Ausverkaufte Arenen, supererfolgreiche Alben, ein Megahit nach dem anderen und meistgestreamter Musiker in Deutschland seit Erhebung der entsprechenden Zahlen. Für den Rapper RAF Camora, bürgerlich Raphael Ragucci, hätte es karrieretechnisch gar nicht besser laufen können – kurz: ein Mann auf der Überholspur.
Doch Anfang 2024 blieb ihm aus gesundheitlichen Gründen keine andere Wahl, als eine Vollbremsung hinzulegen. Tinnitus, Hörsturz, nichts ging mehr. "Den Tinnitus habe ich noch eine Zeit lang ignoriert und einfach immer weitergemacht", sagt RAF Camora rückblickend, "aber nach mehreren schweren Hörstürzen war das in Absprache mit meinen Ärzten nicht mehr möglich." Wie dieser Mann seine Auszeit verbracht und wieder Kraft gesammelt hat und weshalb er sich jetzt besser fühlt als jemals zuvor, das und vieles mehr hat er uns exklusiv im Interview verraten.
Gut 8 Monate ist es her, dass Sie sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen haben. Das Wichtigste gleich mal vorweg: Wie geht es Ihnen?
Sehr gut, danke! Die Auszeit hat mir extrem gutgetan. Ich habe mich komplett zurückgezogen und zunächst für zirka 3 Monate isoliert, hatte wenig bis gar keinen Kontakt zu Freunden und zur Familie. Ein Apartment mit Blick aufs Meer, totale Ruhe, viel Zeit nur für mich. Ich habe einmal komplett den Reset-Knopf gedrückt.
Auf Social Media war Sendepause, Sie haben nichts von sich hören lassen, sogar Ihre Tour verschoben. Warum dieser drastische Schritt?
Dazu muss ich ein bisschen ausholen. Im Oktober 2023 erlitt ich zum ersten Mal einen schlimmen Tinnitus. Ich hatte ein wildes, turbulentes Jahr hinter mir und dann eines Nachts den krassen Traum, dass ich auf Tour bin, das Intro meines Konzerts höre, die Bühne nicht finde und mein eigenes Konzert verpasse. Als ich aus diesem Traum aufgewacht bin, hatte ich dermaßen schlimme Ohrgeräusche, dass ich dachte, eine laute Sirene wäre direkt neben meinem Kopf. Ich bin aufgestanden, habe versucht, mich zu beruhigen, und mich wieder hingelegt. Aber sofort kam wieder ein Albtraum und dann ein Tinnitus, der noch krasser war. Ich habe meinen Manager kontaktiert, und wir waren uns darüber einig, dass wir sofort die Bremse ziehen müssen. Die Zeichen waren eindeutig, auf meiner Stirn stand quasi in riesigen Buchstaben geschrieben: „Achtung, Burn-out!“.
Warum haben Sie diese Warnsignale ignoriert?
Tja, im Nachhinein ist man immer schlauer, wie man so schön sagt. Aber zu dem Zeitpunkt befand ich mich mitten in einem Projekt mit Ski Aggu, zusammen wollten wir den Song "Liebe Grüße" herausbringen. Es war alles geplant, Termine standen dafür an, inklusive Videodreh mit fettem Konzert auf einer Tankstelle. Echt spektakulär. Das alles wollte ich auf jeden Fall zu Ende bringen – und habe einfach weitergemacht. Kurz nach dem Videodreh hatte ich dann aber meinen ersten Hörsturz: Ich saß mit meinem Management zusammen, plötzlich habe ich nichts mehr gehört, mir ist schwindelig geworden.
Wie lange hielt der Zustand an und wie ging es weiter?
Zwei, drei Minuten habe ich gar nichts mehr gehört. Das war sehr beängstigend. Und trotzdem habe ich danach erst mal noch weitergemacht. So ticke ich einfach. Ich habe mir eingeredet, hey, vielleicht hast du ja nur falsch gesessen, dir einen Nerv eingeklemmt. Ich wollte das Ganze irgendwie wegtrainieren. Zweimal täglich war ich im Gym, habe Thaiboxen gemacht. Obwohl die Ohrgeräusche zunahmen und ich öfter Hörstürze erlitt, wollte ich die anstehende Tour noch durchziehen und danach eine Pause machen. Ich habe mich abgeschottet und wollte Kraft sammeln für die Konzerte. Aber dann hat es in meinem Kopf plötzlich klick gemacht, und ich bekam Angst vor dem Moment, auf der Bühne einen Hörsturz zu erleiden. Irgendwo während eines Gesprächs für zwei, drei Minuten nichts zu hören, das ist das eine, aber wenn mir so was auf der Bühne passiert – nein, diesem Risiko wollte ich mich keinesfalls aussetzen.
