So hält sich Boxstar Anthony Joshua fit

Interview mit Box-Weltmeister
So hält sich Boxstar Anthony Joshua körperlich und mental fit

Zuletzt aktualisiert am 27.12.2023
Anthony Joshua kennt sich aus mit Siegen, kann aber auch mit Niederlagen umgehen
Foto: Chris Floyd

Anthony Joshua galt lange als unbesiegbar. Olympiagold 2012, Weltmeister 2016, eine astreine Profi-Bilanz: Joshua war der Superstar des Boxens. Doch in der letzten Zeit musste sich der 34-jährige Brite an etwas gewöhnen, das ihm bis dahin unbekannt war: Niederlagen, 3 in seinen letzten 7 Kämpfen. Das hat ihn dazu gebracht, die Sicht aufs Boxen zu ändern – und auch seine Sicht auf das Leben. Ja, wir reden mit ihm über diesen Sport, über seine Freude, wenn er anderen Schmerzen zufügt. Aber wir verlassen auch den Boxring, unterhalten uns über den Sinn des Lebens. Wer also ein Standard-Interview mit einem 0815-Sportler erwartet, braucht nicht weiterzulesen.

Als Boxer musst du nicht nur körperlich, sondern auch mental fit sein, oder?

Ich habe tatsächlich lange gedacht, dass ich alles allein über die Physis regeln kann. Aufstehen, trainieren, alles raushauen, und das war's. Aber wenn du deine Kämpfe verlierst, stellst du dich auf einmal infrage, merkst, wie wichtig mentale Stärke ist.

Bis zur ersten Niederlage ist das nie ein Thema gewesen?

Nein, damit habe ich mich nicht befasst. Der Fokus war voll auf den Körper gerichtet, die Psyche spielte keine Rolle. Dadurch habe ich vor allem gelernt, Herausforderungen wesentlich ziel- und prozessorientierter anzugehen. Ich versuche all die Dinge, auf die ich Einfluss nehmen kann, vollständig zu kontrollieren. Außerdem gehe ich jetzt viel strategischer an die Kämpfe heran und analysiere genau, wann ich meinen Gegner wie am besten ausschalten kann.

Und wenn das nicht gelingt?

Vorm Fight gibt es in meinem Kopf keine Option, meinen Gegner nicht k. o. zu schlagen. Das war zwar grundsätzlich schon immer so, nur habe ich lange Zeit zu vieles als selbstverständlich hingenommen. Ich habe ein bisschen zu oft gechillt, zu häufig den letzten Biss vermissen lassen. Erst als ich verlor, wurde mir klar, wie viele Menschen mit mir fieberten und sich wünschten, dass ich gewinne. Daraufhin habe ich beschlossen, dass ich nach den Niederlagen keinesfalls aufgeben, sondern stattdessen alles dafür tun werde, wieder ein Champion zu sein.

Wie schätzt du das ein, wärst du ein noch besserer Boxer geworden, wenn du dich mit dem Thema mentale Fitness früher beschäftigt hättest?

Keine Ahnung, ob mich das zum besseren Boxer gemacht hätte, zumindest jedoch zu jemandem mit einer professionelleren Einstellung. Und ich wäre wohl disziplinierter.

Waren die Niederlagen also auch für irgendetwas gut?

Im Verlieren kann ich nichts Gutes erkennen. Niederlagen verbinde ich mit traurigen Zeiten und trüben Gedanken. Klar, idealerweise zieht man am Ende die Motivation daraus, noch härter zu arbeiten, und das ist ja auch das, was ich gelernt habe. Trotzdem sind und bleiben Niederlagen vor allem etwas sehr Negatives.

Kannst du beschreiben, was du nach deiner ersten Niederlage gefühlt hast?

Viele um mich herum sagten damals, ich müsse so etwas wie Trauer verspüren, aber dem war nicht so. Ich habe einfach so ein Mindset: Was auch passiert, es wird mich am Ende voranbringen und mich noch besser machen. Ich habe diese Zeit genutzt, um meine Situation ganz neu zu bewerten. Ein Psychologe stieß zu meinem Team, und seitdem feile ich nicht mehr nur an meinem Körper, auch an meinem Geist. Ich bin sozusagen auch außerhalb der üblichen Zeiten im Training.

