Bindungsorientierte Erziehung: So klappt's ohne Schimpfen

Unperfekte Erziehung
Wie du deine Kinder groß bekommst, ohne durchzudrehen

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Zuletzt aktualisiert am 07.02.2024
Baby lugt übers Kinderbettchen, der Vater steht dahinter mit einem verzweifelten Blick
Foto: Shutterstock.com / Pixel-Shot

Von Drohen bis Schimpfen: Na klar wissen wir alle, dass das nicht gut ist für unsere Kinder. Und natürlich wissen wir auch, was besser wäre. Gut zuhören zum Beispiel. Und auf die Bedürfnisse der Kleinen eingehen. Freude, Trauer und Wut zulassen und diese kindlichen Gefühle bestmöglich begleiten. Aber das alles kann auf Dauer ganz schön anstrengend sein. Was also tun. Dieser Frage hat sich auch die Bestsellerautorin Nora Imlau angenommen und ein neues Buch zum Thema geschrieben, mit dem Titel "Bindung ohne Burnout. Kinder zugewandt begleiten ohne auszubrennen". Im Interview mit Men's Health Dad verrät die Expertin, warum Perfektionismus nicht die Lösung sein kann.

In Ihrem neuen Buch beschreiben Sie, dass viele Eltern vor der Selbstaufgabe und dem Burnout stehen. Wie kommt das?

"Wir haben eine sehr reflektierte Elterngeneration, die eine riesige Verantwortung spürt, weil sie weiß, dass die ersten Jahre sehr prägend für Kinder sind. Sie wollen die psychologisch besten Eltern für ihre Kinder sein. Das sorgt dafür, dass Eltern sich der bindungsorientierten Elternschaft verschreiben und diese zu einem ultimativen Standard zu erheben. Sie versuchen überall das Beste zu geben, bei der Ernährung, den Klamotten, dem sichersten Kindersitz, aber auch immer verständnisvoll zu sein und nie zu schimpfen."

Wieso ist es gar nicht gut, wenn Eltern perfekte Eltern sein wollen?

"Das kann für die Kinder eine enorme Belastung sein, wenn sie merken, dass der ganze Fokus nur auf ihnen als Kind liegt. Dieser Anspruch der Eltern wirklich immer zugewandt und verständnisvoll zu sein, trägt wahnsinnig viel Stress in die Eltern-Kind-Beziehung. Und Stress ist für die Beziehung zwischen Kindern und Eltern gar nicht förderlich. Wenn Eltern versuchen, einen ganz hohen Standard zu leben, kann es sein, dass sie regelmäßig krasse Einbrüche erleben, in denen sie gar nicht mehr zugewandt sein können. Für Kinder wäre es viel besser, wenn wir uns konstant bei 60 Prozent verlässlicher Feinfühligkeit bewegen würden, mit vielen Fehlern und Schwächen, aber nicht mit diesen ganz krassen Einbrüchen, bei denen wir dann nur noch herumschreien und drohen, weil wir so ausgebrannt und erschöpft sind."

Nora Imlau
PR (Nessi Gassmann)

Während immer mehr Eltern, vor allem Mütter, auf Care-Arbeit aufmerksam machen, sagen andere Mütter, das Kind zu betreuen, sei ja keine Arbeit. Wie sehen Sie diese Debatte?

"Das ist eine ganz komische Debatte in Deutschland. Da steckt auch dieser deutsche Muttermythos dahinter, der sagt: Kinder zu haben ist keine Arbeit, es ist pures Glück. Die Unterscheidung ist recht einfach: Wir haben Zeit, die wir zu unserer eigenen Verfügung haben, das ist Freizeit. Und dann gibt es Zeit, in denen wir nicht frei sind, zu tun, was wir möchten, weil wir eine Verantwortung haben. Das ist dann Arbeit. Das kann Erwerbsarbeit sein, der Haushalt oder die Kinderbetreuung. Ich sage meinen Kindern immer: Ich habe zwei Traumjobs, der eine ist, zu schreiben und der andere ist, eure Mutter zu sein. Beide Jobs fordern mich sehr, beide Jobs haben schöne und nicht so schöne Seiten. Care-Arbeit ist natürlich Arbeit und Arbeit darf auch Spaß machen."

Es gibt so viele Ansprüche an Eltern. Einer ist ja, möglichst lange ohne Bildschirmmedien auszukommen. Wie stehen Sie dazu?