Dann haben Sie, wie man so sagt, die Reißleine gezogen?
Ja. Ich bin in meine Wohnung nach Dubai geflogen, hatte null Kontakt zu irgendwem. Gefühlt habe ich den ganzen Tag nichts anderes gemacht als auf das Meer zu schauen.
Schlagartig von 100 auf 0 – wie war das für Sie?
Ich war voll auf Dopamin-Entzug. In meinem Alltag als Musiker sind alle Augen die ganze Zeit auf mich gerichtet, alles dreht sich um mich, ich bin immer unter Strom. Und plötzlich war da einfach nur Langeweile. Nichtstun. Ich weiß, das klingt nach einem Luxusproblem, aber für mich war das am Anfang echt hart.
Warum haben Sie diesen Weg der Isolation gewählt?
Eine andere Möglichkeit habe ich für mich nicht gesehen. Als Künstler bin ich süchtig nach Dopamin: Wir holen uns Glücksgefühle durch das Feedback der Fans, wenn ein Hit durch die Decke geht oder wir große Hallen füllen. Das sind unvorstellbare Ausstöße an Dopamin. Mir war klar, dass ich meinen Körper erst mal davon entwöhnen muss. Und deswegen die Isolation.
Und wie sah Ihr Tagesablauf in dieser Zeit aus?
Schrecklich unspektakulär (lacht). Ich bin meistens sehr früh aufgestanden, so gegen 5 Uhr. Dann habe ich gelesen, Sport gemacht, meditiert, geschlafen, gegessen – und mich zwischendurch sehr viel gelangweilt. Aber genau diese Langeweile brauchte ich in solchen Momenten.

Nach seiner Auszeit wieder bereit, Gas zu geben: RAF Camora.
Wann haben Sie gemerkt, dass Ihr Rückzug den gewünschten Erholungseffekt hatte, Sie in die Öffentlichkeit zurückkehren können?
Eigentlich erst, als ich wieder zu Hause war. Es wurde mir in Dubai irgendwann schlicht zu heiß, also habe ich meine Zelte dort abgebrochen. Als ich dann zurück war und der Alltag losging, bemerkte ich, was für Baustellen vor mir lagen. Und da habe ich nicht gedacht, oh nein, das packe ich nicht, im Gegenteil: Ich war geradezu gierig danach, die Dinge anzugehen. Ich konnte es nicht abwarten, wieder ins Studio zu gehen und neue Musik zu machen. Ich war voller Tatendrang. Da habe ich gemerkt: Ja, die Auszeit hat etwas gebracht – ich bin stärker als je zuvor.
Das klingt so, als hätten Sie sich selbst therapiert.
Na ja, ganz so einfach war es nicht. Ich gehe schon länger zu einer Psychotherapeutin, das habe ich auch während meiner Zeit in Dubai weiter telefonisch gemacht. Was mir zusätzlich sehr geholfen hat und auch im Augenblick hilft, ist die Arbeit an meinem Mindset. Es ist eine Art mentale Erholungsmethode, die ich für mich entwickelt habe und die ich Dark Zen nenne.
Und was genau verbirgt sich hinter diesem Begriff?
Also, mir persönlich geht es so, dass ich die Leitsätze und mentalen Strategien, mit denen ich arbeite und die mir was bedeuten, noch besser annehmen kann, wenn ich dem Ganzen einen Namen gebe, der es beschreibt. Der Begriff Dark Zen stammt von meinem Inneneinrichter, so nannte er den Stil, in dem wir meine Wohnung gestaltet haben. Den Begriff fand ich super, das klingt irgendwie nach Batman, einfach cool. Dann habe ich angefangen, in einem Dark-Zen-Tagebuch all das aufzuschreiben, was mich mental weiterbringt – das können etwa einzelne Sätze, Zitate oder Passagen aus Büchern sein, Privates genauso wie Berufliches, das mir im Kopf herumschwirrt. Durch Dark Zen ordne ich alles in meinem Kopf. Unter anderem habe ich dabei eine eigene 5-Punkte-Meditation für mich entwickelt. Und ich arbeite momentan an einem eigenen Podcast, in dem ich näher auf dieses Thema eingehen und über meine Mindset-Tricks sprechen möchte.
Verläuft Ihre Meditationsroutine denn immer nach demselben Muster?
