Ich wollte die in Brandenburger Alleen plattgefahrenen Reifen auch mal außermittig abraspeln, Schräglagen-Overkill – das war der Plan. In meiner Heimat Berlin scherte sich während der Vorbereitungen des Bikes niemand darum. Schließlich hatte ich mich gerade erst wieder zum humanen Einzylinder erklärt. Die bis dahin an meiner Seite weilende Dame erwies sich als Unwucht im Takt des Lebens. Wir gingen getrennte Wege. So verbrachte ich – von der weiblichen Last befreit – Tag und Nacht bei treibenden Club-Sounds in der Werkstatt.
Die olle Guzzi vom Wedemeyer ist zurück
Irgendwann – die Nachtigall sang gerade im Mondschein vom Sommernachtstraum … – entwischte dem Garagentor eine satte Fehlzündung. Darauf folgte löwenartiges Gebrüll aus offenen Lafranconis. Die Nachbarn in den Kissen und das erschrockene Vöglein im Baum wussten sofort: Die olle Guzzi vom Wedemeyer ist zurück, der improvisierte Umbau wohl abgeschlossen. Meine LM3 war nun ein wild zusammengeschusterter Cafe Racer: Alutank, Einzelsitz, offene Trichter, Gabel aus einer BMW, Bremsen von Ducati… Das taugte mir.
Hallo, Alpen!
Ein paar Tage später ging's in einem Rutsch von Berlin nach Stuttgart – Nachbarn und Nachtigall hatten fortan wieder Ruhe. Schließlich fuhr ich via Bodensee ins Allerheiligste – in den asphaltgewordenen Himmel auf Erden. Hallo, Alpen! Die Maschine hielt durch, ganz ohne Murren. Und ich war beeindruckt von der alten Technik. Auf dem Parkplatz meiner Unterkunft in Bludenz traf ich erste Gleichgesinnte. Auch sie fuhren schwere Eisenhaufen. Gummikühe, XJRs, Harleys … Meine Guzzi beäugten Sie allerdings mit großem Misstrauen. Das Berliner Kennzeichen, der begeisterte Bericht meiner Anreise und die Sitzbank würden nicht zueinander passen, meinten sie … Häää?
Sitzbänke verlangen etwas mehr Seriosität
Die Jungs hatten einen anderen Blick auf die Welt. Und mein Motorrad! Dessen Heck bestand aus einem umlaminierten GFK-Rohling, aufgepolstert mit etwas Moosgummi, so groß wie ein halbes Blatt Papier. Und direkt dort, wo sich mein knöchriges Hinterteil niederließ ragten zwei M6-Bolzen aus dem Sitz hervor. Gemeinsam mit einer weiteren Schraube unterm Rücklicht waren dies die leidlichen Versuche, den Bürzel am gekappten Rahmen zu fixieren. Ich sollte später lernen, dass Sitzbänke etwas mehr Seriosität bei der Montage verlangen …
Es war eine der besten Touren meines Lebens
Die Bolzen unterm Hintern drückten wie spitze Nadeln durchs Moosgummi. Ich hatte mich völlig verkonstruiert, doch irgendwie wars egal. Denn die Angelegenheit hielt ansatzweise. Und an eine Überarbeitung im Urlaub war nicht zu denken. Also fuhr ich mir 6 Tage lang die Seele aus dem Leib. Immer allein, immer der Nase nach. Voll konzentriert auf mich und die Maschine. Der Schmerz am Allerwertesten wurde ignoriert. Es war eine der besten Touren meines Lebens …
In den Augen der anderen war mein Motorrad ein krasser Folterstuhl
Die Zweiradkollegen im Hotel fragten beim abendlichen Schnack, wie ich das aushielt. Nicht nur die Sitzbank war in ihren Augen mörderisch, auch der Gasgriff war wegen besonders harter Federn in den 36er Dellos ein eher unfreundlicher Geselle. Hinzu kamen tiefe Stummel und die stramme Dämpfung an der Hinterhand. Über den Kampf Knie vs. Vergaser muss man zumindest in Guzzi-Kreisen kaum mehr Worte verlieren. Allen anderen sei gesagt: Im Regelfall siegt der Vergaser. Kurzum: In den Augen der anderen war mein Motorrad ein krasser Folterstuhl. Ich hingegen fühlte mich nach den üblichen 350 Kilometern pro Tag ziemlich gerädert, aber auch überglücklich.