"Ich habe als Kind ganz wenig fernsehen dürfen, meine Eltern waren da sehr stolz drauf. Das war ein starker Glaubenssatz bei mir, ich dachte: Gute Eltern haben so viel Freude mit ihrem Kind, die brauchen gar kein Fernsehen. Beim ersten Kind habe ich das dann ziemlich akribisch durchgehalten. Je mehr Kinder ich bekam, je mehr Herausforderungen mir das Leben zu warf, desto mehr verstand ich: Medien sind in vielen Situationen ein absoluter Segen, weil sie ad hoc zur Verfügung stehen, weil sie in kurzer Zeit dem Kind etwas geben, was es sehr gerne mag und die Eltern sofort eine Pause zum Durchatmen bekommen. Das funktioniert natürlich nicht bei allen Kindern. Aber in vielen Fällen sind Medienzeiten akute Entlastungszeiten für Eltern."

Gibt es eigentlich Unterschiede zwischen Vätern und Müttern, wenn es um bindungsorientierte Erziehung und die Gefahr der eigenen Überlastung geht?

"Grundsätzlich ist es so, dass das Thema Erziehung und Familie enorm in Frauenhand liegt, viel mehr, als wir das uns in einer modernen Gesellschaft eingestehen wollen. Das ist sehr schade, denn die Inhalte sind für alle wichtig. Wenn wir uns eine heteronormative Familie angucken, ist es schon oft so, dass die Frau sich mit dem Thema beschäftigt und die Bücher liest, eine Zusammenfassung schreibt und ihrem Partner sagt: Lass uns das so machen."

Aber es gibt doch auch Väter, die sich von sich aus kümmern?

"Ja, auf jeden Fall. Es gibt eine Vätergeneration, die jetzt nachwächst. Diese Väter haben auf diese Rollenaufteilung keinen Bock mehr. Sie stellen das Work-Life-Balance-Thema in den Fokus, das überträgt sich auch auf die Elternschaft. Es gibt eine Menge junger sehr engagierte Väter, die sagen: Ich will ganz anders Vater sein, als mein Vater es war. Und das sind dann Väter, die Bücher lesen, Vorträge hören und sich da richtig reinhängen. Das gibt mir echt Hoffnung, dass sich das Geschlechterverhältnis verändert."

Gibt es etwas, dass Sie speziell Vätern mitgeben möchten, wenn sie ihr Kind liebevoll begleiten möchten, aber manchmal an ihre Grenzen stoßen?

"Wenn ein Kind zur Welt kommt, machen viele Mütter automatisch den inneren Shift und sagen: Alle meine Zeit und alle meine Kraft gehört jetzt erst einmal grundsätzlich der Familie. Bei Vätern passiert dieser Shift oft nicht. Sie haben ein Baby, freuen sich darüber und dann gehen sie arbeiten, und zum Sport, treffen Freunde. Sie sind auch zu Hause und verbringen Zeit mit ihrem Kind, aber sie haben das Gefühl, dass sie über ihre Zeit frei entscheiden. Das sorgt in fast allen Familien für eine krasse Ungleichheit. Was ich Vätern raten würde, ist – und das ist schmerzlich – sich klarzumachen: In dem Moment, in dem ich ein Kind habe, gehört alle meine Zeit grundsätzlich nicht mehr mir. Ich habe jetzt Verantwortung für einen kleinen Menschen und wir sind beide zuständig. Wenn jemand temporär aus dieser Zuständigkeit herausgehen will, um Erwerbsarbeit zu leisten, Sport zu treiben, Freunde zu treffen, muss das abgesprochen werden."

Neben dieser gerechteren Aufteilung der Zeit: Worauf können Väter noch achten?

"Väter sollten sich nicht nur die Rosinen herauspicken. Es gibt viele Väter, die haben auf bestimmte Dinge voll Bock. Sie wollen rausgehen, Ausflüge machen, spielen, auch mal in der Puppenküche zu sitzen und sie feiern sich dafür, dass sie dabei entspannter sind als ihre Partnerin. Vater sein heißt aber auch, Wutanfälle durchzustehen, Kindkrank zu nehmen und ein fiebriges Kleinkind zu betreuen, irgendwelchen Schulkram zu machen, ohne die Nerven zu verlieren. Bindungsmomente mit den Kindern sind nicht nur die Momente, wenn alles schön ist, sondern auch in den Momenten, in denen es schwierig ist."

Fazit: glücklich statt perfekt

Die Bindung zwischen einem Kind und der Mutter bzw. dem Vater ist robuster als viele annehmen, sie verträgt eine Menge elterliche Unvollkommenheit, so Expertin Nora Imlau. Ihr neues Buch "Bindung ohne Burnout" ist deshalb ideal für alle Eltern, die keine Lust auf Perfektionismus haben und sich selbst nicht aus den Augen verlieren wollen. Sozusagen der perfekte (ups!) Ratgeber.