"Wut an sich ist nichts Schlechtes", sagt der Kölner Eltern-Coach Christopher End. "Wut ist ein ganz normales Gefühl". Seine Funktion: Es zeigt die eigenen Grenzen auf und mobilisiert Energie. "Deshalb ist es wichtig, mit der Wut adäquat umzugehen", sagt der Buchautor ("Elternsein als Weg"). "Viele Mütter und Väter kommen zu mir, weil sie wollen, dass ihr Kind nicht mehr wütend wird. Ich setze bei meiner Beratung aber immer bei den Eltern an. Sie haben die Verantwortung und sie sind diejenigen, die etwas ändern können." Ausraster kommen dabei in den besten Familien vor und in jeder Altersklasse. Hier kommen Lösungen für die 6 häufigsten Explosionen. Alle Mann in Deckung!
Wutanfall: Das Baby schreit wie am Spieß
Auch wenn dich der kleine Schreihals jetzt gerade an deinen cholerischen Chef erinnert: Es ist in erster Linie Hunger, Müdigkeit oder eine randvolle Windel, die ihn so wütend werden lassen. Problem: Auch dich stresst die Situation, ganz besonders, wenn der Schreianfall zu nachtschlafender Zeit stattfindet und mit einem Schnuller nicht sofort zu beenden ist. Eltern-Coach End: "Bin ich selbst auf Hundertachtzig, ist es wichtig, mich erst selbst zu sammeln und dann das Kind zu beruhigen." Denn gerade in dieser Altersklasse kann es ansonsten lebensgefährlich für den Säugling werden, wenn er im Affekt nicht geschuckelt, sondern geschüttelt wird. Um dem vorzubeugen, rät der Experten in diesen Fällen zu einem Perspektivwechsel, also aus der Situation im wahrsten Sinne des Wortes herauszutreten und das Zimmer zu wechseln, notfalls das Kind kurz ablegen oder wenn möglich der Mutter in die Hand zu drücken. End: "Auch 10 Liegestütze können hilfreich sein, um in dieser Situation wieder einen klaren Kopf zu bekommen." Mehr Sport geht natürlich immer – wie dieser Trainingsplan beweist:
Der 2-Jährige wirft sich im Supermarkt schreiend auf den Boden
Nicht ohne Grund spricht man bei Kindern in dieser Altersklasse von "terrible two". Die Trotzphase an sich (die jetzt übrigens viel wertschätzender Autonomiephase heißt) ist für Eltern schon eine große Herausforderung. Findet ein Wutausbruch aber im Supermarkt statt, ist dies das Nonplusultra – denn jetzt agierst du vor Publikum. Auch hier gilt wieder: Beruhig dich erst mal selbst, bevor du dein Kind beruhigst. Weil 10 Liegestütze vor dem Süßigkeitenregal vielleicht nicht so angebracht sind (die Leute starren dich ja sowieso schon so an), rät Experte End zum bewussten Atmen: "Länger ausatmen als einatmen hilft oft, um innerlich ruhiger zu werden." Anschließend wende dich deinem Kind zu: "Ich versuche in solchen Situationen das Kind zu spiegeln, um als Vater die Wut und den Auslöser zu verstehen", erklärt der Eltern-Coach, der auch Kurse zu diesem Thema anbietet ("Wutanfälle gelassen meistern"). Frag also etwa dein Kind: "Du möchtest also eine Süßigkeit haben, ja?" Und weiter: "Und du bist wütend, weil ich dir das nicht erlaube." Das Motto des Experten lautet hier: "Das Kind halten, nicht aushalten." Abschließender Tipp: Geh das nächste Mal besser vorbereitet in den Supermarkt und triff schon vorher Absprachen ("Du darfst dir EINE Süßigkeit aussuchen").
Der 5-Jährige bekommt beim Abholen aus der Kita einen Wutanfall
"Nein, ich will jetzt noch nicht gehen, Papaaa!" Natürlich will man am liebsten freudestrahlend von seinem Kind empfangen werden, wenn man es aus dem Kindergarten abholt. Aber das ist leider nicht immer der Fall. Auch nicht sehr hilfreich ist dann der Satz der Erzieherin, die sagt: "Es war bis jetzt eigentlich den ganzen Tag fröhlich und gut gelaunt." Wichtigster Tipp: Nimm das jetzt bloß nicht persönlich. Experte End: "Letztendlich ist so ein Wutanfall ein Kompliment an den Vater. Das Kind hat sich vielleicht den ganzen Tag zusammengerissen und weiß sich, sobald der Papa anwesend ist, im sicheren Hafen." Wer das versteht, kann auch seine Einstellung verändern: Die eigene Wut weicht und macht Verständnis und Mitgefühl Platz. Außerdem gut zu wissen: So ein Verhalten des Kindes ist nicht ungewöhnlich, vielen kleinen Kindern fallen Übergänge schwer. Am besten das nächste Mal fürs Abholen einen kleinen zeitlichen Puffer einplanen und notfalls noch mal alleine aus der Kita gehen und eine Extra-Runde ums Viertel machen, bevor man sich gemeinsam auf den Heimweg macht.
