Vaterschaftsurlaub
Warum Väter in Deutschland nach der Geburt kaum frei bekommen

Eine EU-Richtlinie sieht seit August 2022 zehn Tage Vaterschaftsurlaub direkt nach der Geburt des Kindes vor. In Deutschland findet diese aber noch keine Anwendung. Das geplante Familienstartzeitgesetz könnte das jedoch nächstes Jahr ändern. Wir erklären die Hintergründe
Vaterschaftsfreistellung: Eine gute Basis für eine enge Vater-Kind-Bindung von Anfang an
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In diesem Artikel:
  • Was ist der Unterschied zwischen Vätermonaten und Vaterschaftsurlaub?
  • Und was ist mit Sonderurlaub für Väter nach der Geburt?
  • Was besagt die EU-Vereinbarkeitsrichtlinie über Vaterschaftsurlaub?
  • Warum wird die Richtlinie in Deutschland nicht umgesetzt?
  • Was sind die Vorteile von Vaterschaftsurlaub?
  • Welche europäischen Länder haben schon Vaterschaftsurlaub?
  • Fazit: Vaterschaftsfreistellung frühestens 2024

Über Mutterschaftsurlaub müssen wir in Deutschland nicht diskutieren: 6 Wochen vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin und 8 Wochen nach der Geburt ist die Mutter von der Arbeit freigestellt – dafür sorgt schon das Mutterschutzgesetz, kurz MuSchG. Ein Äquivalent für Väter gibt es in Deutschland bisher aber noch nicht – und darüber kann man vortrefflich diskutieren, denn in der Tat gibt es eine EU-Richtlinie, die dieses vorsieht. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu diesem Thema.

Was ist der Unterschied zwischen Vätermonaten und Vaterschaftsurlaub?

Der Begriff "Vätermonate" wurde in Deutschland mit der Einführung von Elternzeit und Elterngeld im Jahr 2007 populär. Leider ist er aber etwas irreführend – gemeint sind nämlich die sogenannten zusätzlichen "Partnermonate", die genommen werden können, wenn sich Mutter und Vater die Betreuung des Kindes aufteilen. Zur Erinnerung: Wenn nur einer von beiden zu Hause beim Kind bleibt, bekommt er 12 Monate lang Elterngeld vom Staat, teilen sich beide die Elternzeit, erhöht sich die Dauer auf 14 Monate, vorausgesetzt beide nehmen mindestens jeweils zwei Monate. Das bedeutet aber nicht, dass zwingend immer die Frau 12 Monate und der Mann 2 Monate nehmen muss – es kann auch genau umgekehrt sein. "Vaterschaftsurlaub" ist dagegen ein Begriff, der fest an besagter EU-Richtlinie gebunden ist ("paternity leave"). "Wobei viele in diesem Zusammenhang auch gerne von Vaterschaftsfreistellung sprechen", sagt Hans-Georg Nelles, Sozialwissenschaftler aus Köln und Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft Väterarbeit in NRW. Die Wortklauberei hat einen guten Grund: Alle, die schon mal eine längere Zeit mit einem kleinen Kind zu Hause waren, wissen, dass man das eigentlich nicht guten Gewissens als "Urlaub" bezeichnen kann.

Und was ist mit Sonderurlaub für Väter nach der Geburt?

Ja, auch darauf hat man einen gesetzlichen Anspruch – und zwar findet sich der im Paragraf 616 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Dort ist allerdings nicht festgeschrieben, wie viele Tage genommen werden können, in der Praxis wird dem Arbeitnehmer deshalb oftmals nur ein einziger Tag Sonderurlaub gewährt. Und auch nicht alle Väter kommen in diesen Genuss: Unverheiratete Männer haben vom Gesetz her keinen Anspruch auf Sonderurlaub bei der Geburt (Urteil vom 18.01.2001 des Bundesarbeitsgerichts). Sinnvoll ist in diesem Falle übrigens auch ein Blick in den Arbeitsvertrag, in die Betriebsvereinbarung oder in den Tarifvertrag: Da immer mehr Unternehmen auf Familienfreundlichkeit setzen, können hier auch zwei bis drei Tage Sonderurlaub für den frisch gebackenen Vater festgeschrieben sein.

Was besagt die EU-Vereinbarkeitsrichtlinie über Vaterschaftsurlaub?