Ja, das Ganze funktioniert in etwa so: Ich lege mich hin, schließe meine Augen und denke dann zuerst an 5 Dinge und daran, dass ich dankbar bin, sie nicht zu haben. Nach dem Motto: Ich bin froh, dass ich keinen Bandscheibenvorfall oder keinen Stress mit meiner Familie habe. Und das erzeugt Glücksgefühle. Damit erde ich mich. Danach mache ich sogenanntes Scanning: Ich betrachte mich dann quasi aus der Vogelperspektive und schaue ganz genau hin, wie es mir gerade geht. Wo verspüre ich Druck, wo Anspannung und wo Entspannung? Diese Themen bespreche ich dann mit mir selbst, dadurch löst sich in den meisten Fällen der Druck, die Anspannung. Im Anschluss denke ich ganz bewusst daran, dass ich mit mir zufrieden bin, dass ich mit mir im Reinen bin, auch wenn ich vielleicht am Tag vorher etwas gemacht habe, womit ich rückblickend nicht ganz einverstanden bin. Dass ich mit mir selbst cool bin, ist für mich extrem wichtig. Denn diese Zufriedenheit strahlt ein Mensch dann auch nach außen aus. Zum Schluss nehme ich mir bewusst Zeit, um in Ruhe wach zu werden.
Wie oft meditieren Sie und wie viel Zeit investieren Sie in die Art der Introspektion?
Normalerweise ein- bis zweimal in der Woche und meist nicht mehr als 15 Minuten. Wie gesagt, ich praktiziere es dann, wenn ich besonders großen Druck verspüre, wenn in meinem Kopf besonders viel abgeht. Während meiner Isolation in Dubai habe ich oft meditiert, sehr oft sogar.
Wie wichtig ist Ihnen Ihre körperliche Fitness?
Sehr wichtig. Für mich gehört es einfach zu meinem Job, top in Form zu sein. Dadurch, dass ich viel Sport treibe, hält mein Körper die Belastungen etwa auf Tour, aber auch bei Videodrehs viel besser aus. Zudem erhole ich mich dank des hohen Sportpensums meist schnell und effizient.
Wie sieht für gewöhnlich Ihr Trainingsalltag aus?
Ich trainiere immer 3 Tage hintereinander – zweimal Krafttraining im Gym, einmal Thaiboxen –, dann lege ich einen Tag Pause ein. Das ziehe ich so konsequent wie möglich durch. Eine Einheit dauert maximal 60 Minuten, den Plan lasse ich von einem Trainer zusammenstellen.
Ihre aktuelle Lieblingsübung im Fitness-Studio?
Bankdrücken.
Und welche Übung geht für Sie überhaupt nicht?
Kniebeugen. Obwohl, noch ein bisschen schlimmer sind für mich Ausfallschritte.
Okay, Beintraining scheint nicht so Ihr Ding zu sein.
Ach, es gibt schon Übungen, die Spaß bringen. Beinpresse etwa finde ich super, weil du da unglaublich viel Gewicht bewegen kannst: 240, 250 Kilo auflegen und Abfahrt, das macht schon richtig Bock. Aber generell, das stimmt, gehört der Leg-Day nicht zu meinen Lieblingstagen im Fitness-Studio. Das liegt jedoch auch daran, dass meine Storchenbeine an Muskeln nicht wirklich zulegen, ganz egal, wie viel ich trainiere.
Gelingt es Ihnen eigentlich, sich trotz Ihres stressigen Alltags bewusst zu ernähren?
Ich koche sehr gern und oft selbst, bin aber niemand, der einen Ernährungsstil wie Vegan, Paleo oder Low Carb strikt durchzieht. Dennoch achte ich genau darauf, dass ich die richtigen Nährstoffe bekomme. Derzeit nehme ich höchstens 1850 Kalorien am Tag zu mir. Das ist eher wenig, ich weiß, aber im Moment ist es mir einfach wichtig, dass der Körper definiert aussieht. Ich habe auch schon solche Geschichten wie No Carb ausprobiert, aber irgendwie hat das bei mir verdauungstechnisch meistens nicht so gut funktioniert. Daher gehe ich jetzt über Nährstoffe und Kalorien. Dann kann ich mir nämlich auch mal ein Eis gönnen, wenn ich Lust drauf habe. Ich tracke das Ganze auch mit Hilfe einer App, die Kalorien zählt. So kann ich, falls es notwendig ist, Carbs an anderer Stelle einsparen.
Sie geben nicht gerade oft Interviews. Gibt es dafür eigentlich einen Grund?
