Attachment Parenting für Väter
Dieser Erziehungsstil für Kinder macht alle Beteiligten zufriedener

Väter erziehen anders als Mütter. Aber wie genau? Das ist vielen Männer leider immer noch nicht ganz klar. Unser Ratschlag: Versuch es mal mit bedürfnisorientierter Erziehung – im Daddy-Style
Dieser Erziehungsstil für Kinder macht alle Beteiligten zufriedener
© Shutterstock.com / Fizkes
In diesem Artikel:
  • Was versteht man unter dem amerikanischen Begriff Attachment Parenting?
  • Ist bedürfnis-, beziehungs- bzw. bindungsorientierte Erziehung das selbe?
  • Welche Vorteile hat dieser Erziehungsstil?
  • Hat diese Art der Erziehung auch Nachteile?
  • Warum war Attachment Parenting bisher ein Mütterthema?
  • Warum ist es auch für Väter so wichtig?
  • Gibt es bei dieser Erziehung einen Unterschied zwischen Männern und Frauen?
  • Wie funktioniert Attachment Parenting beim Vater?
  • Inwieweit steht einem Vater beim Attachment Parenting der eigener Papa im Wege?
  • Ist das Gegenteil von bedürfnisorientiert autoritär?
  • Fazit:

"Den eigenen Weg in der Kindererziehung zu finden, fällt sehr vielen Vätern schwer“, sagt Väter-Coach Carsten Vonnoh aus Weimer. Aus diesem Grund hat der Familienberater gerade einen Ratgeber veröffentlich mit dem Titel "Up to Dad". Untertitel des Buches: "Kinder entspannt begleiten und den eigenen Weg gehen“. Im Fokus des Ratgebers: die männliche Perspektive auf bedürfnisorientierte Erziehung. Oder auf gut Neudeutsch: Attachment Parenting. Im Interview erklärt der Experte, was man darunter versteht - und wie’s geht.

Was versteht man unter dem amerikanischen Begriff Attachment Parenting?

"Der Begriff wurde durch das Ehepaar Sears in den 80er-Jahren eingeführt. Gemeint ist eine Form der Erziehung, welche die Mutter-Kind-Bindung unterstützen soll und sich vor allem auf die körperliche Nähe zwischen Kind und Mutter fokussiert. Dabei stehen vor allem das Stillen und das Schlafen im Vordergrund sowie eine besondere Achtsamkeit gegenüber den Signalen und Bedürfnissen des Kindes. Zur damaligen Zeit war das ein großer Kontrast zur Praxis in vielen Familien und Kliniken."

Ist bedürfnis-, beziehungs- bzw. bindungsorientierte Erziehung das selbe?

"Für mich ist die eindeutige Unterscheidung hier gar nicht so entscheidend, oft werden die Begriffe auch synonym verwendet. Für mich ist das Wichtige, dass egal wie sie heißt, diese Form der Erziehung das Kind und die Beziehung zu ihm in den Vordergrund stellt. Das ist übrigens eine wichtige Unterscheidung zum Laissez-Faire-Erziehungsstil: Ich schaue hier nicht nur auf das Kind und lasse es machen, was es will, sondern achte auf die Bedürfnisse von allen im Familiensystem. Dafür ist eine größere Achtsamkeit notwendig, viel Empathie und ein hohes Maß an Selbstreflektion. Zu Letzterem gehört auch, dass wir schauen, wie wir mit uns umgehen, wie gut wir unsere Wut regulieren, wie wir unsere Grenzen schützen und wie auch wir unsere Bedürfnisse so artikulieren können, dass sie kein Vorwurf oder eine Verletzung darstellen."

Welche Vorteile hat dieser Erziehungsstil?