"Eine im Jahr 2019 beschlossene EU-Vereinbarkeitsrichtlinie sieht in allen Ländern zehn Tage bezahlten Vaterschaftsurlaub für Väter direkt nach der Geburt des Kindes vor", erklärt Väter-Experte Nelles. Genauer gesagt geht es um die "EU-Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige (2019/1158)". Einige Staaten haben diese schon umgesetzt, andere – wie Deutschland – bisher nicht. Die Krux an der Sache: Eigentlich hätte die Richtlinie bis August 2022 in jedem Land umgesetzt werden müssen. Aber gerade in Deutschland ist das ein strittiger Punkt und es gibt zwei Lager. "Auch die EU-Kommission hat Deutschland bereits gerügt, weil die EU-Vereinbarkeitsrichtlinie noch nicht in nationales Recht umgesetzt wurde und hat deshalb gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet", erklärt die Berliner Rechtsanwältin Sandra Runge von der Initiative #proparents.

Warum wird die Richtlinie in Deutschland nicht umgesetzt?

In der Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Bundesregierung die Richtlinie nicht in deutsches Recht umgesetzt. Die Begründung damals: Die bestehenden Gesetze, die sich auf Elterngeld und Elternzeit beziehen, reichen bereits aus. "Das Elterngeld stelle Mütter und Väter bereits besser, als es die EU-Richtlinie vorsieht", hieß es aus dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Partner könnten direkt nach der Geburt schließlich gemeinsam bis zu 14 Monate Elterngeld bekommen. Das beträgt bis zu 1800 Euro pro Monat. Auf Nachfrage der Tageszeitung "Welt" lieferte das Ministerium eine weitere erstaunliche Erklärung. Es stelle sich die Frage, ob der zehntägige Vaterschaftsurlaub das Ziel des Elterngeldes "vielleicht sogar konterkariere". Viele Väter nähmen ihre Elternzeit unmittelbar nach der Geburt für einen längeren Zeitraum. "Bei einem zehntägigen Vaterschaftsurlaub ist zu befürchten, dass Väter sich dann eben nur diese zehn Tage Urlaub nehmen, um einen möglichen Konflikt mit dem Arbeitgeber zu vermeiden", sagte eine Sprecherin.

Zum Glück sieht die neue Bundesregierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz das anders. Jede der drei Ampelparteien hatte die Vaterschaftsfreistellung im jeweiligen Wahlprogramm und auch in den Koalitionsvertrag wurde sie aufgenommen. Eine der ersten Amtshandlungen der Bundesfamilienministerin Anne Spiegel war, anzukündigen, einen zweiwöchigen Väterurlaub nach Geburt des Kindes umzusetzen. Problem: Anne Spiegel trat schon nach 5 Monaten von ihrem Amt zurück und ihre Nachfolgerin Lisa Paus hielt sich lange Zeit bei den Plänen ihrer Vorgängerin bedeckt. Erst Ende November 2022 verkündete sie: "Die zweiwöchige Freistellung nach der Geburt kommt, nicht mehr in diesem Jahr, aber in 2024". Die wirtschaftliche Lage sei derzeit schwierig, vor allem für kleine und mittlere Unternehmen. "Deshalb möchte ich dieses wichtige Vorhaben im nächsten Jahr aufs Gleis setzen", so die Bundesfamilienministerin. Dazu soll eine zweiwöchige Freistellung nach der Geburt für den Partner bzw. die Panterin im Mutterschutzgesetz verankert werden. Jetzt wird es endlich konkret: Inzwischen existiert ein Referentenentwurf, der ein Familienstartzeitgesetz vorsieht. In dem Gesetzentwurf heißt es: "Mit der Geburt des Kindes und dem Beginn der Elternzeit stellen Paare zentrale Weichen für ihre Aufgabenteilung bei Familien- und Erwerbsarbeit. Da diese Aufteilung bei fast allen Familien für lange Zeit beibehalten wird, hat die Entscheidung große Tragweite (…)."

