Das guckt dein Kind heimlich auf dem Handy

Medienzeit am Handy
Was dein Kind heimlich auf dem Smartphone guckt

Inhalt von
Zuletzt aktualisiert am 11.12.2024
Vater und Sohn sitzen auf dem Sofa und amüsieren sich mit einem Smartphone
Foto: Shutterstock.com / geber86

Ein Handy kann ein Segen sein. Egal, ob auf einer langen Autofahrt, am Esstisch im Restaurant oder am Nachmittag, wenn du noch einen Videocall hast und sich das Kind allein beschäftigen musst. Aber: Ein Smartphone ist ein kleiner Computer, mit dem Kinder sehr vieles entdecken, das gar nicht für Kinder gedacht ist.

Im Interview mit Men's Health Dad erklärt der Digitaltrainer Daniel Wolff aus Grafrath, dessen aktuelles Buch "Allein mit dem Handy" gerade erschienen ist, wie du deine Kinder schützen kannst, was es alles im Internet zu bedenken gibt und warum ein Smartphone-Nutzungsvertrag durchaus sinnvoll ist.

Wie sind Sie überhaupt darauf gekommen, sich damit zu beschäftigen, was Kinder auf dem Smartphone alles so erleben?

"Wenn man so will, war es eine Fügung des Schicksals. Ich hatte Lehramt studiert, war dann aber zuerst in die IT-Medienbranche eingestiegen, wo ich sehr viel über die Digitalindustrie gelernt habe. Lehrer wurde ich erst mit ungefähr 40 Jahren. Dann sind mehrere Dinge gleichzeitig passiert: Meine eigenen Kinder kamen ins Handy-Alter, und als Lehrkraft habe ich gemerkt, wie dringend Kinder und Jugendliche über digitale Themen sprechen wollen. Als Lehrer war ich im Alltag aber an den Lehrplan gebunden und konnte deshalb nur wenig über das reden, was die Kinder am dringendsten interessierte. Ich habe aber trotzdem die Zeit gefunden, mit mehreren meiner Schulklassen 'off the record' und mit vorher ausdrücklich garantierter Straffreiheit darüber zu sprechen, was sie im Internet so alles erlebt haben – und zum Beispiel nachgefragt, wer schon einmal ein 'lustiges' Bild von Adolf Hitler im Klassenchat hatte. Alle haben sich gemeldet! Dann habe ich gefragt: Wer von euch hat schon mal 'etwas Nackiges' geschickt bekommen? Wieder meldeten sich alle! So erfuhr ich zum ersten Mal: Wenn Kinder wissen, dass sie nicht bestraft werden, teilen sie Unglaubliches und sprechen offen und gerne darüber. Deshalb arbeite ich jetzt als Digitaltrainer an Schulen, um genau das zu tun."

Warum haben denn so viele Eltern keinen Plan davon, was ihre Kinder auf dem Handy schauen?

"Weil sie als Kinder selbst keine Smartphones hatten, fehlt ihnen ganz einfach die eigene Erfahrung. Sie haben das Internet nie aus der Perspektive der Kinder erlebt. Stattdessen sind digitale Medien für viele Eltern vor allem erst einmal sehr praktisch: Sie sitzen dann meist in ihrem Zimmer, trinken keinen Alkohol und rauchen nicht – Erziehungsauftrag erfüllt! Vor allem aber sind sie still – dann können die Eltern sich ausruhen oder selbst in Ruhe in digitale Welten abtauchen. In den Workshops berichten viele Kinder davon, dass ihre Eltern auch selbst 'immer' auf ihr Handy schauen. Jeder kennt die Szene im Restaurant, wo das Kleinkind vorm Smartphone oder Tablet geparkt wird, damit die Eltern in Ruhe essen können. Es gibt aber Familien, da läuft das auch zu Hause jeden Tag so! Wohin das führen kann, zeigt diese Geschichte: Ein Kind im Workshop hat mir letzte Woche von seinem zweijährigen Geschwisterkind erzählt, das täglich zu Hause mehrere Stunden YouTube gucken darf. Eines Abends fing es dann plötzlich laut an zu schreien und zu weinen, weil es zwischen zwei YouTube-Clips eine Horrorfilm-Werbung gesehen hatte. Man glaubt es kaum, aber so etwas ist in manchen Familien leider bittere Realität."

Daniel Wolff
PR

Aber gerade dann müssen sich Eltern doch kümmern. Warum tun viele es trotzdem nicht?

