Während du in der Sommerhitze 2022 schwitzend versucht hast, dir ein wenig Abkühlung zu verschaffen, haben viele Menschen noch Bilder der deutschen Flutkatastrophe im Sommer 2021 im Kopf. Längst sind es nicht mehr nur Prognosen, Zahlen und Analysen, die den Klimawandel belegen, sondern es reicht ein Blick aus dem eigenen Fenster.
Biometeorologe Prof. Dr. Andreas Matzarakis arbeitet beim Deutschen Wetterdienst und beschäftigt sich jeden Tag mit den Folgen des Klimawandels. Wir haben ihn über die Folgen extremer Wetterphänome, die durch den Klimawandel häufiger und länger anhaltend drohen, befragt. Und: Mit welchen Strategien können wir uns dagegen schützen?
"Es gibt eine ganze Palette an Phänomenen, die uns vor Herausforderungen stellen", sagt Dr. Matzarakis. "Was finanzielle Schäden oder Auswirkungen auf die Infrastruktur angeht, sind Stürme und Überschwemmungen ein großes Thema. Bezieht man sich auf die Folgen für unsere Gesundheit, oder noch schlimmer, auf Todesfälle, sticht etwas anderes heraus: die Hitze."
Bereits am 18. Juni dieses Jahres stiegen an manchen Orten Deutschlands die Temperaturen auf satte 37 Grad Celsius, laut Deutschem Wetterdienst war 2021 das elfte zu warme Jahr in Folge. Mit 1,4 Grad Celsius über dem Durchschnitt war der Sommer 2021 der wärmste Sommer Europas seit Beginn der Wetteraufzeichnungen und auch dieses Jahr gab es in Deutschland schon mehrere Hitzewarnungen.
"Anders als regional begrenzte Wetterphänomene, zum Beispiel Überschwemmungen, betrifft die Hitze jeden. Sie tritt großflächig auf, auch wenn man nie genau sagen kann, welche Regionen es genau betrifft. Trotzdem kann man rechtzeitig warnen und sich vorbereiten. Wir wissen auch schon viel über Hitze Bescheid, wie sie sich auswirkt, wie man sich schützen kann – das ist das Positive", sagt der Klima-Experte.
Grundsätzlich sei der Mensch anpassungsfähig, wie sich steigende Temperaturen und Hitzewellen allerdings auf jeden Einzelnen auswirken, hänge von individuellen Faktoren ab. Gerade chronisch Kranke, Kinder und Ältere kann die Hitze besonders stark treffen. Grundsätzlich kann man sagen, dass Hitzewellen – also längere Folgen heißer Tage ab 30 Grad – besonders belastend für die Gesundheit sind, weil sie auch in der Nacht keine Phasen der Abkühlung bieten.
Eine besondere Gefahr stellt tatsächlich eine hohe "wet-bulb temperature" dar, also eine Kombination aus Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit, darauf weisen Wissenschaftler weltweit zunehmend in Untersuchungen zum Klimawandel hin. Warum die Kombi so gefährlich ist? Die "Kühlgrenz-" oder "Feuchtkugeltemperatur" ist die niedrigste Temperatur, die sich durch Verdunstungskühlung erreichen lässt. Vereinfacht gesagt funktioniert unser eingebautes Kühlsystem so: Bei hohen Temperaturen fangen wir an zu schwitzen. Der Schweiß verdunstet dann auf der Haut und sorgt so für Abkühlung.
Bei einer hohen "wet-bulb temperature", also einem Zusammenspiel von hohen Temperaturen und hoher Luftfeuchtigkeit, funktioniert dieses Kühlsystem nicht mehr. Wir können keine Wärme mehr an unsere Umgebung abgeben, was stark gesundheitsschädlich oder sogar tödlich enden kann. Es kommt bereits ohne Anstrengung zur Überhitzung. An Orten mit schwülheißem Klima , etwa in der Golfregion, ist diese Gefahr schon heute sehr real. Steigende Kühlgrenztemperaturen durch die globale Erwärmung können also zur Folge haben, dass manche Orte für uns Menschen nicht mehr bewohnbar sind.
"Es gibt Hitzeaktionspläne, bei denen wir zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen entscheiden", erklärt Matzarakis. So sehen sie im Detail aus:
'Kurzfristig und akut' bedeutet: Ich ändere mein eigenes Verhalten. Zum Beispiel in der Mittagshitze nicht in die Sonne gehen oder nicht joggen gehen, wenn es heiß ist.
'Mittelfristige Maßnahmen' bedeuten, die Menschen zu schulen, ihre Aufmerksamkeit für das Thema zu erhöhen. Das betrifft jeden, vom Schulkind bis zum Oberbürgermeister.
'Langfristig' sind es andere Punkte: Städtebau und Stadtplanung betreffend etwa mehr Begrünung, Beschattung oder Wasserflächen." So die Theorie, wichtig sei natürlich die Umsetzung: "Zur Praxis gehört auch das Monitoring und die Auswertung. Vielleicht bringen manche Maßnahmen gar nichts. Wenn wir zum Beispiel tausend Leute auf die Straße stellen würden, die fächern sollen, diese tausend Leute dann aber selbst in der Hitze umkippen, dann hat es offensichtlich nichts gebracht."