Kritikern ist das nicht früh genug, die Zeit drängt. Das bestätigt auch ein Rechtsgutachten des Arbeitsrechtlers Professor Stefan Treichel von der Hochschule Emden/Leer im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Dem Gutachten mit dem Titel "Zur Notwendigkeit einer Umsetzung der Vereinbarkeitsrichtlinie 2019/1158 vom 20. Juni 2019 in das geltende Arbeits- und Sozialrecht" zufolge sind die geltenden Regelungen in Deutschland nicht ausreichend, um die Vereinbarkeitsrichtlinie umzusetzen. Diese nennt explizit den Zeitraum der Geburt als Anlass für die Freistellung. Das Elterngeld diene demnach vor allem dem Ziel, dass Väter und Mütter ihren Beruf ausüben können, weil sich der jeweils andere ums Kind kümmert. Die Vaterschaftsfreistellung aber soll zu einer frühen Bindung zwischen Vätern und ihren Kindern und einer gleichmäßigen Aufteilung der Betreuung zwischen den Partnerinnen beitragen. Im Gutachten heißt es daher, es sei "zweckmäßig, ein eigenständiges 'Vaterschaftsurlaubsgesetz' einzuführen." Das Gehalt müsste während der Vaterschaftsfreistellung zu 100 Prozent weitergezahlt werden.

Was sind die Vorteile von Vaterschaftsurlaub?

"Ein gesetzlicher Anspruch hätte zwei große Vorteile", sagt der Hamburger Unternehmensberater Volker Baisch von der Väter gGmbH, der sich auf das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Vätern spezialisiert hat. "Die Väter bräuchten die Auszeit nicht zu beantragen und wären gleich im Wochenbett präsent und könnten ihre Partnerin unterstützen, was ein erster Schritt hin zu mehr Partnerschaftlichkeit wäre. Außerdem könnten Väter früh eine enge Bindung zum Kind aufbauen."

Eine bessere Vater-Kind-Bindung ist aber nicht der einzige Vorteil eines zehntägigen bezahlten Vaterschaftsurlaubs in Deutschland. "Zu erwarten ist außerdem, dass sich dies auch positiv auf den immer noch viel zu großen Gender Care Gap auswirkt", sagt DGB-Vorsitzende Elke Hannack. "Denn für die Kindererziehung oder die Hausarbeit wenden Frauen pro Tag im Schnitt über 50 Prozent mehr Zeit auf als Männer."

Eine weltweite Studie des Beratungsunternehmens Ernst & Young und dem in Washington ansässigen Peterson-Institut für internationale Wirtschaft hat zudem ergeben, dass die Länder mit dem höchsten Anteil von Frauen in Führungspositionen, Vätern elfmal mehr Vaterschaftsurlaubstage anbieten. "In Ländern, die familienfreundlicher sind und mehr Unterstützung bei der Geburt und Erziehung haben, schaffen es Frauen eher an die Spitze", sagte Marcus Noland, Studiendirektor des Peterson Institutes. Interessanter Nebenaspekt: "Je mehr Frauen in der Chefetage sind, desto profitabler ist das Unternehmen", so Noland.

Podcast-Tipp: Das Thema Vaterschaftsfreistellung wurde auch schon mal bei den "Echten Papas" besprochen, hier geht es zum Gespräch:

Welche europäischen Länder haben schon Vaterschaftsurlaub?

Jedes Land macht es ein wenig anders. In Schweden zum Beispiel, das gerne als Vorbild bei diesem Thema herangezogen wird und schon Anfang der 1970er ein ähnliches Elternzeit-System eingeführt hat wie Deutschland, besteht zusätzlich zum Anspruch auf Elternzeit ein Recht auf 10 Tage Freistellung für Väter innerhalb der ersten drei Monate nach der Geburt, bei Lohnersatz in Höhe von 80 Prozent. Im Nachbarland Frankreich besteht zusätzlich zur Elternzeit ein Anspruch auf 11 Tage Freistellung für Väter innerhalb der ersten vier Monate nach der Geburt, der in Höhe des französischen Mutterschaftsgelds bezahlt wird. Zuletzt schauten aber alle bei dem Thema Vaterschaftsurlaub nach Spanien: Seit 1. Januar 2021 haben Väter dort Anspruch auf eine ebenso lange Elternzeit wie Mütter, nämlich 16 Wochen. Die ersten sechs Wochen Elternzeit unmittelbar nach der Geburt sind für die Väter sogar obligatorisch. Zudem erhalten beide Eltern vollen Lohnausgleich.

Fazit: Vaterschaftsfreistellung frühestens 2024

"Besonders in der ersten Zeit nach der Geburt ist es wichtig, dass Eltern Zeit füreinander und das Baby haben", sagt Bundesfamilienministerin Lisa Paus und plant deshalb die 14-tägige Vaterschaftsfreistellung - die aber frühestens im Jahr 2024 in Kraft treten kann. Einen konkreteren Zeitplan gibt es momentan leider noch nicht. Im wahrsten Sinne eine schwere Geburt.