"Als Vater achte ich darauf, dass mein Kind durch meine Machtposition nicht – oder so wenig wie möglich – in seinem Kern verletzt wird, später selbstsicherer ist und klar artikulieren kann, was ihm guttut. Umso geübter ich in dieser Haltung werde, desto weniger muss ich in einer gewissen Hilflosigkeit auf Schreien Schimpfen und Bestrafen zurückgreifen. Es verschiebt den Fokus vom Verhalten des Kindes darauf, wie es uns als Eltern geht und was uns dazu führt, dass wir gerade nicht so können, wie wir eigentlich wollen. Ich glaube, das Besondere an diesem Weg ist, dass ich so respekt- und würdevoll gegenüber meinen Kindern sein kann, wie es mir gerade möglich ist. Dass ich meine Kinder in ihren Bedürfnissen versuche ernst zu nehmen und hinter allem erst mal einen Sinn vermute; dass ich davon ausgehe, dass das, was sie tun, immer einen Grund hat und wir durch jeden Konflikt die Chance haben, unsere Beziehung zu stärken."

Hat diese Art der Erziehung auch Nachteile?

"Die Gefahr dabei, wenn ich permanent versuche, nur auf die Bedürfnisse meiner Kinder einzugehen ist, dass ich meine eigenen Bedürfnisse und Grenzen aus dem Blick verliere, ständig erschöpft und unzufrieden bin und nicht ausreichend auf mich und möglicherweise auch auf meine Partnerschaft achte. Meine Erfahrung ist: Je besser ich für mich sorge, desto besser kann ich auch beim Kind sein. Das heißt für Väter: Haltet regelmäßig inne und überlegt, was ihr wirklich braucht, wo ihr ans Limit kommt und schaut, wie ihr daran etwas ändern könnt. Und es braucht einiges an Selbstreflektion und Achtsamkeit - das ist für viele kein leichter Weg."

Warum war Attachment Parenting bisher ein Mütterthema?

"In seinen Ursprüngen hatte das Konzept nur die Mütter im Blick, der Anspruch nach einer neuen Beziehungsqualität zwischen Vätern und Kindern ist etwas, dass wir noch nicht allzu lange beobachten können. Lange Zeit waren Väter vor, während und nach der Geburt nur wenig präsent, hatten wenig Gelegenheit, ihr Kind ebenfalls gut kennen zu lernen, Kompetenz zu entwickeln und eine tiefere Bindung aufzubauen. Hinzu kommt, dass Mütter sich sehr viel mehr austauschen, sehr viel mehr voneinander lernen und sich etwa in Kursen regelmäßig begegnen, oft einen Riesenvorsprung haben und sich nicht selten in ihrer Mutterrolle sehr gut eingerichtet haben. Sie verbringen wesentlich mehr Zeit mit ihren Kindern, nicht zuletzt dadurch, weil die Bedeutsamkeit des Stillens immer größer wird."

Warum ist es auch für Väter so wichtig?

"Wichtig ist das Thema für Väter, wenn sie selbst merken, dass die alten Muster und Impulse der Erziehung nicht mehr weiterhelfen, wenn sie Alternativen zum Schimpfen, Drohen und Bestrafen suchen und sich eine respekt- und vertrauensvolle Beziehung zu ihrem Kind wünschen. Auch Väter können eine tiefe Bindung zu ihren Kindern aufbauen, in der sie genauso gut trösten, Halt und Liebe geben können. Für mich ist es außerdem wichtig, dass meine Kinder auch als Erwachsene eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren Eltern haben und keine Scheu, auch ihren Schmerz und ihre Belastung zu teilen."

Gibt es bei dieser Erziehung einen Unterschied zwischen Männern und Frauen?

"Ja das denke ich, auch wenn es in der grundsätzlichen Haltung natürlich keinen Unterschied gibt. Männer können in der Tat anders erziehen, nicht nur aus biologischer Hinsicht: Sie erziehen, so wie sie geprägt wurden. Dazu gehört, in welchem Verständnis von Männlichkeit sie aufgewachsen sind, wo sie möglicherweise Verletzungen aus ihrer eigenen Kindheit erfahren haben, wo sie Muster und Stressreaktionen übernommen haben die Standard in ihrem Elternhaus waren. Und je nachdem, wie stark Männer ihre männlichen (und weiblichen) Qualitäten ausleben, können Kinder Unterschiede wahrnehmen und andere Impulse bekommen als bei der Mutter."