Das beantworte ich gern mit dem Beispiel eines Tisches, an dem 10 Personen sitzen. Der lauteste Quatschkopf in der Runde, der am meisten erzählt und einen Witz nach dem anderen macht, ist nur deshalb nicht automatisch die interessanteste Person – im Gegenteil, irgendwann nervt er nur noch. Diejenigen, die überlegt reden und gezielt antworten, sind doch oft viel spannender. So halte ich es mit Interviews: Ich gebe gern eins, achte aber genau darauf, wann ich mich worüber wie äußere. Ich bin Musiker, und wenn ich irgendwas im Überschuss tun sollte, dann Songs aufnehmen, aber eben nicht Interviews geben. Das musste ich aber auch erst mal lernen. Zu Beginn meiner Karriere wollte ich überall präsent sein, da habe ich jedes Interview mitgenommen. Zum Glück habe ich das mittlerweile nicht mehr nötig, und statt auf Quantität konzentriere ich mich lieber auf Qualität.
Im Vorfeld dieses Interviews war im Zusammenhang mit Ihnen oft der Slogan „Out Of The Dark“ zu hören. Wieso?
Weil sich meine Rückkehr nach der Isolation genau so angefühlt hat: raus aus dem Dunkeln, zurück ins Licht. Der Tinnitus, die Hörstürze, das war einfach krass. Dass ich da rausgekommen bin, darauf blicke ich auch mit Stolz zurück. Und natürlich passt diese berühmte Liedzeile von Falco zu einem wie mir, der in Wien aufgewachsen ist, auch einfach perfekt.
Werfen wir doch mal einen Blick auf Ihre Vita. Geboren sind Sie in der französischsprachigen Schweiz als Sohn einer Italienerin und eines Österreichers, aufgewachsen in Wien, und eine wichtige Rolle in Ihrem Leben spielt derzeit Berlin. Wo fühlen Sie sich eigentlich zu Hause?
Ein echtes Zuhause habe ich nicht, so ehrlich muss ich sein. Ich wohne seit 17 Jahren in Berlin, dort befindet sich meine Wohnung. Daher fühlt sich Berlin im Augenblick am meisten nach Zuhause an. Extrem geprägt hat mich jedoch Wien, denn in dieser Stadt bin ich aufgewachsen, im 15. Bezirk. Dennoch werde ich vermutlich nicht mehr dauerhaft nach Wien ziehen. Einen Ort, den ich als meine Heimat bezeichnen würde, habe ich tatsächlich nicht.
Ab November gehen Sie auf Tour und holen die Konzerte nach, die im letzten Jahr abgesagt worden sind. Verraten Sie uns, was danach kommt?
Zumindest keine weitere Tour mehr, so viel steht fest. Dazu haben mir meine Ärzte sehr deutlich geraten, denn der Stress auf einer Tour stellt für mich das größte Risiko dar. Einzelne Festivalauftritte ja, aber eine komplette eigene Tournee wird es nach meinen Konzerten im November und Dezember nicht mehr geben.
Warum setzen Sie dann überhaupt noch einmal Ihre Gesundheit aufs Spiel, indem Sie die Konzerte am Jahresende spielen?
Diese Konzerte muss ich ganz einfach spielen, keine Frage. Das habe ich meinen Fans versprochen, das bin ich ihnen schuldig. Und ich freue mich auch darauf. Anschließend möchte ich wieder verstärkt als Produzent tätig werden, junge Künstler entdecken und sie fördern, mich ihnen mit Herzblut und mit vollem Einsatz widmen. Denn jeder junge Künstler, jede junge Künstlerin hat es verdient, dass der Produzent sich zu hundert Prozent um ihn oder sie kümmert. Ich bin jetzt 40 Jahre alt und gehöre in der deutschsprachigen Rap-Szene mittlerweile zu den Ältesten. Es ist für mich jetzt einfach an der Zeit, mich noch stärker um die Nachwuchskünstler zu kümmern. Ich habe die Musikszene als Rapper über einige Jahre geprägt, künftig will ich das wieder verstärkt als Produzent und Manager von jungen Talenten machen.
Soll das heißen, dass es von RAF Camora keine neuen Songs mehr geben wird?
Doch, keine Sorge – ich bin auch weiterhin superheiß darauf, Musik zu machen. Es macht mir weiter riesigen Spaß, im Studio zu sein und dort Dinge auszuprobieren, Musikstile neu zu entwickeln. Damit werde ich vermutlich auch nie aufhören. Meine Fans können sich auf neue, ungewohnte RAF-Camora-Sounds freuen: 80er, Synthie-Waves – da kommen gute, wilde Sachen auf euch zu!