Eine Gehirnerschütterung ist die leichteste Form eines Schädel-Hirn-Traumas. Ob beim Sport, beim Radfahren oder zu Hause, eine Gehirnerschütterung kannst du dir in vielen Situationen zuziehen. Woran du erkennst, ob ein Schlag gegen den Kopf eine Gehirnerschütterung ausgelöst hat und was dann zu tun ist, dazu haben wir mit Dr. med. Peter Tonn, Geschäftsführer und Facharzt für Neurologie und Psychiatrie am Neuropsychiatrischen Zentrum Hamburg, gesprochen.
In diesem Artikel:
- Was ist eine Gehirnerschütterung?
- Wodurch wird eine Gehirnerschütterung ausgelöst?
- Wer ist besonders gefährdet?
- Wie erkenne ich eine Gehirnerschütterung?
- Wie geht der Arzt vor?
- Wie lange dauert die Genesung?
- Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
- Sind Folgeschäden zu erwarten?
Was ist eine Gehirnerschütterung?
Eine Gehirnerschütterung zählt zu den Schädel-Hirn-Traumen. Dabei handelt es sich um Verletzungen des Gehirns, die unterschiedlich stark ausfallen können. Die Gehirnerschütterung – in der Fachsprache auch commotio cerebri genannt – zählt zu den leichten Schädel-Hirn-Traumen. Bei einer Gehirnerschütterung werden die Nervenzellen des Gehirns leicht verletzt, die Folgen reichen von Kopfschmerzen bis hin zu Ohnmacht. Die Erschütterung übt Druck auf den Schädel aus, wodurch das Gehirn an die Schädelwand gedrückt wird. "So können Schwellungen im Gehirn entstehen, für die eigentlich gar kein Platz ist", so Dr. Tonn.
Interessant ist, dass es in der Medizin derzeit einen Richtungswechsel gibt. "In der Medizin der 60er-Jahre galt eine Gehirnerschütterung als plötzliches, kurzfristiges Fehlen von Hirnfunktionen und selbst heute wird häufig angenommen, dass die Symptome nur kurzfristig anhalten", so der Neurologe. Mittlerweile gibt es aber auch andere Überlegungen: "Ausgelöst durch die vielen langfristigen Gehirnschäden, die vor allem bei Kontaktsportlern beobachtet werden, wird seit 2-3 Jahren diskutiert, ob das Wort 'Gehirnverletzung' nicht die treffendere Bezeichnung ist", berichtet der Experte.

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Wodurch wird eine Gehirnerschütterung ausgelöst?
Häufig ist ein Unfall beim Sport – etwa ein Zusammenprall – die Ursache für ein Schädel-Hirn-Trauma. Aber selbst ein kleiner Sturz auf der Treppe hat das Potenzial, eine Gehirnerschütterung zu verursachen. Pauschal lässt sich zwar sagen, dass vor allem Kontaktsportler gefährdet sind, aber selbst Situationen, die als ungefährlich gelten, können manchmal echt riskant werden. Auch das Fahrradfahren ohne Helm hat bei einem Sturz schon viele Schädel-Hirn-Traumen verursacht. Ein Helm schützt deinen Kopf vor genau solchen Hirnverletzungen und im Zweifelsfall sogar vor dem Tod.
Gibt es Stellen am Kopf, die für eine Gehirnerschütterung besonders anfällig sind?
Der Experte: "Nein, jeder Schlag auf den Kopf, egal auf welche Stelle, kann theoretisch eine Gehirnerschütterung zur Folge haben. Außerdem entstehen die meisten Schäden im Inneren des Gehirns, wo man mit äußerer Krafteinwirkung ohnehin nicht hinkommt."

Wer ist besonders gefährdet?
