratie lebt davon, dass sich Menschen beteiligen. Wenn sich immer mehr Menschen zurückziehen und denken, dass ihr Engagement sowieso nichts bringt, dann überlassen sie das politische Spielfeld denen, die eben nicht für eine offene, gerechte Gesellschaft stehen.
Gleichzeitig erleben wir einen massiven Rechtsruck. Die Umfragen zeigen es deutlich: Rechtsextreme Parteien gewinnen an Zustimmung. Und das nicht nur am Rand, sondern zunehmend auch in der Mitte der Gesellschaft. Das darf uns nicht egal sein. Demokratie ist nichts Selbstverständliches – sie muss aktiv gestaltet und geschützt werden. Gerade als Eltern haben wir eine besondere Verantwortung, unseren Kindern ein demokratisches Bewusstsein mitzugeben, damit sie in einer offenen und freien Gesellschaft aufwachsen können.
Welche Herausforderungen stehen der Demokratie bevor?
Eine der größten Herausforderungen ist der schleichende Einfluss von rechtsextremen Kräften auf die Politik. Ich habe es selbst miterlebt: Ich war an einem Tag im Bundestag, morgens noch in einer positiven Atmosphäre, in der demokratische Parteien gemeinsam familienpolitische Themen vorangebracht haben – und wenige Stunden später wurde beim Thema Migration eine Entscheidung getroffen, bei der sich Parteien der Mitte auf Stimmen der AfD gestützt haben. Das ist ein gefährlicher Dammbruch. Denn sobald demokratische Parteien mit einer Partei zusammenarbeiten, die in Teilen als rechtsextrem gilt, legitimieren sie diese. Dann wird es plötzlich normal, mit solchen Kräften Mehrheiten zu sichern – und genau das ist der erste Schritt hin zu einer Aushöhlung der Demokratie.
Wir müssen unsere Kinder darauf vorbereiten, was es bedeutet, in einer Demokratie zu leben. Wir müssen ihnen zeigen, dass sie das Recht haben, ihre Meinung zu äußern, aber auch die Verantwortung tragen, sich für eine gerechte Gesellschaft einzusetzen. Demokratie ist nicht nur ein System, das uns Rechte gibt – sie erfordert, dass wir uns aktiv beteiligen und uns für sie einsetzen.

Politikwissenschaftlerin und Aktivistin Natascha Sagorski
Wie können wir Demokratie im Familienalltag leben?
Demokratie beginnt nicht erst, wenn wir mit 18 wählen gehen dürfen – sie beginnt im Kleinen, in unserem Alltag. Kinder nehmen viel mehr wahr, als wir denken. Sie sehen Wahlplakate auf den Straßen, sie hören Diskussionen am Küchentisch und sie merken, wenn ihre Eltern politische Entscheidungen treffen. Eine gute Möglichkeit, Demokratie in der Familie zu leben, ist ein Familienrat. Dabei können Kinder in bestimmten Bereichen mitentscheiden – sei es bei der Planung eines Familienausflugs oder bei Regeln im Haushalt. Es geht nicht darum, dass Kinder überall das letzte Wort haben, sondern darum, ihnen zu zeigen: Deine Meinung zählt. Du wirst gehört.
Auch Wahltage sollten wir nicht einfach abhaken, sondern aktiv gestalten. In den USA sind Wahltage richtige Feiertage – warum nicht auch bei uns? Wir könnten mit unseren Kindern bewusst ins Wahllokal gehen, sie fragen, was sie wichtig finden, oder sogar Wahlprogramme in kindgerechter Sprache lesen. Das macht Wahlen nicht nur verständlicher, sondern zeigt den Kindern auch, dass ihre Stimme in einer Demokratie irgendwann wichtig sein wird.
Wie können Eltern trotz wenig Zeit politisch aktiv werden?
Eltern haben oft das Gefühl, dass ihnen die Zeit für politisches Engagement fehlt – und das kann ich absolut nachvollziehen. Die meisten haben einen vollen Alltag mit Job, Kinderbetreuung und Haushalt. Aber politisches Engagement muss nicht bedeuten, dass man in eine Partei eintritt oder jede Woche zu Sitzungen geht. Oft reicht es schon, Präsenz zu zeigen. Wenn es familienpolitische Veranstaltungen gibt, wäre es ein großer Schritt, einfach mal hinzugehen. Politiker schauen darauf, welche Themen gut besucht sind – wenn Eltern solche Veranstaltungen meiden, wird schnell der Eindruck vermittelt, dass es für sie nicht wichtig ist.