Was ist dir durch den Kopf gegangen, nachdem du 2019 gegen Andy Ruiz Jr. deine erste Niederlage als Profi kassiert hattest?

Ich brauchte eine Auszeit, wollte einfach nur weg und nicht unter Menschen sein. Beziehungsweise nur unter solchen Menschen, für die ich nicht der Boxer bin, bei denen ich einfach Mensch sein darf. Für meine Mutter bin ich einfach nur ihr Sohn, dort kann ich Ruhe finden. Also war ich viel zu Hause, bevor ich wieder anfing zu trainieren. Normalerweise ist es kein Problem für mich, mit anderen Personen, die ebenfalls im Rampenlicht stehen, zusammen zu sein. Aber wenn ich im Boxring verloren habe, ist erst mal mein Ego beschädigt, und ich fühle mich von diesen Menschen nicht akzeptiert.

"Im Ring geht's ums Gewinnen, da kenne ich keine Gnade"
Chris Floyd

Hast du gelegentlich das Gefühl, dass dir alles zu viel wird und dass du der Welt nicht mehr gewachsen bist?

Nur nach einer Niederlage, und dann auch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Ich muss mich dann der Welt da draußen stellen, mich an die Fans wenden. Da kann ich mich nicht verstecken – und das funktioniert auch nicht in einer Zeit, in der alles von dir in den sozialen Medien breitgetreten wird. Dass ich mich nicht verstecken kann, härtet mich ab, denn könnte ich es, bliebe mir mehr Zeit zum Nachdenken, und ich würde wohl zu viel grübeln. Dafür werde ich mir nach der Karriere die Zeit nehmen – dann werde ich mit einem Drink vor dem Kaminfeuer sitzen und nachdenken.

Würdest du sagen, du unterdrückst deine Gefühle?

Unterdrücken würde ich das nicht nennen. Ich versuche, Gefühle nicht nach außen zu zeigen. Allerdings gelingt das nicht immer, wie damals nach meiner zweiten Niederlage gegen Oleksandr Ussyk. Das war so nicht geplant, das kam spontan. Wenn es passiert, passiert es halt, dann wehre ich mich auch nicht dagegen.

Haben dich die Niederlagen skeptischer gemacht, hast du jetzt mehr Selbstzweifel?

Interessanterweise haben die verlorenen Kämpfe mir die Möglichkeit gegeben, meine Schwächen anzugehen. Ich habe schmerzhaft erkennen müssen, dass meine körperliche Fitness, die Ausdauer, nicht auf einem Top-Niveau war. Von 12 Runden waren es die letzten 3, in denen Ussyk übernommen hatte, deshalb haben wir das angesprochen. Jetzt kann ich wieder volle 12 Runden durchstehen, ohne müde zu werden. Da ich nicht mehr Champion war, stand ich nicht mehr so sehr unter Druck. Darum konnte ich an meinen Schwächen arbeiten.

Würde deine Karriere eine unvollendete sein, wenn du am Ende weder gegen Tyson Fury noch gegen Deontay Wilder gekämpft hättest?

Wenn es nicht zumindest gegen einen von beiden mit einem Kampf klappt, wäre es so. Dann würde es sich für mich definitiv so anfühlen, als ob ein wichtiger Kampf in meiner Geschichte fehlt.

Hast du die Netflix-Serie über Tyson Fury gesehen?

Ich bin noch mittendrin und habe eine Menge Spaß dabei. Tyson und seine Familie machen das wirklich sehr gut, die kommen echt cool rüber. Die Kinder sind total lustig, seine Frau zeigt sich sehr loyal ihm gegenüber, ist ein toller Support. Aber klar, ich sehe mir das auch an, weil ich so vielleicht ein paar Dinge über ihn erfahre, von denen ich profitieren kann, wenn wir gegeneinander boxen sollten.

Hat Fury also mit der Serie einen Fehler begangen?