Wie funktioniert Attachment Parenting beim Vater?

Traditionell hat das Attachement Parenting die Mutter-Kind-Bindung im Blick, wie kann man das auf Väter übertragen? "Gerade wenn wir uns die Bindungsorientierung anschauen, steht natürlich die körperliche Nähe, das Stillen, das eng verbunden sein im Vordergrund. Und natürlich gibt es da Unterschiede wie das zwischen Vätern und Müttern gelebt werden kann. Und es ergibt auch wenig Sinn, hier Mütter kopieren zu wollen. Wir können als Vater aber natürlich auch eine enge (körperliche) Beziehung zu unseren Kindern aufbauen, wenn wir gerade in der Babyzeit auch ausreichend Zeit mit unseren Kindern verbringen, sie im Arm halten, sie in Tragen oder Tüchern tragen. Sie mit dem Fläschchen füttern, beim Baden und Einschlafen begleiten. Und viele andere Dinge, die für unsere Väter in ihre Kindheit vielleicht überhaupt nicht normal waren."

Inwieweit steht einem Vater beim Attachment Parenting der eigener Papa im Wege?

"Das ist eine sehr individuelle Sache, je nachdem welche Erfahrungen wir mit unseren Vätern gemacht haben. Wenn unsere Väter bisher noch nicht in der Lage gewesen sind, großartige Nähe zuzulassen, sich emotional zu öffnen, wirklich präsent zu sein, sehr wahrscheinlich auch weil sie keine Vorbilder dafür hatten, dann fallen uns diese Dinge unter Umständen schwieriger als Männern, die diese Erfahrung schon hatten. Und wenn ich vielleicht einen Vater erlebt habt, der gewalttätig und übergriffig war, dann kann das möglicherweise sein, dass ich selbst Angst davor habe, mein Inneres zu zeigen, meine Aggressivität, meine Wut ernstzunehmen, aus Furcht, dass es andere verletzen könnte. Und dazwischen gibt es viele andere Themen, die wir mit unseren Eltern teilen."

Podcast-Tipp: Experte Carsten Vonnoh war auch schon mal Gast bei den "Echten Papas", hier geht's zum Gespräch:

Ist das Gegenteil von bedürfnisorientiert autoritär?

"Da kann man unterschiedlicher Meinung sein. Nach meinem Verständnis missbrauche ich in einer autoritären Erziehung permanent meine Macht, um ein gewünschtes Verhalten beim Kind zu erzwingen. Meine eigene Vorstellung ist dann der Maßstab, was gut für mein Kind ist. Oft übersehe ich dabei, wie es meinem Kind (und auch mir) damit geht. Der Preis davon ist immer, dass ich die Würde meines Kindes untergrabe, seine Integrität verletze und ihm ein Erbe hinterlasse, dass aus Angst, Unsicherheit und Selbstzweifeln bestehen kann."

Fazit:

"Väter sollten Mütter in der Kindererziehung nicht kopieren", sagt Familienberater Carsten Vonnoh. Aber auch nicht den eigenen Vater - denn auch der reicht oftmals als Vorbild nicht aus. Hier seinen eigenen Weg zu finden, ist nicht leicht, ein Einstieg kann aber mit Hilfe seines Buches gelingen. Eine weitere Möglichkeit wäre, ein Coaching oder ein Seminar bei dem Experten zu buchen, alle Infos dazu gibt es auf seiner Website www.vaterverantwortung.de. Aber egal für welchen Weg du dich auch entscheidest: Wir sind uns sicher, dass du das Kind schon schaukeln wirst.