Nicht nur Sportler, auch Ältere, Frauen, Kinder und Patienten, die schon einmal ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten haben, gehören zur Risikogruppe. Veröffentlichte Zahlen des statistischen Bundesamtes für das Jahr 2015 zeigten, dass die Todesfälle nach häuslichen Stürzen ab einem Alter von etwa 60 Jahren rapide ansteigen. Frauen sind vor allem deshalb gefährdet, weil sie teilweise etwas anfälliger für Verletzungen sind – ihre Nervenfasern sind etwas dünner. Bei Kindern diskutiert man darüber, ob ein Schädel-Hirn-Trauma womöglich schlimmere Auswirkungen haben könnte als bei Erwachsenen. Es scheint Einigkeit darüber zu herrschen, dass Kinder wie auch Frauen etwas langsamer genesen.
Wie erkenne ich eine Gehirnerschütterung?
Sich den Kopf zu stoßen muss nicht gleich eine Gehirnerschütterung hervorrufen, aber du solltest auf ungewöhnliche Anzeichen achten. Eine Gehirnerschütterung kann bei Menschen ganz unterschiedliche Symptome hervorrufen. Die klassischen Symptome, die am häufigsten auftreten, sind:
- Übelkeit
- Schwindel
- Kopfschmerzen
In einigen Fällen können auch kognitive Störungen wie Verwirrung, Konzentrations- und Gedächtnisschwierigkeiten sowie Fatigue auftreten. Auch Atemstörungen, Krämpfe oder Augenzittern sind nicht ausgeschlossen. Neben der Gehirnerschütterung ist Fatigue auch häufig ein Symptom des Burn-Out-Syndroms. In schwereren Fällen ist bei einer Gehirnerschütterung sogar Ohnmacht möglich – das Spektrum der auftretenden Beschwerden ist also breit gefächert. Genau deshalb ist es so wichtig, auf alle Anzeichen zu achten und sich bereits beim leisesten Verdacht in eine Notfallambulanz zu begeben.
Das ist vor allem deshalb so wichtig, weil die Symptome einer Gehirnerschütterung oft die gleichen sind wie die einer noch ernsteren Gehirnverletzung – etwa einer Gehirnblutung.
Wie lange dauert es, bis man nach einem Schlag mit Symptomen rechnen muss?
Auch das ist sehr unterschiedlich. Es lässt sich aber sagen, dass sich die Anzeichen bereits innerhalb der ersten Stunde verdichten. Doch in manchen Fällen kann es auch zu einer Latenz kommen – also zu einer Verzögerung der Anzeichen. In jedem Fall sollte bei Verdacht umgehend eine Notfallambulanz aufgesucht werden, in schweren Fällen sollte sofort der Notruf gewählt werden.
Wie geht der Arzt vor?
"Viele Patienten haben bei einer Gehirnerschütterung Aussetzer des Gedächtnisses. Deswegen ist es zunächst einmal sinnvoll, wenn ein Begleiter, der zum Ereignis selbst etwas sagen kann, den Patienten unterstützt und für den Arzt wichtige Angaben machen kann", empfiehlt Peter Tonn.
Zu Beginn des Vorgehens immer die Befragung des Patienten. Der Arzt möchte natürlich wissen, wie sich der Unfall ereignet hat, um die Schwere des Traumas besser einschätzen zu können. Durch die Befragung kann der Arzt auch am besten feststellen, wie es dem Patienten geht und wie er auf gewisse Eindrücke reagiert. "Viele Ärzte gucken vor allem auf die körperliche Verfassung, etwa wie sich die Arme und Beine bewegen", so Tonn.
Anschließend gehen viele Ärzte mit der sogenannten "Glasgow-Koma-Skala" vor. Diese Skala ist in 3 Bereiche eingeteilt: Augenöffnung, beste verbale Reaktion und beste motorische Reaktion. Für jede Kategorie werden Punktzahlen vergeben, die am Ende zusammengerechnet werden. Ist die Gesamtpunktzahl besonders niedrig, weiß der Arzt, dass eventuell schwerere Schäden des Gehirns vorliegen können. Im Anschluss an diese Untersuchung folgt dann bei Bedarf eine neurologische Untersuchung, bei der zum Beispiel Röntgenaufnahmen oder eine Computertomografie gemacht werden. "Nach der Untersuchung bleibt man meistens 20-24 Stunden zur Überwachung und wird danach wieder entlassen", so Tonn, "Wenn sich innerhalb dieses Zeitraumes keine Verbesserung abzeichnet, muss man in der Regel noch einige Zeit stationär bleiben."