Weil er Schwächen zeigt und ich diese ausnutzen könnte? Nein, so weit würde ich nicht gehen. Natürlich gibt das den Psychologen eine Chance, ihn besser zu verstehen. Wir trennen die Elemente eines Fights. Es gibt die sportliche Kampfstrategie. Es gibt die Ebene der psychologischen Kriegsführung. Und es gibt Dinge wie: Soll ich Rot tragen, um Gefahr zu signalisieren? So was wie die TV-Serie nützt mir während eines Kampfes nichts, wohl aber im Vorfeld, um mich perfekt auf einen Fight vorbereiten zu können.

Würdest du eine solche Serie über dich machen wollen?

Ja, definitiv. Aber ich würde mich dabei mehr auf das Wesentliche konzentrieren: auf meine Werte und darauf, was ich nach dem Boxen tun möchte. Und was hätte meine Familie davon, wenn sie so prominent vorkommt? Eine Minute Ruhm? Besser nicht!

Du hast ein Kind, richtig?

Ja, aber ich will noch viele Kinder haben. Wenn man älter wird, ziehen die Leute weg, Freundschaften gehen auseinander. Aber die Kinder kommen und sehen nach dir – zumindest hoffe ich, dass es irgendwann so sein wird.

"Um stärker zu werden, musste ich erst mal meine Schwächen kennen"
Chris Floyd

Kommen wir mal zu deiner Kindheit: Was glaubst du, wo wärst du gelandet, wenn nicht das Boxen Ordnung in dein Leben gebracht hätte?

Sehr spannend formuliert! Du meinst, ich wäre ohne den Sport im Chaos versunken? Da kann ich dich beruhigen: Freunde von mir, die nicht beim Boxen gelandet sind, haben es ebenfalls zu etwas gebracht. Manche von ihnen sind heute Multimillionäre, schlitzohrige Geschäftsleute. Ich könnte mir vorstellen, das wäre auch mein Weg gewesen: Deals machen, Geld machen.

Du hast einen kleinen Teil deiner Kindheit in Nigeria verbracht. Denkst du heute gern an diese Zeit zurück?

Ja, es war die perfekte Zeit, um dort zu sein. Heute verläuft mein Leben nach klaren Strukturen, sehr geordnet. Im Gegensatz dazu war ich damals frei. Das war schön.

Weshalb seid ihr damals nach Nigeria gegangen?

Meine Mutter stammt aus Nigeria. Sie wollte zurück, um sich dort ein Geschäft aufzubauen und uns Kinder in die Schule gehen zu lassen. Es war eine neue Umgebung, die ich sehr mochte, und ich wünschte, wir wären damals noch länger dort geblieben.

Wie beurteilst du eigentlich das Image des Boxsports?

Im Boxen geht’s stets um den Einzelnen, das Individuum. Man braucht dort Superstars, denn ohne sie interessiert das Boxen niemanden. Es ist ja nicht so wie beim Fußball, wo es eine Saison gibt und Ligen, und der Zirkus geht jedes Mal von vorne los. Es geht dem Boxen auch deshalb gut, weil von vielen Seiten viel Geld in unseren Sport investiert wird.

Wenn du kein Boxer wärst, würdest du dich trotzdem fürs Boxen interessieren?

Nein. Als Heranwachsender habe ich mich für viele Dinge nicht interessiert. Ich habe keinen Fußballverein unterstützt, keine Sammelbildchen von Spielern eingeklebt. Filme haben mich ebenfalls nicht interessiert. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass ich nun all diese Erfahrungen machen will. Mit 17, 18 Jahren wurde ich zum Boxen gezwungen. In gewisser Weise hat das meine Entwicklung als Mensch aufgehalten, hat das Boxen meine Persönlichkeitsentwicklung gestoppt. Ich musste lernen, wie ich mich zu präsentieren habe und hatte klare Grenzen, was ich tun konnte. Deshalb würde ich heute gern wissen, wie sich ein Leben ohne das Boxen für mich anfühlt. Wenn ich mit dem Boxen aufhöre, werde ich mich auf eine Reise der Entwicklung begeben.