"Der Widerwille, sich damit zu beschäftigen, ist bei vielen Eltern leider sehr groß. Über Mediennutzung nachzudenken und mit den Kindern zu sprechen, ist sehr anstrengend. Oft bedeutet es auch, die eigene Mediennutzung zu reflektieren – die auch bei vielen Erwachsenen enorme Ausmaße angenommen hat, oft ohne, dass man sich das selbst eingestehen möchte. Und: Wenn ich als Elternteil meinem Kind nur eine begrenzte Mediennutzung am Tag erlaube, muss ich unter Umständen für die restliche Zeit für eine anderweitige Beschäftigung sorgen – und eventuell sogar selbst mitmachen. Auch das empfinden viele Eltern als anstrengend."

Sie berichten in Ihrem Buch von ganz schlimmen Beispielen, was Kinder auf ihren Handys schauen: Horror, Pornos, Gewalt. Wie ist das überhaupt möglich?

"Vielen Eltern ist nicht bewusst, dass all diese Inhalte kinderleicht zugänglich sind – und Kinder sich das auch tatsächlich ansehen, ganz einfach, weil alle Kinder neugierig sind. Manchmal bekomme ich es in meiner Arbeit mit einer Medienverwahrlosung zu tun, die so groß ist, dass viele Eltern es sich gar nicht vorstellen können. So erlaubt über die Hälfte der Eltern in Deutschland ihren Kindern, das Smartphone mit ins Bett zu nehmen. Leider geht das oft schief: Neulich erzählte mir ein Kind im Workshop, dass es nachts etwas Schlimmes gesehen hatte und große Angst bekommen hatte. Es lief um drei Uhr nachts zu seiner Mutter hinüber – die aber selbst gerade durch Tiktok scrollte und das Kind wieder wegschickte! Wir haben immer wieder Kinder in unseren Workshops, die buchstäblich die ganze Nacht mit YouTube, TikTok oder Spielen wie Brawl Stars oder Roblox verbringen – und dann in die Schule gehen! Kein Wunder, wenn sie dann in der Schule viel zu müde sind, um noch irgendetwas zu lernen. Je jünger die Kinder sind, die ihre Smartphones oder Tablets tagsüber und nachts grenzenlos nutzen dürfen, desto größer ist die Katastrophe, die deren Eltern durch ihre fehlende Medienerziehung anrichten."

Ganz grundsätzlich: Ab wann sollten Kinder ein Smartphone haben, ab wann sollten sie welche Apps nutzen dürfen?

"Man muss hier stark differenzieren, auch die Situation in der Klasse des Kindes spielt eine große Rolle. In einer idealen Welt ohne Gruppendruck würde ich Eltern empfehlen, Kindern ein Smartphone ab einem Alter von 14 Jahren zur Verfügung zu stellen und Social-Media-Apps erst mit 16 Jahren zu erlauben. Eltern müssen sich klarmachen, dass ein Smartphone immer bedeutet, dass Kinder im Internet regelmäßig auch Sachen sehen, die absolut nicht für Kinder geeignet sind. Deshalb müssen Eltern sich fragen: Ab welchem Alter möchte ich das meinem Kind zumuten?"

Viele Eltern nutzen Schutz-Funktionen, damit die Bildschirmzeit des Kindes reguliert ist oder nur bestimmte Inhalte verfügbar sind. Ist das nicht ein guter Ansatz?

"Wer sich entscheidet, Kindern schon im Grundschulalter oder in der 5./6. Klasse ein Smartphone zu geben, kommt um Kinderschutz-Software wie Apples Bildschirmzeit oder Google Family Link aus meiner Sicht gar nicht herum: Sonst weiß ich ja gar nicht, welche Apps mein Kind nutzt – und wie lange! Das halte ich für komplett unverantwortlich. Allerdings sollte man von vornherein wissen: Je älter die Kinder werden, desto wahrscheinlicher finden sie einen Weg, so gut wie jede Kinderschutz-Software zu umgehen. Wenn Eltern solch eine Schutz-Funktion nutzen, müssen sie deshalb ganz sicher gehen, dass ihr Kind nicht die Pin-Nummer ihres Handys kennt. Sie glauben gar nicht, wie viele Kinder mir in den Workshops erzählen, dass sie den Pin-Code vom Smartphone ihrer Eltern kennen – und die Eltern das nicht einmal ahnen. Viele weitere Tricks sind online zu finden, die Kinder tauschen zudem die besten Hacks auf dem Schulhof aus. Das wird also auf ein ständiges Katz- und Mausspiel zwischen Eltern und Kindern hinauslaufen – aber man sollte hier nicht aufgeben, sondern immer mit seinen Kindern auf Tuchfühlung bleiben."

Was raten Sie Eltern denn konkret?