Die durch den Klimawandel bedingte steigende Hitzebelastung beansprucht den menschlichen Organismus und wirkt sich vor allem auf unser Herz-Kreislauf-System aus. Zu Folgen und Schäden durch Hitze gehören laut Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV), Umweltbundesamt und Robert-Koch-Institut:
RKI und Bundesumweltamt machen außerdem auf weniger offensichtliche oder indirekte Folgen aufmerksam: So ermöglichen die veränderten Wetterbedingungen es Insekten wie Zecken und Mücken, sich weiter zu verbreiten und möglicherweise Viren und andere Erreger zu übertragen. Auch Qualität und Quantität von Trinkwasser und Lebensmitteln können durch Hitzewellen und andere Klimawandelfolgen beeinträchtig werden. Und noch eine schlechte Nachricht für alle Allergikerinnen und Allergiker: Die Pollenflugsaison wird durch warmes Wetter verlängert und führt zu längerer und intensiverer Belastung.
Der erste Schritt bei Wetterextremen ist zunächst die Kommunikation. Als Mitarbeiter des Deutschen Wetterdienstes ist Andreas Matzarakis unter anderem für die Herausgabe von Hitzewarnungen zuständig. "Wichtig ist, dass wir jeden erreichen, auch Menschen, die kein Smartphone haben. Am besten sind Warnungen über alle Kommunikationskanäle, also Internet, Radio, Fernsehen. Ich bin auch sehr für das Telefon. Im Fernsehen empfehle ich Laufbänder unter den Sendungen, mit der Warnung und im besten Fall den wichtigsten Tipps für die Situation."
Tipps zur schnellen Abkühlung gebe es zuhauf, die könne man sich kaum merken. Dabei sei es eigentlich ganz einfach: Viel trinken, Sonne meiden, Innenräume kühlhalten, Aktivitäten möglichst einschränken.
Was Matzarakis außerdem besonders wichtig ist? "Auf seine Mitmenschen achten! Nachbarschaftshilfe." Also am besten auch in der Großstadt die Telefonnummer der Nachbarn kennen oder einfach mal nach dem Rechten schauen, vor allem, wenn es sich um ältere oder in irgendeiner Weise beeinträchtigte Menschen handelt.
Weiter Informationen zu Strategien zur Reduzierung von Gesundheitsrisiken durch Hitzeextreme findest du im Science Media Center
Über Hitze und ihre Auswirkungen wissen wir so viel, dass wir uns im besten Fall darauf vorbereiten und davor schützen können. Doch wie sieht es bei anderen Phänomenen aus? "Bei anderen Folgen des Klimawandels, zum Beispiel der erhöhten UV-Strahlung, der Veränderung der Pollenbelastung, Überschwemmungen, Waldbränden, ist es nicht das Extreme, sondern das Neue, was uns Schwierigkeiten bereitet", so Professor Matzarakis.
Wichtig sei hier die stetige Beobachtung und Auswertung. "Bei der Übertragung von Krankheiten, etwa über Zecken oder Mücken, kann man zum Beispiel die Populationen kontrollieren. Bei solchen Phänomenen wissen wir ja schon, welche Auswirkungen sie etwa im Süden Europas haben. Wenn sie zu uns kommen, passiert wahrscheinlich dasselbe bei uns – darauf kann man sich zumindest in gewissem Maße vorbereiten."
Wer ganz akut von einer Folge des Klimawandels betroffen ist – Angehörige von Hochwasser-Todesopfern zum Beispiel oder Menschen, die alles verloren haben – leidet psychisch stark. Doch auch davon abgesehen hat der Klimawandel Auswirkungen auf die mentale Gesundheit. Er kann Gefühle von Ohnmacht, Orientierungs- und Hilflosigkeit auslösen, außerdem Stress, Angst oder Panik. Das nennt man dann zum Beispiel "Eco Anxiety" oder "Klimaangst".
In Bezug auf Hitze weisen verschiedene Studien daraufhin, dass sie stresst und dadurch Aggressionen triggern kann. Auch den Wetter-Experten lässt die Situation nicht kalt: "Ich beschäftige mich jeden Tag mit dem Klimawandel, da wäre es schon komisch, wenn es mich nicht bedrücken würde. Das ist natürlich auch ziemlich emotional. Wenn ich zum Beispiel eine Hitzewarnung rausgebe und auf den Straßen immer noch Leute sehe, die joggen, muss ich mir echt an den Kopf fassen – die Hitze betrifft uns doch alle, wir müssen mehr auf uns und andere achten!"
Diese Tipps, Trick und Tools können dir bei extremer Hitze helfen:
Die Klimakatastrophe ist real und von uns Menschen gemacht, daran kann man nicht rütteln. Um zukünftig noch größere Schäden zu verhindern und die globale Erwärmung zu begrenzen, ist vor allem die weltweite Politik und das Engagement jedes Einzelnen gefragt. Um mit akuter Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit besser umzugehen, findet ihr hier wertvolle Tipps. Ganz wichtig: Achtet auf euch und andere!