Politischer Tourismus: Welches Reiseziel canceln wir heute?

Micky-Beisenherz-Kolumne
Politischer Tourismus: Welches Reiseziel canceln wir heute?

Veröffentlicht am 12.06.2025
Close up arrival departure board, cancelled flight, flight table.
Foto: iStockphoto

Dass unser Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder ein wenig stur ist, dafür braucht man nicht lange Beweise zu sammeln. Er tat immer schon, was er persönlich für richtig hielt. Duckte sich bewaffnet mit einer Currywurst heimlich weg, wenn der Veggie-Bannstrahl seiner zweiten Frau Hillu ihn zu treffen drohte. Er drückte einer ganzen Nation (und noch viel mehr der eigenen Partei) unliebsame Sozialreformen auf. Und dann zeigte er noch Haltung gegenüber einem vermeintlichen internationalen Verbündeten. Die meisten Leser denken jetzt sicher an die USA und den verweigerten Miteinmarsch in den Irak. Das war gewiss auch keine kleine Sache.

Fast vergessen scheint das touristische Muskelspiel, das den erbosten Kanzler im Juli 2003 dazu brachte, seinen Italien-Urlaub abzusagen. Zuvor hatte der italienische Tourismusminister Stefano Stefani sich dazu hinreißen lassen, deutsche Touristen als "einförmige, supernationalistische Blonde, die besoffen von aufgeblasener Selbstgewissheit" seien, zu bezeichnen. So weit, so korrekt. Schröder schien diese Beschreibung ein wenig zu präzise, woraufhin der Urlaub im sonnigen Pesaro ausfallen musste. Gerd blieb in seiner Heimat Hannover. Doris musste auch. Der italienische Ministerpräsident äußerte sich ebenfalls zu dem Boykott. Berlusconi tat es leid. Für Schröder. Wir waren alle ein bisschen Berlusconi zu der Zeit. Maschsee statt Adriaküste. Hat ein Mensch je so viel auf sich genommen, um ein Zeichen zu setzen. Haben wir Deutschen es ihm je gedankt?

Die (Nicht-) Reise als politischer Protest

Dieser Tage denke ich häufiger an diesen Proto-Protest. Ein Vorläufer jener Gedanken, mit denen sich die Deutschen aufgrund der veränderten Weltlage beschäftigen. Wo darf ich eigentlich noch hin? Wann mache ich mich zum Mitwisser, ja vielleicht sogar Mittäter? Wo muss ich ein Zeichen setzen? Darf ich meinen Urlaub in Los Angeles eigentlich noch antreten, jetzt, da der schreckliche Trump wieder wütet? Kann ich die USA noch betreten? Im Zweifel nimmt die US-Behörde einem die Entscheidung ab. Wer sich vor der Anreise ein wenig zu wuchtig in sozialen Netzwerken über "orange Hitler" geäußert hat, findet sich schnell in einer Arrestzelle wieder, bevor der nächste Flieger ihn direkt wieder heimwärts schickt. Ist es klug und sinnvoll, mit Boykott sein Uneinverständnis über die Lage in den Vereinigten Staaten auszudrücken? Und wen träfe man dort, speziell in den Regionen, die von Tourismus leben, wirklich? Zumal rund 50 Prozent der amerikanischen Bevölkerung Trump nicht gewählt haben.

Man hat also eine recht gute Chance, ziemlich häufig auf Leute zu treffen, die einen ähnlichen Wertekanon haben wie man selbst. Und selbst die andere Hälfte besteht gewiss nicht ausschließlich aus verabscheuungswürdigen Kreaturen – sondern nicht selten aus Menschen, deren Motivation im direkten Aufeinandertreffen zu erfahren, womöglich sogar etwas spannender ist als der dritte Karaokeabend im Robinson Club Fuerteventura. Auf Rügen indes ist die Wahrscheinlichkeit, unter AfD-Wählern zu sein, bedeutend größer. In Mecklenburg-Vorpommern kamen die Blauen bei der Bundestagswahl auf 35 Prozent Zustimmung. Deshalb hieß es plötzlich, dass viele Touristen aus Protest ihren Urlaub dort würden stornieren wollen. Das sitzt. Wieder einmal kann der edle Wessi dem schmuddeligen Ossi mit gezielter Pädagogik in die Spur helfen. Allein: Ist der Weg raus aus der Verhärtung und durch digitale Netzwerke befeuerten Verfeindung nicht die persönliche Begegnung? Führt Boykott und Fernbleiben nicht noch zu einer weiteren Verfestigung demokratiegefährdender Klischees? Welcher Parameter entscheidet denn über die Rechtfertigung unseres Fernbleibens? Vielleicht, wenn bei 2 Pommesbudenbetreibern in den Dünen auf Rügen im Radio über der Fritteuse Böhse Onkelz laufen? Was ist denn mit dem Plattensee, wo in Ungarn doch der schlimme Orbán herrscht?

Früher war Reisen weniger politisch

Hat es uns je interessiert, was politisch so in Tunesien los ist, solange wir in Ruhe Kluburlaub auf Djerba machen konnten? Welches autoritäre Zwischentief von Erdoğan ist unterirdisch genug, um dieses Jahr dann doch Antalya zu canceln? Und was machen wir denn mit Italien, wo mit Meloni eine Postfaschistin (schlimm!) an der Macht ist, die aber gleichzeitig kontra Putin (gut!) und überdies ein europäischer Stabilitätsanker ist? (Sapperlot!) Da wird unsere Ambiguitätstoleranz ganz mächtig wundgescheuert.

Was machen wir denn da? Womöglich akzeptieren, dass die Welt komplex ist und unsere einzige Chance, sie ein wenig besser zu machen, der herzliche und offene persönliche Kontakt von Fremden ist. Zumal ich das angedrohte Fernbleiben deutscher Touristen auch ein wenig drollig finde. Sag mir einen Ort auf der Welt, der je besser geworden wäre, weil die deutschen Touristen dort auftauchten. Da sollten wir doch ganz demütig sein.

Gleichwohl möchte auch ich ein Zeichen setzen: Aus tiefem Unverständnis über die prorussische Position von Gerhard Schröder werde ich in den nächsten Jahren keinen Sommerurlaub in Hannover machen. Eine Konsequenz, die ich mir leisten will.