Vierzylinder vs. rumpelnder Vau Zwo
Wir argumentierten hin und her. Wir saßen Probe. Wir hatten Spaß. Doch die GS taugt mir nicht, zu hoch, zu distanziert. Die XJR, schon damals ein angehender Klassiker, war ein Traum. Doch Vierzylinder hatten mich noch nie dort getroffen, wo ein rumpelnder Vau Zwo meine Emotionen seit jeher zum heißen Tanz auf spitzen Schuhen einlud. Die Harley, tja … Was eine serienmäßige Sportster mit Sport zu tun hat bleibt mir bis heute verschlossen. Würde Sie Cruiser heißen, ich hätte wenigstens Verständnis für ihre Existenz.
Ich ein harter Hund?
Ich sah es trotzdem ein: Massenkompatibel war mein Ofen nicht. Die anerzogene Leidensfähigkeit auf solchen Feuerstühlen hatte mich offenbar unwissentlich und unbewusst zum harten Hund gemacht. Auch wenn ich sonst gern warmdusche, im sitzen pinkle und manchmal sogar Frauen verstehe. Mein Selbstbild gerat ins Wanken – ich ein harter Hund?
Spüren und fühlen – zur Not auch, bis es weh tut
Wohl kaum! Vielmehr boten schon damals 95 Prozent aller Motorräder das, was man allgemeinhin Komfort nennt. Eine fast selbstverständliche Erfindung, wie ich lernte. Komfort macht das Reisen erträglich und öffnet die Augen, weil man nicht ständig mit schmerzverzerrtem Gesicht durch die Landschaft eiert. In meiner eigenen Zweiradbiografie war Komfort hingegen meist sekundär. Oder völlig abwesend. Nicht weil es cool oder besonders männlich war, sondern weil mich die vermeintlichen Komfort-Dampfer nie interessierten. Spüren und fühlen – zur Not auch, bis es weh tut und einem die Glieder schmerzen – das war lange Zeit völlig normal. Die alte Guzzi war dafür prädestiniert. Und meine 916 beweist noch heute, dass sie in derselben Liga spielt. Es glüht von unten, die Stummel malträtieren die Handgelenke, der Nacken verspannt sich und in der Lende spürt man wie sich die Bandscheiben langsam aus dem Buckel pressen.
Das Weibliche ist ja nicht immer eine Last
Zwischen der Alpentour und heute verging viel Zeit. Die alte Le Mans wurde nochmal richtig schick gemacht, sogar mit richtigem Sitzpolster. Der böse Gasgriff und das sture Heck hingegen sollten bleiben und entlockten MOTORRAD-Kollege Thomas Schmieder eben jenen fragenden Blick, den ich bereits zuvor in Bludenz in den Gesichtern meiner Gegenüber erkannte. Heute fährt die Maschine irgendwo in Frankfurt. Und in meiner Garage stehen andere Öfen. Eine abgehangene Guzzi V7 etwa. Ebenfalls mit Blubber-V2, aber auch dazu in der Lage, den Hintern einer neu gewonnenen Dame auf dem Sozius zu platzieren. Das Weibliche ist ja nicht immer eine Last …
Jenseits guzzistischer Folter vergangener Tage ...
Meine Welt hat sich also gewandelt. Weit weg von der guzzistischen Folter früherer Tage gibt es für mich mittlerweile auch andere Wege, ein Motorrad intensiv zu erleben. Etwa, indem man die Umwelt auf sich wirken lässt und das Motorrad nur als Vehikel und Katalysator, nicht aber als Alleinunterhalter versteht. Auch das ist spannend.
Ich ein harter Hund? Von wegen!
Doch immer, wenn mir leidenswillige "harte Hunde" über den Weg fahren – der gebückte Typ mit seiner Panigale im stockenden Stadtverkehr. Die hübsche Brünette auf Ihrer überladenen Vespa im Windschatten der LKWs. Oder die bärtigen Rockabilly-Starr-Rahmen-Freaks. Ihnen allen schenke ich einen besonders ernst gemeinten Gruß und denke mit einer Träne im Knopfloch daran zurück, wie mich meine alte Le Mans früher gar wunderbar folterte. Ich ein harter Hund? Von wegen!

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