"Die technischen Lösungen sollten nur für Zeiträume gedacht sein, in denen die Kinder mit dem Smartphone allein sind. Wenn die Eltern zuhause sind, sollten sie deshalb mit den Kindern auch einmal zusammen deren Lieblings-Apps nutzen und mit ihnen darüber sprechen. Ich rate Eltern von Kindern bis zur 6. Klasse grundsätzlich, YouTube nur im Wohnzimmer auf dem Fernseher laufen zu lassen. Dann muss ich als Elternteil nicht immer daneben sitzen, bekomme aber trotzdem sofort mit, wenn etwas abgespielt wird, das nicht passend ist. Es ist für Eltern anstrengend, das auszuhandeln, aber es ist nötig. Bevor ein Kind WhatsApp auf dem Smartphone haben darf, rate ich Eltern immer, in etwa Folgendes zu vereinbaren: Du kannst gerne WhatsApp haben, aber wir haben eine Bedingung. Du musst uns ab und zu reinsehen lassen. Denn in vielen Klassenchats passieren Dinge, die nicht gut für dich sind. Wir wollen dich und uns schützen – vor allem, weil WhatsApp laut Nutzungsbedingungen erst ab 16 Jahren ist. Wenn die Alternative ist, kein WhatsApp zu haben, stimmen die meisten Kinder dieser Vereinbarung zu – und man kann später mal mit gutem Gewissen nach dem Rechten sehen – natürlich immer gemeinsam mit seinem Kind."

Gehen eigentlich Väter und Mütter unterschiedlich mit dem Thema um? Was erleben Sie, wenn Sie mit Eltern dazu sprechen?

"Vor allem Väter denken gerne, sie seien schon allein deshalb digital kompetent, weil sie seit Jahrzehnten mit Computern arbeiten. Ich sage das ohne Vorwurf – denn ich war vor ein paar Jahren selbst so. Diese Väter haben aber tatsächlich oft gar keine Ahnung zum Beispiel davon, wie sich ein zwölfjähriges Mädchen bei Instagram fühlt, wenn es zu wenige Likes bekommt. Diese Gefühlswelt ist vielen Vätern völlig unbekannt. Bei den Elternabenden, die ich als Digitaltrainer anbiete, kommen leider zu ungefähr 80 Prozent Mütter und nur zu 20 Prozent Väter. Es ist auch bei der Medienerziehung sehr wichtig, dass beide Elternteile sich auskennen und ihre Kinder begleiten. Und gerade Väter müssen dafür ihr eigenes Verhalten reflektieren. Es spricht nichts dagegen, mal mit dem Kind zu zocken, aber Väter sind Vorbilder und sollten selbst nicht allzu oft im Internet versacken."

Haben Sie einen Appell gerade an Väter?

"Ja, den habe ich – und er betrifft vor allem Trennungssituationen. Ich erlebe leider sehr häufig, dass bei getrennten Eltern die Mütter eher vorsichtig in Sachen Mediennutzung sind, während die Väter alles komplett laufen lassen und das Thema dazu benutzen, um bei den Kindern enorm zu punkten. Das ist natürlich grob unfair und sehr schädlich für die Kinder. Die Folge sind oft Mütter, die völlig verzweifelt sind, und Kinder, die viel zu viel Medien konsumieren. Ich bitte getrenntlebende Väter deshalb ganz klar: Macht das bitte nicht. Eltern müssen im Interesse der Kinder auch bei der Medienerziehung zusammenarbeiten."

Sie empfehlen Eltern, einen Mediennutzungsvertrag mit ihrem Kind abzuschließen. Was ist das und wofür ist es gut?

"Ich rate Eltern, sich tatsächlich ungefähr zwei Tage lang mit der hervorragenden Website www.mediennutzungsvertrag.de zu beschäftigen, bevor sie ihrem Kind ein Smartphone geben. Dort können Eltern Vorschläge für Regeln bei der Handynutzung finden und diskutieren, die man in einen eigenen Vertrag übernehmen kann. So vergisst man schon einmal nichts Wichtiges. Bei den Nutzungszeiten ist es sinnvoll, niedrig zu beginnen und sie zu steigern, wenn die Kinder älter werden. Vor der Fertigstellung sollten Eltern und Kinder dann alles noch einmal gemeinsam besprechen. Das Kind kann dabei auch selbst Vorschläge machen. Sind alle einverstanden, druckt man den Vertrag zweimal aus und alle Beteiligten unterschreiben ihn feierlich. Das Schöne daran: Alle wissen nun Bescheid, was eigentlich Sache ist – dadurch erspart man sich viel unnötigen Streit. Ein letzter Tipp noch: Kopie gut aufheben – die braucht man später noch."

Fazit: Die Mediennutzung der Kids muss klug ausgehandelt werden

Lässt du dein Kind auch öfter ans Smartphone als du eigentlich möchtest? Kann passieren! Wichtig ist nur, dass du dir der Risiken bewusst bist - um notfalls gegensteuern zu können. Und noch etwas solltest du dir bewusst machen: Du bist das größte Vorbild deines Kindes, auch in Sachen Medienkonsum.