Kindererziehung, Finanzen, Sex: Die Themen, über die Eltern sich streiten, kennt wahrscheinlich jeder. Aber das sind nur die Aufhänger. Eine amerikanische Studie ergab, dass sich Paare in rund 70 Prozent der Fälle nicht wirklich aus den oben genannten Gründen in die Haare kriegen. "In den meisten Streitfällen geht es eigentlich um ganz andere, tief sitzendere Themen", sagt die Freiburger Familienpsychologin Nina Grimm. "Beispielsweise Vertrauen, Wertschätzung oder Respekt." Um also die nachfolgenden Konfliktpunkte konstruktiv lösen zu können, müssen bestenfalls zuerst die zugrundeliegenden Themen vom Tisch. "Denn dann wird es auf der konkreten Verhaltens- und Problemlöseebene sehr viel leichter", sagt die Expertin, die gerade ein Buch zum Thema geschrieben hat ("Wie ihr euch nicht umbringt, wenn ihr Eltern seid"). Aber der Reihe nach und vor allem mit der Ruhe.
1. Streitpunkt: Erziehung
"Konflikte um die Kindererziehung sind, wie das Familienleben selbst, sehr vielseitig", sagt die Expertin, die selbst Mutter von zwei Kindern ist. Wenn der eine 'Hü' und der andere 'Hott' sagt, hat das Potenzial für ordentlich Zunder, sei es, weil es um die Begleitung von Wutanfällen, Medienzeit oder Mathehausaufgaben geht. Gut in diesem Zusammenhang zu wissen: Ihr müsst es nicht auf die gleiche Art und Weise tun. Ein Schlüssel ist, eure Verschiedenartigkeit zu nutzen.
Die Familienpsychologin rät: "Stellt euch dafür zuerst die Frage, was für ein Mensch aus eurem Kind geworden sein muss, damit ihr euch in zehn Jahren voller Stolz auf die Schulter klopft, wenn es an Feiertagen nach Hause kommt. Und welche 3 bis maximal 5 Werte ihr ihm heute mitgeben könnt, damit ihr die Wahrscheinlichkeit auf dieses Ergebnis maximal erhöht, etwa Respekt und Toleranz." Beginnt dann auf dieser Ebene über unterschiedliche Erziehungsansichten zu diskutieren. Fragt euch gegenseitig: 'Welchen Wert vertrittst du mit dieser Strategie?' Oder: 'Welchen möchtest du vermitteln?' "Häufig kommen Elternpaare am Ende so bei der Erkenntnis, dass sie eigentlich Ähnliches anstreben, nur eben auf unterschiedlichen Wegen", sagt Grimm. Und das ist voll okay.

2. Streitpunkt: Schwiegereltern
"Diese Konflikte sind besonders pikant, da wir in einem krassen Rollenkonflikt stehen", sagt die Expertin. Deine Partnerin ist jetzt nicht mehr nur Geliebte und Mutter (was schon heftig genug ist), sondern hier auch noch Tochter. Grimm: "Das macht beispielsweise eine Abgrenzung besonders herausfordernd, weil sie sich für Mama verantwortlich fühlt oder Papa nicht enttäuschen will. Aber aus diesem Sandkasten-Status müssen wir raus, damit wir unseren eigenen Eltern aus der Rolle eines gesunden Erwachsenen begegnen können."
Wenn dir deine Schwiegereltern also beispielsweise auf der Pelle sitzen und sich deine Partnerin nicht abgrenzen kann, frage sie, ob sie damit zufrieden ist. Wenn nein, ist die nächste Frage, wie du sie empowern kannst, um gegenüber ihren eigenen Eltern auch mal Profil zu zeigen. "Sollte eine Kluft zwischen eurer Wahrnehmung entstehen – respektiert die jeweiligen Wünsche und geht in Verhandlung. Führt euch vor Augen, dass der Umgang mit der Ursprungsfamilie eine kulturelle Frage ist – und es Kompromisse braucht."
3. Streitpunkt: Sex
In Langzeitbeziehungen mit Kindern kommen wir um dieses Thema nicht drumherum. Früher oder später geht die Lust flöten, mit Kindern dann auch noch die Kapazitäten und die Spontanität. Halleluja! "Um das zu durchbrechen, müssen wir uns vor Augen führen, dass wir alle sexuell konditioniert sind", sagt die Fachfrau. "Und schnell Youporn-Bilder im Kopf haben, wenn wir an Sex denken." Das geht für beide Geschlechter vor allem mit einem einher: Druck. Grimm: "Und darauf haben wir am Ende eines langen Tages meistens wirklich keine Lust mehr."
Deswegen ist ein zentraler Schlüssel diese Konditionierung aufzulockern und den Fokus wieder daraufzusetzen, dass sich zwei Körper mit Spaß begegnen dürfen. Und dass aus diesem Kontakt alles entstehen kann, aber eben nichts muss. "Für Frauen – bei denen der Appetit meistens beim Essen kommt – die perfekte Grundlage, um sich dem Mann wieder hinzugeben", so die Expertin.