Wie lange dauert die Genesung?
Wie lange man braucht, um wieder vollständig belastungsfähig zu sein, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zunächst ist entscheidend, welche Personengruppe betroffen ist. Während gesunde, junge Menschen oft nur wenige Tage brauchen, um wieder belastbar zu sein, kann es bei älteren Menschen, Frauen und teilweise auch Kindern häufig mehrere Wochen dauern, bis sie sich vollständig erholt haben.
"Die klassischen Symptome wie Übelkeit, Schwindel oder Kopfschmerzen vergehen häufig recht schnell. Die obere Grenze der Genesung liegt bei etwa einer Woche. Danach sollte man allmählich wieder belastbar sein", so Tonn. Länger anhaltend können kognitiven Symptome wie Konzentrations- und Gedächtnisschwierigkeiten, Fatique, psychische Beschwerden, sein. "Bei Risikogruppen können solche Symptome teilweise bis zu 6 Monate anhalten." Achte während der Genesung in jedem Fall auf einen erholsamen Schlaf.
Du siehst also, dass der Genesungsprozess sehr individuell ist. Wenn die Symptome länger anhalten, ist eines umso wichtiger: Beginne nach der Ruhephase, in der du dich zunächst nur auskurierst, so schnell wie möglich mit der eigentlichen Behandlung – sofern es nötig ist. Der Experte: "Wichtig ist, so wenig Zeit wie möglich verstreichen zu lassen, um eventuelle Langzeitfolgen einzudämmen."

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Unmittelbar nach der Erschütterung kommt es zunächst einmal auf Ruhe an. "Wenn man einen Krankenhausaufenthalt hinter sich hatte und im Optimalfall nach einer Nacht entlassen wird, sollte man sich eine Schohnumgebung einrichten, die etwas abgedunkelt und leise ist. Handys oder sonstige Dinge, die das Gehirn belasten, sind tabu", so der Neurologe. Wenn alles gut läuft, ist man innerhalb der nächsten Woche auch wieder fit. Ist das nicht der Fall und man hat weiterhin Beschwerden, muss eine weitere Behandlung in Form einer Therapie durchgeführt werden.
"Hat das Schädel-Hirn-Trauma körperliche Beschwerden verursacht, sollte eine physiotherapeutische Behandlung mit entsprechenden Bewegungsübungen durchgeführt werden", empfiehlt der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Der Experte fährt fort: "Bei kognitiven Beschwerden sollte der Hausarzt oder Neurologe aufgesucht werden, die in der Regel auch passende Medikamente verschreiben. Bei Konzentrationsstörungen sollte man sich an einen Neuropsychologen wenden. Deren Arbeit ist auf dieses Gebiet spezialisiert."
Wenn du dann wieder fit bist, solltest du gerade bei körperlicher Belastung vorsichtig sein und zum Beispiel beim Sport äußerst vorsichtig wieder einsteigen.
Sind Folgeschäden zu erwarten?
Ja, unter Umständen kann eine Gehirnerschütterung Folgeschäden hervorrufen. "Manchmal hat man zum Beispiel Stimmungsschwankungen oder ist im Alltag weniger belastbar als üblich. Man denkt sich: Das habe ich früher doch mit links geschafft. Auch solche Symptome können noch Folgen einer Gehirnerschütterung sein, die schon länger zurückliegt", erklärt Tonn.
In Anbetracht der möglichen Folgeschäden versteht man, warum es sinnvoll ist, von Gehirnverletzung und weniger von Gehirnerschütterung zu sprechen. Das Wort Erschütterung schließt solche Langzeitverletzungen quasi aus, aber gerade die Beispiele aus dem Kontaktsport zeigen, dass es nicht bei einem kurzfristigen Schwindelgefühl bleiben muss.
Wenn du schon einmal eine Gehirnerschütterung erlitten hast, solltest du vorsichtig sein. Mit jeder Gehirnerschütterung steigt die Wahrscheinlichkeit für langfristige, teilweise irreversible Hirnschädigungen.