Podcast-Tipp: Experte Christopher End war auch schon mal Gast bei den "Echten Papas", hier geht's zum Gespräch:
Der 8-Jährige kriegt einen Tobsuchtsanfall, weil er keine Hausaufgaben machen will
Es ist wie bei einem plötzlichen Druckabfall im Flugzeug: Setz dir erst einmal selbst die Sauerstoffmaske auf, bevor du anderen hilfst. Um also die eigene Wut ob der Widerstände deines Kindes in den Griff zu bekommen, beruhige dich erstmal selbst – bewusstes Atmen ist auch hier die einfachste Lösung. Der Eltern-Coach empfiehlt die 4711-Methode: "4 Sekunden einatmen und 7 Sekunden ausatmen, das Ganze am besten 11 Minuten lang." Dann sprich mit deinem Kind. Wie auch schon beim 2-Jährigen ist auch hier "spiegeln" eine sinnvolle Technik. Ziel: Das Kind soll sich verstanden fühlen. Oft kann ein:e aufgewühlte:r Grundschüler:in sich anschließend nicht konzentriert an seine Hausaufgaben setzen, weshalb eine kleine Pause angebracht ist. Eine Partie Karten spielen, eine Runde mit dem Rad ums Haus drehen – oder von Papa einmal durchkitzeln lassen. Wäre doch gelacht, wenn sich dadurch die Stimmung nicht wieder verbessern lassen würde. Manchmal hilft in solchen Fällen auch ein gutes Buch, zum Beispiel "Ich muss nicht wütend sein - das Mitmachbuch für Kinder" mit 50 lustigen Übungen, um in jeder Situation ruhig und freundlich zu bleiben (ab 7 Jahren).
Der 13-Jährige donnert wegen einer Nichtigkeit die Kinderzimmertür zu. Rummms!
"Flucht und Angriff sind zwei typische Muster unter Stress", erklärt der systemische Coach End. Wichtig ist ihm hier anzumerken: "Jeder darf seine Wut ausleben, nicht nur Eltern dürfen ein Monopol darauf haben." Voraussetzung ist natürlich, dass man seine Wut zeigen kann, ohne jemanden zu verletzen. Türenknallen ist für den Experten deshalb in Ordnung – solange es keine Glastür ist. Allzulange geschlossen sollte die Kinderzimmertür aber nicht sein: "Wichtig ist, sich immer wieder zeitnah mit dem Kind zu verbinden, also an die zu Tür klopfen, Gesprächsbereitschaft zu signalisieren und sich notfalls zu entschuldigen", sagt End. "Ein Erwachsener, der darauf wartet, dass sich das Kind als Erstes entschuldigt, ist selbst noch ein Kind." Die knallende Kinderzimmertür ist übrigens nicht das einzige Problem, das öfter auftritt, wenn Kinder in die Pubertät kommen - Hilfe findest du dann hier.
Der 17-Jährige fährt dich ohne Grund an – und zeigt dir deine Fehler auf
Es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen einem hingeworfenen 'Doofer Papa' der 3-Jährigen oder einem sehr detaillierten Aufzeigen deiner eigenen Unzulänglichkeiten durch einen 17-Jährigen, etwa wenn er sagt: "Du sagst immer Noten wären nicht wichtig und dann machst du mich runter wegen einer schlechten Note. Und das, wenn Oma dabei ist. Das ist echt Scheiße von dir!" Diese Worte können durchaus in großem Zorn ausgesprochen werden. Gut zu wissen: die Wutenergie, die uns entgegenschlägt, kann zum Beispiel noch mehr enthalten (wie den Ärger über den Mathelehrer, die Frust über die Note, die Sorge um die Umwelt und den Stress mit dem Freund). Experte End: "Abbekommen tun das ganze Paket aber wir Eltern – und häufig zeigen die jungen Menschen wie nebenbei messerscharf unsere eigenen Schwächen und Widersprüche auf." Was also tun? "Genau hinschauen", rät der Eltern-Coach. "Was von der Kritik ist gerechtfertigt? Was nicht? Und dann das Gespräch mit dem fast erwachsenen Kind suchen. Zeigen: Ich höre dich und nehme dich ernst. Und gleichzeitig sagen, was für uns als Eltern nicht geht."
Und das gilt für Wutausbrüche in jedem Alter
Unabhängig vom Alter des Kindes, empfiehlt Experte Christopher End, der auch einen wöchentlichen Podcast mit dem Titel "Eltern-Gedöns" betreibt, bei Tobsuchtsausbrüchen immer folgende drei Schritte:
1. Ich beruhige mich selbst!
2. Ich beruhige das Kind, indem ich mich mit ihm verbinde.
3. Wir klären die Situation, wenn das Kind wieder ruhig und aufnahmefähig ist.
"Wichtig ist zu wissen, dass das Kind bei Wutanfällen aufgrund des Entwicklungsstandes seines Gehirns nicht anders kann", sagt Experte End, der auch schon ein Entspannungsbuch für Kinder geschrieben hat ("Der kleine Samurai findet seine Mitte").
Fazit: Bleibt ruhig! Immer!
"Das Kind macht das nicht aus Böswilligkeit oder weil es manipulieren oder Grenzen austesten will, sondern weil es schlicht und einfach nicht anders reagieren kann", sagt Experte Christopher End, der regelmäßig auch 12-Wochen-Online-Programm zu dem Thema mit dem Titel "Wut, mach's gut" anbietet. Haben Eltern das verstanden, verändert sich häufig schon ihre Einstellung gegenüber dem Kind – plötzlich ist da Verständnis, was zu Mitgefühl führt. Die Wut, vor allem die eigene, ist dann übrigens auch weg.