Streitpunkt 4: Finanzen
Durch die Geburt eines Kindes werden viele Paare leider automatisch und sehr radikal in alte Geschlechterrollen zurückgeworfen: Sie versorgt das Kind inklusive Mental Load, er übernimmt das Brotverdienen und hat damit auch den Financial Load. Grimm: "Häufig fühlen sich beide Teile für ihren Beitrag nicht ausreichend wertgeschätzt, was ein krasser Nährboden für Konflikte rund um das Thema Finanzen ist, die mächtig Wumms haben." Hier geht es also meistens nur sehr bedingt um Geld, sondern viel mehr um Macht und Abhängigkeit. Und um Angst und Sicherheit. Und um Gleichberechtigung und Augenhöhe.
"Um das zu durchbrechen, sollten wir uns als Elternpaar die Frage stellen, was wir mit Geldausgeben verbindet", rät die Familienpsychologin. "Super häufig kommt dabei raus, dass ein Paar eigentlich ähnliche Absichten verfolgt und nur komplett entgegengesetzt damit umgeht. Für sie ist es unter anderem eine Form der Fürsorge, Geld für die Familie auszugeben. Für ihn ist es eine Form der Fürsorge, das Geld für die Familie zusammenzuhalten." Wenn dieses Verständnis füreinander da ist, kann er besser ein Auge zudrücken, wenn sie Übergangsjacken für die Kinder kauft. Und sie es dankend annehmen, wenn er den Gesamtüberblick behält und den Kauf des neuen iPads ins nächste Quartal verschiebt.
Streitpunkt 5: freie Zeit
Zeit wird garantiert rar, wenn aus einem Paar Familie wird – und damit wird sie zu einem der Top-Streitpunkte unter Elternpaaren: Wer hat wann wie viel Zeit für sich? Auf Neudeutsch übrigens Me-Time. Grimm: "Häufig beginnen wir neidisch auf die andere Seite des Zauns zu schauen, rechnen uns gegenseitig Minuten ab und gönnen einander nichts mehr – häufig aus Angst, selbst nicht gesehen zu werden."
Wenn es wirklich um Zeitmanagement und nicht um tiefer sitzende emotionale Themen gibt, hier aber eine gute Nachricht: Die Lösung ist ziemlich einfach: Planung. "Setzt euch hin, besprecht, wer wann wie viel Zeit braucht, um genährt im Familiensystem sein zu können und unterstützt euch gegenseitig darin, diese Zeiten wahrzunehmen", rät die Familienpsychologin. "Weil ihr anerkennt, dass es win-win ist: wenn sie gestärkt nach Hause kommt, kann sie dir auch wieder viel besser den Rücken freihalten, wenn du es nötig hast." Und andersherum.
6. Streitpunkt: Haushalt
Nach wie vor einer der Top-Streitthemen ist ein unterschiedlicher Ordnungssinn. Der Klassiker: Wenn er fertig ist, fängt sie erst an. Expertin Grimm: "Die Reibereien um Socken auf dem Boden oder Tassen auf statt in der Spüle sind wohl das beste Beispiel dafür, dass häufig eigentlich um ganz andere Themen geht, nämlich darum, gehört, respektiert oder wertgeschätzt zu werden. Deswegen sollten wir uns eigentlich erst mal diesen Themen widmen."
Wenn diese vom Tisch sind, kann man auf der Verhaltensebene auch wieder nach Lösungen suchen. Grimm: "Und das geht am besten über Ministerien." Heißt: Ordnet euch euren Kompetenzen entsprechende Ministerposten zu. "Er: Finanzen, Auto, Garten, Wäsche und Einkauf. Sie: Küche, Kinderklamotten und Geburtstage." Gerne aber auch genau andersherum. Sprecht darüber, wer von euch was vielleicht sogar gerne macht, oder was sie nicht so sehr stresst wie dich und verteilt die Aufgaben dementsprechend. "Wichtig dabei ist, dass ihr das Ministerium dann auch wirklich in den jeweiligen Händen lasst. Auch wenn sie oder er es anders macht als du", rät die Familienpsychologin.
Fazit: kein Grund, gleich zu streiten
Unsere Expertin Nina Grimm hat übrigens selbst über eine längere Zeit lang und viel mit ihrem Mann gestritten. "Mein persönlicher Wendepunkt war der Moment, indem ich anerkannte, dass ich dem Ganzen nicht hilflos ausgeliefert bin, sondern dass ich beginnen kann, meine Schrittfolge in diesem Tanz zu ändern. Und dass wir so tatsächlich beginnen könnten, uns gemeinsam auf eine neue Art und Weise zu bewegen." Also, dürfen wir bitten?