Ein weiterer einfacher, aber effektiver Schritt ist es, Abgeordnete zu kontaktieren. Viele denken: Meine E-Mail wird doch sowieso nicht gelesen. Aber das stimmt nicht. Politiker haben Mitarbeiter, die genau das auswerten. Wenn ein Thema immer wieder auftaucht, wird es aufgenommen. Gerade wenn man hartnäckig bleibt und nicht nach der ersten unbeantworteten Mail aufgibt, kann man viel bewegen. Petitionen sind ebenfalls eine niedrigschwellige Möglichkeit, sich einzubringen. Das dauert nur wenige Sekunden und kann dennoch Druck auf die Politik ausüben. Und wer noch einen Schritt weitergehen will: Auch der Austausch mit anderen Eltern in Kita- und Schulgruppen kann helfen, politische Themen sichtbar zu machen.
Wie können wir Kinder vor politischer Manipulation in sozialen Medien schützen?
Soziale Medien sind mittlerweile eine der größten Einflussquellen für politische Meinungen – und gerade rechtsextreme Gruppen sind dort extrem aktiv. Besonders Plattformen wie TikTok haben sich als Einfallstor für Propaganda erwiesen. Das bedeutet: Unsere Kinder werden früher oder später mit solchen Inhalten in Berührung kommen. Die Frage ist nicht, ob, sondern wie wir sie darauf vorbereiten.
Ich spreche in meinem Buch von einem Sonnenschutz für die digitale Welt. Wie in der echten Sonne – ein bisschen tut gut, aber ohne Schutz kann es gefährlich werden. Kinder müssen lernen, Fake News zu erkennen, Quellen zu überprüfen und politische Botschaften zu hinterfragen. Ein wichtiger Schritt ist es, sie früh mit Qualitätsmedien in Kontakt zu bringen. Wenn sie sehen, dass ihre Eltern seriöse Nachrichten lesen, statt sich nur über Social Media zu informieren, übernehmen sie das oft. Gleichzeitig sollten wir ihnen beibringen, dass nicht alles, was sie online sehen, der Wahrheit entspricht. Regelmäßige Gespräche sind dabei essenziell – sie müssen wissen, dass sie jederzeit zu uns kommen können, wenn sie auf fragwürdige Inhalte stoßen.
Podcast-Tipp: Unsere Expertin war auch schon mal Gast in unserem Podcast, hier geht es zum Gespräch:
Welche Rolle spielen Großeltern in der Demokratie?
Eine enorm wichtige! Menschen über 50 machen über 60 Prozent der Wählerinnen und Wähler aus. Das bedeutet, sie haben einen riesigen Einfluss auf Wahlergebnisse. Wenn wir also über Demokratie sprechen, sollten wir diese Generation unbedingt mit ins Boot holen. Ich finde Initiativen wie die "Omas gegen Rechts" großartig. Ihre Lebenserfahrung ist unschätzbar wertvoll. Viele von ihnen haben noch Diktaturen erlebt und können ihren Enkeln erklären, warum demokratische Werte nicht selbstverständlich sind. Es ist wichtig, dass wir den aktuellen Generationenkonflikt nicht weiter vertiefen lassen. Gerade in Zeiten von gesellschaftlicher Spaltung müssen sich die Jüngsten und die Ältesten zusammentun – für eine stabile, demokratische Zukunft.
Wie sollte ein Wahltag in der Familie aussehen?
Für mich, meinen Mann und unsere Kinder ist der Wahltag ein echtes Ereignis. Wir gehen als Familie gemeinsam ins Wahllokal, die Kinder dürfen mit rein und erleben, wie wir unser Kreuz setzen. Danach treffen wir uns mit Freunden und schauen gemeinsam die Hochrechnungen. Es geht darum, Wahlen nicht als lästige Pflicht, sondern als etwas Wichtiges, Feierliches zu begreifen. Schließlich geht es um unsere Zukunft. Demokratie ist ein Privileg. Wir sollten sie nicht nur ernst nehmen, sondern auch zelebrieren – damit unsere Kinder das auch tun.
Fazit: Geh am 23. Februar wählen
Viel mehr ist an dieser Stelle tatsächlich nicht zu sagen. Und wenn du dich tatsächlich darüber hinaus politisch engagieren möchtest, hast du jetzt ein paar Tipps parat.